II. Die rechtfertigende Indikation
Die rechtfertigende Indikation ist in § 83 StrlSchG und in § 119 StrlSchV geregelt.
Ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass der behandelnde Arzt vor Anwendung der ionisierenden
Strahlung eine Abwägung zwischen dem gesundheitlichen Nutzen der einzelnen Anwendung
und den mit der Strahlenexposition verbundenen Risiken vorzunehmen hat. Dieser Abwägungsvorgang
gehört zur täglichen Routine eines Radiologen.
Durchleuchtungen sind aus radiologischer Sicht routinierte Tätigkeiten, so dass es
möglicherweise ausreicht, wenn die rechtfertigende Indikation einmalig vor Durchführung
der Untersuchung gestellt wird. Denkbar ist aber auch, dass dies vor jeder Auslösung
ionisierender Strahlung während der dynamischen Röntgenbilddarstellung der Durchleuchtung
erneut erforderlich ist. Letzteres würde dazu führen, dass den behandelnden Ärzten
auch eine entsprechende Dokumentationspflicht für jedes einzelne Stellen der rechtfertigenden
Indikation trifft, was mit einem erheblichen zeitlichen Mehraufwand für den behandelnden
Arzt verbunden wäre. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der seit dem 20.05.2021[
1
] geänderten Fassung des § 85 Abs. 1 StrlSchG und dem damit einhergehenden erhöhten
Dokumentationsaufwand für die rechtfertigende Indikation.[
2
]
Bei einer Durchleuchtung sind eine Vielzahl von Einzeluntersuchungen erforderlich.
Vor diesem Hintergrund erscheint es im Hinblick auf die praktische Durchführung des
Stellens der rechtfertigenden Indikation vor jedem Auslösen der Strahlung bereits
fragwürdig, ob die gesetzliche Regelung in § 83 StrlSchG tatsächlich im Sinne der
Einzellösung verstanden werden kann. Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich
daher mit der Frage nach der Notwendigkeit des mehrfachen Stellens der rechtfertigenden
Indikation bei Durchleuchtungen.
1. Definition
Zur Annäherung an den Begriff der rechtfertigenden Indikation folgt zunächst eine
kurze Darstellung der Verwendung dieses Begriffs durch das Strahlenschutzgesetz. § 83
Abs. 3 S. 1 StrlSchG enthält eine Legaldefinition der rechtfertigenden Indikation.
§ 83 Abs. 3 S. 1 StrlSchG regelt (Hervorhebung nicht im Original):
„Die Anwendung darf erst durchgeführt werden, nachdem ein Arzt oder Zahnarzt mit der erforderlichen Fachkunde im Strahlenschutz entschieden hat, dass und auf welche Weise die Anwendung durchzuführen ist (rechtfertigende Indikation).“
Für die Anwendung ionisierender Strahlung im Rahmen einer medizinischen Exposition
regelt § 83 Abs. 3 S. 2 StrlSchG als zusätzliche Voraussetzung (Hervorhebung nicht
im Original):
„Die rechtfertigende Indikation erfordert bei Anwendungen im Rahmen einer medizinischen
Exposition die Feststellung, dass der gesundheitliche Nutzen der einzelnen Anwendung gegenüber dem Strahlenrisiko überwiegt.“
Ergänzend ist § 83 Abs. 2 StrlSchG heranzuziehen.
Schließlich normiert § 83 Abs. 3 S. 4 StrlSchG (Hervorhebung nicht im Original):
„Die rechtfertigende Indikation darf nur gestellt werden, wenn der Arzt oder Zahnarzt, der die Indikation stellt, die Person, an der ionisierende Strahlung oder radioaktive Stoffe angewendet werden,
vor Ort persönlich untersuchen kann, es sei denn, es liegt ein Fall der Teleradiologie nach § 14 Absatz 2 vor.“
2. Erfordernis der mehrmaligen Stellung der rechtfertigenden Indikation bei Durchleuchtungen
Die oben aufgeführten Definitionen nach § 83 Abs. 3 StrlSchG geben keinen Aufschluss
darüber, wie die rechtfertigende Indikation speziell bei Durchleuchtungen zu stellen
ist. Im Kern geht es darum, ob der einheitliche Ablauf einer Durchleuchtung strahlenschutzrechtlich
in eine Vielzahl von Einzelakten und damit Anwendungen aufzuspalten ist oder diese
in einen Gesamtbetrachtungszusammenhang einzustellen sind. Es ist daher durch Auslegung
der gesetzlichen Regelungen (a.) zu ermitteln, ob im Rahmen von Durchleuchtungen die
rechtfertigende Indikation mehrfach – also im Sinne der Einzellösung – gestellt werden
muss. Sodann soll ein Bezug zu der strahlenschutzrechtlichen Dokumentationspflicht
hergestellt werden (b.), um abschließend unsere Ergebnisse zusammenzufassen (3.).
a. Wortlaut und Telos des Strahlenschutzrechts
Sowohl § 83 Abs. 3 StrlSchG als auch § 119 StrlSchV sprechen von der rechtfertigenden
Indikation im Singular, was für einen einmaligen Vorgang des Stellens spricht. Überdies
ordnet § 83 Abs. 3 S. 1 StrlSchG lediglich in zeitlicher Hinsicht an, dass vor der
Anwendung der ionisierenden Strahlung zu entscheiden ist, dass und auf welche Weise die Anwendung
durchzuführen ist. § 5 Abs. 3 StrlSchG regelt zur Anwendung ionisierender Strahlung
am Menschen (Hervorhebung nicht im Original):
„Anwendung ionisierender Strahlung oder radioaktiver Stoffe am Menschen: Technische
Durchführung
-
einer Untersuchung mit ionisierender Strahlung oder radioaktiven Stoffen und die Befundung der Untersuchung oder
-
einer Behandlung mit ionisierender Strahlung oder radioaktiven Stoffen und die unmittelbare
Überprüfung und Beurteilung des Ergebnisses der Behandlung.“
Zu dem Erfordernis der mehrmaligen Stellung der rechtfertigenden Indikation gelangt
man also nur dann, wenn man strahlenschutzrechtlich eine Mehrzahl von Anwendungen
im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StrlSchG annimmt. In diesem Fall wären jedoch die sonstigen
Strahlenschutzmaßnahmen durch den Strahlenschutzverantwortlichen nach Maßgabe des
Strahlenschutzrechts folgerichtig zu entwickeln.
