Einleitung
Radiologische Untersuchungen können gemeinhin nativ oder in Verbindung mit der Verabreichung
eines Kontrastmittels durchgeführt werden. Die Kontrastmittelverabreichung kann sowohl
bei Leistungen, bei denen ionisierende Strahlung (konventionelles Röntgen, CT oder
Durchleuchtung) zur Anwendung kommt, als auch bei Leistungen, bei denen nichtionisierende
Strahlung (Sonographie oder MRT) zum Einsatz kommt, verabreicht werden. Bei Kontrastmitteln
handelt es sich um Arzneimittel gem. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 lit. b AMG in Form von
sog. Diagnostika.
Dennoch werden Kontrastmittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nicht –
wie üblich – patientenindividuell verordnet, sondern sind als Sprechstundenbedarf
(SSB) nach Maßgabe der jeweils anwendbaren Sprechstundenbedarfsvereinbarung (SSB-V)
zu verordnen. Hierbei wird das verordnete Kontrastmittel direkt beim Arzneimittellieferanten
bezogen. Die jeweiligen SSB-V sehen es vor, dass Kontrastmittel im Rahmen des Direktbezuges
beim Arzneimittelgroßhändler gem. § 4 Abs. 22 AMG (AGH) oder dem pharmazeutischen
Unternehmer (phU) gemäß § 47 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 d) bzw. f) AMG, also nicht in einer
Apotheke, bezogen werden, wenn der Direktbezug wirtschaftlicher ist. Regelmäßig läuft
der Direktbezug derart von statten, dass der Radiologe das Kontrastmittel verordnet
und die Verordnung an den AGH oder phU sendet. Der AGH oder phU liefert dann das Kontrastmittel
direkt an den Radiologen und sendet seine Rechnung an die in der SSB-V bestimmte gesetzliche
Krankenkasse. Die gesetzliche Krankenkasse erstattet dem AGH oder phU sodann den Rechnungsbetrag
für das an den Radiologen gelieferte Kontrastmittel.
Der als Vertragsarzt tätige Radiologe ist hingegen bei der Leistungserbringung und
seinem Verordnungsverhalten gem. §§ 12 Abs. 1, 72 Abs. 2 SGB V zur wirtschaftlichen
Behandlungsweise verpflichtet. Die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise von Kontrastmitteln
kann daher gem. §§ 106 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 106b SGB V i. V. m. mit den jeweils anwendbaren
SSB-V und Prüfvereinbarungen überprüft werden. Hierbei steht den Krankenkassen ein
Antragsrecht auf Überprüfung der Wirtschaftlichkeit im Einzelfall zu. Das Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren
kann schlussendlich zu einer (teilweisen) Rückforderung der Vergütung für das verordnete
Kontrastmittel führen.
Die Krankenkassen machen im Kontext von verordneten Kontrastmitteln von dem Antragsrecht
Gebrauch, wenn der Vertragsarzt nicht das im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung
bezuschlagte Kontrastmittel verordnet hat. Die Krankenkassen haben hierzu ca. seit
dem Jahr 2016 Kontrastmittel wirkstoffübergreifend in verschiedene Gruppen zusammengefasst
(Fachlos) und die Fachlose sodann europaweit im Rahmen eines Vergabeverfahrens ausgeschrieben.
Die AGH oder phU konnten sich dann im Rahmen dieser Ausschreibung mit ihrem Kontrastmittel
bewerben.
Die gesetzlichen Krankenkassen vertreten in den Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren,
dass die verschiedenen Kontrastmittel – trotz unterschiedlicher Wirkstoffe – therapeutisch
gleichwertig sind und nur das bezuschlagte Kontrastmittel das angeblich wirtschaftliche
Kontrastmittel ist[1].
Das aktuelle Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21.09.2023, Az. B 3 KR 4/22 R
zur nicht bestehenden Ausschlusswirkung von Exklusivlieferverträgen über Kontrastmittel
für den Vergütungsanspruch des AGH bietet Anlass, die Rechtmäßigkeit der Auffassung
der gesetzlichen Krankenkassen und die Auswirkungen auf radiologische Praxen zu bewerten.
Sachverhalt
Streitgegenstand des Urteils des BSG vom 21.09.2023, Az. B 3 KR 4/22 R war der Anspruch
eines AGH auf Vergütung der Lieferung von vertragsärztlich als SSB verordneten Kontrastmitteln.
Der AGH belieferte auf der Grundlage vertragsärztlicher Verordnungen radiologische
Vertragsarztpraxen in Rheinland-Pfalz und im Saarland direkt mit Kontrastmittel als
SSB und machte dafür gegen die beklagte gesetzliche Krankenkasse einen entsprechenden
Vergütungsanspruch geltend, den diese nicht vollständig beglich. Als Argument führte
die gesetzliche Krankenkasse an, dass der vollständigen Begleichung der Rechnungen
Exklusivverträge über die Kontrastmittel Gadovist und Gastrogafin mit anderen Lieferanten
entgegenstehen, welche sie nach einem europaweiten Ausschreibungsverfahren mit den
bezuschlagten Unternehmen abgeschlossen habe. Der Abschluss der Exklusivlieferverträge
sei allen an der Versorgung mit den Kontrastmitteln potentiell Betroffenen rechtzeitig
mit dem Hinweis bekannt gegeben worden, dass die Abrechnung bzw. Erstattung von Kosten
nicht bezuschlagter Kontrastmittel grundsätzlich nicht mehr möglich ist[2].
Das BSG hat, im Ergebnis dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf in erster Instanz[3] und dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in zweiter Instanz[4] folgend, entschieden, dass die von der beklagten Krankenkasse mit anderen Kontrastmittel-Lieferanten
geschlossenen Rahmenverträge dem Vergütungsanspruch des AGH für die Lieferung von
Kontrastmitteln als Sprechstundenbedarf an Vertragsarztpraxen nicht entgegenstehen.
Denn die Rahmenverträge führten nicht zu einem Ausschluss des AGH von der Berechtigung
zur Belieferung auf Grund entsprechender vertragsärztlicher Verordnungen. Rechtsgrundlage
des Vergütungsanspruches gegen die gesetzliche Krankenkasse für direkt an Vertragsarztpraxen
gelieferte Kontrastmittel sei die SSB-V Rheinland-Pfalz und Saarland in Verbindung
mit den vertragsärztlichen Verordnungen von Kontrastmitteln als SSB. Zwar gebe es
keine ausdrückliche vertragliche oder gesetzliche Rechtsgrundlage, die Sprechstundenbedarfsvereinbarungen
dienen aber als normativer Anknüpfungspunkt für den Anspruch auf Vergütung[5]. Die vergütungspflichtige gesetzliche Krankenkasse stehe mit dem AGH als sonstigen
Leistungserbringer im Sinne des § 69 Abs. 1 S. 1 SGB V in einer entsprechenden Rechtsbeziehung.
