Rofo 2024; 196(06): 628-631
DOI: 10.1055/a-2291-2800
DRG-Mitteilungen

Ärztlicher Bereitschaftsdienst – Teilnahmepflicht und Befreiungsmöglichkeiten

 

I. Einführung

Dem ärztlichen Bereitschaftsdienst kommt in der Patientenversorgung eine erhebliche Bedeutung zu. Er ermöglicht eine flächendeckende, wohnortnahe, ambulante Versorgung in dringenden Fällen unter gleichzeitiger Entlastung des Notfallrettungsdienstes werktäglich von 19:00 Uhr bis 8:00 Uhr; an Wochenend- und Feiertagen sogar rund um die Uhr. Für viele Ärzte stellt die Teilnahme am Bereitschaftsdienst allerdings nicht nur eine erhebliche zeitliche, sondern auch eine körperliche Belastung dar. Es verwundert daher nicht, dass Fragen der Teilnahme von Ärzten am Bereitschaftsdienst immer wieder Gegenstand von gerichtlichen Entscheidungen sind. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Teilnahmeverpflichtung von Vertrags- und Privatärzten, dem Umfang der Teilnahmepflicht sowie möglichen Befreiungstatbeständen.


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II. Teilnahmepflicht am ärztlichen Bereitschaftsdienst nach den Bereitschaftsdienstordnungen der Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen

Nach § 75 Abs. 1 S. 2 SGB V umfasst die den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) obliegende Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung auch die Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten, so dass die Einrichtung und Ausgestaltung eines Bereitschaftsdienstes in deren gesetzlichen Aufgabenbereich fällt.[1] Ein Vertragsarzt übernimmt als Mitglied der KV mit seiner Zulassung die Verpflichtung, in zeitlicher Hinsicht umfassend für die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zur Verfügung zu stehen. Diese Verpflichtung umfasst auch die Zeiten außerhalb der Sprechstunde.

Eine grundsätzliche Verpflichtung für Vertragsärzte zur Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst ergibt sich daher nach ständiger Rechtsprechung aus dem vertragsärztlichen Zulassungsstatus[2], welcher den Arzt zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt und verpflichtet (§ 95 Abs. 3 SGB V). Ohne eine verpflichtende Teilnahme am Bereitschaftsdienst als Teil einer notwendigen Einbeziehung in ein öffentlich-rechtliches Versorgungssystem sei eine ausreichende Versorgung der Versicherten nicht gewährleistet[3]. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts (BSG) übernehme der Vertragsarzt als Mitglied der KV die Verpflichtung, in zeitlicher Hinsicht umfassend zur Verfügung zu stehen, um die vertragsärztliche Versorgung sicherzustellen. Durch die Organisation eines übergreifenden ärztlichen Bereitschaftsdienstes werde der Einzelne von seiner täglichen Dienstbereitschaft rund um die Uhr entlastet, müsse im Gegenzug den Bereitschaftsdienst aber gleichwertig mittragen[4].

Der Rechtsprechung lässt sich entnehmen, dass die Aufrechterhaltung eines flächendeckenden ärztlichen Bereitschaftsdienstes ein wichtiges Gut zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung für gesetzlich versicherte Patienten darstellt. Es verwundert daher kaum, dass einige Bundesländer auch die Teilnahmeverpflichtung ausschließlich privatärztlich tätiger Ärzte rechtlich ausgestaltet haben[5]. Dies führt in der Konsequenz immer wieder zu Konflikten vor den Sozial- und Verwaltungsgerichten, da niedergelassene Privatärzte zwar nicht vom Vertragsarztsystem profitieren, aber gleichwohl dem System des ärztlichen Bereitschaftsdienstes verpflichtet sein sollen. Erst jüngst hat das BSG in einem Urteil vom 25.10.2023[6] die Ärztekammer Hessen und die KV Hessen dazu angehalten, die Bereitschaftsdienstordnung hinsichtlich der Heranziehung von ausschließlich privatärztlich tätigen Ärzten neu auszugestalten. Befürworter der Teilnahmepflicht von Privatärzten sehen die flächendeckende ärztliche Versorgung von Patienten als übergeordnete Aufgabe aller Ärzte. Für diese Forderung mag man vor dem Hintergrund der besonderen Stellung des Arztes in der Gesundheitsversorgung Verständnis aufbringen; verfassungsrechtlich bedenklich ist jedoch, dass hierdurch Ärzte, die nicht Mitglied der KVen sind, deren Rechtssetzungsmacht unterworfen werden.

