Open Access
CC BY-NC-ND 4.0 · Aktuelle Kardiologie 2024; 13(04): 308-317
DOI: 10.1055/a-2287-2919
Expertenkonsens

Empfehlungen zum Lipidmanagement

Ein Expertenkonsens begleitend zum Leitdiagramm der Lipidakademie Baden-WürttembergRecommendations for Lipid ManagementAn Expert Consensus from Baden-Wurttemberg
Expertenkonsens, verfasst von Prof. E. Giannitsis für die Konsensusgruppe Lipidakademie Baden-Württemberg
 

Zusammenfassung

Trotz evidenzbasierter Leitlinienempfehlungen zum risikoadaptierten Lipidmanagement ist die Umsetzung dieser Empfehlungen in die klinische Routine nur unzureichend erfolgt. Der nachfolgende Expertenkonsensus soll dazu dienen, die Hintergründe und die Datenlage, die den Empfehlungen zugrunde liegen, zu erläutern sowie praktische Ratschläge für die notwendigen Laborparameter und deren Interpretation zu liefern. Dabei werden Limitationen der LDL-Cholesterin-Schätzung aufgeführt und Lösungsmöglichkeiten dargestellt. Die Empfehlungen geben auch Informationen zur Rationale eines beschleunigten Erreichens der LDL-Zielwerte nach einem akuten Koronarsyndrom und weisen auch auf die Notwendigkeit einer frühen Initiierung einer effektiven LDL-Cholesterin-Senkung bei Patienten mit einer familiären Hypercholesterinämie hin. Schließlich werden auch regulatorische Vorgaben im Lipidmanagement sowie die Erstattungs- und Verordnungsfähigkeit in Baden-Württemberg dargestellt.


Abstract

Despite evidence-based guideline recommendations on lipid management, implementation of lipid lowering therapies at prespecified LDL targets is poor in Germany. Therefore, the expert consensus document aims to provide background information on the rationale and appropriate use of lipid lowering therapies as well as to provide practical guidance on the panel of laboratory measures and their correct interpretation in the presence of relevant confounders. In particular, pitfalls regarding interpretation are highlighted and alternative options for correct interpretation are displayed. Moreover, the document addresses the particularities for accelerated lipid lowering for patients following an acute coronary syndrome as well as the need for early treatment initiation of effective LDL lowering therapies in patients with familial hypercholesterolemia. Finally, the document summarizes legal requirement by regulatory authorities for drug prescription and reimbursement in Baden Württemberg.


Abkürzungen

ACS: akutes Koronarsyndrom
ALT: Alanin-Aminotransferase
ApoB: Apolipoprotein B
ASCVD: arteriosklerotische kardiovaskuläre Erkrankung
AT: Arzneimitteltherapiebereich
CK: Kreatinkinase
DM: Diabetes mellitus
eGFR: geschätzte glomeruläre Filtrationsrate
ESC: European Society of Cardiology
FDA: Food and Drug Administration
FH: familiäre Hypercholesterinämie
GPT: Glutamat-Pyruvat-Transaminase
HeFH: heterozygote familiäre Hypercholesterinämie
KHK: koronare Herzerkrankung
LDL-C: LDL-Cholesterin
LoE: Level of Evidence
Lp(a): Lipoprotein(a)
mRNA: Messenger-RNA
NLA: National Lipid Association
Non-HDL-C: Non-HDL-Cholesterin
NSTE-ACS: akutes Koronarsyndrom ohne persistierende ST-Strecken-Hebung
pAVK: periphere arterielle Verschlusskrankheit
SAMS: statinassoziierte Muskelbeschwerden
SI: Statinintoleranz
siRNA: Small interfering RNA
TG: Triglyzeride
ULN: oberer Normalwert
 

Einleitung

Im Rahmen der Lipidakademie Baden-Württemberg wurde mittels Expertenkonsensus ein Therapieleitfaden zum Lipidmanagement entwickelt. Dieses begleitende Dokument („White Paper“) dient der genaueren Erläuterung einzelner Entscheidungen und Empfehlungen. Der Lipidakademie gehören neben Vertretern der universitären Kardiologie der Universitätskliniken Baden-Württembergs auch Laborspezialisten, Lipidologen, Angiologen, niedergelassene Internisten und Hausärzte an. Die rechtlichen Grundlagen zur Verordnung von lipidsenkenden Medikamenten wurden durch einen Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung validiert.

Die Grundlage der Empfehlungen der Lipidakademie bilden die 2019 ESC Guideline (ESC: European Society of Cardiology) zur Therapie von Fettstoffwechselstörungen [1], die 2021 ESC Guideline zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen [2] sowie die Behandlungspfade des Lipidnetzwerks Leipzig [3].

Die Rationale für das Leitdiagramm ist die Erkenntnis, dass die Mehrheit von Risikopersonen oder Patienten mit gesicherter Indikation zur Sekundärprävention in Europa und insbesondere in Deutschland – aus verschiedenen Gründen – nicht in ausreichendem Maß eine indizierte LDL-C-senkende Therapie (LDL-C: LDL-Cholesterin) erhalten [4], [5]. Diese Feststellung gilt sowohl in der Primärprävention für Personen mit mittlerem, hohem und sehr hohem Risiko als auch für Patienten mit gesicherter arteriosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung (ASCVD) oder anderer spezifischer Risikogruppen wie dem Typ-1- oder Typ-2-Diabetes, Niereninsuffizienz und der familiären Hypercholesterinämie. Zudem zeigen Daten eine negative Assoziation zwischen dem Ausmaß der Leitlinienadhärenz bzw. Zielwerterreichung und dem Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse [6].