Entgegen der Auffassung der gesetzlichen Krankenversicherung stehe dem Vergütungsanspruch
der nach europaweiter Ausschreibung geschlossene Rahmenvertrag mit anderen Kontrastmittel-Lieferanten
nicht entgegen. Denn es fehle für eine Ausschlusswirkung für Großhändler, die nicht
Rahmenvertragspartner sind, an einer hinreichenden normativen Grundlage. Dementsprechend
könne dahinstehen, ob mit den Rahmenverträgen überhaupt eine entsprechende Exklusivität
bzw. Ausschließlichkeit vereinbart worden sei[6]. Das Erfordernis einer Rechtsgrundlage ergebe sich aus dem mit dem Ziel einer Ausschlusswirkung
erstrebten direkten Veränderung der Markt- und Wettbewerbsbedingungen zum Nachteil
der nicht bezuschlagten Marktteilnehmer, welche einen Eingriff in die verfassungsrechtlich
geschützte Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG bewirke. Es gebe weder eine ausdrückliche
gesetzliche oder kollektivvertragliche Rechtsgrundlage noch könne sich der faktische
Verordnungsausschluss nicht bezuschlagter Lieferanten aus dem allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot
ergeben. Letzteres bedürfe im Rahmen des hoch ausdifferenzierten Regelungssystems
der Versorgung und Leistungserbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung einer
näheren normativen Konkretisierung.
Auf die Auswirkungen der fehlenden Ausschlusswirkung auf das Verordnungsverhalten
der Vertragsärzte ist der 3. Senat, welcher das Urteil gefällt hatte, nicht näher
eingegangen. Zur Beantwortung dieser Frage ist der für das Vertragsarztrecht zuständige
6. Senat des BSG berufen.
In diesem Beitrag soll der für die vertragsärztliche Praxis relevanten Frage nachgegangen
werden, welche Folgen es für Vertragsärzte haben kann, wenn diese, trotz Kenntnis
der von den gesetzlichen Krankenkassen geschlossenen Rahmenverträgen über Kontrastmittellieferung,
Kontrastmittel als SSB von nicht bezuschlagten Lieferanten verordnen.
Arzneimittel-Großhändler als Leistungserbringer in der GKV
Arzneimittel-Großhändler als Leistungserbringer in der GKV
Das BSG ordnete pharmazeutische Großhändler erstmalig als sonstige Leistungserbringer
im Sinne des § 69 Abs. 1 S. 1 SGB V ein, mit der Folge, dass die Krankenkassen zu
ihnen in einer entsprechenden Rechtsbeziehung stehen und vergütungspflichtig sind.
Anderer Ansicht waren noch das LSG Baden-Württemberg[7] und die Vorinstanz des LSG Nordrhein-Westfalen[8]. Nach Ansicht des LSG Baden-Württemberg enthielten die §§ 132 ff. SGB V nähere Regelungen
zur Auslegung des Begriffs der sonstigen Leistungserbringer im Sinne des § 69 Abs. 1
S. 1 SGB V, wobei Großhändler von pharmazeutischen Produkten dort nicht aufgeführt
seien[9]. Auch die Vorinstanz des LSG Nordrhein-Westfalen verneinte eine Einordnung pharmazeutischer
Unternehmen als sonstige Leistungserbringer im Sinne des § 69 Abs. 1 S. 1 SGB V, soweit
der Großhandel betroffen ist[10]. Entgegen dessen hat das BSG pharmazeutische Großhändler ausdrücklich unter den
Begriff der sonstigen Leistungserbringer im Sinne des § 69 Abs. 1 S. 1 SGB V gefasst.
Der § 69 Abs. 1 S. 1 SGB V regelt die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und
Leistungserbringern, sprich das Leistungserbringerverhältnis bzw. das auf das Leistungserbringerverhältnis
anwendbare Recht und ordnet die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern
dem öffentlichen Recht zu. Gemäß § 4 Abs. 22 AMG ist der Großhandel mit Arzneimittel.
„jede berufs- oder gewerbsmäßige zum Zwecke des Handeltreibens ausgeübte Tätigkeit,
die in der Beschaffung, der Lagerung, der Abgabe oder der Ausfuhr von Arzneimitteln
besteht, mit Ausnahme der Abgabe von Arzneimitteln an andere Verbraucher als Ärzte,
Zahnärzte, Tierärzte oder Krankenhäuser.“
[11]
Dieser nach § 52a AMG erlaubnispflichtige Großhandel mit Arzneimitteln steht nach
Ansicht des BSG nicht außerhalb der Systematik des Leistungserbringungsrechts des
SGB V[12]. Das zeige sich einerseits an der Einbindung von Großhändlern in Abschlagsregelungen
zugunsten der Krankenkassen. Andererseits entspricht diese Einordnung dem weiten Leistungserbringerbegriff
des SGB V, wonach eine durch das SGB V eingeräumte Beteiligtenstellung im Rahmen der
medizinischen Versorgung genüge[13]. Die Abgabe von Arzneimitteln durch AGH im Direktvertriebsweg an verordnende Vertragsärzte
gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 lit. d AMG – hier die Lieferung von Kontrastmitteln an Vertragsarztpraxen
als SSB – ist Teil der medizinischen Versorgung. Die Lieferung der Kontrastmittel
stützt sich auf die SSB-V als untergesetzliches Kollektivvertragsrecht der Gesamtvertragspartner
nach § 83 S. 1 SGB V[14] in Verbindung mit den vom Vertragsarzt zu verantwortenden Verordnung und keiner
durch die Krankenkasse unterliegenden Genehmigung (§ 73 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 SGB V, § 29
Abs. 1 BMV-Ä)[15]. Die Lieferung von Kontrastmitteln an Vertragsarztpraxen als SSB ist mithin Leistungserbringung
im Sinne des SGB V, für welche die pharmazeutischen Großhändler als sonstige Leistungserbringer
einen Vergütungsanspruch zu Lasten der gesamtvertraglich bestimmten, den SSB abwickelnden
Krankenkasse erwerben[16].
