PiD - Psychotherapie im Dialog 2025; 26(03): 99-100
DOI: 10.1055/a-2420-4552
Resümee

Zwangsspektrumsstörungen

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Sylke Andreas
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Henning Schauenburg
Preview

Es hat sich viel getan!

11 Jahre seit dem letzten Heft zum Thema Zwangsstörungen sind schon eine Nummer! Sie steht ein wenig dafür, wie wir mit diesem Störungsbild umgehen – fast alle kennen es, aber nur wenige setzen sich intensiver damit auseinander. Entsprechend schwer ist es für Betroffene, einen qualifizierten Therapieplatz zu finden. Schon die Konfrontationstherapie bei Angststörungen und die traumafokussierte Therapie bei PTBS als evidenzbasiert wirksamste Behandlungsstrategien werden in der Praxis zu selten umgesetzt – noch viel schwieriger ist die Situation hier bei der noch wesentlich (zeit)aufwendiger durchzuführenden Reizkonfrontation/Reaktionsverhinderung. In unserem Versorgungssystem scheint sich hier die Haltung einzuschleichen „Sollte man eigentlich machen, aber…“. Ermutigend ist hier der Beitrag zur Umsetzung der Konfrontationstherapie in der Verhaltenstherapeutischen Praxis, der zeigt, dass es eben doch geht – und auch eine Bereicherung im Therapeutischen Alltag sein kann.

Ebenso eindrucksvoll und ermutigend fanden wir den Bericht über die Effektivität der 4-Tages-Intensivtherapie bei Zwangsstörungen. Sicher lässt sich eine Zwangsstörung in dieser kurzen Zeit nicht heilen – aber das Leid der Betroffenen kann schnell und effektiv deutlich vermindert und ihre Funktionsfähigkeit im Alltag verbessert werden. Allerdings liegt dieses Konzept ziemlich quer zu unserem aktuellen Versorgungs- und Finanzierungssystem, das eher längere, aber dafür ausgedünntere Behandlungen honoriert. Eine hochintensive Therapie lässt sich zu den aktuell gültigen Vergütungssätzen kaum kostendeckend umsetzen – obwohl sie durch die Verkürzung von Liegezeiten und den schnelleren Erfolg in hohem Maße wirtschaftlich ist. Hier zeigt sich, dass wir mehr Flexibilität und Kreativität bei der Gestaltung der Vergütung und auch unserer eigenen therapeutischen Routinen benötigen, damit die Ergebnisse der Therapieforschung auch wirklich zum Nutzen der Betroffenen umgesetzt werden.

Was nach der Lektüre dieses Heftes auch deutlich wird: Die ICD-11 wirbelt das Feld der Zwangsstörungen ziemlich durcheinander und verleiht ihm mehr Bedeutung. Ihre Sichtbarkeit wird deutlich erhöht, weil sie ein eigenes Kapitel erhalten, und die Anzahl der zugehörigen Diagnosen wird unter der Prämisse geteilter ätiologischer, neurobiologischer und diagnostischer Charakteristika sowie gemeinsamer Therapieansätze deutlich erweitert. So wechselt die Hypochondrie, die künftig als Krankheitsangststörung bezeichnet wird, in dieses Kapitel. Hinzu kommen die viel Leid verursachende Körperdysmorphe Störung, die nicht mehr unter der Hypochondrie subsumiert wird, die Olfaktorische Referenzstörung, das pathologische Horten sowie Skin Picking und Trichotillomanie. Auch wenn Deutschland mit der offiziellen Einführung der ICD-11 nicht gerade die Rolle eines Vorreiters übernimmt, ist sie in der Forschung schon lange richtungweisend – das zeigen die zahlreichen Beiträge im Heft zu neuen und wirksamen Behandlungsansätzen für diese Störungsbilder. Überraschend auch, dass die diagnostische Trennung zwischen Zwangshandlungen und Zwangsgedanken aufgrund mangelnder Evidenz und praktischer Bedeutung verabschiedet wird: Künftig gibt es nur noch eine einheitliche Zwangsstörung, bei der das prognostisch wichtige Merkmal der Krankheitseinsicht verschlüsselt werden kann.

Besonders freuen wir uns, dass die Perspektive der Patientinnen und Patienten gleich mit zwei Beiträgen im Heft vertreten ist – Psychotherapie im Dialog bedeutet eben mehr als den Dialog therapeutischer Orientierungen untereinander. Uns haben die vielen neuen Konzepte in Diagnostik, Therapie und Rehabilitation neugierig darauf gemacht, uns mehr mit dieser etwas vergessenen Gruppe von Krankheitsbildern – die offensichtlich häufiger und vielgestaltiger ist als erwartet – zu beschäftigen.

Herzliche Grüße
Volker Köllner
Sylke Andreas
Henning Schauenburg



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Article published online:
19 August 2025

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