Der überwiegende Teil der KVen hat die Teilnahmepflicht am ärztlichen Bereitschaftsdienst in eigenen Bereitschaftsdienstordnungen geregelt[7]. Lediglich die Bundesländer Nordrhein-Westfalen[8] und Sachsen-Anhalt haben eine gemeinsame Bereitschaftsdienstordnung der KV und der Ärztekammer entwickelt. Vor dem Hintergrund, dass es der Entscheidung der einzelnen KVen obliegt, ob diese einen flächendeckenden einheitlichen Bereitschaftsdienst oder neben einem hausärztlichen auch verschiedene fachärztliche Bereitschaftsdienste einrichten[9], ergeben sich in den Bundesländern Unterschiede im Rahmen der regelhaften Teilnahmeverpflichtung.

So haben einige Bundesländer[10] einen allgemeinen (haus-)ärztlichen neben einem fachärztlichen Bereitschaftsdienst eingerichtet. Teilweise lassen die Bereitschaftsdienstordnungen offen, welche fachärztlichen Bereiche hierüber abgedeckt werden. Die Bereitschafsdienstordnung der KV Bayern etwa benennt die Fachgruppen der Augenärzte, Chirurgen/Orthopäden, Frauenärzte, HNO-Ärzte und Kinder- und Jugendärzte[11]. Zudem können weitere fachärztliche Bereitschaftsdienste im Benehmen mit den betroffenen allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienstgruppen eingerichtet werden, solange und soweit ein Sicherstellungsbedarf hierfür besteht[12]. Sofern ein fachärztlicher Bereich für eine bestimmte Fachgruppe eingerichtet war und mangels Bedarf nunmehr nicht mehr angeboten wird, können die KVen den Facharzt dem hausärztlichen Bereitschaftsdienst zuordnen[13].

Andere Bundesländer haben einen flächendeckenden einheitlichen Bereitschaftsdienst ohne Spezifizierung eingerichtet[14]. Hierüber werden alle verfügbaren teilnahmepflichtigen Ärzte im Bereitschaftsdienst tätig.


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III. Umfang der Teilnahmepflicht

1. Vertragsärzte

Grundsätzlich sind die KVen verpflichtet, Vertragsärzte entsprechend dem Umfang ihrer Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst heranzuziehen[15]. Dahinter steht der Gedanke, unverhältnismäßig körperliche und zeitliche Belastungen zu vermeiden und den einzelnen Arzt nur insoweit im Rahmen des ärztlichen Bereitschaftsdienstes außerhalb der regulären Sprechzeiten zu belasten, wie dieser auch vertragsärztlich tätig wird. Teilweise findet sich in den Satzungen eine Limitierung der Gesamtzahl der monatlichen Dienste[16].


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2. Privatärzte

Auch Privatärzte können zur Teilnahme am ärztlichen Versorgungsdienst verpflichtet werden. Üblicherweise geschieht dies durch eine gemeinsame Bereitschaftsdienstordnung der jeweiligen Ärztekammer und der KV oder indem das Heilberufsgesetz auf die Bereitschaftsordnung der KV Bezug nimmt[17]. Vielfach können sich Ärzte und Weiterbildungsassistenten, bei Vorliegen der in den entsprechenden Bereitschaftsdienstordnungen normierten Voraussetzungen, freiwillig die Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst von der KV genehmigen lassen.

Das BSG[18] hat sich kürzlich mit dem Umfang der Teilnahmepflicht eines niedergelassenen ausschließlich privatärztlich tätigen Arztes am ärztlichen Bereitschaftsdienst auseinandergesetzt. Dieser arbeitete an zwei halben Tagen und einem ganzen Tag pro Woche insgesamt 14 Stunden in seiner Privatpraxis im Bezirk der KV Hessen. Die restliche Zeit war der Kläger als Unternehmer berufsfremd an anderer Stelle tätig. Der Kläger begehrte aufgrund seiner nur geringfügigen Tätigkeit im privatärztlichen Bereich die Befreiung, hilfsweise die Reduzierung seiner Teilnahmeverpflichtung am ärztlichen Bereitschaftsdienst. Die KV Hessen lehnte dies ab. Generell käme allenfalls eine Reduzierung des Umfangs der Teilnahmepflicht am ärztlichen Bereitschaftsdienst in Betracht. Dies hingegen sei aber nur bei Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses nach § 3 Abs. 3 der Bereitschaftsdienstordnung der KV Hessen (BDO-KVH) möglich. Es bestehe für die KV Hessen keine Möglichkeit den tatsächlichen Umfang eines hauptberuflich Selbstständigen zu überprüfen.