Mit dem sonstigen Leistungserbringerbegriff des § 69 Abs. 1 S. 1 SGB V sind mithin
nicht nur diejenigen Leistungserbringer erfasst, die in den §§ 132–134a SGB V genannt
sind, sondern vielmehr alle natürlichen und juristischen Personen, die von den Krankenkassen
zur Erfüllung von Sachleistungsansprüchen[17] ihrer Mitglieder eingesetzt werden[18]. Eine unmittelbare Rechtsbeziehung des Leistungserbringers zum Versicherten der
Krankenkasse ist nicht erforderlich, so dass auch eine Zwischenhändlerfunktion der
pharmazeutischen Großhändler dieser Einordnung nicht entgegensteht[19].
Zulässigkeit öffentlich-rechtlicher Ausschreibungen von Kontrastmitteln nach dem SGB V
Zulässigkeit öffentlich-rechtlicher Ausschreibungen von Kontrastmitteln nach dem SGB V
Für den Ausschluss der Vergütungspflicht für Kontrastmittel-Lieferanten, die im Rahmen
von ärztlichen Verordnungen auf der Grundlage von SSB-V leisten, durch die nach europaweiter
Ausschreibung geschlossenen Rahmenverträge, fehlt es an einer hinreichenden normativen
Grundlage[20].
Die Krankenkassen sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts und Teil der mittelbaren
Staatsverwaltung unmittelbar Grundrechtsverpflichtete. Auf der anderen Seite stehen
die pharmazeutischen Großhändler, die Leistungserbringer, als Grundrechtsberechtigte
und Inhaber des Grundrechts auf Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG. Die Zulässigkeit
des zumindest teilweisen Ausschlusses des AGH und anderer Anbieter von Kontrastmitteln
am Arzneimittelmarkt ist an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen, da vorliegend der Schutzbereich
dieses Grundrechts betroffen ist.
Das Grundrecht der Berufsfreiheit ist nicht schrankenlos gewährleistet, sondern kann
gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG durch oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden[21]. Erforderlich ist eine „verfassungsrechtlich tragfähige[..] Rechtsgrundlage“[22], die im Rahmen der Berufsfreiheit an der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten
sog. Drei-Stufen-Lehre zu messen ist[23]. Danach hat sich die verfassungsrechtliche Rechtfertigung mit steigender Intensität
der Grundrechtsbeeinträchtigung an entsprechend höherwertigen Gemeinwohlbelangen auszurichten[24]. Auch wenn in der Rechtspraxis keine rigide Anwendung der Drei-Stufen-Lehre erfolgt,
kann sie dennoch als Orientierungs- und Ausgangspunkt für die verfassungsrechtliche
Rechtfertigung dienen. Die direkte Veränderung der Teilnahme am Wettbewerb betrifft
die Berufsausübung. Bloße Regelungen der Berufsausübung sind nach der Drei-Stufen-Lehre
verhältnismäßig, sofern sie durch sachgerechte und vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls
legitimiert sind[25]. Jedoch mangelt es vorliegend bereits an einer gesetzlichen Grundlage.
Eine Rechtsgrundlage für die Ausschlusswirkung kann sich auch nicht aus den Regelungen
zu Rabattverträgen nach § 130a Abs. 8 SGB V ergeben[26]. Denn bei den Rabattverträgen sind lediglich Arzneimittel desselben Wirkstoffes
austauschbar. Für den Vertragsarzt selbst sind die Rabattverträge nicht unmittelbar
verbindlich. Eine Verbindlichkeit besteht über § 129 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2–9 SGB
V allein für die das Arzneimittel abgebende Apotheke. Der Vertragsarzt kann die Ersetzung
des Arzneimittels jedoch gem. § 129 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b SGB V („aut idem“) ausschließen.
Die Rabattverträge nach § 130a Abs. 8 SGB V richten sich daher an einen anderen Adressatenkreis,
behandeln einen unterschiedlichen Sachverhalt („wirkstoffgleiche Ersetzung“) und die
Ersetzung ist durch den Vertragsarzt verhinderbar.
Auch § 53 SGB X in Verbindung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach §§ 12, 73 Abs. 8
SGB V kann keine Rechtsgrundlage begründen[27]. Zwar bestimmt § 53 SGB X – wie sich bereits aus der amtlichen Überschrift ergibt
– die Zulässigkeit öffentlich-rechtlicher Verträge auf dem Gebiet des Sozialrechts.
Öffentlich-rechtliche Leistungserbringer können sich zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben
aller rechtlich zulässigen Mittel des Verwaltungsverfahrens bedienen[28]. Daher können auch Krankenkassen grundsätzlich öffentlich-rechtliche Verträge abschließen.
Von dieser Handlungsermächtigung kann jedoch nicht auf die Legitimation jeden Inhalts
geschlossen werden.
Das Allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot kann den Ausschluss nicht bezuschlagter Lieferanten
von der Lieferung und Vergütung vertragsärztlich verordneter Kontrastmittel als Sprechstundenbedarf
nicht rechtfertigen[29]. „Im Rahmen des hoch ausdifferenzierten Regelungssystems der Versorgung und Leistungserbringung
in der gesetzlichen Krankenversicherung“
[30] bedürfte es einer speziellen gesetzlichen Regelung, welche das abstrakt formulierte
Wirtschaftlichkeitsgebot normativ konkretisiert. Die Konkretisierungsbedürftigkeit
des allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebotes zeigt sich an verschiedenen gesetzlichen
Spezialregelungen, beispielsweise § 130c Abs. 3 in Verbindung mit § 84 Abs. 1 S. 5
SGB V. An einer entsprechenden Spezialregelung, welche das Wirtschaftlichkeitsgebot
dergestalt konkretisiert, dass ein Ausschluss nicht bezuschlagter Lieferanten dort
seine Rechtsgrundlage findet, mangelt es.
Keine Bindungswirkung der Kontrastmittelausschreibungen gegenüber vertragsärztlich
tätigen Radiologen
Keine Bindungswirkung der Kontrastmittelausschreibungen gegenüber vertragsärztlich
tätigen Radiologen
Im konkreten Verfahren des BSG war der öffentlich-rechtliche Vergütungsanspruch des
pharmazeutischen Großhändlers der unmittelbare Streitgegenstand, die Rechte der Vertragsärzte
bzw. Radiologen waren nur mittelbar tangiert und wurden daher keiner näheren rechtlichen
Erörterung zugeführt. Daneben war auch nicht die Rechtmäßigkeit des Abschlusses der
Rahmenverträge als solche Gegenstand der Entscheidung. Streitentscheidend war allein,
ob die Rahmenverträge im Verhältnis AGH und gesetzliche Krankenkasse dem Vergütungsanspruch
des AGH entgegengehalten werden kann. Das BSG hatte diese Frage klar mit „Nein“ beantwortet.