Dass eine Anwendung ionisierender Strahlung eine Mehrzahl von verschiedenen Einzelakten zu
einer Gesamtanwendung „verklammert“, ergibt sich aber aus einem systematischen Vergleich
zu sonstigen Regelungen des Strahlenschutzrechts. Gemäß § 124 Abs. 1 StrlSchG hat
der Strahlenschutzverantwortliche dafür zu sorgen, dass eine Person, an der ionisierende
Strahlung oder radioaktive Stoffe angewendet werden, vor der Anwendung über das Risiko der Strahlenanwendung informiert wird. Würde man der
der Einzellösung folgen, hätte der die ionisierende Strahlung anwendende Arzt vor
jeder Auslösung neuer ionisierender Strahlung den Patienten erneut über das Risiko
der Strahlenanwendung zu informieren. Im Gegensatz zu den bürgerlich-rechtlichen Aufklärungsvorschriften
(vgl. § 630e Abs. 3 BGB) existiert hierfür auch keine Tatbestandsausnahme.
Dies entspräche nicht dem Telos des Strahlenschutzrechts. Die mit der Umsetzung der
Richtlinie 2013/59/Euratom verbundene umfassende Novellierung des Strahlenschutzrechts
einschließlich des Strahlenschutzvorsorgerechts bezweckt mittels eines eigenständigen
Gesetzes den Strahlenschutz zu verbessern, übersichtlich und vollzugsfreundlich zu
gestalten sowie unnötige bürokratische Hemmnisse abzubauen[
3
]. Das StrlSchG trifft gemäß. § 1 Abs. 1 1. HS StrlSchG Regelungen zum Schutz des
Menschen. Es dient dem Recht zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender
Strahlung. Dabei ist das Recht zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender
Strahlung von fundamentaler Bedeutung für die menschliche Gesundheit[
4
].
Die Aufspaltung einer einheitlichen Anwendung von ionisierender Strahlung in eine
Vielzahl von „Einzelanwendungen“ im Sinne des Strahlenschutzrechts und die damit einhergehende
mehrfache Auslösung von Strahlenschutzmaßnahmen zum Schutz der menschlichen Gesundheit
wäre als reine Förmelei einzuordnen. Denn hierdurch würde das Strahlenschutzrecht
nicht vollzugsfreundlicher gestaltet und unnötige bürokratische Hemmnisse abgebaut.
Vielmehr würde allein das Gegenteil erreicht. Die rechtfertigende Indikation wäre
nicht nur in einer Vielzahl an Fällen zu stellen und auch zu dokumentieren (dazu sogleich),
sondern auch der Patient wäre immer wieder pro forma über das Risiko der Strahlung
zu informieren und nach § 119 Abs. 3 S. 2 StrlSchV über frühere Anwendung ionisierender
Strahlung zu befragen.
All dies würde aber nicht dem Schutzzweck der Norm – nämlich dem Schutz der menschlichen
Gesundheit – dienen, sondern zu einer Überforderung des Arztes führen, der die rechtfertigende
Indikation zu stellen hat. Eine Überforderung des Arztes führt jedoch nicht dazu,
dass die menschliche Gesundheit besser geschützt wird. Vielmehr kann dies dazu führen,
dass die eigentliche Abwägungsentscheidung zwischen Risiko und Nutzen nicht mehr als
solche wahrgenommen, sondern als bloße lästige Pflicht empfunden wird.
b. Bezug zur Aufzeichnungspflicht
In diesem Zusammenhang sind auch die strahlenschutzrechtlichen Aufzeichnungspflichten
in den Blick zu nehmen. § 85 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StrlSchG regeln (Hervorhebung nicht
im Original):
„Der Strahlenschutzverantwortliche hat dafür zu sorgen, dass über die Anwendung ionisierender Strahlung oder radioaktiver Stoffe am Menschen unverzüglich Aufzeichnungen angefertigt werden. Die Aufzeichnungen müssen Folgendes enthalten:
-
Angaben zur rechtfertigenden Indikation und den Zeitpunkt der Indikationsstellung,
-
den Zeitpunkt und die Art der Anwendung […]“
Nach § 85 Abs. 1 S. 1 StrlSchG sind vom Strahlenschutzverantwortlichen über die Anwendung
ionisierender Strahlung unverzüglich Aufzeichnungen anzufertigen[
5
]. Diese Aufzeichnungen haben gemäß § 85 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StrlSchG Angaben zur rechtfertigenden
Indikation und dem Zeitpunkt der Indikationsstellung und weiterhin nach § 85 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchG Angaben über
den Zeitpunkt und die Art der Anwendung der ionisierenden Strahlung zu enthalten.
Würde man also eine Durchleuchtung in eine Mehrzahl von Anwendungen von ionisierender
Strahlung aufspalten, so wären in zeitlicher Hinsichtlich gemäß § 85 Abs. 1 S. 1 unverzüglich
die Aufzeichnungen zu fertigen. Die Aufzeichnungen müssten über jede einzelne Anwendung
Angaben zur rechtfertigenden Indikation, den Zeitpunkt der Indikationsstellung sowie
den Zeitpunkt und die Art der Anwendung enthalten.
Dies zeigt, dass die Einzellösung bei der Anwendung des Gesetzes nicht zutreffend
sein kann. Telos des neuen Strahlenschutzrechts ist, das Strahlenschutzrecht vollzugsfreundlich
zu gestalten sowie unnötige bürokratische Hemmnisse abzubauen. Eine derart überbordende
Dokumentationspflicht für eine Routineuntersuchung wie eine Durchleuchtung würde aber
genau zum Gegenteil führen. Es würde eine Vollzugsfeindlichkeit entstehen, da ein
derartiger Umfang der Dokumentation nicht praktikabel ist, und letztlich bürokratische
Hemmnisse zur bestmöglichen Versorgung der Patienten aufbauen.
