Prof. Andreas Bechdolf
Prof. Bechdolf ist Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
in den Vivantes Klinika am Urban sowie im Friedrichshain und Professor für Psychiatrie
an der Charité. An den Vivantes Klinika etablierte sein Team das Konzept der StäB
(stationsäquivalente Behandlung), und er untersuchte mit Kollegen in der AKtiV-Studie
erstmals diese Versorgungsform an 400 Patienten über einen Zeitraum von 12 Monaten
an 10 Kliniken in Deutschland.
Sie sind seit langer Zeit im Krankenhaus tätig und erfahren, dass 24 Stunden am Tag
Therapie und Diagnostik zur Verfügung stehen. Was hat Sie dazu bewegt, die Patienten
zu Hause aufzusuchen?
Bechdolf: Zunächst, dass die Betroffenen selber das fordern, weil es weniger stigmatisierend
ist, nicht ins Krankenhaus zu müssen. Dann, dass die Symptome selbst es den Betroffenen
häufig erschweren, das Krankenhaus aufzusuchen, z. B. bei Verfolgungsgefühlen oder
Antriebsstörungen. Ferner sind die Menschen auch nach dem Krankenhausaufenthalt wieder
zu Hause, und mit STäB können wir schon in der Krise therapeutisch sinnvolle Dinge
zu Hause einüben, z. B. der Besuch eines Nachbarschaftstreffs oder einkaufen. Auch
die Bezugspersonen und Angehörigen sind leichter einzubeziehen.
Welche Patientengruppen werden in der StäB behandelt?
Bechdolf: Grundsätzlich alle Patienten, außer sie sind akut fremd- oder selbstgefährdend.
Ein akuter Entzug, bei dem man mit Krampfanfällen oder sonstigen Komplikationen rechnen
muss, eignet sich natürlich auch nicht.
Die StäB erfolgt durch Teams. Aus welchen Berufsgruppen besteht so ein Team?
Bechdolf: Aus allen, die man aus dem Krankenhaus auch kennt. Die Vorgabe bei der StäB
ist mindestens Ärzte, Psychologen und Pflegende. Dann gehören meist noch Sozialarbeiter,
Genesungsbegleitende und Physiotherapeuten dazu; in der Regel 8–10 Personen für 7
Patienten.
Wie viele Patienten kann ein Behandlungsteam am Tag behandeln?
Bechdolf: Die Behandlungen dauern etwa eine bis eineinhalb Stunden pro Tag pro Patient,
und es werden ungefähr 7–8 Behandlungen am Tag durchgeführt. Die Teammitglieder verteilen
sich dabei über den Bezirk.
Wie wird das Konzept auf der Behandlerseite aufgenommen?
Bechdolf: Die Mitarbeitenden sind sehr zufrieden. Das haben wir in der AKtiV-Studie
erhoben.
Seit wann gibt es die StäB in Deutschland?
Bechdolf: Das Gesetz gibt es seit 2017. In anderen Ländern, z. B. Großbritannien,
Irland, Dänemark, den Niederlanden, Italien, Australien und den USA, ist das seit
über 50 Jahren etabliert und wirksam.
Was konnten Sie in der AKtiV-Studie über die Wirksamkeit herausfinden?
Bechdolf: StäB reduziert im Vergleich zur vollstationären Behandlung die stationäre
Wiederaufnahmerate signifikant um 18 % in 12 Monaten. Wir haben klinische Symptome,
das Funktionsniveau und die Lebensqualität gemessen, und da ist die StäB genauso gut
wie die vollstationäre Behandlung. Die Menschen in der StäB und ihre Angehörigen sind
zufriedener und fühlen sich mehr in die Behandlung einbezogen. Gesundheitsökonomisch
zeigte sich, dass die Gesamtkosten in der StäB in etwa gleich sind.
Ein Krankenhausaufenthalt kann ja auch positive Aspekte haben, wie einen geregelten
Tagesablauf, soziale Kontakte, Gruppentherapien und 3 feste Mahlzeiten am Tag – fehlt
das nicht in der StäB?
Bechdolf: Natürlich kann das in einer schweren Krise erst mal entlastend sein, aber
in vielen Fällen ist es eher hinderlich dabei, eine Krise selbstverantwortlich zu
bewältigen. Viele der Dinge, die im Krankenhaus geboten werden, sind ja nicht unbedingt
die, die wir therapeutisch erreichen wollen. Die StäB erleichert die Flexibilisierung
und Individualisierung der therapeutischen Angebote und normalisiert den Umgang mit
psychischen Krisen. Ich hoffe, dass das auch insgesamt dazu beiträgt, dass psychiatrische
Behandlung weniger stigmatisiert wird.
Das Interview führte Dr. Anja Bauer, Berlin
Herbsttagung der BGPN am 12.10.2024 ab 10 Uhr:
Sexualität in der Neurologie und Psychiatrie
Ort: Hörsaal der Nervenklinik der Charité Campus Mitte