Hamostaseologie 2024; 44(02): 094
DOI: 10.1055/a-2280-1098
Forum

Thrombozyten: Blutstillung ohne Gerinnselbildung

Kaiser R, Escaig R, Nicolai L.
Hemostasis without clot formation: how platelets guard the vasculature in inflammation, infection, and malignancy.

Blood 2023; Oct 26;
142 (17) 1413-1425 PMID: 37683182.
 

    Im vorliegenden Review fassen R. Kaiser und Kollegen bereits anerkannte und neuere Studien zusammen, die erläutern, wie es den kleinen, kernlosen Thrombozyten gelingt, die vaskuläre Integrität aufrechtzuerhalten, wenn sie mit Herausforderungen wie Infektionen, sterilen Entzündungen und sogar Malignität konfrontiert werden.


    #

    Thrombozyten sind wichtige vaskuläre Effektoren bei der Hämostase, wenn Aktivierungssignale zu einer schnellen Rekrutierung, Aggregation und Gerinnselbildung führen. Der kanonische Prozess der Hämostase ist gut beschrieben und weist viele Ähnlichkeiten mit einer pathologischen Thrombusbildung auf. Thrombozyten sind jedoch auch entscheidend an der Aufrechterhaltung der vaskulären Integrität, sowohl während des Steady-State als auch bei Entzündungen, beteiligt, indem sie die Homöostase der Blutgefäße sicherstellen und Mikroblutungen verhindern. In diesen Situationen nutzen Thrombozyten verschiedene Rezeptoren, Signalwege und daraus resultierende Effektor-Funktionen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Anstatt einfach nur Gerinnsel zu bilden, agieren sie hauptsächlich als individuelle Wächter, die ihr Verhalten schnell an die lokale Mikroumgebung anpassen.

    Die Gruppe analysierte, wie Thrombozyten an der Gefäßwand rekrutiert werden, wie sie Verletzungsstellen erkennen und wie sie als einzelne Zellen Hämorrhagien verhindern. Darüber hinaus erörterten die Autoren die Mechanismen und Folgen der Interaktion von Thrombozyten mit Leukozyten und Endothelzellen, die Relevanz von Adhäsions- und Signalrezeptoren, insbesondere von Rezeptoren Immunrezeptor-Tyrosin-basierten Aktivierungsmotiven, sowie den Cross Talk mit dem Gerinnungssystem. Abschließend wurde im Review dargelegt, wie die jüngsten Erkenntnisse über die entzündliche Hämostase und die vaskuläre Integrität zur Entwicklung neuer therapeutischer Strategien beitragen können, um hämorrhagische Ereignisse und vaskuläre Dysfunktionen bei schwerkranken Patienten zu verhindern.

    Entscheidende Studien des letzten Jahrzehnts haben weiteres Licht auf die komplexe Pathophysiologie geworfen, die der Hämostase ohne Gerinnselbildung zugrunde liegt. Ihre Ergebnisse liefern zahlreiche Belege dafür, dass zur Unterbindung entzündungsbedingter Hämorrhagien die Aktivierung individueller Knotenpunkte der Thrombozyten-Signalwege und, ganz wichtig, eines Thrombozytenphänotyps notwendig ist, dessen Verhalten sich drastisch von der Thrombusbildung und der klassischen, traumabedingten Hämostase unterscheidet.

    Auffallend ist, dass die Thrombozyten, im Gegensatz zu sowohl der klassischen Hämostase als auch Thrombose, überwiegend als Einzelzellen und nicht synzytial als Koagulat agieren, was eine beispiellose Vielseitigkeit, durch Migration mögliche Mobilität und schnelle Reaktionen auf die sich verändernde Mikroumgebung ermöglicht.

    Fazit

    Zunehmendes Wissen über die Vielseitigkeit der Thrombozytenfunktionen (aktivierte, aggregierende Thrombozyten bei Thrombose oder klassischer Hämostase vs. aktive, vielfältig reagierende Thrombozyten bei Entzündungsprozessen) liefert Einblicke in den Prozess der entzündlichen Hämostase und die für viele der Mechanismen verantwortlichen Faktoren. Der Einfluss des inflammatorischen Stimulus und organspezifischen Gefäßbetten muss jedoch geklärt werden, bevor ein therapeutischer Einsatz möglich ist.

    Britta Brudermanns, Köln


    #

    Publikationsverlauf

    Artikel online veröffentlicht:
    30. April 2024

    © 2024. Thieme. All rights reserved.

    Georg Thieme Verlag KG
    Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany