Schlüsselwörter Ambulante Psychotherapie - Digitale Psychotherapie-Interventionen - Online-Befragung - Zufriedenheit - Akzeptanz
Keywords psychotherapy - digital psychological therapy interventions - online survey - user satisfaction - acceptance
Einleitung
Aufgrund geringer psychotherapeutischer Versorgungsmöglichkeiten hat ein Großteil der
Menschen mit psychischen Erkrankungen keinen Zugang zu zeitnaher
Richtlinienpsychotherapie [1 ], weshalb
die Wahrscheinlichkeit der Chronifizierung der Symptomatik zunimmt [2 ]. Gesundheitsanwendungen (DiGAs) haben
das Potential, den bestehenden Versorgungsbedarf zu reduzieren, indem sie
Wartezeiten bis zu einer therapeutischen Intervention verkürzen oder bestehende
Interventionen sinnvoll ergänzen [3 ].
Der Einsatz von digitalen Technologien in der Psychotherapie wird seit der
Covid-19-Pandemie auch innerhalb der ambulanten Versorgung deutlich, da insbesondere
die Nutzung der Videosprechstunde sprunghaft angestiegen ist [4 ]. Die Wirksamkeit der Behandlung für
videobasierte Psychotherapie bei unterschiedlichen Störungsbildern wie affektiven
Störungen bei Erwachsenen [5 ] und
Heranwachsenden [6 ] konnte in
randomisierten kontrollierten Studien nachgewiesen werden. Die videobasierte
Therapieform ist demnach ähnlich wirksam wie die klassische Face-to-Face-Therapie
[7 ] und die Zufriedenheit der
NutzerInnen ist insgesamt hoch, insbesondere auf Seiten der PatientInnen [8 ]. Bestehende Studien geben Hinweise
darauf, dass die digitale Therapie-Beziehung in der Qualität mit der Beziehung in
der Präsenztherapie vergleichbar sein könnte [9 ]. Jedoch scheinen PsychotherapeutInnen der verschiedenen
Therapieschulen (tiefenpsychologisch-analytisch vs. verhaltenstherapeutisch)
unterschiedlich häufig die Videotherapie zu nutzen [10 ]. Für verhaltenstherapeutische
Interventionen wie Expositionen in Virtueller Realität (VRET) bestätigen
Meta-Analysen eine ähnliche Wirksamkeit wie herkömmliche Expositionen bei
Erwachsenen [11 ] und Heranwachsenden
[12 ]. Auch für den Einsatz von
Serious Games, Computerspiele mit therapeutischem Inhalt, liegen erste
Evidenznachweise vor [12 ]. Neben dem
Computer können auch zusätzlich tragbare Sensoren zur Aufzeichnung von
physiologischen Daten von PatientInnen in die psychotherapeutische Versorgung von
Menschen integriert werden [13 ]. Mit
Hilfe von einem EKG-Brustgurt zur Aufzeichnung der Herzfrequenz können relevante
Kontextinformationen wie Angst und Anspannung während einer Exposition bspw. bei
ZwangspatientInnen sichtbar gemacht werden [14 ]. Ausschlaggebend für die Nutzung beispielsweise digitaler
Gesundheitsanwendungen wie DiGAs scheint die Akzeptanz der Anwendung durch die
NutzerInnen zu sein [15 ]
[16 ]. Ohne die Akzeptanz der jeweiligen
Anwendung ist eine Implementierung in den Behandlungsalltag nicht möglich [16 ]
[17 ]. Förderlich auf die Akzeptanz und Nutzung von DiGAs im Bereich der
psychotherapeutischen Versorgung scheint sich eine hohe technische Kompetenz der
NutzerInnen auszuwirken [18 ]. Demnach
ist die Nutzung und Verschreibung von digitalen Gesundheitsanwendungen nicht allein
von der Akzeptanz der Technologien, sondern auch von der Technikaffinität der
NutzerInnen abhängig [18 ]. Bislang gibt
es jedoch zu wenige Studien, die darüber hinaus die Einstellung zu und Nutzung von
digitalen Technologien in der Psychotherapietherapie, wie DiGAs, Virtueller
Realität, Serious Games, Sensoren übergreifend bei PsychotherapeutInnen und
PatientInnen untersuchen. Es fehlt bislang die adäquate Anpassung von digitalen
Technologien in der Psychotherapie an die Bedürfnisse von PatientInnen [17 ]. Die vorliegende Studie ist unseres
Wissens die erste Studie in Deutschland, die PatientInnen und PsychotherapeutInnen
in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung gleichermaßen in den Fokus der
Aufmerksamkeit rückt. Das Ziel der Studie war es, deutschlandweit die Akzeptanz von
digitalen Technologien in der Psychotherapie bei PsychotherapeutInnen und
PatientInnen zu erheben. Die Befragung umfasste drei Hauptthemen: Videotherapie,
weitere digitale technologiebasierte Interventionen, Sensorik. Im Abschnitt
„Videotherapie“ wurde das Nutzungsverhalten, die Zufriedenheit mit der Umsetzung,
Vor- und Nachteile erhoben und die therapeutische Beziehung im Online-Kontext
erfragt. Im Abschnitt „Weitere digitale technologiebasierte Interventionen“ wurde
ermittelt, ob Teilnehmende bereits eine andere digitale Psychotherapie-Intervention
mit technischer Komponente, bspw. DiGAs, Virtuelle Realität, Serious Games genutzt
haben und falls nicht, welche Gründe gegen eine Nutzung sprechen. Außerdem wurden
Vor- und Nachteile der Anwendung von digitalen Interventionen in der Psychotherapie
erfragt. Da der Einsatz von Sensorik in der Psychotherapie ein relativ neues
Forschungsfeld darstellt, wurden Teilnehmende zudem zu ihrem Interesse zum Einsatz
von Sensorik im psychotherapeutischen Setting befragt und Barrieren erhoben.