Lipidlabor

Bei der kardiovaskulären Risikoabschätzung ist die Methode zur Schätzung des Risikos einer ASCVD eng an die Wahl des Lipidparameters gebunden. Entsprechend der 2019 ESC Guideline [1] empfiehlt die Lipidakademie die Bestimmung der Plasma-LDL-C-Konzentration und die Schätzung des Risikos nach dem ESC-Score. Die Experten haben sich für das LDL-C und den ESC-Score entschieden, da die Konzentration von LDL-C leichter zu beeinflussen und den Anwendern historisch besser vertraut ist. Alternativ kann gemäß den 2021 ESC Guidelines zur Prävention [2] die Bestimmung von Non-HDL-Cholesterin (Non-HDL-C) und die Schätzung des Risikos mittels SCORE-2 bzw. SCORE-2-OP erfolgen. Das Basis-Lipidprofil beinhaltet darüber hinaus die Bestimmung des Gesamtcholesterins, der Triglyzeride (TG) und des HDL-Cholesterins (Level of Evidence [LoE] I/C [1]). Das indirekt oder direkt gemessene LDL-C kann unter bestimmten Umständen die gesamte Cholesterinkonzentration und insbesondere die Konzentration der ApoB-haltigen Lipoproteinen (ApoB: Apolipoprotein B) und somit das ASCVD-Risiko unterschätzen. Zu diesen Umständen gehören das Vorliegen hoher TG-Konzentrationen (> 200 – 400 mg/dl), Diabetes mellitus (DM), Obesitas oder eine sehr niedrige LDL-C-Konzentration. In diesen Fällen ist die Bestimmung von Non-HDL-C und ApoB vorzuziehen. Für die Prädiktion des residualen Letalitätsrisikos nach Statintherapie scheint die Bestimmung von ApoB oder Non-HDL-C der Bestimmung von LDL-C überlegen [7]. Für die Prädiktion eines Myokardinfarkts scheint die Bestimmung von ApoB sogar der Bestimmung von Non-HDL überlegen [7].

Konzentrationen von LDL-C, Non-HDL-C, und ApoB korrelieren untereinander stark ([Tab. 1]) [2].

Tab. 1 Korrelation der Konzentrationen von LDL-Cholesterin (LDL-C), Non-HDL-Cholesterin (Non-HDL-C) und Apoprotein B (ApoB).

LDL-C

Non-HDL-C

Apolipoprotein B

2,6 mmol/l (100 mg/dl)

3,4 mmol/l (131 mg/dl)

100 mg/d

1,8 mmol/l (70 mg/dl)

2,6 mmol/l (100 mg/dl)

80 mg/dl

1,4 mmol/l (55 mg/dl)

2,2 mmol/l (85 mg/dl)

65 mg/dl

Geschätzte und direkt gemessene Lipidparameter

Die gängigste Methode ist die Schätzung von LDL-C über die Friedewald-Formel:

LDL-C = TC − HDL-C − (TG/2,2) in mmol/l

oder

LDL-C = TC − HDL-C − (TG/5) in mg/dl

Nachteile bestehen darin, dass

  • sich die analytische Messungenauigkeit von 3 Parametern potenzieren kann,

  • ein stabiles Verhältnis von Cholesterin (TG in VLDL-Partikeln) angenommen wird, was aber variieren kann, und

  • die Friedewald-Formel bei TG > 400 mg/dl nicht angewendet werden sollte.

Alternativ kann LDL-C direkt im Blut gemessen werden.

Alternativ kann Non-HDL-C geschätzt werden durch die Formel:

Non-HDL-C = TC − HDL-C

Alternativ kann ApoB kostengünstig und ohne größere Messungenauigkeit im Blut direkt gemessen werden.

Lipoprotein(a) – Lp(a) – sollte Bestandteil einer vollständigen Erfassung des Lipidprofils sein. Es hat eine ähnliche Struktur wie Plasminogen und bindet am Plasminogenrezeptor, wodurch es prothrombotisch wirkt [8]. Nach den 2019 ESC Guidelines [1] sollte Lp(a) mindestens einmalig bestimmt werden, um Patienten mit stark erhöhten Werten (> 180 mg/dl bzw. > 430 nmol/l) zu identifizieren. Diese Patienten haben ein sehr hohes Risiko, zu Lebzeiten eine ASCVD zu entwickeln. Dies kann dem Risiko einer heterozygoten familiären Hypercholesterinämie (HeFH) gleichgesetzt werden und wird durch eine LDL-C-Messung und die Risikostratifizierung mittels SCORE nicht korrekt erfasst.

Die Messung des Lp(a) „einmalig bei jedem Erwachsenen“ ist im Rahmen der gesetzlichen Regelversorgung nicht als kurative Leistung abrechenbar. Jedoch rechtfertigt ein erhöhtes Lp(a) die Einstufung des Patienten in eine höhere Risikokategorie und kann somit eine intensivere lipidsenkende Therapie rechtfertigen. Daher könnte eine „kurative“ Indikation für die Bestimmung des Lp(a) durch die therapeutische Konsequenz, wie einer intensiveren lipidsenkenden Therapie, bestehen.

Eine Hilfestellung bieten folgende Bedingungen:

  • Messung von Lp(a) zur Verfeinerung der Risikoeinschätzung:

    • Patienten mit moderatem und hohem Risiko aufgrund der Leitlinie der ESC und EAS

    • Patienten mit Progression von atherosklerosebedingten Gefäßerkrankungen trotz LDL-C < 55 mg/dl (etwa 2 mmol/l); bei erhöhtem Lp(a) könnte eine Indikation für die Aufnahme einer LDL-Apherese bestehen

  • Messung von Lp(a) zur Identifizierung eines zusätzlichen solitären Risikofaktors bei hoher Vortestwahrscheinlichkeit:

    • Familienanamnese für frühzeitige koronare Herzerkrankung

    • Verwandte ersten Grades mit Lp(a) > 125 nmol/l (etwa 50 mg/dl)

    • Aortenstenose

    • Patienten, bei denen Statine eine geringere als erwartete Senkung des LDL-C erreichen

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, die durch fehlende Standardisierung der Lp(a)-Assays und biologische Schwankungen begründet sind, werden wiederholte Bestimmungen von Lp(a) aktuell nicht empfohlen. Diese Empfehlung könnte sich in Zukunft ändern, sofern die derzeit laufenden Studien zu den Lp(a)-senkenden Therapien das Molekül als therapeutisches Ziel identifizieren. Die derzeit erprobten Lp(a)-mRNA-Inhibitoren Pelacarsen, Olpasiran und SLN360 haben das Potenzial, die Lp(a)-Konzentration um bis zu 90% zu reduzieren [9].