3. Ergebnis
Während der Wortlaut der §§ 83 Abs. 3 S. 1, 5 Abs. 3 StrlSchG, 119 StrlSchV noch zu
keinem eindeutigen Auslegungsergebnis führt, spricht der Telos des Strahlenschutzrechts
und eine systematische Wertung in Bezug auf die Dokumentationsanforderungen für die
Gesamtlösung. In verschiedenen Gebührenordnungspositionen (GOP) der Gebührenordnung
für Ärzte (GOÄ) ist die Durchleuchtung im Leistungsumfang der GOP, nach denen Röntgenuntersuchungen
abgerechnet werden, enthalten (so beispielsweise im Rahmen der GOP 5150, 5157, 5165).
Auch dieser Umstand spricht eher dafür, dass ein einheitlicher Vorgang vorliegt, der
eine Einstellung in einen Gesamtbetrachtungszusammenhang nahelegt. Die rechtfertigende
Indikation ist im Rahmen von Durchleuchtungen daher nicht mehrfach zu stellen. Erforderlich
und ausreichend ist im Sinne der Gesamtlösung, dass die rechtfertigende Indikation
einmalig vor der Untersuchung gestellt wird.
III. Die ständige Aufsicht
In Bezug auf die in § 145 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV geregelte ständige Aufsicht ist offen,
welche Anforderungen an die örtliche Nähe und Erreichbarkeit des aufsichtführenden
Arztes zu stellen sind. In Betracht kommt, dass die ständige Aufsicht die permanente
Anwesenheit des Aufsichtsführenden im Behandlungszimmer erforderlich macht oder es
ausreicht, dass der aufsichtführende Arzt im selben Gebäude anwesend und jederzeit
erreichbar ist.
1. Die ständige Aufsicht als unbestimmter Rechtsbegriff
Bei der ständigen Aufsicht handelt es sich um einen sogenannten unbestimmten Rechtsbegriff.
Das bedeutet, dass der Gesetzgeber den Begriff der ständigen Aufsicht nicht legaldefiniert
hat und der aus diesem Grund auslegungsbedürftig ist.
2. Die Aufsicht und die ständige Aufsicht in der Richtlinie zur Strahlenschutzverordnung
Die Richtlinie „Durchführung der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) – Strahlenschutz
in der Medizin – Richtlinie zur Strahlenschutzverordnung (StrlSchV)“ (im Folgenden
„Richtlinie zur Strahlenschutzverordnung“ genannt) enthält in ihrer Anlage B10 Ausführungen zu den Begriffen der Aufsicht und
der ständigen Aufsicht. Bereits die sprachliche Differenzierung zwischen Aufsicht
und ständiger Aufsicht macht deutlich, dass an die ständige Aufsicht gesteigerte Anforderungen
zu stellen sind. Bevor auf die in der Richtlinie zur Strahlenschutzverordnung definierten
Begrifflichkeiten eingegangen wird, ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie im
Jahr 2011 zur Durchführung der alten, nunmehr novellierten Strahlenschutzverordnung
erlassen wurde. Eine Auseinandersetzung mit der Richtlinie zur Strahlenschutzverordnung
erscheint jedoch aus folgendem Gesichtspunkt sinnvoll.
Die Richtlinie definiert in § 82 StrlSchV verwendeten Begriff der Aufsicht. Da § 82
StrlSchV a.F. die Vorgängervorschrift zu § 145 StrlSchV darstellt, ist die Richtlinie
geeignet in ihren Ausführungen zu § 82 StrlSchV Anhaltspunkte zur Handhabung des Begriffs
der Aufsicht zu bieten, wie er nunmehr in § 145 StrlSchV verwendet wird. Zudem ist
zu beachten, dass die Richtlinie bisher nicht außer Kraft gesetzt oder aufgehoben
wurde. Der Richtliniengeber hat bisher daher nicht zum Ausdruck gebracht, dass die
Richtlinie zur alten Strahlenschutzverordnung nicht fortgelten und auf die neue Strahlenschutzverordnung
anwendbar sein soll.
a. Definition der Aufsicht in der Richtlinie zur Strahlenschutzverordnung
Die Anlage B10 zur Richtlinie zur Strahlenschutzverordnung führt zur schlichten Aufsicht zunächst Folgendes aus (Hervorhebung nicht im Original):
„Im Rahmen der technischen Mitwirkung nach § 82 StrlSchV [Vorgängervorschrift zu § 145
StrlSchV] bedeutet Aufsicht eine angemessene persönliche Kontrolle durch die Aufsichtsperson im Hinblick auf die Einhaltung der erforderlichen Strahlenschutzmaßnahmen
sowie die fachliche Qualitätssicherung bei den genehmigten Tätigkeiten zur Anwendung
radioaktiver Stoffe oder beim Betrieb von Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlen.
Die angemessene persönliche Kontrolle erfordert in Abhängigkeit von der Qualifikation
der zu beaufsichtigenden Person und deren Tätigkeiten nur in besonderen Fällen, z. B. bei der Ausbildung, bei der Einarbeitung oder bei besonderen Strahlenrisiken
die physische Anwesenheit der Aufsichtsperson in direkter räumlicher Nähe.“
b. Definition der ständigen Aufsicht in der Richtlinie zur Strahlenschutzverordnung
Die ständige Aufsicht hingegen wird wie folgt definiert (Hervorhebung nicht im Original):
„Die ständige Aufsicht im Sinne von § 82 Absatz 1 Nummer 2 StrlSchV […] erfordert
grundsätzlich während der Anwendung zum einen die Anwesenheit der Person nach § 82 Absatz 1 Nummer 1 StrlSchV direkt am Arbeitsplatz der zu beaufsichtigenden Person sowie zum anderen deren laufende Überwachung, so dass die Aufsichtsperson jederzeit und unabhängig von dem Verhalten der zu beaufsichtigenden
Person rechtzeitig eingreifen kann, z. B. bei einem irregulärem Betriebsablauf mit
erhöhten Strahlenrisiken oder bei einer eventuellen Fehlhandlung.“
Die Anlage B 10 zur Richtlinie zur Strahlenschutzverordnung legt daher bereits nahe,
dass in Abgrenzung zur (schlichten) Aufsicht die ständige Aufsicht gesteigerte Anforderungen
an die physische Anwesenheit der aufsichtführenden Person enthält. So reicht die direkte
räumliche Nähe durch eine angemessene persönliche Kontrolle nicht aus; vielmehr ist
eine Anwesenheit direkt am Arbeitsplatz erforderlich, um eine laufende Überwachung
zu gewährleisten.
Im Hinblick auf die Rechtsnatur der Richtlinie ist jedoch zu beachten, dass es sich
bei dieser um eine Verwaltungsvorschrift handelt, der keine rechtliche Verbindlichkeit
zukommt.[
6
] Auch die Rechtsprechung geht davon aus, dass es sich bei der Richtlinie zur Strahlenschutzverordnung
um keine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift handelt. Dies hat zur Folge, dass
die Gerichte bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der ständigen Aufsicht
nicht an die Richtlinie gebunden sind[
7
]. Insofern stellt sich daher die Frage, wie der Begriff der ständigen Aufsicht in
der juristischen Literatur und Rechtsprechung verstanden wird.
3. Der Begriff der ständigen Aufsicht in der Literatur
Bevor durch die neue Strahlenschutzverordnung[
8
] in § 145 der zur Anwendung von ionisierender Strahlung berechtigte Personenkreis
geregelt worden ist, war dieser einerseits in § 82 StrlSchV[
9
] und in § 24 RöV[
10
] niedergelegt. In § 24 Abs. 1 Nr. 3 RöV, der auf die Anwendung von Röntgenstrahlen
am Menschen Anwendung fand, war geregelt, dass eine ständige Aufsicht erforderlich
ist. Demgegenüber wurde in § 82 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV in der Fassung vom 20.07.2001
lediglich der Begriff der „Aufsicht“ im Verordnungstext verwandt.
Mit Wirkung vom 04.10.2011 wurde die Bestimmung des § 82 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV jedoch
angepasst.[
11
] Hierbei wurde der Begriff der „Aufsicht“ durch die „ständige Aufsicht“ ersetzt.
Dies zeigt, dass die Anforderungen an die Aufsicht verschärft werden sollten. Die
Durchführungshilfen zum Strahlenschutz in der Medizin führen zu der Fassung der Vorgängernorm
des § 82 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV zu den Anforderungen an die schlichte Aufsicht aus, dass soweit die persönliche Anwesenheit des Arztes mit der erforderlichen
Fachkunde nicht dauerhaft erforderlich ist, dieser jederzeit auf Abruf in nicht mehr
als 15 Minuten vor Ort sein muss. In bestimmten Fällen, insbesondere bei der Behandlung,
kann sogar die ständige persönliche Anwesenheit erforderlich sein[
12
].
Auch nach einer anderen Ansicht zum bis zum 04.10.2011 geltenden § 82 Abs. 1 Nr. 2
StrlSchV ist der Begriff der „schlichten“ Aufsicht so zu verstehen, dass eine jederzeitige
Erreichbarkeit sowie eine örtliche unmittelbare Nähe gegeben sein muss[
13
].
Zu beachten ist in vielen Fällen jedoch, dass nach der früheren Rechtslage nicht § 82
StrlSchV a.F. anzuwenden gewesen wäre, sondern § 24 Abs. 1 Nr. 3 RöV. Nach der alten
Rechtslage, das heißt bevor die alte Strahlenschutzverordnung und die Röntgenverordnung
in der neuen Strahlenschutzverordnung, die seit dem 31.12.2018 gültig ist, vereint
wurden, haben die Röntgenverordnung und die Strahlenschutzverordnung unterschiedliche
Bereiche geregelt. Die StrlSchV erfasste gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) aa) und d)
StrlSchV a.F. insbesondere den Bereich der Anwendung radioaktiver Stoffe in der Nuklearmedizin
und regelte die Strahlentherapie mit Einrichtungen, die mit ionisierender Strahlung
oberhalb einer Energiegrenze von einem Megaelektronvolt von Elektronen beschleunigen[
14
].
Demgegenüber galt die RöV gemäß § 1 RöV für alle Röntgendiagnostikeinrichtungen, in
denen Röntgenstrahlung mit einer Grenzenergie von mindestens fünf Kiloelektronvolt
durch beschleunigte Elektronen erzeugt werden kann und diese Beschleunigung der Elektronen
auf eine Energie von einem Megaelektronvolt begrenzt ist. Dazu zählen insbesondere
Einrichtungen, die zur Untersuchung und Behandlung von Menschen eingesetzt werden
beschleunigen[
15
].
Für viele Untersuchungen ergab sich daher nicht die Anwendung von § 82 StrlSchV a.F.,
sondern die des § 24 RöV, der in Abs. 1 Nr. 3 ebenfalls den Begriff der ständigen
Aufsicht enthielt. Der Begriff der „ständigen Aufsicht“ nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 RöV,
sowie der Vorgängervorschrift in § 23 Nr. 2 RöV wurde von der Literatur wie folgt
definiert (Hervorhebung nicht im Original):
„Ständige Aufsicht und Verantwortung bedeuten, dass die kontroll- und weisungsberechtigte
Person nach Nr. 1 jederzeit erreichbar sein und sich örtlich in unmittelbarer Nähe aufhalten muss, damit sie die Anwendung der Röntgenstrahlen laufend überwachen und korrigieren sowie die eventuell erforderlich werdenden Entscheidungen treffen kann.“[
16
]
Diese Definition ist der Definition der ständigen Aufsicht, die die Richtlinie zur
Strahlenschutzverordnung zu § 82 StrlSchV a.F. enthält, sehr ähnlich. Beide Definitionen
enthalten die begriffsdefinitorischen Elemente der laufenden Überwachung sowie die
jederzeitige Eingriffs- bzw. Korrekturmöglichkeit des Aufsichtführenden. Die von der
Literatur vertretene Definition zu § 24 RöV a.F. fordert aber, anders als die zu § 82
StrlSchV a.F. nicht die Anwesenheit am Arbeitsplatz oder die Eingriffsmöglichkeit
des Aufsichtführenden unabhängig vom Verhalten der zu beaufsichtigenden Person. Insofern
enthält die Definition in der Richtlinie zur Strahlenschutzverordnung, die bis heute
nicht ersetzt worden ist, strengere Anforderungen.
4. Ansicht des Bayerischen Ministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz zum Begriff
der ständigen Aufsicht
Das Bayerische Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz hat sich in einer Stellungnahme
im Rahmen der Länderbeteiligung zur Verordnung zur weiteren Modernisierung des Strahlenschutzrechts
am 30.05.2018 dahingehend geäußert, dass die Begrifflichkeit der „ständigen Aufsicht“
durch die „Aufsicht“ ersetzt werden sollte.