Zusätzlich sollten persönliche Merkmale wie Technikaffinität und
Technologieakzeptanz von NutzerInnen untersucht werden. Wir gingen davon aus, dass
die Nutzung und Zufriedenheit mit digitalen technologiebasierten Interventionen, wie
der Videotherapie oder anderen digitalen Technologien, wie DiGAs mit dem Alter, der
Technikaffinität und der Technologieakzeptanz sowie Therapievertiefung der
PsychotherapeutInnen zusammenhängt und das Videotherapien von
VerhaltenstherapeutInnen häufiger genutzt und allgemein vermehrt angeboten werden,
sofern das Gefühl vorwiegt, eine positive Therapie-Beziehung herstellen zu
können.
Methode
TeilnehmerInnen und Rekrutierung
Die Daten wurden durch eine querschnittliche Online-Befragung über die Anwendung
REDCap®
[19 ] anonym erhoben. Eingeschlossen
wurden ambulant tätige approbierte PsychotherapeutInnen aller
Vertiefungsrichtungen (Verhaltenstherapie/Analytischer
Psychotherapie/Tiefenpsychologischer Psychotherapie/Systemischer Therapie) und
ambulante PatientInnen, die seit Beginn der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 eine
Therapiesitzung im Videosetting durchgeführt haben. Die Diagnose und die Anzahl
der Videotherapiesitzungen war für die Teilnahme irrelevant. Ausgeschlossen
wurden PsychotherapeutInnen in Ausbildung oder TherapeutInnen, die in voll- oder
teilstationären Einrichtungen tätig waren. Für die Teilnahme an der
Online-Befragung erhielten die Teilnehmenden keinerlei Incentives.
Die Rekrutierung von PsychotherapeutInnen erfolgte über freizugängliche Listen
mit Kontaktdaten der ambulanten Psychotherapie-Praxen, über verschiedene
Internetseiten der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung der Bundesländer,
durch Hinweise auf die Studie auf den jeweiligen Internetseiten und durch
E-Mail-Rundschreiben. Insgesamt wurden bundesweit 6918 niedergelassene
PsychotherapeutInnen über die Arzt-/Psychotherapeutensuche, 149
Ausbildungsinstitute mit Internetpräsenz und 118 SupervisorInnen per E-Mail
kontaktiert. PatientInnen wurden über die teilnehmenden TherapeutInnen über das
Anschreiben per E-Mail von 16 Organisationen (Selbsthilfegruppen,
Internet-Foren, störungsspezifische Internet-Informationsseiten für
PatientInnen), über 606 MedizinerInnen (Kinderärzte, Allgemein-Mediziner,
PsychiaterInnen) und über soziale Medien (Facebook, Instagram) durch Werbung
rekrutiert.
Die Erhebung erfolgte über einen Zeitraum von 6 Monaten (15.03.23–15.09.23).
Insgesamt nahmen 416 Personen (269 TherapeutInnen, 157 PatientInnen) an der
Befragung teil. Die Studie (832/2022BO2) wurde von der Ethikkommission der
Medizinischen Fakultät Tübingen genehmigt. Alle TeilnehmerInnen erhielten eine
Studieninformation und willigten zur Teilnahme schriftlich ein.