Einige Experten empfehlen vor einer Therapieinitiierung mit einem Statin die zusätzliche Bestimmung von Kreatinkinase (CK) und Alanin-Aminotransferase (ALT) bzw. Glutamat-Pyruvat-Transaminase (GPT), um eine Statinintoleranz (SI) in Form „statinassoziierter Muskelbeschwerden“ (SAMS) bzw. eine Myalgie oder einer Leberschädigung früh zu erkennen.

Konsens der Experten

Die LDL-C-Senkung ist als primäres Ziel des Leitdiagramms anzusehen. Dabei sollten die LDL-C-Werte im Fokus der Behandlung liegen. Die Experten sind sich einig, dass die Empfehlung einer „mindestens einmaligen Messung des Lp(a)“ im Einklang mit der aktueller Dyslipidämie Leitlinie steht (LoE IIa/C [2]), um Patienten mit sehr stark erhöhten Lp(a) zu identifizieren.



Risikostratifizierung

Die 2019 ESC Guidelines zur Therapie von Fettstoffwechselstörungen [1] und die 2021 ESC Guidelines zur Prävention [2] empfehlen ausdrücklich die Anwendung validierter Risiko-Scores zur Abschätzung des individuellen Risikos einer ASCVD. Während der ESC-Score das 10-Jahres-Risiko für kardiovaskulären Tod erhebt, gibt der SCORE-2-Score das 10-Jahres-Risiko für tödliche und nicht tödliche kardiovaskuläre Ereignisse (Herzinfarkt, Schlaganfall) für 40- bis 69-jährige Patienten mit unbehandeltem Risiko an. Aufgrund einer veränderten Lebenszeitperspektive steht für Patienten älter 70 Jahre ein modifizierter Score (SCORE-2 OP) zur Verfügung. Darüber hinaus kann ein Score berechnet werden, der die gewonnene Lebenszeit in Jahren anzeigt, die durch eine risikomodifizierende Therapie gewonnen werden kann. Diese Risikokalkulatoren dienen der besseren Vermittlung des Therapienutzens und der Individualisierung präventiver Maßnahmen [2].

Konsens der Experten

Die Verwendung der Scores sollte insgesamt beworben und unterstützt werden. Der ESC-Score hat im Gegensatz zum neu eingeführten SCORE-2 oder SCORE-2-OP den Vorteil einer zeitlich längeren und größeren Bekanntheit. Zudem erfolgt die Risikobestimmung auf Basis einer LDL-C-Bestimmung und nicht auf Basis von Non-HDL-C.


Initiationsschwelle

Die grundlegende Erkenntnis ist, dass jede Erhöhung des LDL-C bei Personen mit mindestens mittlerem Risiko mit einer höheren Prävalenz von ASCVD assoziiert ist. Aus diesem Grund sollte unabhängig von dem errechneten Risiko eine LDL-C-senkende Therapie initiiert werden, wenn der LDL-C-Wert über 190 mg/dl liegt. Ebenso unstrittig ist die Notwendigkeit einer Therapieinitiierung bei Patienten mit manifester ASCVD oder bei vermeintlich gesunden Individuen mit hohem bzw. sehr hohem Risiko in der Primärprävention. Die 2019 ESC Guidelines [1] empfehlen, neben der Modifikation des Lebensstils, die Initiierung einer primärpräventiven medikamentösen Senkung des LDL-C bei Personen mit niedrigem Risiko ab einem LDL-C > 116 mg/dl (< 190 mg/dl) und bei Personen mit einem moderaten Risiko ab einem LDL-C > 100 mg/dl zu erwägen. In jedem Fall sollte grundsätzlich eine Lebensstilberatung stattfinden.

Konsens der Experten

Bei Patienten mit niedrigem und moderatem Risiko sollte die Therapie-Initiationsschwelle bei 3,62 mmol/l bzw. 146 mg/dl liegen.


Interventionsstrategie

Das Prinzip der schrittweisen Eskalationstherapie lautet „Add-on“. Die Therapie sollte nach Guideline-Empfehlungen mit einem hochpotenten („High Intensity“) Statin (Atorvastatin oder Rosuvastatin) starten und bis auf die höchste tolerierbare Dosis gesteigert (LoE I/A [1]) werden. Die Wahrscheinlichkeit des Erreichens der individuellen LDL-C-Zielwerte und die Notwendigkeit einer Eskalationstherapie kann anhand der Intensität der LDL-C-senkenden Therapien ([Tab. 2]) abgeschätzt werden.

Tab. 2 Intensität der lipidsenkenden Therapie. In dieser Darstellung nach den 2019 ESC Guidelines [1] wurden die Bempedoinsäure als orale Therapieoption und der PSCK9-Synthese-Hemmer Inclisiran noch nicht inkludiert, sind aber in Deutschland zugelassen.

