Schlüsselwörter Rektumkarzinom - en bloc - endoskopische intermuskuläre Dissektion (EID) - endoskopische
Submukosadissektion (ESD) - T1-Rektumkarzinom - endoskopische Intervention
Keywords en bloc - rectal carcinoma/cancer - endoscopic intermuscular dissection (EID) - endoscopic
submucosal dissection (ESD) - T1 rectal cancer - endoscopic intervention
Einleitung
Die Koloskopie ist heute das wichtigste Instrument zur Früherkennung von Darmkrebs
[1 ]
[2 ]. In den letzten Jahren hat sich die optische
Leistungsfähigkeit flexibler Endoskope enorm entwickelt mit ultrahoher Bildauflösung,
Nahfokus
und digitaler Chromoendoskopie zur Hervorhebung der Oberflächenstrukturen und des
Gefäßmusters
([Abb. 1 ]
a –d ). Künstliche Intelligenzsysteme (KI) ermöglichen heute
plattformübergreifend die Detektion vor allem flacher Läsionen über den gesamten Bildbereich
und erhöhen auch bei erfahrenen Untersuchern die Adenomdetektionsrate [3 ]. Die KI arbeitet, anders
als der Untersucher, unabhängig von der Ermüdung des Auges über den Tag [4 ]. Die KI wird in den
nächsten Jahren den Goldstandard der Adenomdetektionsrate (ADR) vermutlich weiter
nach oben
verlagern [5 ].
Abb. 1 Endoskopisches Bild in Inversion im distalen Rektum. T1-Adenofrühkarzinom am
Analkanaloberrand zum distalen Rektum in der Übersicht mit Weißlicht (a ) und im Zoom-Modus mit digitaler Chromoendoskopie (hochauflösendes und
hochflexibles Zoom Gastroskop EG760Z, Fujifilm-Europe, Ratingen). b Befund im Nahfeld unter Verwendung der Linked Color Imaging Technologie (LCI).
c Die gleiche Läsion im Nahfeld unter Verwendung der Blue Light
Imaging Technologie (BLI) zur Hervorhebung der Gefäßzeichnung. Zusätzlich ist eine
z. T.
aufgehobene, eingesenkte Oberflächenstruktur (JNET-Klassifikation 2b) erkennbar. d Die gleiche Läsion im Blau-Laser-Modus (Blue Laser Imaging; BLI) im
Nahbereich, jeweils mit pathologischer Gefäßzeichnung und z. T. aufgehobener, eingesenkter
Oberflächenstruktur (JNET-Klassifikation 2b).
Im Bereich der endoskopischen Resektion schließt heute die endoskopische
Submukosadissektion (ESD) die Lücke zwischen Radikalität und minimalinvasivem Charakter
von
Schlingenresektion und transanaler Chirurgie [6 ]. Im Folgenden sollen endoskopische Detektion,
Charakterisierung und Resektionsmöglichkeiten von Präkanzerosen und oberflächlichen
Frühkarzinomen im Rektum beschrieben und erläutert werden.
Prätherapeutische, endoskopische Evaluation der Läsion
Prätherapeutische, endoskopische Evaluation der Läsion
Neben dem Auge und optischen Gesamteindruck des erfahrenen Endoskopikers spielen folgende
Faktoren eine Rolle in der prätherapeutischen Evaluation der Läsion: Größe und makroskopisches
Erscheinungsbild entsprechend der Paris-Klassifikation sowie die japanische Einteilung
für
Läsionen über 2 cm Größe nach Wachstumsform (Lateral Spreading Tumors) [7 ]
[8 ]
[9 ]
[10 ]. Burgess et al. untersuchten in einer
prospektiven Studie mit 2106 Patienten, die sich wegen flächiger kolorektaler Polypen
einer
EMR unterzogen, hinsichtlich des Risikos für verborgene Neoplasien [11 ]. Risikofaktoren waren eine rektosigmoidale
Lage, nicht granuläre Oberflächenstruktur und Morphologie der Paris-Klassifikation
0–Is
(polypoid breitbasig) und 0–IIa+Is (gemischt flach-erhaben und polypoid) ebenso wie
eine
zunehmende Größe der Läsion. Während rektosigmoidale Läsionen ein hohes Malignitätsrisiko
aufwiesen, zeigten flach-erhabene granuläre Läsionen (Paris 0–IIa) ein geringes Risiko
für
okkulte Karzinome [11 ].