Messinstrumente
Zu Beginn der Online-Befragung wurden Teilnehmende gebeten, anonym
soziodemografische Fragen zur Person zu beantworten. Die Antwortmöglichkeiten
der weiteren Befragung wurden auf Likert-Skalen oder im Multiple-Choice-Format
dargeboten. Die Bearbeitungsdauer des Fragebogens, erhoben durch einen Pretest,
betrug ca. 20 Minuten.
Nutzungsverhalten und Zufriedenheit
Mit Hilfe eines selbstkonstruierten Fragebogens wurde die Nutzungshäufigkeit und
Zufriedenheit samt Vor- und Nachteilen in Bezug auf Videotherapiestunden über
eine 5-stufige Likert-Skala „1“ (stimme überhaupt nicht zu) bis „5“ (stimme
absolut zu) erhoben. Im Anschluss wurden die Befragten zu ihrer bisherigen
Nutzung von weiteren digitalen technologiebasierten Interventionen, wie DiGAs
und VR, befragt „Haben Sie bereits auch andere digitale Psychotherapie
Interventionen, wie Apps, VR etc. in Ihrer Therapie genutzt?“. Falls die Frage
bejaht wurde, wurden Arten der genutzten Anwendung im Multiple-Choice-Format
erfragt und zusätzlich Barrieren der Nutzung erhoben. Abschließend wurde das
Interesse an der Integration von technischer Sensorik (EKG-Brustgurte zur
Messung der Herzfrequenz) in den Therapieprozess ermittelt und Gründe, die gegen
einen Einsatz von Sensorik in der Psychotherapie sprechen, abgefragt.
Therapeutische Beziehung
Mit dem Working Alliance Inventory-Short Revised (WAI-SR) [20 ] wurde die therapeutische
Beziehung im digitalen Therapiekontext in Videotherapien erfasst. Die
TherapeutInnen-Version (WAI-SR-T) umfasst 16 Items, die PatientInnen-Version 12
Items mit den Subkategorien: Bindung, Aufgaben, Ziele, Gesamtwert. Das
Antwortformat der Fragen, wie „Mein/e Therapeut/in und ich arbeiten gemeinsam
daran per Video, meine Therapieziele umzusetzen.“ ist eine 5-stufige-Likertskala
von „1“ (selten) bis „5“ (immer). Die berechnete interne Konsistenz der
Gesamtskala lag bei Cronbachs α =0,87. Ergänzt wurde der WAI-SR-P/T durch
zwei Zusatzfragen: „Ich halte Videotherapie für genauso wirksam wie Therapie in
Präsenz.“ und „Ich habe das Gefühl, dass ich auch per Video eine gute Beziehung
zu meinem/r TherapeutIn herstellen kann“. Am Ende des jeweiligen Fragebogens
wurden die Teilnehmenden gebeten, Angaben (Geschlecht, Alter, Diagnose) zu
ihrem/r TherapeutIn zu machen.
Technikaffinität
Die technische Affinität wurde mit Hilfe des TA-EG Fragebogens [21 ] gemessen. Der TA-EG beinhaltet 19
Items und 4 Subskalen: Begeisterung für Technik, Kompetenz im Umgang mit
Technik, positive Technikfolgen, negative Technikfolgen. Das Antwortformat ist
eine 5-stufige-Likertskala von „1“ (trifft gar nicht zu) bis „5“ (trifft voll
zu). Bsp.-Frage: „Elektronische Geräte erleichtern meinen Alltag“. Ein hoher
Summenwert entspricht einer hohen technischen Affinität. Die interne Konsistenz
der Gesamtskalen betrug ein Cronbachs α =0,88.
Technologieakzeptanz
Die Akzeptanz von telemedizinischen Interventionen wurde mit dem übersetzten
Fragebogen zur Akzeptanz und Nutzung von Technologien in Anlehnung an den
UTAUT
[22 ] erhoben.
Insgesamt umfasst der Fragebogen 21 Items, auf 5 Subskalen: Leistungserwartung,
Aufwandserwartung, sozialer Einfluss, unterstützende Bedingungen,
Nutzungsabsicht. Auf einer 7-Punkte-Likert-Skala von „1“ (stimme überhaupt nicht
zu) bis „7“ (stimme absolut zu) wurde die Technologieakzeptanz mit Fragen wie
„Ich habe vor digitale Interventionen in Zukunft häufiger zu nutzen, da mir die
Nutzung gut gefallen hat.“ erfragt. Die interne Konsistenz der Subskala
Nutzungsabsicht, die die Bereitschaft der zukünftigen Nutzung misst, betrug
Cronbachs α =0,94.