Gleichzeitig hatte es jedoch ausdrücklich offengelassen, ob und welche Schlussfolgerungen
aus dem Bestehen eines Rahmenvertrages im Rahmen eines Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahrens
zu ziehen sind[31]. Das Urteil vom 21.09.2023 ist für das Rechtsverhältnis von Vertragsarzt zur Prüfungsstelle
bzw. den gesetzlichen Krankenkassen also nur von mäßiger Relevanz.
Daher stellt sich in Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren weiterhin die Frage, welche
Auswirkungen die Rahmenverträge auf das Ausschreibungsverhalten von Radiologen haben,
insbesondere wenn sie über den wirtschaftlichen Bezugsweg informiert worden sind.
Es ist offensichtlich, dass mit dem Abschluss von Rahmenverträgen eine steuernde Wirkung
des Verordnungsverhaltens der Vertragsärzte durch die Krankenkassen beabsichtigt ist.
Ungeachtet der Frage, ob es vergaberechtlich zulässig ist, den Bezug Kontrastmitteln
ausschließlich von den ausschreibungsgewinnenden Unternehmen zu erlauben[32], ist einer Verpflichtung zur ausschließlichen Verordnung von Kontrastmitteln der
Ausschreibungsgewinner rechtlich grundsätzlich kritisch gegenüberzutreten.
Weder der Vertragsarzt noch die Kassenärztliche Vereinigung, deren er Mitglied ist,
sind Vertragspartei des Rahmenvertrages. Auch im Sozialrecht gilt über § 61 S. 2 SGB
X der Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse, wonach sich die Rechtswirkungen
eines Schuldverhältnisses auf die an ihm Beteiligten beschränken, es sei denn, das
Gesetz sieht eine Rechtsverbindlichkeit – wie es z. B. in § 95 Abs. 3 S. 3, Abs. 4
S. 2 SGB V geschehen ist – ausdrücklich vor. Eine Ausnahme nach § 328 BGB aufgrund
eines Vertrages zu Gunsten Dritter kommt wegen der beabsichtigten belastenden Rechtsfolgen
für die Vertragsärzte nicht in Betracht – ein Vertrag zu Lasten Dritter ist mit der
Privatautonomie nicht vereinbar und unzulässig. Der Rahmenvertrag allein kann daher
ungeachtet seiner Rechtmäßig- oder Rechtswidrigkeit keine Rechtsfolgen für das Verordnungsverhalten
des Vertragsarztes haben.
Zur Begründung einer Bindungswirkung des Vertragsarztes/Radiologen durch die von den
gesetzlichen Krankenkassen abgeschlossenen Rahmenverträgen bedarf es daher einer verfassungsrechtlich
tragfähigen Rechtsgrundlage[33]. Diese muss dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit
der Wesentlichkeitstheorie resultierenden Bestimmtheitsgebot genügen[34].
Die Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes aus §§ 12 Abs. 1, 72 Abs. 2 SGB V sind
als Rechtsgrundlage nicht ausreichend. Das BSG hat in seinem Urteil vom 21.09.2023
für das Rechtsverhält AGH/phU – gesetzliche Krankenkasse festgehalten, dass es im
Rahmen des hoch ausdifferenzierten Regelungssystems der Versorgung und Leistungserbringung
in der gesetzlichen Krankenversicherung einer speziellen gesetzlichen Regelung, welche
das abstrakt formulierte Wirtschaftlichkeitsgebot normativ konkretisiert bedarf[35]. Diese zu verallgemeinernde Aussage ist auf das Rechtsverhältnis Vertragsarzt –
Prüfungsstelle/gesetzliche Krankenkasse zu übertragen. Denn das Urteil betrifft die
gleiche Thematik und Fragestellung: Nämlich die Bindungswirkung der geschlossenen
Rahmenverträge für Dritte. Aus dem geschlossenen Rahmenvertrag kann sich mithin keine
unmittelbare Bindungswirkung gegenüber dem Vertragsarzt ergeben[36].
Die einseitige Festlegung des Leistungserbringers, von dem die Kontrastmittel zu beziehen
sind, würde in erheblichem Umfang in die die ärztliche Therapiefreiheit und damit
in die Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG der Radiologen eingreifen. Dies
regeln die Rahmenverträge aber auch nicht unmittelbar. Angesichts des Bestimmtheitsgebotes
sind die abstrakten Vorgaben („Wirtschaftlichkeit“) zu unbestimmt als dass sie eine
Bindungswirkung der Radiologen begründen könnten. Unmittelbar aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot
können nur in besonders gelagerten Konstellationen einen Regress auslösende Vorgaben
für die ärztliche Behandlung eines Patienten im Einzelfall abgeleitet werden, worauf
später noch weiter einzugehen ist[37]. Da der Ausschluss nichtbezuschlagter Lieferanten faktisch einen Verordnungsausschluss
gegenüber Vertragsärzten bedeutet, bedürfte es im Rahmen des hoch ausdifferenzierten
Regelungssystems der Versorgung und Leistungserbringung in der GKV einer normativen
Konkretisierung des abstrakt formulierten Wirtschaftlichkeitsgebotes.
Eine solche normative Konkretisierung ist im SGB V nicht enthalten. Überdies haben
die gesetzlichen Krankenkassen hiernach keinen gesetzlichen Auftrag, ein derartiges
Ausschreibungsverfahren durchzuführen. Als rechtliche Grundlage für eine Bindungswirkung
kommt weiterhin die jeweils anwendbare SSB-V als untergesetzliches Kollektivrecht
der Gesamtvertragspartner nach § 83 S. 1 SGB V in Betracht. Diese unterscheiden sich
von Kassenärztlicher Vereinigung zu Kassenärztlicher Vereinigung, so dass im Einzelfall
im ersten Schritt überprüft werden muss, ob überhaupt eine Regelung zur Durchführung
von Ausschreibungsverfahren getroffen wird. Im zweiten Schritt bedarf es mit Blick
auf das Bestimmtheitsgebot einer hinreichenden Bestimmtheit der Regelung in der SBB-V
bezüglich einer etwaigen Bindungswirkung gegenüber dem Vertragsarzt.