Weiterhin spielt die Oberflächenstruktur im Nahfokus oder unter Vergrößerungsendoskopie
bei der Darstellung mit blau-grünem Licht eine wesentliche Rolle (Narrow Band Imaging,
NBI
bzw. Blue Light Imaging, BLI). Hierzu hat sich die Einteilung nach der sog.
JNET-Klassifikation durchgesetzt (Japanese Narrow-Band-Imaging Expert Team) [12 ]
[13 ]
[14 ]. Dabei fließen Merkmale
ein, wie ein Homogenitätsverlust der Oberflächenstruktur, Neovaskularisation, erweiterte
Gefäße und ein nicht strukturiertes Grübchenmuster entsprechend der „Pit
Pattern“-Klassifikation nach Kudo, die als Hinweise auf ein potenziell infiltrierendes
malignes Wachstum gelten. [Abb. 1 ]
a –d zeigt ein
oberflächlich invasives T1-Karzinom im distalen Rektum ([Abb. 1 ]
a –d ).
Ein nur relatives Kriterium für die Resektionsmöglichkeit stellt heute die Abhebbarkeit
der Läsion nach Unterspritzung dar, die als „Non-Lifting-Sign“ bezeichnet wird, jedoch
auch
bei submuköser Fibrose ohne Malignität auftreten kann. Eine gute Abhebbarkeit ist
hingegen
nahezu immer mit einer günstigen technischen Resektionsmöglichkeit vergesellschaftet
[6 ]
[15 ]. Es konnte wiederholt gezeigt werden, dass
die Einschätzung der endoskopischen „Abtragbarkeit“ eines Polypen ganz wesentlich
von der
Erfahrung des Endoskopikers abhängt und ein Großteil von „nicht abtragbaren“ Polypen
in
Zentren dennoch erfolgreich abgetragen werden können [16 ].
Bei präinterventionell bekannten Läsionen mit fokalem Karzinomnachweis und ohne Hinweis
auf Tiefeninfiltration ist eine „En-bloc“-Resektion, entweder als chirurgische
Vollwandresektion oder als endoskopische Submukosadissektion (ESD), neuerdings als
endoskopisch-intermuskuläre Dissektion (EID), an einem Zentrum anzustreben [17 ].
Welche Resektionstechnik für welche Läsion angewandt werden sollte, hängt vom potenziell
zu erwartenden histopathologischen Befund und potenziellen technischen Herausforderungen
für
die Untersuchung ab. Hierfür ist zunächst die genaue prätherapeutische Einschätzung
des
Befundes essenziell.
Nicht immer lässt sich die Histologie vor der Resektion korrekt vorhersagen. Insbesondere
die tiefe submukosale Infiltration ist nicht immer ausreichend über die Läsionsoberfläche
zu
bestimmen. Leider helfen hierbei auch endoskopische Ultraschalluntersuchung und MRT
bei T1
Karzinomen oftmals nicht entscheidend weiter [6 ]
[18 ].