Analyse und Statistik
Von den 416 ausgefüllten Datensätzen mussten 73 Datensätze ausgeschlossen werden,
da diese unvollständig ausgefüllt waren. Mit der verbleibenden Stichprobe von
n=343 wurde eine deskriptive Analyse zur Charakterisierung der Stichprobe,
aktuelle Nutzungshäufigkeit der Videosprechstunde, weitere digitale
Psychotherapie-Interventionen, Zufriedenheit mit entsprechenden Interventionen,
Technikaffinität, Technologieakzeptanz und therapeutischen Alliance im digitalen
Therapiekontext, durchgeführt. Zur Beantwortung der Hypothesen wurden T-Tests,
lineare und logistische Regressionsanalysen sowie Chi-Quadrat-Tests gerechnet.
Zum Mittelwerts-Vergleich von zwei Gruppen wurden T-Tests gerechnet (Bspw.
Zufriedenheit Videotherapie PatientInnen/TherapeutInnen). Lineare Regressionen
wurden zur Untersuchung eines linearen Zusammenhangs zwischen zwei
kontinuierlichen Variablen verwendet (Bspw. Einfluss der Technikaffinität auf
Nutzung digitaler Interventionen). Logistische Regressionsanalysen wurde zur
Überprüfung der Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt,
basierend auf einem oder mehrerer Prädiktor(en) berechnet (Bspw. Einluss von
Alter auf das Interesse an Sensorik). Ein Chi-Quadrat-Test wurde gewählt, um zu
bestimmen, ob es einen signifikanten Unterschied zwischen den erwarteten und den
beobachteten Häufigkeiten in einer oder mehreren Kategorien besteht (Bspw.
Zufriedenheit mit digitalen Interventionen innerhalb der unterschiedlichen
Vertiefungsrichtungen der TherapeutInnen). Die statistische Analyse der Daten
erfolgt mit der Software R 4.2
[23 ].
Ergebnisse
Stichprobenbeschreibung
Die PsychotherapeutInnen (n=226) waren im Durchschnitt zwischen 36 und 45 Jahre
alt, mehrheitlich weiblich (74,3%) mit Approbation für Erwachsene (76,9%) und
verhaltenstherapeutisch (70,4%) tätig. Die PatientInnen (n=117) waren
durchschnittlich zwischen 21 und 30 Jahre alt, weiblich (78,6%) und aufgrund
einer Affektiven Störung (ICD-10: F30–F33) (37,6%) oder einer Neurotischen-,
Belastungs- oder somatoformen Störung (ICD-10: F40–F44) (33,33%), im Verfahren
Verhaltenstherapie (69,2%) in ambulanter Behandlung. Für weitere
differenziertere Ergebnisse siehe [Abb.
1 ] und [Tab. 1 ].
Abb. 1 Alter (Jahresspanne) der Stichprobe.
Tab. 1 Soziodemografische Merkmale der
Stichprobe.
Gesamt (n=343)
TherapeutInnen (n=226)
PatientInnen (n=117)
Anzahl
Prozent
Anzahl
Prozent
Anzahl
Prozent
Geschlecht
Männlich
78
22,7
57
25,2
21
17,9
Weiblich
260
75,8
168
74,3
92
78,6
Divers
5
1,4
1
0,4
4
3,4
Merkmale TherapeutInnen
Therapieverfahren*
Analytische Therapie
20
8,9
Tiefenpsychologische Therapie
69
30,5
Verhaltenstherapie
159
70,4
Systemische Therapie
3
1,3
Tätigkeitsschwerpunkt*
Kinder
58
25,7
Jugendliche
64
28,3
Erwachsene
174
76,9
Familien
17
7,5
Merkmale PatientInnen
Diagnosen (ICD-10)
F00-F09 Organische, einschließlich symptomatischer
psychischer Störungen
2
1,7
F10-F19 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope
Substanzen
1
0,9
F30-F39 Affektive Störungen
44
37,6
F40-F48 Neurotische, Belastungs- und somatoforme
Störungen
39
33,3
F50-F59 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen
und Faktoren
8
6,8
F60-F69 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
11
9,4
F80-F89 Entwicklungsstörungen
1
0,9
F90-F98 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in
der Kindheit und Jugend
3
2,6
F99 Nicht näher bezeichnete psychische Störungen
4
3,4
Therapieverfahren
Analytische Therapie
5
4,3
Tiefenpsychologische Therapie
23
19,7
Verhaltenstherapie
81
69,2
Systemische Therapie
2
1,7
* Mehrfachantworten.