Hinsichtlich der beantragten Reduzierung des Umfangs der Teilnahmeverpflichtung des Klägers beurteilte das BSG die Rechtslage abweichend von der Auffassung der KV Hessen. Die KV Hessen habe die Verpflichtung aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), alle Ärzte gleichmäßig zum Bereitschaftsdienst heranzuziehen[19]. Dieser Verpflichtung widerspräche es, wenn Ärzte mit halben Versorgungsauftrag und Praxen mit vollem Versorgungsauftrag in gleicher Weise zum Bereitschaftsdienst herangezogen würden. Ebenso darf durch die Heranziehung zum Bereitschaftsdienst keine überproportionale Beanspruchung eines Arztes erfolgen. Übertragen auf die Teilnahmeverpflichtung von niedergelassenen Privatärzten bedeute dies, dass der tatsächliche Umfang einer ärztlichen Tätigkeit bei der verpflichtenden Heranziehung zum ärztlichen Bereitschaftsdienst angemessen zu berücksichtigen sei. Die Regelung in § 3 Abs. 3 S. 3 BDO-KVH trage dieser Verpflichtung aber nur insoweit Rechnung, als der reduzierte Umfang einer privatärztlichen Tätigkeit aufgrund einer gleichzeitig ausgeübten abhängigen Beschäftigung in Betracht gezogen werde. Die Norm sei zu beanstanden, da der geringe Umfang der ärztlichen Tätigkeit des Klägers wegen einer parallel ausgeübten selbstständigen Tätigkeit nicht erfasst werde[20].

Der Wortlaut des § 3 Abs. 3 BDO-KVH lautete wie folgt (Hervorhebungen nicht im Original):

„Am ÄBD nehmen grundsätzlich die privat niedergelassenen Ärzte (Privatarzt) am Ort ihres Praxissitzes entsprechend ihrer Verpflichtung aus dem Hessischen Heilberufsgesetz teil. Die Einteilung eines Privatarztes erfolgt in der Regel im gleichen Umfang wie die eines Inhabers eines Arztsitzes mit einem vollen Versorgungsauftrag. Auf Antrag kann der Teilnahmeumfang bis auf den Faktor 0,25 reduziert werden, sofern eine abhängige Beschäftigung in Voll- oder Teilzeit neben einer privatärztlichen Niederlassung durch den Privatarztnachgewiesen wird. […]“

Aufgrund der Unvereinbarkeit der Satzungsnorm mit dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, erklärte das BSG die Satzungsnorm des § 3 Abs. 3 BDO-KVH für unwirksam[21].

Mit dieser Entscheidung hat das BSG klargestellt, dass zwar auch Privatärzte über die Bereitschaftsdienstordnung in Verbindung mit dem Heilberufsgesetz zum ärztlichen Bereitschaftsdienst herangezogen werden können, dass diese aber ebenso wie Vertragsärzte nicht übermäßig mit ihrem Teilnahmeumfang am ärztlichen Bereitschaftsdienst belastet werden dürfen.


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IV. Befreiung von der Teilnahmeverpflichtung

Eine Befreiung von der Teilnahmepflicht am ärztlichen Bereitschaftsdienst ist nur möglich, wenn schwerwiegende Gründe in der Person des Arztes hierfür vorliegen. Dies ist insbesondere bei körperlichen Behinderungen, einer Schwangerschaft oder der Geburt eines Kindes, in einigen wenigen Bundesländern auch das Erreichen des 65. Lebensjahres[22], der Fall. Eine Befreiung von der Teilnahmepflicht kann auf Antrag des Arztes ganz, teilweise oder nur vorübergehend erteilt werden.

1. Patientenferne Facharztspezialisierung

Für diagnostisch tätige Ärzte, wie Fachärzte für Radiologie oder Nuklearmedizin stellt sich die Frage, ob diese sich vom ärztlichen Bereitschaftsdienst befreien lassen können, weil sie in einem therapiefernen Fach tätig und nicht mehr in der Lage sind, die erforderliche Qualität zur vertragsärztlichen Versorgung von Patienten im Bereitschaftsdienst risikofrei und nach dem allgemein anerkannten fachlichen Standard für jeden denkbaren Krankheitsfall zu erbringen, auf den der gesetzlich krankenversicherte Patient einen Anspruch hat.