Therapie

durchschnittliche LDL-C-Reduktion

moderat intensives Statin

≈ 30%

hochintensives Statin

≈ 50%

hochintensives Statin plus Ezetimib

≈ 65%

PCSK9-Inhibitor

≈ 60%

PCSK9-Inhibitor plus hochintensives Statin

≈ 75%

PCSK9-Inhibitor plus hochintensives Statin plus Ezetimib

≈ 85%

Ist der LDL-C-Zielwert mit der zugelassenen Höchstdosis nicht zu erreichen, sollte das Statin mit Ezetimib kombiniert werden (LoE I/B [1]). Bei Patienten mit sehr hohem Risiko und einer Indikation zur Sekundärprävention, die ihr Ziel unter der maximal tolerierten Statindosis in Kombination mit Ezetimib und Bempedoinsäure nicht erreichen, sollte ein PCSK9-Inhibitor oder ein PCSK9-Synthese-Inhibitor ergänzt werden (LoE I/A [1]). Dies gilt auch für Patienten mit einer familiären Hypercholesterinämie (FH) und sehr hohem Risiko, d. h. einer manifesten ASCVD oder einem zusätzlichen schwerwiegenden Risikofaktor, wenn der Zielwert nicht erreicht wird. Bei SI stehen Therapiealternativen zur Verfügung. Die Guideline-Empfehlungen können von den jeweils bestehenden Zulassungsindikationen abweichen und sollten unbedingt beachtet werden. Zu den zugelassenen Therapieoptionen gehören Ezetimib und die Bempedoinsäure, welche im Falle einer SI eingesetzt werden können oder falls die Zielwerte in Kombination mit der maximal tolerierten Statindosis nicht erreicht werden. Die PCSK9-Inhibitoren umfassen mehrere zugelassene Substanzen mit teils unterschiedlichem Wirkmechanismus (Antikörper, siRNA), unterschiedlich langer Wirkdauer und damit unterschiedlichen Therapieintervallen.

Bei sehr weiter Entfernung vom angestrebten Zielwert kann nach Ezetimib auch direkt ein PCSK9-Inhibitor eingesetzt werden. Dies sollte jedoch nur durch den Facharzt erfolgen, und die entsprechende Dokumentation sollte gesichert sein.

Der Einsatz eines Gallensäurebinders in Kombination mit einem Statin kann in Betracht gezogen werden (LoE II b/C [1]), wenn das Therapieziel nicht erreicht wird.

Konsens der Experten

Alle Patienten mit bestehender Indikation für eine medikamentöse Senkung des LDL-C sollten mittels einer schrittweisen Eskalationstherapie auf die individuellen Zielwerte gebracht werden. Die Therapie mit hochpotenten Statinen sollte bis zur maximal tolerierten Höchstdosis bzw. der zugelassenen Höchstdosis gesteigert werden. In der 2. Eskalationsstufe sollte Ezetimib kombiniert werden. In der 3. Eskalationsstufe sollte die Bempedoinsäure zusätzlich verabreicht werden. Bei genereller Unverträglichkeit aller hochintensiven Statine (s. u. Statinunverträglichkeit – Definition und Strategie) kann Bempedoinsäure auch als Alternative zur Statintherapie verordnet werden. Sollte bei Patienten mit manifester ASCVD oder FH mit sehr hohem Risiko das Therapieziel mit den oralen Therapieoptionen nicht erreicht werden, müssen ein PCSK9-Inhibitor oder ein PCSK9-Synthese-Inhibitor ergänzt werden.


Sonderempfehlung: Fast Track der LDL-C-Senkung nach akutem Koronarsyndrom

Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom (ACS) haben ein erhöhtes Rezidivrisiko für erneute ischämische Ereignisse, insbesondere innerhalb des ersten Jahres [10]. Daher empfehlen die 2020 ESC Guidelines für akutes Koronarsyndrom ohne persistierende ST-Strecken-Hebung (NSTE-ACS) die frühe Therapieinitiierung mit hochintensiven Statinen und eine Kontrolle der LDL-C zur Überprüfung des erreichten Wertes und einer Therapieeskalation bereits nach 4 – 6 Wochen [11].

Bei Patienten mit Indikation zu einer sekundärpräventiven LDL-C-Reduktion in einem Zielbereich, der definiert war als ein Wert zwischen 50 – 70 mg/dl, führte die Therapieeinleitung mit einem hochintensiven Statin (Atorvastatin 40 mg oder Rosuvastatinn 20 mg) zu einer vergleichbaren Senkung des LDL-C in den Zielbereich und zu einer nicht unterlegenen Senkung des kombinierten ischämischen Endpunkts wie eine stufenweise Eskalationstherapie [12].

Konsens der Experten

Zur Sekundärprophylaxe bei Patienten mit ACS kann ein beschleunigtes Vorgehen sinnvoll sein. Empfohlen wird der Beginn einer oralen Kombinationstherapie direkt nach dem Ereignis (abhängig von der Differenz von Ausgangswert und Zielwert). Entsprechend kann hier eine frühzeitige Überweisung zum Facharzt sinnvoll sein, um eine zusätzliche Gabe von PCSK9-Inhibitoren oder PCSK9-Synthese-Inhibitoren zu initiieren.


Medikamente

Die Reduktion ischämischer Endpunkte durch die unterschiedlichen pharmakologischen Ansätze zur Senkung des LDL-C ist durch randomisierte Studien und Metaanalysen gut belegt. Das gilt für Statine [13], Ezetimib [14], PCSK9-Antikörper [15], [16] und für die Bempedoinsäure [17]. Studien mit Statinen zeigen darüber hinaus eine konsistente Reduktion der Gesamtmortalität, die in einer Metaanalyse von 26 Studien an 170 000 Patienten auch statistische Signifikanz erreicht [13]. Als Faustregel gilt, dass eine LDL-C-Reduktion um 1,0 mmol/l zu einer Senkung der Gesamtmortalität um 10% führt.

Statine

In Deutschland sind Atorvastatin, Fluvastatin, Lovastatin, Pitavastatin, Pravastatin, Rosuvastatin, Simvastatin zugelassen und mit Ausnahme von Pitavastatin ist der Patentschutz für alle Statine abgelaufen.

Es gibt Unterschiede in der Reduktion des LDL-C unter den einzelnen Statinen ([Tab. 3]).

Tab. 3 Niedrig-, moderat- und hochintensivierte Statintherapie in Bezug auf die zu erwartende LDL-C-Senkung [18].

Statin

Dosierung

niedrige Wirkstärke

mittlere Wirkstärke

hohe Wirkstärke

erreichte Senkung des LDL-Cholesterins

< 30%

30 – 49%

≥ 50%

Atorvastatin

≤ 40 mg

80 mg

Fluvastatin

≤ 40 mg

80 mg

Lovastatin

20 mg

≤ 80 mg

Pitavastatin

≤ 4 mg

Pravastatin

≤ 20 mg

≤ 80 mg

Rosuvastatin

≤ 10 mg

20 – 40 mg

Simvastatin

10 mg

≤ 80 mg

Die FDA (Food and Drug Administration) empfiehlt, Simvastatin 80 mg nicht mehr bei neuen Patienten einzusetzen [19].