Nutzungsverhalten von digitalen Psychotherapie-Interventionen
Bezogen auf die Gesamtstichprobe, die aus PsychotherapeutInnen und PatientInnen
bestand, zeigte sich, dass je älter die ProbandInnen waren, desto mehr gaben sie
an, Videotherapien zu nutzen (b=0,21, p<0,05). In Bezug auf die Nutzung von
weiteren digitalen Psychotherapie-Interventionen (Apps, Virtual Reality)
stimmten 41,01% der PsychotherapeutInnen und 23,10% der PatientInnen zu, diese
in der Vergangenheit genutzt zu haben. Je älter die ProbandInnen der
Gesamtstichprobe waren, desto seltener gaben sie an, diese weiteren digitale
Psychotherapie-Interventionen zu nutzen (b=−0,06, p< 0,05). 27,65% der
TherapeutInnen und 56,48% der PatientInnen hatten Interesse an der Nutzung von
Sensorik in der Psychotherapie. Das Alter der Gesamtstichprobe stand nicht im
Zusammenhang mit dem Interesse an der Integration von Sensorik in die
Therapiestunde (b=−0,07, p >0,05).
Bei der Häufigkeit der Nutzung der Videosprechstunde zeigte sich in Bezug auf die
Vertiefungsrichtung der PsychotherapeutInnen (verhaltenstherapeutisch vs.
tiefenpsychologisch-analytisch) kein signifikanter Unterschied (t(83,24)=1,27,
p >0,05). VerhaltenstherapeutInnen nutzten signifikant häufiger
unterschiedliche digitale Psychotherapie-Interventionen als KollegInnen der
Tiefenpsychologie oder Psychoanalyse (t(159,4)=−3,36, p <0,05) und
zeigten ein signifikant höheres Interesse an der Integration von Sensorik in die
Therapiestunden (Χ2 (1)=15,29, p <0,05). Für weitere
Ergebnisse siehe [Tab. 2 ].
Tab. 2 Nutzungsverhalten und Zufriedenheit mit digitalen
Psychotherapie-Interventionen.
Gesamt (n=325)
TherapeutInnen (n=217)
PatientInnen (n=108)
Anzahl
Prozent
Anzahl
Prozent
Anzahl
Prozent
Nutzungsverhalten digitaler Interventionen
*,
**
Durchführung Videotherapien
321
100
215
100
106
100
Nutzung weiterer digitaler Interventionen, ohne
Videotherapien
114
35,1
89
41,0
25
23,2
Interesse an Nutzung von Sensorik in der Psychotherapie
121
37,2
60
27,7
61
56,5
Gesamt
TherapeutInnen
PatientInnen
MW
SD
MW
SD
MW
SD
Zufriedenheit digitale Interventionen
Allgemeine Zufriedenheit mit Videotherapiena
2,33
0,89
2,42
0,85
2,15
0,96
Anzahl der Vorteile digitaler Interventionen*
2,29
2,14
2,25
2,04
2,34
2,30
Anzahl der Nachteile digitaler Interventionen*
2,06
1,72
2,31
1,69
1,66
1,69
Empfundene Nützlichkeit digitaler
Psychotherapie-Interventionen (aus UTAUT)b
5,1
1,7
5,06
1,74
5,19
1,63
Beabsichtigung zukünftiger Nutzung (aus
UTAUT)b
5,6
1,6
5,69
1,59
5,4
1,75
Einschätzung subjektiver Kompetenz Nutzung von digitalen
Interventionen (aus UTAUT)b
6,0
1,24
5,85
1,33
6,38
0,93
Einstellung zur Nutzung von Sensorik in Therapie zur
Verbesserung Therapie-Ergebnisa
3,75
1,24
3,62
1,21
4,02
1,28
Technikaffinität(TA-EG)
c
Begeisterung im Umgang mit Technik
2,74
0,99
2,64
0,99
2,94
0,95
Subjektive Kompetenz
3,49
0,87
3,34
0,86
3,78
0,82
Wahrgenommene positive Technikfolgen
3,78
0,59
3,70
0,58
3,93
0,59
Wahrgenommene negative Technikfolgen
3,26
0,66
3,28
0,66
3,23
0,65
Gesamt
3,32
0,59
3,24
0,6
3,47
0,55
Technologieakzeptanz (UTAUT)
b
Leistungserwartung (erwarteter Nutzen)
4,52
1,56
4,3
1,50
4,99
1,55
Aufwandserwartung (erwarteter Aufwand)
5,54
1,01
5,4
1,07
5,86
0,95
Sozialer Einfluss (sozialer Einfluss)
3,19
1,23
3,14
1,26
3,29
1,16
Unterstützende Bedingungen (techn. Infrastruktur)
5,85
0,95
5,70
1,01
6,17
0,73
Nutzungsabsicht (Zukünftige Nutzung)
4,82
1,63
4,95
1,6
4,53
1,68
Therapeutische Beziehung
(WAI-SR-P/T)
c
Emotionale Bindung („bond“)
4,27
0,57
4,35
0,45
4,1
0,74
Übereinstimmung Vorgehen/Prozess („task“)
3,06
0,93
3,15
0,74
2,88
1,2
Therapie-Ziele („goal“)
3,66
0,84
3,79
0,66
3,39
1,07
Gesamt
3,66
0,64
3,77
0,50
3,46
0,82
*Mehrfachantworten möglich; **Antwortoption=Ja; a Antworten
auf Likert-Skala von 1–5 (1=sehr gut, 2=gut, 3=mittel, 4=schlecht,
5=sehr schlecht); b Antworten auf Likert-Skala von 1
(überhaupt nicht) – 7 (absolut), erweiterte Erläuterung im Hautdokument;
c Antworten auf Likert-Skala von 1 (selten/ gar nicht) –
5 (voll/immer), erweiterte Erläuterung im Hauptdokument.