Befreiungstatbestände „aufgrund langjährig fachärztlich spezialisierter Tätigkeit“, die zu einer dauerhaften Befreiung von der Teilnahme am Notdienst führen, sind jedoch weder im ärztlichen Berufsrecht, noch im Vertragsarztrecht geregelt[23]. Daher ist eine Befreiung von der Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst allein wegen einer patientenfernen Facharztspezialisierung regelmäßig nicht möglich. Von der Rechtsprechung wurden Befreiungen von Fachärzten für Nuklearmedizin[24] sowie Fachärzten für Radiologie[25] abgelehnt.

Gegenstand der Entscheidung des LSG Rheinland-Pfalz[26] war der Antrag eines Facharztes für diagnostische Radiologie auf Befreiung vom ärztlichen Bereitschaftsdienst, da dieser sich trotz einer zweijährigen Notdienstfortbildung nicht in der Lage sah, die erforderliche Qualität der vertragsärztlichen Versorgung von Patienten im Bereitschaftsdienst unter dem gegebenen fachlichen Standard zu erbringen. Aufgrund seiner jahrelangen patientenfernen Facharztspezialisierung fehle es ihm an den erforderlichen theoretischen Kenntnissen sowie praktischen Fertigkeiten. Das LSG gab der beklagten KV Recht, die den Antrag abgelehnt hatte. Nach Ansicht des LSG verfüge jeder Facharzt, sofern er regelmäßige Fortbildungen wahrnehme, über die erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten, um die im Rahmen der Akutversorgung im ärztlichen Bereitschaftsdienst anfallenden Behandlungssituationen durchzuführen.

Nach Ansicht des LSG besteht grundsätzlich eine Verpflichtung aller Vertragsärzte zur Teilnahme am Not- und Bereitschaftsdienst sowie zur Fortbildung[27] für den Notfalldienst nach der (Muster-)Berufsordnung für Ärzte[28]. Die Sicherstellung von Not- und Bereitschaftsdiensten sei eine gemeinsame Aufgabe aller Vertragsärzte, welche nur erfüllt werden könne, wenn grundsätzlich alle zugelassenen Ärzte unabhängig von ihrer Fachgruppenzugehörigkeit und sonstigen individuellen Besonderheiten herangezogen werden[29]. Die nähere Ausgestaltung des Bereitschaftsdienstes fällt in die Zuständigkeit der einzelnen KVen, denen insoweit ein Gestaltungsraum zukomme, einen gemeinsamen flächendeckenden oder einen hausärztlichen neben einem fachärztlichen Bereitschaftsdienst zu organisieren.[30] Den KVen obliegt auch die Entscheidung, einzelne Facharztgruppen wegen ihrer besonderen Behandlungsrichtungen vom Bereitschaftsdienst auszunehmen. [31]

Lediglich in dem Fall, dass ein Vertragsarzt nach jahrelanger Befreiung und gänzlich unterbliebener bereitschaftsdienstbezogener Fortbildung nicht für die persönliche Ausübung des Dienstes geeignet ist, darf die KV ihn nicht hierzu einteilen. Allerdings dürfe die KV den Vertragsarzt gegebenenfalls auch disziplinarrechtlich dazu anhalten, die erforderlichen Fortbildungen zu absolvieren, um seine fachliche Eignung wieder herzustellen.[32]


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2. Körperliche Eignung

Der (Vertrags-)Arzt muss allerdings zur persönlichen Ausübung des Bereitschaftsdienstes geeignet sein[33]. Unter den körperlichen Voraussetzungen werden ausreichende physische Belastbarkeit, körperliche Leistungsfähigkeit, Sehkraft, Hörvermögen, Konzentrationsfähigkeit sowie uneingeschränkte kognitive Fähigkeiten und Feinmotorik gefordert[34]. Mit dieser Begründung wurde eine an beginnender Demenz erkrankte Fachärztin von ihrer Teilnahmeverpflichtung freigestellt, obwohl diese ihren Praxisbetrieb trotz ihrer Erkrankung aufrechterhalten hatte.[35] In diesem Fall war die Fachärztin noch im Stande, jahrelang ausgeführte routinemäßige Untersuchungen mit Unterstützung des Praxispersonals auszuführen. Die Teilnahme am Bereitschaftsdienst erfordere jedoch vor allem die Kompetenz, sich stets auf neue Behandlungssituationen einzustellen, was der Fachärztin aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr möglich sei.