Die ständige Aufsicht sei bei nichtfachkundigen Ärzten nur in bestimmten Situationen
erforderlich, die der fachkundige Arzt im Rahmen seiner Verantwortung selbst festlegen
kann und muss. Die normale Aufsicht bei entsprechender Auflage zur jederzeitigen Erreichbarkeit
des fachkundigen Arztes und dessen Anwesenheit innerhalb von höchstens 15 Minuten
sei für den Strahlenschutz völlig ausreichend[
17
].
Umgesetzt wurde dieser Änderungsvorschlag ausweislich der aktuellen Fassung des § 145
Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV allerdings nicht. Für den hier zu untersuchenden Umfang der
ständigen Aufsicht ist aber festzuhalten, dass das Bayerische Ministerium für Umwelt
und Verbraucherschutz sehr wohl annimmt, dass an eine ständige Aufsicht strengere
Anforderungen zu stellen sind als an die einfache Aufsicht. Zudem kann man annehmen,
dass das Bayerische Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz bei der ständigen
Aufsicht die Anwesenheit des Aufsichtführenden am Arbeitsplatz für erforderlich hält.
5. Der Begriff der ständigen Aufsicht in der Rechtsprechung
Zur Konturierung des Begriffs der ständigen Aufsicht lohnt es sich, im Nachfolgenden
auch auf die ergangene Rechtsprechung einzugehen.
a. OLG Stuttgart, Urteil vom 24.11.1982, Az.: 1 U 66/82
Zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „ständigen Aufsicht“ hat das OLG
Stuttgart in einer Entscheidung vom 24.11.1982[
18
] sowohl für die frühere StrlSchV, als auch die RöV festgestellt, dass dieser nicht
statisch, sondern unter Berücksichtigung der Qualifikation und Zuverlässigkeit des
eingesetzten Assistenzpersonals auszulegen ist (Hervorhebung nicht im Original):
„Hierbei ist einerseits die besondere Gefährlichkeit der Strahlentherapie und andererseits
die Qualifikation und Zuverlässigkeit des eingesetzten Assistenzpersonals zu berücksichtigen.
Wenn – wie im vorliegenden Fall – der bei der Röntgenbehandlung eingesetzte Röntgenassistent
gut qualifiziert ist und bisher stets zuverlässig gearbeitet hat, kann sicher nicht gefordert werden, daß der delegierende Arzt seinen Mitarbeitern ständig über die Schulter schauen muß. Wer das fordert, hebt sämtliche Vorteile arbeitsteiliger Tätigkeitsformen zwischen
Arzt und nicht-ärztlichem Mitarbeiter auf (vgl. Hahn NJW 81, 1977, 1984). Auf der
anderen Seite ist es entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht ausreichend, daß ein Arzt innerhalb von 15 Minuten auf Abruf zur Verfügung steht. Bei einer solchen Rufbereitschaft des Arztes ist ein korrigierendes
Eingreifen z. B. bei der Einstellung des Bestrahlungsfeldes oder der Bestrahlungsdosis
nicht gewährleistet. Der Senat schließt sich deshalb der Ansicht des Sachverständigen,
Prof. Dr. L, an, daß eine Strahlentherapie ‚unter Aufsicht eines Arztes‘ nur dann
anzunehmen ist, wenn ein Arzt mit entsprechender Ausbildung jederzeit verfügbar ist, um bei während der Behandlung auftretenden Problemen helfen bzw. auf Fragen
des Patienten eingehen zu können“
Das OLG Stuttgart verweist in der zitierten Textpassage darauf, dass es aus seiner
Sicht zwar nicht erforderlich ist, dass der delegierende Arzt seinen Mitarbeitern
ständig über die Schulter schaut; gleichzeitig stellt es aber auch klar, dass es nicht
ausreichend ist, wenn ein Arzt innerhalb von 15 Minuten auf Abruf zur Verfügung steht.
b. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.2012, Az.: 10 S 1340/12
Der VGH Baden-Württemberg hat in seinem Urteil vom 17.12.2012[
19
] zum Begriff der ständigen Aufsicht Folgendes ausgeführt, wobei zu beachten ist,
dass sich die Ausführungen nicht auf § 145 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV beziehen, sondern
auf § 82 Abs. 2 Nr. 4 StrlSchV a.F. der dem Wortlaut nach § 145 Abs. 2 Nr. 5 StrlSchV
entspricht. Das Urteil ist jedoch nicht nur für das Fachgebiet der Strahlentherapie,
sondern auch für die Radiologie von Bedeutung, weil der VGH die Auffassung vertreten
hat, dass an die ständige Aufsicht und Verantwortung nach der RöV keine geringeren
Anforderungen als im Rahmen der früheren StrlSchV (vom 20.07.2001, BGBl. I, S. 1714)
gestellt werden (Hervorhebung nicht im Original):
„Der Begriff der ständigen Aufsicht und Verantwortung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Inhalt durch Auslegung zu ermitteln ist. Dabei können an die ständige Aufsicht und Verantwortung im Sinne
der Nrn. 3, 4 und 5 des § 82 Abs. 2 StrlSchV jeweils unterschiedliche Anforderungen zu stellen sein, da die zu beaufsichtigenden Personen unterschiedliche Qualifikationen aufweisen. Im Bereich der hier maßgeblichen Nr. 4 StrlSchV verfügen diese Personen
über eine sonstige medizinische Ausbildung. Die ständige Aufsicht und Verantwortung muss die fehlende Fachkunde der Personen nach § 82 Abs. 2 Nr. 4 StrlSchV kompensieren. Die Intensität der Aufsicht kann zudem je nach Art der technischen Mitwirkung und den damit verbundenen Risiken variieren.
[…]
Der Wortlaut
‚ständige‘
bringt zum Ausdruck, dass die Aufsicht fortlaufend erfolgen muss. Eine auf Stichproben beschränkte Kontrolle ist damit jedenfalls dann nicht zu vereinbaren, wenn es sich – wie hier – um Tätigkeiten handelt, die mit erheblichen Risiken für die Gesundheit des Patienten verbunden sind. Nach dem Schutzkonzept des § 82 Abs. 2 Nr. 4 StrlSchV hat die ständige Aufsicht
die fehlende Fachkunde der zu beaufsichtigenden Person zu kompensieren, was durch
bloße Stichproben nicht möglich ist. Der fachkundige Arzt, der die Aufsicht führt, muss vielmehr bei jeder Behandlung die risikoreichen Tätigkeiten überprüfen, etwa ob der Patient zum Zeitpunkt des Auslösens der Bestrahlung richtig positioniert
ist.
Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach es für die ständige Aufsicht und Verantwortung ausreicht, dass ein Arzt mit entsprechender Ausbildung jederzeit verfügbar sei, um bei während der Behandlung auftretenden Problemen helfen bzw. auf Fragen
des Patienten eingehen zu können. Erst recht reicht es nicht aus, dass der fachkundige Arzt, wie es die Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin
2011 in den Begriffsbestimmungen in Anlage B 10 vorsieht, innerhalb von 15 Minuten herbeigerufen werden kann. Mit dem Zweck der ständigen Aufsicht, die fehlende Fachkunde der zu
beaufsichtigenden Person zu kompensieren, ist es nicht zu vereinbaren, dass die zu beaufsichtigende Person die Aufsicht durch
Herbeirufen des Arztes einfordern muss, auch wenn dies angesichts der Gegebenheiten
in der Praxis der Klägerin binnen Sekunden möglich wäre. Es darf nicht von der Entscheidung
der zu beaufsichtigenden Person abhängen, wann eine Aufsicht stattfindet. Der Senat ist daher der Überzeugung, dass es jedenfalls bei den hier in Rede stehenden
risikoreichen Tätigkeiten der technischen Mitwirkung beim eigentlichen Bestrahlungsvorgang
erforderlich ist, dass der fachkundige Arzt die Person nach § 82 Abs. 2 Nr. 4 StrlSchV
laufend überwacht und jederzeit korrigierend eingreifen kann.
[…]
Der Wortlaut der ständigen Aufsicht schließt auch die Beaufsichtigung in direkter
räumlicher Nähe ein. Der Schutzzweck der ständigen Aufsicht in § 82 Abs.
2 Nr. 4
StrlSchV, die fehlende Fachkunde der zu beaufsichtigenden Person auszugleichen, erfordert es ebenfalls, auch die Beaufsichtigung in direkter räumlicher Nähe als
eine Art der ständigen Aufsicht zu betrachten.“
Der VGH Baden-Württemberg vertritt daher die Rechtsauffassung, dass die Intensität
der Aufsicht je nach Art der technischen Mitwirkung und den damit verbundenen Risiken
variieren kann.
c. Analyse der Entscheidungen und Schlussfolgerungen
Im Hinblick auf das Urteil des VGH Baden-Württemberg sind zwei Besonderheiten zu beachten.
Der VGH Baden-Württemberg hat sich in seinem Urteil vom 17.12.2012 zum Begriff der
ständigen Aufsicht zwar geäußert. Wie bereits eingangs erwähnt, beziehen sich seine
Ausführungen jedoch nicht auf § 145 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV, sondern auf § 82 Abs. 2
Nr. 4 StrlSchV a.F. Da die beiden Normen aber ihrem Wortlaut nach identisch sind,
dürften die Ausführungen übertragbar sein. § 145 Abs. 2 Nr. 5 StrlSchV regelt, dass
bei Personen, die über eine erfolgreich abgeschlossene sonstige medizinische Ausbildung
verfügen, die ständige Aufsicht einer Person mit der erforderlichen Fachkunde im Strahlenschutz
erforderlich ist.
Ferner ist zu beachten, dass Gegenstand des Urteils der Einsatz eines Linearbeschleunigers
Tomotherapie Hi-Art zu einer Bestrahlungstherapie – also eine besonders risikoreiche
Form der Behandlung mittels ionisierender Strahlung – war. Das Urteil ist jedoch nicht
nur für das Fachgebiet der Strahlentherapie, sondern auch für die Radiologie von Bedeutung,
weil der VGH die Auffassung vertreten hat, dass an die ständige Aufsicht und Verantwortung
nach der RöV keine geringeren Anforderungen als im Rahmen der früheren StrlSchV (vom
20.07.2001, BGBl. I, S. 1714) gestellt werden[
20
].
Nach Ansicht des VGH Baden-Württemberg ist die ständige Aufsicht ein unbestimmter
Rechtsbegriff, dessen Inhalt durch Auslegung zu ermitteln ist. Dabei können an die
ständige Aufsicht und Verantwortung jeweils unterschiedliche Anforderungen zu stellen
sein, da die zu beaufsichtigenden Personen unterschiedliche Qualifikationen aufweisen.
Damit schließt sich der VGH Baden-Württemberg im Ergebnis den Ausführungen des OLG
Stuttgart in seinem Urteil vom 24.11.1982 an, wonach der Umfang der Aufsichtspflicht
des delegierenden Arztes u. a. von der Qualifikation und Zuverlässigkeit des Assistenzpersonals
abhängig ist[
21
].
Wegen der vom VGH Baden-Württemberg ausgeführten Möglichkeit, dass an die ständige
Aufsicht und Verantwortung unterschiedliche Anforderungen zu stellen sein können,
kann vorliegend nicht ausgeschlossen werden, dass an die ständige Aufsicht im Fall
des § 145 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV andere Anforderungen zu stellen sind als an den Begriff
der ständigen Aufsicht nach § 145 Abs. 2 Nr. 5 StrlSchV. Die Aussage des VGH Baden-Württemberg,
nach der die Intensität der Aufsicht je nach Art der technischen Mitwirkung und den
damit verbundenen Risiken variieren kann, legt nahe, dass in einem solchen Fall nach
§ 145 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV möglicherweise geringere Anforderungen an die Intensität
der Aufsicht zu stellen sind.