Zufriedenheit mit digitalen Psychotherapie-Interventionen
Insgesamt waren die teilnehmenden ProbandInnen mit bisher durchgeführten
Videotherapien zufrieden und bewerteten weitere digitale Angebote als positiv.
PatientInnen sahen insgesamt mehr Vorteile bei den weiteren digitalen
Psychotherapie-Interventionen (Apps, Virtuelle Realität) als die
PsychotherapeutInnen (t(327,99)=−3,77, p <0,05) und empfanden digitale
Psychotherapie als nützlich (MW=5,19, SD=2,63) und beabsichtigen, diese
zukünftig mehr zu nutzen (t(302)=1,44, p >0,05).
Therapeutische Beziehung im digitalen Therapiekontext
Insgesamt bewerteten die Teilnehmenden die therapeutische Beziehung im
telemedizinischen Kontext als positiv. Die PsychotherapeutInnen bewerteten die
therapeutische Beziehung im telemedizinischen Kontext besser als die
PatientInnen (t(130,58)=−3,37, p <0,05). PsychotherapeutInnen nutzten
die Videotherapien insgesamt mehr, je eher sie das Gefühl hatten, eine gute
Therapiebeziehung per Video zu den PatientInnen herstellen zu können
(r(189)=0,29, p <0,05).
Technikaffinität
Die technische Affinität der Gesamtstichprobe war mittelstark ausgeprägt. Die
PatientInnen fühlten sich insgesamt kompetenter im Umgang mit technischen
Geräten als die PsychotherapeutInnen (t(302)=−3,51, p <0,05) und waren
im Vergleich zu den PsychotherapeutInnen technisch affiner (t(202,29)=3,19,
p <0,05). Je höher die Technikaffinität der ProbandInnen war, desto
eher gaben sie an, Videotherapien (b=0,18, p <0,05) und verschiedene
weitere digitale Psychotherapie-Interventionen zu nutzen (b=0,09,
p <0,05). Es gab keinen Zusammenhang der Technikaffinität der
ProbandInnen und dem Interesse an Sensorik (b=0,07, p> 0,5) in der
Therapie.
Technologie-Akzeptanz
Die Befragten gaben an, bei digitalen Interventionen einen höheren Aufwand und
einen geringeren Nutzen zu erwarten. Der soziale Einfluss durch Freunde auf das
eigene Nutzungsverhalten der Teilnehmenden war gering. Die ProbandInnen
verfügten über die notwendige technische Infrastruktur, wie technische Geräte
und wollten auch zukünftig digitale Interventionen nutzen. Die PatientInnen
erzielten bis auf der Subskala „unterstützenden Bedingungen“ (t(246,71)=4,57,
p >0,05), höhere Werte als die TherapeutInnen auf den Subskalen
„Leistungserwartung“ (t(180,02)=3,6, p<0,05), „Aufwandserwartung“
(t(204,76)=3,81, p <0,05), „sozialer Einfluss“ (t(198,75)=1,03,
p >0,05) und „Nutzungsabsicht“ (t(176,37)=−2,06,
p <0,05).
Diskussion
Die Studie untersuchte im Nachgang der Covid-19-Pandemie, mit einem einhergehenden
Anstieg der Nutzung digitaler Anwendungen [4 ]
[8 ], das Nutzungsverhalten
und die Akzeptanz von digitalen Technologien in der Psychotherapie bei ambulant
tätigen PsychotherapeutInnen und PatientInnen sowie die therapeutische Beziehung im
digitalen Therapiekontext. Durch die Online-Befragung und Selbstauskunft der
Teilnehmenden verdeutlichte sich, dass sowohl PatientInnen als auch TherapeutInnen
mit der Videosprechstunde zufrieden sind. Die Zufriedenheit der Teilnehmenden steht
im Einklang mit früheren Forschungsbefunden [24 ]. Technische Probleme hatten entgegen den Befunden aus vorherigen
Studien keinen starken Einfluss auf die Zufriedenheit mit der Videotherapie [25 ]. In Übereinstimmung mit früheren
Erkenntnissen empfanden TherapeutInnen die Durchführung der digitalen Therapie
anstrengender und gaben an, schneller zu ermüden als bei der Präsenztherapie [26 ]. PatientInnen hatten das Gefühl bei
den Videositzungen von ihren TherapeutInnen distanzierter [27 ] zu sein.
Ein relevanter Einflussfaktor für die Nutzung und Zufriedenheit mit Videotherapien
scheint die Annahme der NutzerInnen zu sein, auch über das digitale Medium eine
gute, stabile Therapie-Beziehung herstellen zu können [28 ]. Entgegen den Befunden von Rubel et
al. [10 ] konnten zwischen den
unterschiedlichen Therapieschulen keine Unterschiede bei der Nutzungshäufigkeit der
Videotherapie festgestellt werden. PsychotherapeutInnen bewerteten die
therapeutische Beziehung bei Videotherapien in allen Subskalen besser als die
PatientInnen. Da die Befragung nicht in PatientInnen-TherapeutInnen-Dyaden
durchgeführt wurde, können die Ergebnisse der therapeutischen Beziehung nicht im
direkten Gruppenvergleich betrachtet, sondern lediglich individuell interpretiert
werden. Allgemein scheint jedoch auch eine stabile therapeutische Beziehung im
digitalen Setting das therapeutische Outcome zu begünstigen [29 ]. Digitale
Psychotherapie-Interventionen, wie DiGAs, VR, werden bisher von den Teilnehmenden
der Befragung in einem geringen Umfang genutzt. Dies deckt sich mit den Befunden aus
dem DiGA-Report II 2024 [30 ], wonach
DiGAs bisher vom ärztlich-therapeutischen Personal nur selten verschrieben werden.
Auch die Nutzung der Videosprechstunde sei nach der Covid-19-Pandemie rückläufig
[31 ]. Die Mehrheit der Teilnehmenden
gab an, bislang keine digitale Intervention, außer der Videotherapie, ausprobiert zu
haben. Als Barrieren der bisherigen Nutzung von digitalen
Psychotherapie-Interventionen und Technologien, wie DiGAs oder VR, gaben die
Befragten an, sich nicht ausreichend über die verschiedenen digitalen Anwendungen
informiert zu fühlen [32 ]. PatientInnen
konkretisierten, dass behandelnde TherapeutInnen diese digitalen Interventionen
nicht angeboten hätten. Mögliche weitere Gründe der derzeitigen geringen Nutzung von
weiteren digitalen Interventionen, außer der Videotherapie, könnten auch auf
datenschutzrechtliche Bedenken der TherapeutInnen, die geringe Vergütung durch die
KBV, die teilweise fehlende Evidenz entsprechender digitaler Interventionen oder dem
Mangel an Informationen über Anwendungsfelder und Erkrankungen zurückgeführt werden.
Rund 40% der PsychotherapeutInnen lehnten digitale Interventionen in der
Psychotherapie grundsätzlich ab. Das Wissen über die jeweilige Intervention könnte
die Akzeptanz der NutzerInnen erhöhen [33 ]. Ohne die aktive Unterstützung von PsychotherapeutInnen scheint eine
Implementation in den Psychotherapie-Alltag unmöglich [34 ]. In unserer Studie wird die Ablehnung
digitaler Interventionen vor allem im geringen Interesse und fehlender Bereitschaft
zur Integration von Sensorik in den Therapieprozess deutlich. Wohingegen rund 70%
der PsychotherapeutInnen angeben, kein Interesse an dem Einsatz von Sensorik zu
haben, würden rund 57% der PatientInnen Sensorik in der Therapie einsetzen. Die
Ergebnisse über die geringe Akzeptanz von digitalen Psychotherapie-Interventionen
stehen im Einklang mit bisherigen Forschungsergebnissen [35 ]. Unsere Ergebnisse stützen die
Annahme, dass sich PatientInnen im Gegensatz zu TherapeutInnen selbst kompetenter im
Umgang mit technischen Geräten wahrnehmen. Die Medienkompetenz und Offenheit der
PatientInnen für den Einsatz von digitalen Interventionen wird von
PsychotherapeutInnen nicht ausreichend genutzt. Die Ergebnisse unserer Studie
stimmen mit Befunden von Schröder et al. [34 ] überein, die ebenfalls eine negativere Einstellung der
PsychotherapeutInnen im Vergleich zu den PatientInnen nachwies.