Endoskopische Resektionstechniken
Endoskopische Resektionstechniken
Endoskopische Mukosaresektion (EMR)
Die lokale Unterspritzung der Läsion und nachfolgende Abtragung mittels
Diathermieschlinge wurde bereits 1973 von Deyhle und Mitarbeitern beschrieben [19 ]. Mit Einführung der
„endoskopischen Mukosaresektion“ (EMR) wurde es möglich, insbesondere flache und flächige
Läsionen abzutragen. Bei Läsionsgrößen über 2 cm ist eine komplette Resektion meist
nur
fraktioniert in mehreren Stücken möglich („Piecemeal-Resektion“). Mit zunehmender
Anzahl der
Fragmente im Verhältnis zur Größe der Läsion („Sidney Resection Coefficient“) steigt
jedoch
das Risiko für Lokalrezidive exponentiell an [20 ]. Vorteil der EMR ist die relativ einfache
Erlernbarkeit sowie der umschriebene Zeitaufwand und die geringere Komplikationsrate
im
Vergleich zur Submukosadissektion (s. u.). Dies wird allerdings mit einer Rezidivrate
von
15–40% bei flächigen Veränderungen erkauft. Die Rezidivrate kann mit der Koagulation
der
Schnittränder mit der Schlingenspitze gesenkt werden [21 ]
[22 ].
Endoskopische Submukosadissektion (ESD)
Die endoskopische Submukosadissektion (ESD) ermöglicht die „En-bloc“-Resektion auch
flächiger Schleimhautläsionen, die mit einer herkömmlichen Schlingenresektion nur
unsicher
im Gesunden (R0) abzutragen sind. Darüber hinaus ist eine Resektion bei darunter liegender
Narbe, auch nach chirurgischer Vorresektion möglich [6 ]
[23 ]. Hierzu wird die Läsion zunächst im
Abstand von 3–5 mm durch feine Koagulationspunkte mit der Spitze eines Diathermiemesserchens
zirkulär markiert. Es folgt eine flächige Unterspritzung der Läsion von lateral mit
einer
viskösen Flüssigkeit, die ein stabiles Polster für die spätere Dissektion im Bereich
der
Submukosa ermöglicht und damit eine bessere Übersicht und Reduktion des Perforationsrisikos
bei der Dissektion gewährleistet. Nach einer zirkulären Inzision wird die Läsion
schrittweise im Niveau der Submukosa „en bloc“ ausgelöst. Während des Eingriffs wird
das
Endoskop mit einer zunächst zylindrischen, dann meist konischen Transparentkappe am
Ende
bestückt, die Stabilität und ausreichende Sicht bei der Inzision und Gewebedissektion
mit
dem ESD-Messer ermöglicht. Um im Vergleich zu isotoner Kochsalzlösung ein länger anhaltendes
Flüssigkeitspolster zu erzielen, werden überwiegend visköse Flüssigkeiten, wie HAES
6% oder
10%ige Glycerol-Lösung verwendet. Das Schema in [Abb. 2 ] zeigt die verschiedenen Schritte des klassischen Vorgehens bei der
ESD [23 ]
[24 ]
[25 ]
[26 ]. Im Vergleich zu
chirurgisch-transanalen Verfahren im Rektum (TEM) weist die ESD eine geringere
Dehnungsnotwendigkeit des Analsphinkters auf. Der wesentliche Vorteil der ESD besteht
jedoch
in einer nahezu größenunabhängigen „En-bloc“-Resektionsmöglichkeit mit einer geringen
lokalen Rezidivrate von 1–3% [27 ]. Hierdurch kann selbst bei mukosalen und oft auch bei submukosalen
Karzinomen ein Organerhalt erreicht werden. [Abb. 3 ]
a –d zeigt die
Entfernung des Befundes aus [Abb. 1 ] in ESD-Technik mit Markierung, Unterspritzung und eingeschränktem
Lifting ([Abb. 3 ]
a ), submucosaler Dissektion im Bereich des Haemorrhoidalplexuses ([Abb. 3 ]
b ),
Wundgrund ([Abb. 3 ]
c ) und makroskopischem Präparat ([Abb. 3 ]
d ). Der
histopathologische Befund ergab ein mäßig differenziertes, mukosales Frühkarzinom
im Stadium
pT1 bis zur Lamina Muscularis mucosae reichend ohne Infiltration der Submucosa, im
Gesunden
reseziert (pT1, G2, L0, V0, R0).