Die KV Westfalen-Lippe hat beispielsweise eine vergleichsweise bestimmtere Regelung
in ihrer SSB-Vereinbarung als andere Kassenärztliche Vereinigungen. § 5 Abs. 3 der
SSB-Vereinbarung der KV-Westfalen-Lippe[38] bestimmt (Hervorhebungen durch die Verfasser):
„Die Verbände der Krankenkassen können in Abstimmung mit der KVWL für geeignete SSB-Artikel ein Ausschreibungsverfahren durchführen. In diesem Fall ist durch zeitgerechte Information der Vertragsärzte sicherzustellen,
dass für die Laufzeit der Ausschreibung nur das Mittel des Ausschreibungsgewinners
verordnet wird, sofern im Einzelfall medizinische Gründe nicht entgegenstehen. Dazu
erforderliche Verfahrensabläufe stimmen die Vertragspartner untereinander ab. Die
KVWL informiert grundsätzlich die Vertragsärzte über zu beachtende Besonderheiten.“
Einer solchen Regelung mangelt es hingegen der für das obige Verfahren maßgeblichen
SSB-Vereinbarung der KV Rheinland-Pfalz/Saarland. Bis Mitte 2019 fand sich keinerlei
Erwähnung einer Ausschreibung. Seit dem 01.07.2019 findet sich eine solche lediglich
sehr rudimentär in Anlage 1 mit dem Hinweis, „Ausschreibungsgewinner der AOK RLP/Saarland beachten!“. Der lapidare Hinweis in der ab dem 01.07.2019 geltenden Anlage 1 kann keineswegs
den Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes genügen. Darüber hinaus enthält der Hinweis
lediglich das Wort „beachten“. Bei wortlautgetreuer Auslegung ist in dem Hinweis mithin
lediglich ein an die Vertragsärzte herangetragenes Gebot und keineswegs eine Verpflichtung
enthalten, bei der Entscheidung über das verordnete Kontrastmittel den bezuschlagten
Lieferanten sachgerecht zu berücksichtigen.
Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot aufgrund therapeutischer Gleichwertigkeit
Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot aufgrund therapeutischer Gleichwertigkeit
Selbst wenn man annähme, das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot stelle eine hinreichende
Rechtsgrundlage dar, um aus der Verordnung eines nichtbezuschlagten Kontrastmittels
die Berechtigung eines Regresses herzuleiten, wäre ein Verstoß gegen dieses nur gegeben,
sofern das von den gesetzlichen Krankenkassen bezuschlagte Kontrastmittel mit dem
Kontrastmittel, welches der Radiologe anwenden will, therapeutisch gleichwertig ist.
Denn nach dem BSG bedingt die Wirtschaftlichkeit im Sinne des Minimalprinzips, dass
bei Existenz verschiedener gleich zweckmäßiger und notwendiger Behandlungsmöglichkeiten
die Kosten für den gleichen zu erwartenden Erfolg geringer oder zumindest nicht höher
sind und dass das Minimalprinzip grundsätzlich auch im Verhältnis zweier therapeutisch
gleichwertiger, aber unterschiedlich teurer Arzneimittel zu beachten ist[39].
Die therapeutische Gleichwertigkeit kann erst auf Grundlage eines Vergleichs des bezuschlagten
mit dem anderen, nicht bezuschlagten Kontrastmittel beurteilt werden. Hierzu hat das
LSG Berlin-Brandenburg ausgeführt (Hervorhebungen durch die Verfasser):
„Soll wegen der Verordnung eines teureren Arzneimittels ein Regress festgelegt werden,
weil eine preiswertere, therapeutisch gleichwertige Alternative zur Verfügung steht,
setzt dies zwingend einen Vergleich des beanstandeten mit einem anderen nach Wirkstärke
und Darreichungsform konkretisierten Arzneimittel voraus, welches vom Beschwerdeausschuss
in seiner Entscheidung zu benennen ist. Erst auf der Grundlage einer solchen Konkretisierung
sind die Fragen nach der therapeutischen Gleichwertigkeit und – darauf aufbauend – dem Kostenvergleich möglich. Denn nur wenn – typischerweise zunächst anhand der arzneimittelrechtlichen
Fachinformation nach § 11a Arzneimittelgesetz – feststeht, für welche Anwendungsgebiete
das Alternativpräparat zugelassen ist und welche Kontraindikationen, Warnhinweise,
Neben- und Wechselwirkungen bestehen, ist zu beurteilen, ob
dieses Alternativpräparat aus medizinischer Sicht bei der konkreten Versicherten unter Berücksichtigung ihres Gesundheitszustands sowie ggf. weiterer Lebensumstände
(Berufstätigkeit etc.) hätte zum Einsatz kommen können
“
[40].
Die therapeutische Gleichwertigkeit kann also nach der Rechtsprechung nur patientenindividuell
festgestellt werden. Die gesetzlichen Krankenkassen haben diesen Vergleich nicht angestellt.
Sie können diesen Vergleich aber freilich auch nicht anstellen, da der konkrete Patient,
der das Kontrastmittel erhält, erst später – also nach der erfolgten Ausschreibung
der Rahmenverträge und sogar nach der Verordnungsentscheidung des Vertragsarztes –
feststeht. Die Krankenkassen sind der Auffassung, dass sich die therapeutische Gleichwertigkeit
abstrakt-generell – losgelöst vom konkreten Patienten – bestimmen lässt. Schon dieser
Ansatz zeigt mithin die Rechtswidrigkeit des Vorgehens der gesetzlichen Krankenkassen
auf.
Auch im Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren wird ein derartiger patientenbezogener
Vergleich regelmäßig nicht durch die zuständige Prüfungsstelle i. S. § 106c SGB V
vollzogen. Die Prüfungsstellen prüfen gemeinhin nur, ob ein bezuschlagtes Kontrastmittel
verordnet wurde und wenn dies nicht der Fall ist, ob medizinische Gründe für die Verordnung
des nichtbezuschlagten Kontrastmittels beim konkreten Patienten vorliegen. Für den
letzteren Aspekt bürden die Prüfungsstellen sodann dem Vertragsarzt die Beweislast
bzw. materielle Feststellungslast auf. Dies sind aber lediglich die rahmenvertraglichen
Voraussetzungen, für die gegenüber dem Vertragsarzt keine Bindungswirkung besteht.
Tatsächlich müssten die Prüfungsstellen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung aber
prüfen, ob die beiden Kontrastmittel bezogen auf den jeweils konkreten Patienten therapeutisch
gleichwertig sind. Im Rahmen dieser Prüfung hätte der Vertragsarzt auch eine Mitwirkungspflicht,
indem er die erforderlichen Patientendokumentationen zur Verfügung stellt[41]. Erst wenn diese Frage mit „Ja“ beantwortet werden kann, ist der Weg offen, um die
beiden Kontrastmittel kostenmäßig unmittelbar miteinander zu vergleichen.