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V. Haftungsrechtliche Anforderungen an einen fachübergreifenden Bereitschaftsdienst

Zwar bejaht die Rechtsprechung die Teilnahmeverpflichtung sämtlicher Facharztgruppen an einem fachübergreifenden Bereitschaftsdienst. Dies beantwortet jedoch nicht die Frage nach den haftungsrechtlichen Folgen von Behandlungsfehlern im Rahmen des Bereitschaftsdienstes. Im Regelfall wird man annehmen müssen, dass der diensthabende Arzt nur in seinem Fachbereich den jeweiligen Facharztstandard gewährleisten kann, was bei fachübergreifenden medizinischen Bereitschaftsdienstfällen nicht der Fall sein dürfte[36]. Ob die fachlichen und die hierauf gründenden haftungsrechtlichen Anforderungen an die Erfüllung des Facharztstandards im Rahmen von Notfallbehandlungen abgesenkt sind, muss bezweifelt werden.

Das Landgericht Augsburg, das über verspätete Maßnahmen eines Assistenzarztes im Rahmen eines fachübergreifenden Bereitschaftsdienstes im Krankenhaus zu entscheiden hatte, sah „erste Hilfsmaßnahmen auf der Basis von Grundkenntnissen des jeweiligen Fachgebietes keinesfalls als ausreichend“ an. Notwendig seien im Falle des fachübergreifenden Bereitschaftsdienstes „geeignete organisatorische Vorkehrungen für eine gefahrenadäquate ärztliche Versorgung auch während der Bereitschaftszeiten“.[37]

Damit werden an die Organisation und den Einsatz von Ärzten im Bereitschaftsdienst durch die Ärztekammern und KVen entsprechende Sorgfaltspflichten gestellt, die auch beinhalten dafür zu sorgen, dass Ärzte ihrer berufsrechtlichen Verpflichtung zur Fortbildung nachkommen, die auch den Notdienst umfasst[38].


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VI. Fazit

Die generelle Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst stellt wegen der Bedeutsamkeit der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Bevölkerung das Regelmodell dar. Die ständige Rechtsprechung zeigt, dass es dem einzelnen Arzt nur in besonderen Ausnahmefällen möglich ist, sich von der Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst befreien zu lassen. In Zeiten zunehmenden Ärztemangels und drohender Unterversorgung in vielen ländlichen Regionen wird die Aufrechterhaltung eines flächendeckenden fachbereichsunspezifischen Bereitschaftsdienstes zunehmend vor Herausforderungen gestellt. Auch im Hinblick darauf, dass Krankenhäuser von gesetzlich Krankenversicherten für ambulante Behandlungen grundsätzlich nur in Notfällen im Sinne von § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V in Anspruch genommen werden dürfen, muss sichergestellt sein, dass der ambulante Bereitschaftsdienst funktionsfähig bleibt. Daher ist es sinnvoll, auch (patientenferne) Facharztbereiche weiterhin in die bereitschaftsärztliche Versorgung der Patienten einzubeziehen und im Rahmen von Notdienstfortbildungen für die Tätigkeit zu qualifizieren.

Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht

Stefanie Kath
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1 BSG, Urteil vom 6.9.2006, Az: B 6 KA 43/05 R = SozR 4–2500 § 75 Nr. 5 Rn. 10.


2 BSG, Urteil vom 13.02.2019, Az.: B 6 KA 51/17 R, Rn. 19; BSG, Urteil vom 12.12.2018, Az.: B 06 KA 50/17 R, Rn. 29; BSG, Urteil vom 11.05.2011, Az.: B 6 KA 23/10 R, Rn. 14; BSG, Urteil vom 06.02.2008, Az. B 6 KA 13/06, Rn. 12.


3 BSG, Urteil vom 13.02.2019, Az.: B 6 KA 51/17 R, Rn. 19; BSG, Urteil vom 12.12.2018, Az.: B 06 KA 50/17 R, Rn. 30.


4 BSG, Beschluss vom 17.03.2021, Az.: B 6 KA 15/20 B, Rn. 10.


5 Hessen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Schleswig-Holstein, Bremen.


6 BSG, Urteil vom 25.10.2023, Az. B 6 KA 20/22 R.


7 Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein, Thüringen.


