*** Acarsoy C, Ikram MK, Ikram MA, et al. Migraine and brain structure in the elderly:
The Rotterdam Study. Cephalalgia 2024; 44(9): 1–9. DOI: 10.1177/03331024241266951
Hintergrund
Es wird auf Grundlage von einzelnen Studien vermutet, dass Migräne potenziell zu langfristigen
strukturellen Veränderungen im Gehirn führen kann. Frühere Studien ergaben insbesondere
Hinweise, dass Migränepatienten ein erhöhtes Risiko für zerebrale Kleingefäßerkrankungen
(CSVD) und Hirnatrophie haben. Diese Studie untersucht den Zusammenhang zwischen Migräne
und strukturellen Hirnveränderungen bei älteren Menschen.
Zusammenfassung
Die Rotterdam-Studie umfasste 4920 Teilnehmer im mittleren bis hohen Alter, von denen
752 (15,3 %) eine Migräneanamnese aufwiesen. Im Rahmen der Studie wurden MRT-Untersuchungen
durchgeführt, um strukturelle Veränderungen des Hirnparenchyms zu analysieren, insbesondere
in Bezug auf das Gesamtvolumen von grauer und weißer Substanz sowie auf Hinweise für
CVSD, darunter das Volumen der weißen Substanzläsionen (White Matter Hyperintensities,
WMH), das Vorhandensein von Lakunen und zerebralen Mikroblutungen. Nach Adjustierung
für Alter, Geschlecht und kardiovaskuläre Risikofaktoren zeigte die Analyse keinen
signifikanten Unterschied zwischen den Migränepatienten und denjenigen ohne Migräne
hinsichtlich des Gesamtvolumens des Gehirns oder der spezifischen segmentierten Bestandteile
(graue und weiße Substanz). Ebenso gab es keine statistisch signifikanten Unterschiede
von Markern einer CSVD. Somit wiesen Migränepatienten im mittleren und hohen Alter
nicht häufiger strukturelle Hirnveränderungen auf als Personen ohne Migräne.
Besondere Aufmerksamkeit wurde auch auf mögliche Unterschiede zwischen Männern und
Frauen sowie Migräneformen mit und ohne Aura gelegt. Auch hier konnten keine signifikanten
Effekte festgestellt werden, die auf einen Zusammenhang zwischen Migräne und diesen
Hirnveränderungen hindeuten. Allerdings zeigte sich eine mögliche geschlechtsspezifische
Variation im Auftreten zerebraler Mikroblutungen: Frauen mit Migräne hatten möglicherweise
ein leicht erhöhtes Risiko für Mikroblutungen, während Männer mit Migräne ein geringeres
Risiko aufwiesen. Diese Unterschiede waren jedoch nur in den Sensitivitätsanalysen
sichtbar und bedürfen weiterer Forschung.
Kommentar
Die Ergebnisse stellen die Annahme in Frage, dass Migräne mit negativen langfristigen
Auswirkungen auf die Hirnstruktur verbunden ist. Im Gegensatz zu früheren klinischen
Studien, die ein höheres Risiko für Hirnanomalien bei Migränepatienten nahelegten,
fand diese große bevölkerungsbasierte Studie keinen solchen Zusammenhang. Die Autoren
führen dies auf die größere, bevölkerungsbasierte Stichprobe ihrer Untersuchung sowie
auf methodische Unterschiede bei der Bildgebungsanalyse zurück. Sie betonen zudem,
dass frühere Studien oft kleinere, klinisch ausgewählte Populationen mit schwereren
Migränefällen untersuchten. Weitere Forschung ist notwendig, um mögliche Effekte in
bestimmten Untergruppen zu untersuchen oder Langzeitdaten zu analysieren, die Veränderungen
im Verlauf der Zeit aufzeigen könnten.
Robert Fleischmann, Greifswald
INFORMATION
*****
|
Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete
Übersicht bietet
|
****
|
Gute experimentelle oder klinische Studie
|
***
|
Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter
|
**
|
Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen
Mängeln
|
*
|
Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln
|
Die Kopfschmerz-News werden betreut von der Jungen DMKG, vertreten durch Dr. Robert
Fleischmann, Greifswald, Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Trigemino-autonomer
Kopfschmerz & Clusterkopfschmerz), Dr. Laura Zaranek, Dresden (Bereich Kopfschmerz
bei Kindern und Jugendlichen) und Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie
und Kopfschmerz).
Ansprechpartner ist Dr. Robert Fleischmann, Klinik und Poliklinik für Neurologie,
Unimedizin Greifswald, Ferdinand-Sauerbruch-Str. 1, 17475 Greifswald, Tel. 03834/86-6815,
robert.fleischmann@uni-greifswald.de
Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen
Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.