Der Grund für diese Annahme sind die mit der Anwendung der ionisierenden Strahlung
verbundenen Risiken. Diese unterscheiden sich im Fall der Anwendung ionisierender
Strahlung bei einer Durchleuchtung von den Risiken, die von der Anwendung ionisierender
Strahlung im Rahmen der Strahlentherapie ausgehen, die dem Sachverhalt in dem Urteil
des VGH Baden-Württemberg zugrunde lag. Der dem Urteil des VGH Baden-Württemberg zugrunde
liegende Sachverhalt beschreibt eine Bestrahlungstherapie, bei der bewusst eine hohe
Strahlendosis eingesetzt wird, um Tumorzellen zu schädigen. Mit der Höhe der Strahlendosis
nimmt auch das Gefährdungspotential bei einer Fehlbestrahlung zu[
22
]. Die Strahlenexposition bei einer Durchleuchtung unterscheidet sich insofern von
einer Bestrahlungstherapie, als dass die Strahlung zur Diagnostik und nicht zur Therapie
eingesetzt wird, um Tumorzellen zu schädigen. Bei einer Durchleuchtung ist der Arzt
daher verpflichtet, die Strahlenexposition möglichst gering zu halten. Der Einsatz
der ionisierenden Strahlung dient hier lediglich dazu, im Rahmen der radiologischen
Untersuchung dynamische Vorgänge, Strukturen und Gefäße im Körper sichtbar zu machen.
Diese Divergenz in der Zwecksetzung der Anwendung ionisierender Strahlung spricht
daher auch dafür, dass bei einer Durchleuchtung andere Anforderungen an die ständige
Aufsicht zu stellen sind.
Nach Ansicht des VGH Baden-Württemberg läuft allerdings eine stichprobenartige Kontrolle
dem Begriff der ständigen Aufsicht zuwider[
23
]. Das Wort „ständig“ bringe viel mehr zum Ausdruck, dass die Aufsicht fortlaufend
erfolgen muss. Insofern kann festgehalten werden, dass es nicht ausreichen dürfte,
wenn der aufsichtführende Arzt den zu beaufsichtigenden Arzt bei der Durchführung
seiner Untersuchung nur in zufällig ausgewählten Momenten kontrolliert. Ebenso wenig
reicht es aber aus, wenn der zu beaufsichtigende Arzt die Aufsicht durch Herbeirufen
des aufsichtführenden Arztes herbeiführen muss.
Diese Ansicht vertritt nicht nur der VGH Baden-Württemberg, sondern auch der Bayerische
Verwaltungsgerichtshof in seinen Urteilen vom 14.04.2008[
24
]. Der Bayerische VGH verweist in seinen Urteilen darauf, dass der Begriff der ständigen
Aufsicht und Verantwortung im Sinne von § 24 Abs. 1 Nr. 3 RöV verlange, dass sich
der verantwortliche Radiologe in unmittelbarer Nähe aufhalten und die Tätigkeit laufend
überwachen müsse, um erforderlichenfalls jederzeit korrigierend eingreifen zu können[
25
].
Nicht unberücksichtigt bleiben darf im Zusammenhang mit der Frage nach den Anforderungen
an die ständige Aufsicht, dass sich sowohl das Urteil des VGH Baden-Württemberg als
auch das des Bayerischen VGH auf die alte Rechtslage beziehen, nach der zwischen der
Röntgenverordnung und der Strahlenschutzverordnung differenziert wurde. Der Bayerische
VGH hatte in seinem Urteil über den Begriff der ständigen Aufsicht im Sinne des § 24
Abs. 1 Nr. 3 RöV zu entscheiden; der VGH Baden-Württemberg hat die Rechtsprechung
des Bayerischen VGH zum Begriff der ständigen Aufsicht im Sinne der RöV auf den Begriff
der ständigen Aufsicht nach § 82 Abs. 2 Nr. 4 StrlSchV a.F. bezogen.
Fraglich ist, wie die Forderung des VGH Baden-Württemberg für den Fall der Durchleuchtung
umzusetzen ist. Nach Ansicht des VGH muss der fachkundige Arzt, der die Aufsicht führt,
bei jeder Behandlung die risikoreichen Tätigkeiten überprüfen, etwa ob der Patient
zum Zeitpunkt des Auslösens der Bestrahlung richtig positioniert ist.
Dies führt zu der Frage, ob bei einer Durchleuchtung für jedes einzelne Auslösen der
Strahlung eine Überprüfung notwendig wäre. Dies wiederrum würde im Ergebnis dazu führen,
dass die Überwachung des aufsichtführenden Arztes einer dauerhaften Überwachung –
jedenfalls in weiten Teilen der Untersuchung – gleichkommen würde. Die Entscheidung
des VGH Baden-Württemberg erging zu den Anforderungen an die ständige Aufsicht in
der Strahlentherapie nach § 82 StrlSchV a.F. Die Anforderungen sind auf eine Röntgenuntersuchung
daher nicht übertragbar. Denn nur die Strahlentherapie erfordert aufgrund der Gefährlichkeit
des Eingriffs eine genaue Positionierung des Patienten. Zudem bezogen sich die Ausführungen
auf die Überwachung des nichtärztlichen Personals § 82 Abs. 2 Nr. 4 StrlSchV a.F.
und nicht des ärztlichen Personals ohne entsprechende Fachkunde nach § 82 Abs. 1 Nr. 2
StrlSchV a.F. Die Überwachung des nichtärztlichen Personals unterliegt jedoch aufgrund
deren geringerer medizinischer Ausbildung strengeren Anforderungen als die Überwachung
des ärztlichen Personals.
Während der Durchleuchtung ist zudem grundsätzlich nicht davon auszugehen, dass sich
der Patient, während er der ionisierenden Strahlung in einem engen zeitlichen Rahmen
ausgesetzt ist, so viel bewegt, dass er nicht mehr richtig positioniert ist. Es erscheint
daher fraglich, ob sich die ärztliche Aufsicht tatsächlich auch darauf erstrecken
muss, laufend zu prüfen, ob der Patient noch richtig positioniert ist.
Zum einen kann ein Arzt nach § 145 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV zwar nur über die erforderlichen
Kenntnisse, nicht jedoch über die erforderliche Fachkunde im Strahlenschutz nach Abs. 1
Nr. 1 verfügt, die zutreffende Positionierung des Patienten während der Durchleuchtung
aufgrund seiner fachärztlichen Kompetenz jederzeit überprüfen. Hierzu bedarf es nicht
des aufsichtführenden Arztes mit Fachkunde nach § 145 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV. Zudem
besteht nur ein geringes Risiko einer Änderung der Positionierung durch den Patienten,
da der Patient sich in der Regel nicht viel bewegen können wird. Im Ergebnis würden
an die Aufsicht in diesem Fall strengere Anforderungen gestellt, als bei der deutlich
risikoreicheren Strahlentherapie unter dem Einsatz eines Linearbeschleunigers. Daher
ist es nicht erforderlich, dass der Arzt mit Fachkunde nach § 145 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV
eine mehrfache Überprüfung der Positionierung des Patienten vornehmen muss. Dies kann
von dem ausführenden Arzt nach § 145 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV übernommen werden.