Eine Verdopplung der Dosierung des Statins führt zu einer weiteren ca. 6%igen Reduktion des LDL-C-Wertes [20]. Trotzdem sollte die Statintherapie optimiert und das Statin in der maximal tolerierten Dosierung verschrieben werden.

Ältere Statine haben eine kürzere Halbwertszeit und wurden abends verordnet, da die körpereigene Cholesterinsynthese nachts etwas höher ist. Neuere Statine (Atorvastatin, Rosuvastatin) zeigen eine längere Halbwertszeit, sodass der Einnahmezeitpunkt keinen relevanten Effekt auf die Cholesterinsenkung hat [21].

Mit Ausnahme von Pravastatin, Rosuvastatin und Pitavastatin werden die zugelassenen Statine hauptsächlich über den Cytochrom-P450-Metabolismus eliminiert [22].

Bei gleichzeitiger Einnahme der Bempedoinsäure sollte Simvastatin auf eine Dosierung von 20 mg beschränkt werden [23]. Zudem ist die gleichzeitige Gabe folgender Medikamente kontraindiziert: Gemifibrozil, Ciclosporin, Danazol, Lomitapid (bei einer Simvastation-Dosierung von mehr als 40 mg bei Patienten mit homozygoter FH) und mit potenten CYP3A4-Inhibitoren (z. B. Antimykotika, HIV-Protease-Inhibitoren, Makrolide). Die Kombination von Simvastatin in höheren Dosen als 20 mg pro Tag mit Amiodaron, Amlodipin, Verapamil oder Diltiazem sollte vermieden werden [24]. Besondere Beachtung auf die Anfangs- und Maximaldosierungen hat eine eingeschränkte Nierenfunktion unter einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) von 30 ml/min ([Tab. 4]).

Tab. 4 Empfohlene Dosierung der Statintherapie in Bezug auf die Nierenfunktion [24], [25], [26], [27], [28], [29], [30].

Nierenfunktion (GFR)

> 60 ml/min

< 30 ml/min

GFR = glomeruläre Filtrationsrate

Atorvastatin

Eine Erkrankung der Nieren hat keinen Einfluss auf die Plasmaspiegel von Atorvastatin und seine aktiven Metaboliten oder ihre Wirkungen auf die Lipide.

Fluvastatin

Dosierungen über 40 mg/Tag nur unter Vorsicht und Risiko-Nutzen-Abwägung

Lovastatin

Dosierungen über 20 mg/Tag müssen sorgfältig abgewogen werden.

Pitavastatin

Bei der Anwendung von Pitavastatin bei Patienten mit mäßig bis stark eingeschränkter Nierenfunktion ist Vorsicht geboten. Dosissteigerungen sollten nur unter engmaschiger Überwachung vorgenommen werden. Bei schwerer Niereninsuffizienz wird die 4-mg-Dosis nicht empfohlen.

Pravastatin

Anfangsdosis von 10 mg pro Tag wird für Patienten mit einer mäßigen oder schweren Einschränkung der Nierenfunktion empfohlen. Die Dosierung sollte entsprechend dem Ansprechen der Lipidparameter und unter medizinischer Kontrolle angepasst werden.

Rosuvastatin

Kontraindikation für 40-mg-Dosis

generelle Kontraindikation

Simvastatin

Dosierungen über 10 mg/Tag nur unter Vorsicht und Risiko-Nutzen-Abwägung


Ezetimib

Ezetimib wird in einer Dosis von täglich 10 mg verordnet. Nach Daten einer Metaanalyse senkt Ezetimib das LDL-C um 15 – 22% in der Monotherapie [31]. Es ist inzwischen als Generikum verfügbar. Zusätzlich ist Ezetimib in der Fixkombination mit Simvastatin, Atorvastatin, Rosuvastatin und Bempedoinsäure erhältlich.

Die Einnahme von Ezetimib kann nahrungsunabhängig sowohl morgens als auch abends erfolgen. Es wurden keine klinisch bedeutsamen Wechselwirkungen zwischen Ezetimib und Arzneimitteln beobachtet, die bekanntermaßen über die Cytochrom-P450-Enzyme metabolisiert werden. Bei gleichzeitiger Einnahme von Ezetimib und Anionenaustauschern sollte die Einnahme mindestens 2 Stunden vor oder mindestens 4 Stunden nach der Einnahme eines Anionenaustauschers erfolgen. Für Patienten mit Nierenfunktionsstörungen ist keine Dosisanpassung erforderlich [32].


Bempedoinsäure

Die Bempedoinsäure ist ein Prodrug und wird leberspezifisch aktiviert. Dadurch wird die Cholesterin-Biosynthese im Skelettmuskel nicht beeinflusst [33]. Sie ist als Monosubstanz (180 mg Bempedoinsäure) in der N1-Packung und als Fixkombination mit 10 mg Ezetimib (N1 und N3-Packung) erhältlich.

Die Bempedoinsäure senkte das LDL-C um bis zu 28%, gezeigt nach 12 Wochen (primärer Wirksamkeitsendpunkt) vs. Placebo ggf. als „Add-on“ zu Ezetimib und geringer bzw. keiner Statintherapie [34].Bei Bempedoinsäure als Add-on zu hochintensiver Statintherapie plus gegebenenfalls anderen lipidsenkenden Therapien wurde eine zusätzliche LDL-C-Reduktion um 17% vs. Placebo nach 12 Wochen beobachtet [35].

In der Fixdosiskombination mit Ezetimib wurde eine LDL-C-Senkung von bis zu 38% erreicht, gezeigt nach 12 Wochen (primärer Wirksamkeitsendpunkt) vs. Placebo, bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko zusätzlich zu einer Statintherapie in maximal verträglicher Dosis bzw. z. T. ohne Statinbegleittherapie [36]. Die Bempedoinsäure zeigte eine signifikante relative Risikoreduktion von 13% für schwere kardiovaskuläre Ereignisse durch LDL-C-Senkung in der CLEAR-Outcomes-Studie [17].