Ohne entsprechende, evidenzbasierte Informations- und Fortbildungsangebote –
verbunden mit dem Mut der PsychotherapeutInnen neue Wege außerhalb der bisherigen
Komfort-Zone in der ambulanten Versorgung zu gehen – wird der digitale Fortschritt
und die damit einhergehende Implementierung der entsprechenden Interventionen in der
psychotherapeutischen Praxis noch auf sich warten lassen. Weitere Forschung im
Bereich der Akzeptanz von digitalen Interventionen in der Psychotherapie erscheint
notwendig, um den Einfluss von potenziellen Barrieren, wie datenschutzrechtliche
Bedenken, geringe Vergütung oder technischer Infrastruktur auf das Nutzungsverhalten
von PsychotherapeutInnen und PatientInnen zu untersuchen.
Die Studie weist einige Limitationen auf. Trotz der Studiendauer von 6 Monaten,
verbunden mit unterschiedlichen Strategien bei der Rekrutierung, konnte keine
repräsentative Stichprobe rekrutiert werden, dies muss bei der Interpretation der
Ergebnisse beachtet werden. Die Rücklaufquote der Online-Befragung betrug lediglich
3,89% (berechnet auf Grundlage der versendeten E-Mails). Da die ProbandInnen
ausschließlich über das Internet kontaktiert wurden, kann ein Selektionsbias nicht
vollständig ausgeschlossen werden [36 ].
Zudem wurde lediglich das Nutzungsverhalten und die Zufriedenheit mit Apps und
Virtueller Realität von Teilnehmenden erhoben, die bereits eine Videotherapie
durchgeführt haben. PsychotherapeutInnen, die mit ihrer Praxis nicht im Internet
registriert waren und über keine digitalen Kontaktdaten verfügten, konnten aufgrund
der Online-Rekrutierungsstrategie nicht kontaktiert werden. Monetäre Anreize in Form
eines Gewinnspiels hätten ggf. die Rücklaufquote der Befragung positiv beeinflussen
können. Der verwendete Fragebogen zur Messung der Nutzungshäufigkeit und
Zufriedenheit war selbstentwickelt und dementsprechend nicht validiert. Bei dem
Altersdurchschnitt der Teilnehmenden zeigte sich, dass die PatientInnen deutlich
jünger waren als die PsychotherapeutInnen. Ein Alterseffekt der PatientInnen kann
somit nicht ausgeschlossen werden. Infolgedessen müssen die Ergebnisse, die in
Verbindung mit dem Alter der Gruppe der PatientInnen stehen, mit Vorsicht
interpretiert werden.
Eine Stärke der Studie liegt in ihrer Stichproben-Varietät, da ein breiter
Altersbereich der Teilnehmenden mit unterschiedlichen therapeutischen
Vertiefungsrichtungen erhoben werden konnte. Da derzeit kaum Informationen aus Sicht
der PatientInnen zur Nutzung und Zufriedenheit mit digitalen
Psychotherapie-Interventionen vorliegen, kann diese Studie dazu beitragen, auch mit
einer kleinen Anzahl an ProbandInnen erste wichtige Erkenntnisse aus Sicht der
Behandelten zur Weiterentwicklung und Verbesserung von digitalen
Psychotherapie-Interventionen zu liefern. Deutlich wurde, dass PsychotherapeutInnen
eine Schlüsselrolle bei der Implementierung von digitalen Interventionen in der
Psychotherapie innehaben, nur mit ihnen kann eine Implementierung der neuen
Technologien in den Behandlungsalltag gelingen.
Konsequenzen für Klinik und Praxis
Konsequenzen für Klinik und Praxis
Digitale Psychotherapie-Interventionen sind aktuell, trotz positiver
Einstellung der Befragten, in einem geringen Maße in das ambulante
Therapiesetting implementiert.
Für den Fortschritt der Digitalisierung in der Psychotherapie ist eine
breitere Nutzung und Akzeptanz der TherapeutInnen notwendig.
Hierfür wären Informationsangebote und Wissensvermittlung über die
Anwendungsfelder und Wirksamkeit von digitalen Interventionen durch die
Psychotherapeutenkammern für die BehandlerInnen und eine Steigerung der
Vergütung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen hilfreich.