8 Gemeinsame Notdienstordnung der KV Nordrhein und der Ärztekammer Nordrhein; Gemeinsame Notdienstordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der KV Westfalen- Lippe.


9 BSG, Urteil vom 06.09.2006, Az.: B 6 KA 43/05 R, Rn. 12.


10 KV-Bezirke Bayern, Nordrhein, Sachsen-Anhalt, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein, Thüringen.


11 § 7 Abs. 1 Satz 1 BDO-KVB.


12 § 7 Abs. 1 S. 3 BDO-KVB.


13 zur Teilnahme der Fachgruppe der Dermatologen am hausärztlichen Bereitschaftsdienst: BSG, Urteil vom 06.09.2006, Az.: B 6 KA 43/05 R.


14 KV-Bezirke Westfalen-Lippe, Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg.


15 ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG, Urteil vom 13.02.2019, Az.: B 6 KA 51/17 R, Rn. 20; BSG, Urteil vom 12.12.2018, Az.: B KA 50/17 R, Rn. 49.


16 Hamburg: § 7 Abs. 1 NDO, Beschränkung auf 8 Dienste je Monat.


17 Hessen: §§ 23 Nr. 2, 24 Heilberufsgesetz i. V. m. § 3 Abs. 3 BDO-KVH.


18 BSG, Urteil vom 25.10.2023 Az.: B 6 KA 20/22 R.


19 ständige Rechtsprechung, zuletzt BSG, Urteil vom 12.12.2018, Az.: B KA 50/17 R, Rn. 49.


20 BSG, Urteil vom 25.10.2023, Az.: B 6 KA 20/22 R, Rn. 25.


21 BSG, Urteil vom 25.10.2023, Az.: B 6 KA 20/22 R, Rn. 26.


22 Rheinland-Pfalz (§ 9 Abs. 8 KVRLP-BDO); Westfalen-Lippe (§ 11 NFDO-ÄKWL/KVWL), Hessen (§ 3 Abs. 8b BDO-KVH), Thüringen (§ 7 Abs. 1e BDO-KVT).


23 BSG, Beschluss vom 17.03.2021, Az.: B 6 KA 15/20 B, Rn. 12; BSG, Urteil vom 06.09.2006, Az.: B 6 KA 43/05 R, Rn. 20.


24 BSG, Beschluss vom 17.03.2021, Az.: B 6 KA 15/20 B.


25 LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.08.2022, Az.: L 5 KA 1/21.


26 LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.08.2022, Az.: L 5 KA 1/21.


27 LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.08.2022, Az.: L 5 KA 1/21, Rn. 25.


28 § 26 i. V. m. § 4 Abs. 1 MBO-Ä i. d. F. der Beschlüsse des 121. Dt. Ärztetages 2018, geändert durch Beschluss d. Vorstandes der Bundesärztekammer am 14.12.2018.


29 BSG, Urteil vom 06.09.2006, Az.: B 6 KA 43/05 R, Rn. 11; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.08.2022, Az.: L 5 KA 1/21, Rn. 26.


30 BSG, Beschluss vom 17.03.2021, Az.: B 6 KA 15/20 B, Rn. 11.


31 BSG, Urteil vom 13.02.2019, Az.: B 6 KA 51/17 R, Rn. 23; BSG, Urteil vom 23.03.2016, Az.: B 6 KA 7/15 R, Rn. 17; BSG, Urteil vom 19.08.2015, Az.: B 6 KA 41/14 R, Rn. 15.


32 BSG, Urteil vom 19.08.2015, Az.: B 6 KA 41/14 R, Rn. 29.


33 BSG, Urteil vom 19.08.2015, Az.: B 6 KA 41/14 R, Rn. 22.


34 LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.06.2021, Az.: L 11 KA 54/19, Rn. 62.


35 SG Mainz, Urteil vom 12.01.2022, Az.: S 3 KA 9/20.


36 Boemke, NJW 2010, 1562, 1564.


37 LG Augsburg, Urteil vom 30.09.2004, Az. 3 KLs 400 Js 109 903/01, Rn. 39.


38 BSG, Urteil vom 06.09.2006, Az.: B 6 KA 43/05 R, Rn. 20.



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Article published online:
22 May 2024

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