Zu beachten ist, dass die Bempedoinsäure den Harnsäurespiegel im Serum aufgrund einer Hemmung des renal-tubulären OAT2 erhöhen und eine Hyperurikämie verursachen oder verschlimmern kann. Bei Patienten mit Gicht in der Vorgeschichte kann dies zu einer Verschlimmerung von Gicht bzw. Prädisposition für Gicht führen. Die Behandlung mit der Bempedoinsäure ist abzusetzen, wenn Hyperurikämie zusammen mit Gichtsymptomen auftritt [23].


PCSK9-Antikörper Alirocumab und Evolocumab

Alirocumab und Evolocumab sind humane monoklonale Antikörper und werden subkutan alle 2 Wochen injiziert. Evolocumab kann auch einmal im Monat mit der 3-fachen Wirkstoffmenge verabreicht werden. Die beiden Antikörper sind gut verträglich und senken das LDL-C im Mittel um ca. 60% [37], [38].

Es gilt, die Arzneimittel-Richtlinie Anlage III Nr. 35a – c zu beachten (s. u. Verordnungs- und Erstattungsfähigkeit – nationale und regionale Regelungen).


Inclisiran

Inclisiran ist eine Small interfering RNA (siRNA) und hemmt direkt die intrazelluläre Synthese von PCSK9 in der Leber. Die siRNA bindet an die Messenger-RNA (mRNA) und führt zum spezifischen Abbau der PCSK9-kodierenden mRNA [39].

Eine gepoolte Analyse der Phase-III-Studien ORION-9/-10/-11 zeigte eine placebokorrigierte Veränderung des LDL-C mit Inclisiran an Tag 510 von − 50,7% [40].

Inclisiran ist als Fertigspritze erhältlich und die empfohlene Dosis beträgt 284 mg als subkutane Injektion zu Behandlungsbeginn, nach 3 Monaten und danach alle 6 Monate. Gespritzt wird in den Bauch, Oberarm oder Oberschenkel. Die Applikation soll medizinisches Fachpersonal vornehmen; es ist keine Selbstanwendung vorgesehen [41].

Es gilt, die Arzneimittel-Richtlinie Anlage III Nr. 35a – c zu beachten (s. u. Verordnungs- und Erstattungsfähigkeit – nationale und regionale Regelungen).



Zielwerte

Um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass ein linearer Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer ASCVD und der LDL-C-Konzentration besteht, wurden in den ESC Guidelines die Zielwerte in allen Risikogruppen gesenkt ([Abb. 1]). Bei Patienten mit einem erneuten kardiovaskulären Ereignis innerhalb von 24 Monaten wird das Therapieziel für LDL-C auf < 40 g/dl festgelegt, unabhängig davon, ob das Indexereignis ein ACS war.

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Abb. 1 Darstellung der LDL-C-Zielwerte nach den 2019 ESC Guidelines. ASCVD = arteriosklerotische kardiovaskuläre Erkrankung; CKD = chronische Niereninsuffizienz; DM = Diabetes mellitus; eGFR = geschätzte glomeruläre Filtrationsrate; FH = familiäre Hypercholesterinämie; KV = kardiovaskulär; LDL-C = LDL-Cholesterin; T1DM = Diabetes mellitus Typ 1; T2DM = Diabetes mellitus Typ 2.(Quelle: Mach F, Baigent C, Catapano A et al. 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk: The Task Force for the management of dyslipidaemias of the European Society of Cardiology (ESC) and European Atherosclerosis Society (EAS). Eur Heart J 2020; 41: 111 – 188 [rerif])

Laborkontrollen und Kontrollintervalle

Die ESC Guidelines empfehlen vor Beginn einer lipidsenkenden Medikation mindestens 2 Bestimmungen des LDL-C im Abstand von 1 – 12 Wochen. Ausgenommen sind Umstände, in denen eine sofortige Pharmakotherapie empfohlen wird, wie bei ACS und Patienten mit sehr hohem Risiko. Hier wird ein Kontrollintervall von 4 – 6 Wochen empfohlen. Auftitrationen und Eskalationsstufen sollten in diesem Fall ebenfalls in Intervallen von 4 – 6 Wochen erfolgen, bis ≥ 50% Senkung vom Ausgangswert und ein LDL-C-Zielwert < 1,4 mmol/l (< 55 mg/dl) erreicht wurden. Für Patienten ohne ein ACS werden nach Anpassung der Therapie Kontrollen alle 8 (± 4) Wochen empfohlen, bis der Zielwert erreicht ist. Hat der Patient einen optimalen Lipidspiegel erreicht, wird eine jährliche Kontrolle empfohlen, falls es keine Gründe (bspw. Adhärenzprobleme) für eine häufigere Bestimmung gibt.

Konsens der Expertengruppe

Laborkontrollen in kürzeren Abständen sind für Hausärzte unrealistisch und unpraktikabel. Aus diesem Grund sollten die Laborkontrollen in einem Quartalsrhythmus, d. h. nach 8 – 12 Wochen erfolgen. Ausgenommen sind die Kontrollintervalle bei Patienten nach einem ACS, sehr hohem Risiko und extrem hohem Risiko (siehe Leitdiagramm). Hier wird ein Kontrollintervall von 4 – 6 Wochen empfohlen.


Statinunverträglichkeit – Definition und Strategie

Im klinischen Alltag erschwert die sogenannte SI die Therapie mit Statinen und limitiert das Erreichen der individualisierten Zielwerte. Am häufigsten werden SAMS ohne CK-Erhöhung berichtet. Seltener sind Myopathien mit einer CK-Erhöhung, und die schwere Rhabdomyolyse ist eher eine Rarität. Myalgien ohne CK-Erhöhung sind zu einem großen Teil, aber nicht ausschließlich als Noceboeffekt zu werten. Die Definition der SI ist sehr heterogen. Die National Lipid Association (NLA) definiert SI als die Unverträglichkeit von mindestens 2 Statinen entweder aufgrund von unerwünschten Symptomen oder auffälliger Laboranalysen, die in zeitlichem Zusammenhang mit der Statinbehandlung stehen [42]. Bestandteil der Definition ist die Reversibilität der Symptome nach einer Pause und erneute Provokation durch Reexposition. Andere bekannte Faktoren sind auszuschließen. Wichtig ist, durch eine gute Anamnese mögliche Interaktionen zwischen Statinen und anderen Medikamenten (s. o. Statine) oder Nahrungsmitteln (z. B. Johanniskraut, Grapefruitsaft) auszuschließen ([Tab. 5]).