[Abb. 4 ] zeigt das Resektat
nach flächiger Submukosa-Dissektion bei einem Adenomrezidiv im Rektum mit fokal hochgradiger
intraepithelialer Neoplasie nach Piecemeal Schlingenresektion im distalen Rektum ([Abb. 4 ]).
Abb. 2 Ablaufschema der ESD (nach Hochberger et al. 2019 [23 ]). Quelle: Hochberger J, Biesecker K.
Endoskopische Submucosa Dissektion. In: Gottschalk U, Maeting S, Kahl S, Hrsg.
Arbeitsplatzbuch Endoskopie. Stuttgart: Thieme; 2019: 233–242. ISBN
978-3-13-240593-6
Abb. 3
a –d Endoskopische
Submukosadissektion des in [Abb. 1 ] gezeigten Frühkarzinoms im distalen Rektum. Der
histopathologische Befund ergab ein mukosales Frühkarzinom pT1, G2, L0, V0, R0 bis
zur
Muscularis mucosae reichend ohne submukosale Infiltration, im Gesunden entfernt.
Abb. 4 Flächiges ESD-Präparat bei Rezidiv eines Low-Grade-Adenoms im Rektum nach
Schlingen-Piecemeal-Resektion, nun mit fokal hochgradiger intraepithelialer Neoplasie
(HGIEN), im Gesunden reseziert.
Nachteil der ESD im Vergleich zur EMR sind der erhöhte Zeitaufwand, die höhere
Komplikationsrate in Bezug auf Blutung und Perforation sowie die lange Lernkurve [6 ]
[25 ]
[28 ].
Eine zentrale Erfassung von Qualitätsparametern, wie R0-Resektionrate und relevante
Komplikationen, wäre wünschenswert. Fleischmann und Kollegen publizierten 2021 eine
Analyse
von 1000 europäischen Fällen und klassifizierten die Zentren nach ESD-Häufigkeit pro
Jahr
[29 ].
Hochvolumenzentren führten mehr als 50 ESDs pro Jahr durch, Zentren mittlerer Größe
20–50
ESDs pro Jahr und Häuser mit niedrigem Fallvolumen weniger als 20 ESDs pro Jahr. So
lagen
bei Hochvolumenzentren sowohl die „En-bloc-“ als auch die R0- und die kurative
Resektionsrate signifikant höher als bei Häusern mit mittleren oder niedrigen Fallvolumina.
[Tab. 1 ] gibt die Ergebnisse im
Detail wieder. Die Rate an Komplikationen lag insgesamt bei 8,3% (83/1000 ESD-Eingriffe)
und
auch hier in Hochvolumenhäusern mit 3% signifikant niedriger als in Häusern mit mittlerem
(12,9%) und niedrigem Volumen (10,7%) [29 ]. Am Vivantes Klinikum in Friedrichshain,
Berlin, betrug die Zahl der ESDs von 2016–2023 jährlich 80–100 Fälle/Jahr.
Tab. 1 Volumenabhängige Ergebnisqualität bei der endoskopischen Submukosadissektion (ESD)
an Hochvolumenzentren, mittelgroßen ESD-Häusern und Abteilungen mit niedrigem ESD-Volumen.
Nach Fleischmann et al. 2021 [29 ].