Auswirkungen der Rechtswidrigkeit auf das Ausschreibungsverhalten von Radiologen
Auswirkungen der Rechtswidrigkeit auf das Ausschreibungsverhalten von Radiologen
Zudem übersehen die Prüfungsstellen bei derartigen Forderungen, dass SSB nicht patientenbezogen wie ein normales Arzneimittel, sondern gerade als Sprechstundenbedarf
verordnet wird. Nach den jeweiligen SSB-V soll SSB nur einmal im Quartal verordnet
werden und den Verbrauch ersetzen (vgl. z. B. I. Nr. 4 S. 1 SSB-V RLP). Wenn die Prüfungsstellen
derartige Forderungen stellen, drängt sich folgende Frage auf: Wie soll der Vertragsarzt
bei der Verordnungsentscheidung wissen, welche Patienten und in welcher Anzahl im
nächsten Quartal bei ihm vorstellig werden? Die Prüfungsstellen verlangen vom Vertragsarzt
mithin eine rechtlich unmögliche Leistung. Wenn SSB nichtpatientenbezogen verordnet
wird, muss die medizinische Entscheidung des Vertragsarztes an Hand seines generellen
und üblichen Patientenklientels ausreichend sein und respektiert werden.
Denkt man die rechtliche Argumentation der gesetzlichen Krankenkassen konsequent zu
Ende, bleibt die offene Frage, welcher abstrakte Sachverhalt gegeben sein müsste,
so dass die Verordnung eines nichtbezuschlagten Kontrastmittels nach Auffassung der
Prüfungsstellen und gesetzlichen Krankenkassen „wirtschaftlich“ wäre. Bei dieser Gelegenheit
wäre auch die Frage zu beantworten, wie ein Vertragsarzt vorzugehen hätte, wenn das
nichtbezuschlagte Kontrastmittel im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebots im Einzelfall
ausreichend und zweckmäßig wäre. Darf der verordnende Vertragsarzt dann den ganzen
SSB bezogen auf das nichtbezuschlagte Kontrastmittel verordnen? Wenn dies nicht der
Fall ist, stellt sich für die Verfasser folgende Frage: Wer – der Verordnende oder
der Kostenträger – trägt dann im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot das Risiko,
wenn sich die Prognose des benötigten Kontrastmittels als unzutreffend, im Sinne von
zu wenig oder zu viel, herausstellt?
Bisher konnte diese Frage von keiner Prüfungsstelle zufriedenstellend beantwortet
werden. Hierfür besteht seitens der Verfasser dem Grunde nach auch Verständnis. Denn
hierdurch wird der logische Bruch der Argumentation der gesetzlichen Krankenkassen
und der Prüfungsstellen offenbar. Einerseits möchte man die therapeutische Gleichwertigkeit
wirkstoffübergreifend losgelöst vom Patienten ermitteln. Andererseits soll die Wirtschaftlichkeit
der Verordnungsweise im Nachhinein – also nach der Verordnungsentscheidung – an Hand
des konkreten Patienten ermittelt und – nach Auffassung der Prüfungsstellen – durch
den Vertragsarzt dargelegt und bewiesen werden, obwohl der SSB nicht patientenbezogen
verordnet wird. Der Vertragsarzt weiß aber noch nicht mal um den individuellen Patienten,
wenn er das Kontrastmittel verordnet.
Gleichzeitig stellt sich die substanzielle Frage, wie der Vertragsarzt bei der Verordnung
überhaupt eine valide Entscheidung über die Wirtschaftlichkeit des Kontrastmittels
treffen soll, wenn ihm durch die gesetzlichen Krankenkassen nicht einmal der Preis
mitgeteilt wird, den die gesetzlichen Krankenkassen gegenüber dem bezuschlagten AGH/phU
zahlen müssen. Die Prüfungsstellen argumentieren hierzu teilweise, dass der Vertragsarzt
überhaupt nicht mehr in der Verantwortung sei, eine Entscheidung über die Wirtschaftlichkeit
zu treffen, wenn ihn die gesetzliche Krankenkasse – eine Körperschaft, mit der der
Vertragsarzt in keiner direkten Rechtsbeziehung steht – ihm das bezuschlagte Kontrastmittel
mitteilt.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist es aber erforderlich, dass der Vertragsarzt eine
einzelfallbezogene Prüfung und Abwägung hinsichtlich der unterschiedlichen Kosten
der verordnungsfähigen Arzneimittel vornehmen kann. Hierzu führt das BSG[42] in Bezug auf einen Regress nach der SSB-V folgendes aus (Hervorhebung durch die
Verfasser):
„Sind für einen bestimmten therapeutischen Ansatz bzw. eine bestimmte medikamentöse Therapie zugelassene Arzneimittel mit entsprechender Indikation verfügbar, haben diese aber unterschiedliche Preise, gebietet das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1, § 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V) zumindest,
dass der Vertragsarzt sich die unterschiedlichen Kosten vergegenwärtigt und einzelfallbezogen abwägt, ob der Einsatz des preiswerteren Arzneimittels vertretbar ist. Gegebenenfalls kann
bei einem Streit zwischen Arzt und Prüfgremien durch Sachverständigengutachten geklärt
werden, ob bei einer bestimmten Krankheitssituation bzw. bei Vorliegen allergischer
Reaktionen eines Patienten auf ein spezielles Präparat Anlass zur Verordnung des teureren
Medikaments bestanden hat.“
Die Einhaltung des Minimalprinzips macht es daher erforderlich, die Preise der grundsätzlich
für die Verordnung in Frage kommenden Präparate bei den in Frage kommenden Lieferanten
zu kennen, um die Preise vergleichen zu können. Zu einer solchen Preismitteilung sind
die gesetzlichen Krankenkassen im konkreten Fall auch gemäß § 73 Abs. 8 SGB V verpflichtet[43]. Der Vertragsarzt bedarf für eine wirtschaftliche und qualitätsgesicherte Verordnung
entsprechender Informationen. Der Gesetzgeber hat daher bereits durch das ABAG den
KBVen, den KVen, den Krankenkassen und deren Verbänden in § 73 Abs. 8 SGB V die Pflichtaufgabe
übertragen, auch vergleichend über preisgünstige verordnungsfähige Leistungen sowie
Indikation und therapeutischen Nutzen sowie die Bezugsquellen zu informieren. Diese
Informationspflicht bezieht sich auch auf die seitens der Krankenkassen abgeschlossenen
Rabattverträge nach § 130a SGB V[44].