Tab. 5 Medikamente, die möglicherweise mit CYP3A4-verstoffwechselten Statinen interagieren und das Risiko von Myopathie und Rhabdomyolyse erhöhen [1].

Antiinfektiva

Kalziumantagonisten

sonstige

Itraconazol

Verapamil

Ciclosporin

Ketoconazol

Diltiazem

Danazol

Posaconazol

Amlodipin

Amiodaron

Erythromycin

Ranolazin

Clarithromycin

Grapefruitsaft

Telithromycin

Nefazodon

HIV-Protease-Inhibitoren

Gemfibrozil

Die Bestimmung der CK vor Initiierung einer Statintherapie wird von den 2019 ESC Guidelines empfohlen [1]. Bei einem Ausgangswert > 4-fach des oberen Normalwerts (ULN) sollte der Wert überprüft und die Therapie zunächst zurückgestellt werden. Im Verlauf muss die CK nicht routinemäßig kontrolliert werden, sofern keine Muskelsymptome bestehen, da die Bestimmung der CK weder sensitiv noch spezifisch ist. Die Mehrheit der SAMS ist zudem nicht mit einer CK-Erhöhung assoziiert [43]. Eine Wiederholungsmessung der CK ist nur bei Myalgien, bei Myopathien oder Rhabdomyolyse indiziert [1], [44].

Im Falle einer vermuteten SI wird eine Einnahmepause von 2 – 4 Wochen, in schweren Fällen bis 6 Wochen, zum „Washout“ des Statins empfohlen. Bei Persistenz der Beschwerden sind differenzialdiagnostische Ursachen wie orthopädische Erkrankungen zu klären. Auch neurologische, endokrinologische und systemische inflammatorische Ursachen oder Durchblutungsprobleme sollten bei entsprechender Klinik bedacht werden, siehe OP-EHEA190 461 1.18.

Die Bestimmung von ALT bzw. GPT sollte vor Behandlungsbeginn und 8 – 12 Wochen nach Therapiebeginn oder nach Dosiserhöhung erfolgen. Ohne Zeichen einer Lebererkrankung wird eine regelmäßige Routinekontrolle nicht empfohlen. Bei einem Anstieg der ALT um weniger als der 3-fache ULN sollte eine erneute Kontrolle nach 4 – 6 Wochen erfolgen. Die Statintherapie kann aber weitergeführt werden. Bei einem Anstieg um mehr als der 3-fache ULN sollte die Therapie beendet oder die Dosis reduziert werden. Eine Laborkontrolle sollte nach 4 – 6 Wochen erfolgen. Eine Wiederaufnahme der Therapie oder Dosis kann vorsichtig nach Normalisierung der ALT erfolgen. Bei einer persistierenden Erhöhung der ALT sollten Differenzialdiagnosen untersucht werden.

Kommt es in der Einnahmepause zu einer Verbesserung der Beschwerden, sollte ein anderes Statin in einer zunächst niedrigen Dosis versucht werden. Eine Möglichkeit ist, auch ein lang wirksames Statin zunächst alle 2 Tage einzunehmen.

Bei Intoleranz von mehreren hochintensiven Statinen können andere lipidsenkende Therapien zum Einsatz kommen. Die Alternativen beinhalten Ezetimib in Kombination mit einem Statin in tolerabler Dosis oder als Monotherapie. In der 2019 ESC Guideline kann auch die zusätzliche Gabe eines Gallensäurebinders mit Statin in Betracht gezogen werden. Auf dem deutschen Markt steht mit der Bempedoinsäure ein weiteres orales Medikament zur Lipidsenkung zur Verfügung. Bei gegebener Indikation wird die Therapie mit einem PCSK9-Inhibitor oder einem PCSK9-Synthese-Inhibitor empfohlen (siehe Verordnungs- und Erstattungsfähigkeit).


Verordnungs- und Erstattungsfähigkeit – nationale und regionale Regelungen

In der klinischen Versorgungsrealität in Deutschland werden lipidsenkende Therapien nicht oder nicht in ausreichendem Ausmaß verordnet. Europäische Register mit Blick auf Deutschland sowie Erhebungen verschiedener Krankenkassen in Deutschland zeigen, dass eine deutliche Unterversorgung vorliegt [4], [45]. Beispielsweise wurde im ESC-EORP EUROASPIRE-V-Register an 7824 Patienten in 27 Ländern gezeigt, dass in Deutschland mehr als 70% aller Patienten, die aufgrund einer ASCVD eine Behandlungsindikation mit einem LDL-C Ziel < 55 mg/dl haben, nicht zielgerecht eingestellt werden [46]. Gründe für die unzureichende Verordnung sind vielfältig. Unsicherheit bei der Verordnungs- und Erstattungsfähigkeit und die damit verbundene Gefahr eines Wirtschaftlichkeitsprüfverfahrens mit Nachforderung basieren häufig auf einer Unkenntnis zu den gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen im jeweiligen Gebiet der KV. Daher werden kurze grundsätzliche Hinweise für die Verordnung der Lipidsenker dargestellt.