Zudem führt der VGH Baden-Württemberg in seinem Urteil aus, dass der Wortlaut der
ständigen Aufsicht auch die Beaufsichtigung in direkter räumlicher Nähe einschließt.
Auch der Schutzzweck der Norm, bei dem der VGH auf den Ausgleich der fehlenden Fachkunde
abstellt, lässt die Beaufsichtigung in direkter räumlicher Nähe als eine Art der ständigen
Aufsicht zu. Dies könnte bedeuten, dass eine Aufsichtsführung von einem Raum, der
unmittelbar an den Raum, in dem die Durchleuchtung durchgeführt wird, angrenzt, zulässig
ist. Dies beruht darauf, dass der VGH nicht zugleich festgestellt hat, dass die räumliche
Nähe den Aufenthalt im selben Raum voraussetzt. Vielmehr legt der Begriff der Nähe,
der eine geringe Entfernung meint, nahe, dass der räumliche Bezug, der zwischen der
aufsichtführenden und der zu beaufsichtigenden Person bestehen muss, nicht durch den
Aufenthalt im selben Raum definiert wird, sondern durch eine raumübergreifende Nähe,
die eine Aufsichtsführung vom Nachbarraum aus ermöglichen würde.
Auch das oben zitierte Urteil des OLG Stuttgart vertritt die Ansicht, dass eine Anwesenheit
im selben Raum nicht zur Ausübung der ständigen Aufsicht erforderlich ist. So führt
das OLG Stuttgart ganz konkret aus, dass der aufsichtführende Arzt seinen Mitarbeitern
nicht ständig über die Schulter gucken können muss.
Ausdrücklich offen gelassen hat der VGH Baden-Württemberg in seinem Urteil die Frage,
ob die Anforderungen an die ständige Aufsicht und Verantwortung des fachkundigen Arztes
über die Person nach § 82 Abs. 2 Nr. 4 StrlSchV a.F. gelockert werden kann, wenn zumindest
eine der mitwirkenden Personen selbst über die erforderliche Fachkunde verfügt.
In Bezug auf die Anforderungen an die ständige Aufsicht lässt sich jedenfalls festhalten,
dass eine stichprobenhafte Kontrolle des aufsichtführenden Arztes nicht ausreichend
ist. Wichtig ist auch, dass es nicht von der zu beaufsichtigenden Person abhängen
darf, wann der aufsichtführende Arzt seiner Aufsichtspflicht nachkommt. Damit soll
eine Aufsichtsführung „auf Abruf“ ausgeschlossen werden.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der aufsichtführende Arzt auch wissen muss, dass
er die Aufsicht führt; ansonsten kann er der Aufsichtsführung nicht aktiv gestaltend
nachkommen. Weiterhin setzt die Aufsichtsführung voraus, dass der aufsichtführende
Arzt weisungsbefugt ist. Auch über diese Weisungsbefugnis muss sich der aufsichtführende
Arzt bewusst sein.
Die beiden letztgenannten Punkte gewinnen insbesondere im arbeitsteiligen Zusammenarbeiten
zwischen den Ärzten in einer Abteilung Bedeutung. Verfügt ein Arzt nur über die für
die Anwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlung erforderlichen Kenntnisse
im Strahlenschutz und soll die Anwendung der ionisierenden Strahlung unter ständiger
Aufsicht eines anderen Arztes geschehen, muss zunächst einmal auf Grund schuldrechtlicher
Vereinbarungen sichergestellt sein, dass ein angestellter Arzt einem anderen angestellten
Arzt, der in der medizinischen Hierarchie ggf. über ihm steht, Weisungen erteilen
darf und dies muss ihm auch gewahr sein. Darüber hinaus muss das Weisungsverhältnis
auch tatsächlich so gewollt sein bzw. praktiziert werden, damit nicht der Verdacht
eines Scheingeschäfts i. S. d. § 117 Abs. 1 BGB entsteht. Schließlich ist anzuraten,
dass eben jenes Weisungsverhältnis auch in der Patientenakte ausdrücklich dokumentiert
wird.
6. Zusammenfassende Auswertung der Ansichten bezüglich des Begriffs der ständigen
Aufsicht
Die Ansichten in der Literatur und Rechtsprechung legen eine enge Auslegung des Begriffs
der ständigen Aufsicht nahe. Aus der Literatur sind nur Auffassungen bezüglich des
Begriffs der Aufsicht bekannt. Aus der Rechtsprechung ergeben sich folgende Gesichtspunkte:
-
die ständige Aufsicht und Verantwortung muss die fehlende Fachkunde der Personen kompensieren,
-
die Intensität der Aufsicht kann je nach Art der technischen Mitwirkung und den damit
verbundenen Risiken variieren,
-
die Aufsicht muss fortlaufend erfolgen; eine auf Stichproben beschränkte Kontrolle
ist damit jedenfalls nicht zu vereinbaren,
-
der fachkundige Arzt, der die Aufsicht führt, muss bei jeder Behandlung die risikoreichen
Tätigkeiten überprüfen,
-
bei risikoreichen Tätigkeiten der technischen Mitwirkung beim eigentlichen Bestrahlungsvorgang
erforderlich ist, dass der fachkundige Arzt die Person nach § 82 Abs. 2 Nr. 4 StrlSchV
a.F. laufend überwacht und jederzeit korrigierend eingreifen kann.
-
mit dem Zweck der ständigen Aufsicht, die fehlende Fachkunde der zu beaufsichtigenden
Person zu kompensieren, ist es nicht zu vereinbaren, dass die zu beaufsichtigende
Person die Aufsicht durch Herbeirufen des Arztes einfordern muss, auch wenn dies angesichts
der Gegebenheiten in der jeweiligen Praxis binnen Sekunden möglich wäre.
-
auch die Beaufsichtigung in direkter räumlicher Nähe kann als eine Art der ständigen
Aufsicht zu betrachten sein.