Ohne die Schaffung der gesetzlich vorgeschriebenen Preistransparenz ist es den betroffenen
Vertragsärzten schlicht nicht möglich, die von den gesetzlichen Krankenkassen mitgeteilten
Kontrastmittel und Lieferanten in die Prüfung der Wirtschaftlichkeit ihrer Verordnungen
einzubeziehen. Es ist widersprüchlich, von den Ärzten einerseits zu fordern, das wirtschaftlichste
Präparat zu verordnen und auf einen vermeintlich besonders wirtschaftlichen Bezugsweg
und ein besonders wirtschaftliches Präparat hinzuweisen, andererseits aber die Preise
für dieses Präparat auf diesem Bezugsweg nicht mitzuteilen. Die verordnenden Ärzte
würden neben dem Haftungsrisiko gegenüber ihren Patienten, das von der Verwendung
des ärztlich verordneten Präparats abhängig ist, gegenüber der Prüfungsstelle zusätzlich
für eine wirtschaftliche Verordnungsweise haften, ohne ihre eigene Verordnungsweise
in wirtschaftlicher Hinsicht überhaupt prüfen zu können[45].
Soweit den Ärzten zugesichert wird, dass im Fall der Verordnung bestimmter Kontrastmittel,
die über bestimmte Lieferanten bezogen werden, ein Regress nicht zu besorgen ist,
steht dies nicht nur im Widerspruch zur Forderung der Beachtung des Minimalprinzips.
Denn das Minimalprinzip fordert, das tatsächlich wirtschaftlichste Präparat und nicht
ein von den Krankenkassen als wirtschaftlich ausgewiesenes Präparat zu verordnen.
Sondern es wird dadurch zudem ein Fehlanreiz für die Ärzte geschaffen. Diese könnten
sich, um das wirtschaftliche Risiko des Regresses zu vermeiden und ihre Verordnungen
nicht stets ausführlich, in der Unsicherheit, ob ihre Begründung anerkannt wird, begründen
zu müssen, veranlasst sehen, regelmäßig ein Kontrastmittel zu verordnen, das sie aus
medizinischen Gründen nicht verordnet hätten. Die Rahmenverträge greifen mithin in
rechtlich zu beanstandender Weise in die Therapiefreiheit des Arztes ein. Überdies
können die Rahmenverträge dazu führen, dass die Versicherten nicht eine ausreichende,
zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung i. S. d. § 12 Abs. 1 SGB V erhalten, sondern
lediglich das billigste Arzneimittel. Das ist aber gerade nicht durch das Wirtschaftlichkeitsgebot
i. S. d. § 12 Abs. 1 SGB V beabsichtigt und wäre ein Armutszeugnis für eine qualitativ
hochwertige Versorgung der Versicherten in Deutschland.
Das Vorgehen der gesetzlichen Krankenkassen könnte plakativ auch wie folgt zusammengefasst
werden: Kosten sparen um jeden Preis zu Lasten der Qualität der Versorgung der Versicherten
auf dem Rücken der in der vertragsärztlichen Versorgung tätigen Radiologen. Denn der
in der vertragsärztlichen Versorgung tätige Radiologe muss sich bei seiner Verordnungsentscheidung
folgende Frage stellen: Verordne ich das Kontrastmittel, das ich medizinisch als das
tauglichste bzw. beste Präparat halte und setze mich dem Risiko eines hohen Regresses
aus oder beuge ich mich dem Willen der gesetzlichen Krankenkasse und verordne ein
Kontrastmittel, dessen Verabreichung meiner medizinischen Entscheidung widerspricht?
Zulässigkeit und Höhe eines Arzneimittelregresses
Zulässigkeit und Höhe eines Arzneimittelregresses
Die Prüfungsstellen i. S. d. § 106c SGB V setzen bei der Verordnung eines nichtbezuschlagten
Kontrastmittels teilweise bedenkenlos einen Regress fest. Rechtlich führt ein Verstoß
gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot jedoch nicht ipso iure zu einem Regress. Es handelt
sich bei den in Frage kommenden Rechtsgrundlagen nicht um eine gebundene Entscheidung.
Den Prüfgremien steht aufgrund dieser Vorschriften im Fall der Wirtschaftlichkeitsprüfung
vielmehr in der Regel ein Ermessenspielraum zur Verfügung.
Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung haben die Prüfungseinrichtungen grundsätzlich
Ermessen hinsichtlich der Höhe des Regresses auszuüben[46]. Sie haben dazu zunächst dem beanstandeten Arzneimittel ein konkretes Alternativpräparat
gegenüber zu stellen, um ausgehend hiervon den (maximalen) Schadensbetrag zu bestimmen[47]. In einem weiteren Schritt haben sie sodann zu prüfen, in welcher konkreten Höhe
ein Regress festgesetzt werden soll oder ob ggf. im Hinblick auf eine vorrangige Beratung
von einem Regress abzusehen ist[48].
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Prüfungsstelle im Rahmen des von ihr auszuübenden
Ermessens zu erwägen, als Rechtsfolge zunächst eine Beratung festzusetzen. Das LSG
Berlin-Brandenburg führt in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG in seinem
Urteil vom 28.10.2009[49] hierzu aus:
„Denkbar ist jedoch auch der völlige Verzicht auf die Festsetzung eines Regresses,
weil in Anbetracht der Umstände des Einzelfalles (z. B. Anfängerpraxis, geringe Schadenshöhe,
Vielzahl der in Betracht zu ziehenden Alternativpräparate, Vielzahl der Begleiterkrankungen
der konkreten Versicherten) eine Beratung als ausreichende Reaktion angesehen wird.
[…] In Fällen, in denen die Unwirtschaftlichkeit auf der Verordnung eines teureren
Arzneimittel beruht, für das eine preiswertere, therapeutische gleichwertige Alternative
besteht, könnte ggf. etwas anderes [als die Festsetzung eines Regresses] gelten, weil
bereits eine Beratung dazu führt, dass der Vertragsarzt sich künftig die unterschiedlichen
Kosten vergegenwärtigt und einzelfallbezogen abwägt, ob der Einsatz des preiswerteren
Arzneimittels vertretbar ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 20. Oktober 2004, a. a. O.)“
Dies gilt insbesondere für die betroffenen Quartale eines Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahrens,
die zeitlich in besonderer Nähe zu den erstmals abgeschlossenen Rahmenverträgen stehen.
Darüber hinaus hat die Prüfungsstelle Erwägungen zu der konkreten Höhe des Regressbetrages
anzustellen. Zur Schadensbestimmung vergleicht die Prüfungsstelle regelmäßig die Preise
der Rahmenverträge mit den Preisen der vom Radiologen verordneten Kontrastmitteln.
Bei der Ermessensausübung im Hinblick auf den konkreten Regressbetrag müssen die Prüfungsstellen
aber berücksichtigen, dass dem Radiologen diese Preise bei seiner Verordnungsentscheidung
nicht bekannt waren. Denn die gesetzlichen Krankenkassen teilen dem Vertragsarzt diese
Preise gerade nicht mit. Es ist vor diesem Hintergrund schlechthin unbillig, für die
Regresshöhe auf den – hypothetischen – monetären Mehrbetrag abzustellen. Denn der
Radiologe ist überhaupt nicht in der Lage, sich an diesem Betrag auszurichten.
