Auch in dieser Ausgbae der Nervenheilkunde möchten wir nochmals einen Schwerpunkt
auf das Thema Psychedelika in der Psychiatrie und Psychotherapie legen. Kürzlich fanden
in den USA und in Europa übergeordnete Symposien und Workshops seitens der Bewilligungsbehörden
statt, wie im Februar 2024 von der Federal Drug and Food Administration FDA und im
April 2024 von der European Medicines Agency EMA. Damit erlangt dieses Thema verstärkt
öffentliche und politische Aufmerksamkeit insbesondere von regulativen Behörden, welche
über eine eventuelle Einführung in die Klinik befinden würden. In Deutschland wurde
mittlerweile die Rekrutierung für die bisher größte hiesige Studie zur Wirksamkeit
von Psilocybin bei Depressionen (EPIsoDE) in Mannheim und Berlin abgeschlossen und
mit Vorliegen der Ergebnisse wird eine Diskussion zur klinischen Implementation erwartet.
Im vorhergehenden Heft der Nervenheilkunde waren bereits einige Beiträge der Fachtagung
der Deutschen Gesellschaft für Psychedelische Forschung und Therapie (DGPFT e. V.)
im September 2023 in Göttingen vorgestellt worden. Diese werden nun hier ergänzt.
Der Autor des Editorials widmet sich den historischen Aspekten der Nutzung von Psychedelika.
Ausgehend von vorwissenschaftlicher kultureller Nutzung in verschiedensten Regionen
der Erde werden die ersten chemischen Untersuchungen und Überlegungen zur Nutzung
in der Psychiatrie, wie z. B. zur Modellpsychose aufgezeigt. Vertieft werden dann
die ersten psychotherapeutischen Anwendungen aufgeführt, gefolgt von der Zeit der
Vorbote und der „Renaissance“ der modernen Erforschung der Psychedelika. Daran anknüpfend
folgen in einem weiteren Artikel Aspekte der neurobiologischen Wirkung von Psychedelika
auf psychopharmakologischer sowie neurosystemischer und neurodynamischer Ebene mit
Überleitung zu psychotherapeutischen Wirkfaktoren.
Tomislav Majic und Ricarda Evens führen die Bedeutung postakuter Effekte nach Psychedelikaeinnahme
aus. In der Regel wird auf die akute Wirkung fokussiert oder auf mögliche anschließende
therapeutische Effekte. Genauso wichtig sind eventuelle anhaltende oder gar unerwünschte
Folgewirkungen nach einer Einnahme, über welche Probanden, Patienten oder Nutzer insgesamt
aufgeklärt werden sollten. Nina Hartter und Kollegen aus einer Arbeitsgruppe um Henrik
Jungaberle und Gerhard Gründer stellen eine Studie zur Haltung von Fachpersonen gegenüber
der Nutzung von Psychedelika vor. Hier wird zwar einerseits eine gewisse optimistische
Sicht hierauf beschrieben, gleichzeitig aber auch die notwendige Fachlichkeit betont
sowie ggf. die Notwendigkeit einer Einbettung in ein Finanzierungssystem und eine
Anwendung auf Basis spezifischer Qualifikation. Ketamin und Esketamin sind in Deutschland
die bisher einzig legal anwendbaren Substanzen mit einer psychoaktiven psychedelischen
Wirkung. Cornelius Schüle und Kollegen führen zunächst die pharmakologischen Grundlagen
und die Studienlage zur Anwendung bei Depressionen aus, um dann auf die Diskussion
einer möglichen Einbettung in ein psychotherapeutisches Setting zu kommen.
Tagung der DGPFT e. V. im September 2023 am Asklepios Fachklinikum in Göttingen (Vorsitzender
Uwe Herwig). Quelle: Foto: ©DGPFT e. V.
Wir bewegen uns mit dem Thema Psychedelika in einem dynamischen Feld, in welchem eine
besonnene Betrachtung angesichts von Tendenzen zur Überfrachtung bis Idealisierung
einerseits und historisch basierter skeptischer Zurückhaltung und Distanzierung andererseits
notwendig ist. Insbesondere sollten keine überhöhten Erwartungen an klinische Effekte
geweckt werden. Wenn Psychedelika auch in Deutschland einmal in der Klinik zur Verfügung
stehen, so werden sie von der Bedeutung her ihren moderaten Beitrag im weiten Spektrum
psychiatrischer Behandlungsansätze zu leisten versuchen. Wichtig erscheint, bereits
jetzt in eine vertiefte Betrachtung einzusteigen.
Uwe Herwig, Reichenau