Zum einen gilt es, die Arzneimittel-Richtlinie zu beachten. Diese Richtlinie regelt gemäß § 92 Absatz 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V die Verordnung von Arzneimitteln mit dem Ziel einer bedarfsgerechten und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten [47]. Die Anlage III gibt einen Überblick über Verordnungseinschränkungen und -ausschlüsse in der Arzneimittelversorgung [48]. Unter der Nummer 35 sind die Regelungen zu den Lipidsenkern aufgeführt. Lipidsenker sind grundsätzlich verordnungsfähig:

  • bei bestehender vaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung [KHK], zerebrovaskuläre Manifestation, periphere arterielle Verschlusskrankheit [pAVK])

  • bei hohem kardiovaskulärem Risiko (über 20% Ereignisrate/10 Jahre auf der Basis der zur Verfügung stehenden Risikokalkulatoren)

  • bei Patienten mit genetisch bestätigtem familiärem Chylomikronämie-Syndrom und einem hohen Risiko für Pankreatitis

Ferner sind in den Nummern 35a – c weitere Verordnungseinschränkungen für Alirocumab, Evolocumab und Inclisiran aufgeführt. So sind diese Wirkstoffe nicht verordnungsfähig, solange sie mit Mehrkosten im Vergleich zu einer Therapie mit anderen Lipidsenkern (Statine, Anionenaustauscher, Cholesterinresorptionshemmer, ACL-Hemmer) verbunden sind [49]. Die Initiierung und Überwachung der Therapie mit diesen Wirkstoffen müssen durch Fachärzte erfolgen. Zudem ist die Ausschöpfung der diätetischen und medikamentösen Vortherapie (Statine und/oder andere Lipidsenker bei Statinkontraindikation) zu beachten.

Zum anderen gilt in Baden-Württemberg die Richtwertesystematik, in der die Arzneimittel in sog. Arzneimitteltherapiebereichen (AT) eingruppiert werden [50]. Speziell im AT10 sind die Lipidsenker zusammengefasst. Die Ausgabe 62 des Verordnungsforums aus September 2022 der KV gibt einen Überblick, was bei Lipidsenkern in Baden-Württemberg zu beachten gilt [51]. Eine Besonderheit ist zudem, dass bestimmte Wirkstoffgruppen in Baden-Württemberg nicht in das Verordnungsvolumen einfließen, sondern als exRW gelten. Hierzu zählen auch Alirocumab, Evolocumab und Inclisiran.

Konsens der Experten

Zum Erreichen der Zielwerte sollten in Baden-Württemberg „Add-on“-Lipidsenker zum Einsatz kommen, falls die LDL-C-Therapieziele trotz Ausschöpfen der diätetischen und medikamentösen Optionen nicht erreicht werden. Der Einsatz muss indikationsgerecht sein und den rechtlichen Vorgaben folgen. Zur Einhaltung der Richtlinien einer wirtschaftlichen Verordnung sollten die Indikation und die individualisierte Entscheidungsbegründung eindeutig und zweifelsfrei dokumentiert sein.


Funding

Die Treffen der Expertengruppe wurden organisiert und finanziell unterstützt durch die Fa. Daiichi Sankyo Deutschland. Das Expertendokument wurde ohne finanzielle Unterstützung verfasst und stellt die Meinung der Autoren dar. Der Sponsor hatte weder Einflussnahme auf die Konzeption noch auf den Inhalt.



Interessenkonflikt

E. Giannitsis ist als Referent für die Firmen AstraZeneca, Daiichi Sankyo, Roche Diagnostics, Lilly Eli, BRAHMS Deutschland, Bayer Vital und Boehringer Deutschland tätig. Er erhält ein Beraterhonorar von der Firma Roche Diagnostics, AstraZeneca, Brahms Deutschland. Die Abteilung hat eine Drittmittelförderung erhalten durch die deutsche Herzstiftung, Gotthard Schettler Stiftung, AstraZeneca, Roche Diagnostics und Daiichi Sankyo. N. Frey ist Referent für Daiichi Sankyo, AstraZeneca, Boehringer Ingelheim und Bayer Vital. W. März ist als Referent tätig und erhält Forschungsunterstützung durch Sanofi-Aventis, Siemens Healthineers, AstraZeneca, Bayer Vital GmbH, bestbion dx GmbH, Boehringer Ingelheim Pharma GmbH Co KG, Immundiagnostik GmbH, Merck Chemicals GmbH, MSD Sharp and Dohme GmbH, Novartis Pharma GmbH, Olink Proteomics, Aegerion Pharmaceuticals, AMGEN, Alexion Pharmaceuticals, BASF, Abbott Diagnostics, Numares AG, Berlin-Chemie, Akzea Therapeutics, und Synlab Holding Deutschland GmbH. D. Dürschmied ist als Referent oder Berater tätig für Boston Scientific, Bayer Healthcare, Daiichi Sankyo, BMS/Pfizer, Leo Pharma. D. Westermann ist als Referent tätig für Abiomed, Bayer, Edwards, Novartis and Medtronic. W. Rottbauer ist als Referent oder Berater tätig für Medtronic, Daiichi Sankyo. M. Gawaz, O. Borst, I. Hilgendorf, W. G. C. von Meißner, N. Smetak, J. Stock und C. Bode haben keine Interessenkonflikte. Die Kosten für die Open-Access-Publikation wurden von der Daiichi Sankyo Deutschland GmbH finanziert.


Korrespondenzadresse

Prof. Evangelos Giannitsis
Medizinische Klinik III
Universitätsklinikum Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 410
69120 Heidelberg
Deutschland   

Publication History

Article published online:
31 July 2024

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Abb. 1 Darstellung der LDL-C-Zielwerte nach den 2019 ESC Guidelines. ASCVD = arteriosklerotische kardiovaskuläre Erkrankung; CKD = chronische Niereninsuffizienz; DM = Diabetes mellitus; eGFR = geschätzte glomeruläre Filtrationsrate; FH = familiäre Hypercholesterinämie; KV = kardiovaskulär; LDL-C = LDL-Cholesterin; T1DM = Diabetes mellitus Typ 1; T2DM = Diabetes mellitus Typ 2.(Quelle: Mach F, Baigent C, Catapano A et al. 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk: The Task Force for the management of dyslipidaemias of the European Society of Cardiology (ESC) and European Atherosclerosis Society (EAS). Eur Heart J 2020; 41: 111 – 188 [rerif])