Weiterhin heben die Prüfungsstellen – unter Bezugnahme auf die Rahmenverträge – im
Rahmen der Regresshöhe selbst darauf ab, dass die Verordnung eines teureren Präparates
ausnahmsweise zulässig sein kann, wenn zum Verordnungszeitpunkt besondere Gründe für
die Verordnung vorlagen.
Wenn man dieser Argumentation dem Ansatz nach folgt, entspricht es allgemeiner Lebenserfahrung,
dass es praktisch ausgeschlossen ist, dass bei allen Verordnungen des betroffenen
Vertragsarzt keine besonderen Gründe für ein teureres Präparat vorlagen. Vielmehr
entspricht es allgemeiner Lebenserfahrung, dass in jedem Fall, jedenfalls in einem
bestimmten Prozentsatz, besondere Gründe für die Verordnung vorlagen – unabhängig
davon ob und in welcher Weise diese dokumentiert wurden. Insoweit haben die Prüfungsstellen
nach der Ermittlung der Differenz zwischen verordnetem Kontrastmittel und bezuschlagten
Kontrastmittel eine Toleranz abzuziehen bzw. einen pauschalen Abschlag vorzunehmen.
Fazit und Praxishinweise
Bislang wurde höchstrichterlich nur entschieden, ob dem Vergütungsanspruch des AGH/phU,
dessen Kontrastmittel nicht bezuschlagt wurde, die durch die gesetzlichen Krankenkassen
mit anderen AGH/phU abgeschlossenen Rahmenverträge entgegengehalten werden können.
Das BSG hat diese Frage eindeutig mit „Nein“ beantwortet. Die jeweiligen SSB-V in
Verbindung mit der Verordnung durch einen Vertragsarzt vermittelt einen eigenen öffentlich-rechtliche
Vergütungsanspruch des AGH/phU gegen die gesetzliche Krankenkasse.
Demgegenüber war die Sozialgerichtsbarkeit bisher noch nicht zu der Entscheidung über
die Frage berufen, ob und inwieweit die abgeschlossenen Rahmenverträge gegenüber dem
Vertragsarzt Bindungswirkung entfalten oder bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung zu
berücksichtigen sind. Die Prüfungsstellen leiten diese Bindungswirkung aus dem allgemeinen
Wirtschaftlichkeitsgebot gem. §§ 12 Abs. 1, 72 Abs. 2 SGB V i. V. m. §§ 106 Abs. 2
Nr. 2, 106b SGB V i. V. m. der jeweiligen SSB-V und Prüfvereinbarung her.
Nach der Rechtsprechung des BSG bedarf es im Rahmen des hoch ausdifferenzierten Regelungssystems
der Versorgung und Leistungserbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung jedoch
einer speziellen gesetzlichen Grundlage, welche das abstrakt formulierte Wirtschaftlichkeitsgebot
normativ konkretisiert. Eine derartige normative Konkretisierung ist jedenfalls im
SGB V nicht enthalten. Daneben finden sich zwar in den SSB-V (teilweise) Hinweise
auf Ausschreibungsverfahren. Es wird in den SSB-V jedoch keine den Anforderungen des
Bestimmtheitsgebots gerecht werdende Rechtsgrundlage für eine Bindungswirkung gegenüber
dem Vertragsarzt geschaffen.
Aber selbst wenn man annähme, dass das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot als Rechtsgrundlage
für einen Regress gegenüber dem verordnenden Vertragsarzt ausreichen würde, findet
dieses nur Anwendung, wenn die Arzneimittel therapeutisch gleichwertig sind. Diese
therapeutische Gleichwertigkeit ist patientenbezogen festzustellen. Über dieses rechtliche
Erfordernis setzen sich die zuständigen Prüfungsstellen aber rechtswidrig hinweg und
prüfen lediglich, ob die Voraussetzungen des Rahmenvertrages gegeben sind. Der Rahmenvertrag
entfaltet für den in der vertragsärztlichen Versorgung tätigen Radiologen gerade keine
Bindungswirkung.
Selbst wenn man im Einzelfall zu einem Verstoß gelangen würde, müssen die Prüfungsstellen
ihm Rahmen des ihnen zustehenden Ermessens bei der Festsetzung des Ob und der Höhe
eines Regresses prüfen, ob nicht vorrangig eine Beratung statt einem Regress festzusetzen
ist. Zudem ist bei der Höhe des Regresses zu berücksichtigen, dass den verordnenden
Radiologen – mangels Mitteilung durch die gesetzlichen Krankenkassen – die Preise
der bezuschlagten Kontrastmittel bei der der Verordnungsentscheidung nicht bekannt
ist. Außerdem müssen die Prüfungsstellen bei der Festsetzung des Regresses einen pauschalen
Abschlag von dem ermittelten Betrag zwischen dem Preis des verordneten und bezuschlagten
Kontrastmittels vornehmen. Denn es ist denklogisch ausgeschlossen, dass bei keinem
der im jeweiligen Quartal behandelten Patienten medizinische Gründe dafür bestanden,
ein anderes als das bezuschlagte Kontrastmittel zu verordnen.
Die derzeitige Handhabung des geltenden Rechts durch die gesetzlichen Krankenkassen
und Prüfungsstellen führt auf Seiten der in der vertragsärztlichen Versorgung tätigen
Radiologen zielgerichtet zu einem Verordnungsausschluss. Hierdurch kommt es in materiell-rechtlicher
Hinsicht in mehrfacher Weise zu Rechtsverstößen. Gleichwohl sind die dahinterstehenden
Rechtsfragen noch rechtlich ungeklärt. Es ist nicht anzunehmen, dass die betreffenden
Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren unterlassen werden, bis diese Rechtsfragen höchstrichterlich
entschieden sind. Bis zu dieser Entscheidung wird sich der in der vertragsärztlichen
Versorgung tätige Radiologe bei der Verordnung von Kontrastmittel folgende Frage stellen
müssen:
Verordne ich das Kontrastmittel, welches ich medizinisch als das tauglichste bzw.
beste Präparat halte und setze mich dem Risiko eines hohen Regresses aus oder beuge
ich mich dem Willen der gesetzlichen Krankenkasse und verordne ein Kontrastmittel,
dessen Verabreichung meiner medizinischen Entscheidung widerspricht?
Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
Hendrik Hörnlein, LL.M.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
Hannah Solms
Doktorandin
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