Volumen
n ESDs/Jahr
„En-bloc“-Resektionsrate
R0-Resektionsrate
kurative Resektionsrate
Majorkomplikationen
Hochvolumen-ESD-Zentren
> 50
96,0%
87,9%
82,9%
3%
mittelgroße ESD-Zentren
> 20–50
93,9%
77,3%
69,8%
12,9%
kleine Häuser
≤ 20
86,3%
68,5%
61,0%
10,7%
Intermuskuläre Dissektion (EID)
Eine Erweiterung der ESD-Technik im distalen Rektum stellt die „endoskopische
intermuskuläre Dissektion“ (EID) für Läsionen mit V. a. tiefe submukosale Invasion
dar (sm2
nach der Kikuchi-Klassifikation; [Abb. 5 ]) [27 ]
[30 ]
[31 ]
[32 ]
[33 ] Die Technik wurde von Toyonaga et al. 2018 erstmals für narbige
Läsionen oder bei V. a. submukosale Infiltration als „Peranale Endoskopische Myektomie“
(PAEM) vorgestellt [34 ]. Im Gegensatz zu mukosalen T1-Karzinomen mit einer R0-Resektionsrate
von bis zu 92% an Zentren sinkt in Studien die histologische R0-Resektionsrate auf
62–64% im
Falle einer tiefen submukosalen Infiltration (s. o.) [35 ]
[36 ]. Eine chirurgische transanale
Vollwandresektion (transanale Exzision, TAE; transanale endoskopische Mikrochirurgie,
TEM)
bezieht zwar alle Schichten ein, sie zerstört jedoch im Falle einer notwendigen
nachfolgenden chirurgischen totalen mesorektalen Exzision (TME) die embryologischen
Leitstrukturen, insbesondere in Bereichen geringer perirektaler Fettausprägung [37 ]. Dies führt zu einer
erschwerten Dissektion bei der TME und mindert die Qualität des histologischen Präparates
bei einer notwendigen chirurgischen Nachresektion (engl. „Completion Surgery“, CS)
[38 ]. Im Gegensatz hierzu
wird bei der endoskopischen intermuskulären Dissektion die äußere Längsmuskelschicht
erhalten. So wird bei der EID, wie bei einer klassischen ESD-Technik, die Läsion zunächst
unterspritzt und umschnitten. Hiernach wird jedoch zusätzlich die Ringmuskulatur inzidiert
mit anschließender Dissektion zwischen Ring- und Längsmuskulatur sowie abschließender
Auslösung des Präparates samt Teilmuskulatur ([Abb. 5 ]). Ziel ist es, dem Pathologen, insbesondere in kritischen Bereichen
hinsichtlich Tiefeninfiltration, die gesamte Breite der Submukosaschicht zu präsentieren.
Moons et al. publizierten 2022 eine erste niederländische multizentrische Fallserie
von 67
Patienten mit V. a. tiefe submukosale Infiltration bei Rektum-Frühkarzinom. Sie erzielten
eine technische Erfolgsrate von 96% und eine histologische R0-Resektionsrate von 85%
[27 ]. Die Technik
erscheint zweifelsfrei vielversprechend, insbesondere für Läsionen distal der peritonealen
Umschlagsfalte. Eigene erste Erfahrungen an 5 Patienten (Stand 10.01.2024) zeigten
einen
diagnostischen Gewinn in allen Fällen durch die Auswertbarkeit der kompletten
Tiefeninfiltration im Bereich der Submukosa. Komplikationen traten bei der im Vergleich
zur
ESD zunächst noch aufwendigeren Technik bisher nicht auf. Ein Patient mit Tiefeninfiltration
in die Muscularis propria wurde elektiv nachreseziert ohne subjektiv erschwerte
Operationsbedingungen. Eine entsprechende Publikation ist aktuell in Vorbereitung.
Ein
Fallbeispiel ist in [Abb. 6 ]
a –e gezeigt. Weitere Untersuchungen und
Langzeitergebnisse bleiben abzuwarten. Die intermuskuläre Dissektion könnte auch in
Hinblick
auf neue Immuntherapien für ausgewählte Fälle an Rektumkarzinomen neue Perspektiven
bieten
und wird hier zu evaluieren sein [39 ]
[40 ]
[41 ].
Abb. 5 Ablauf der endoskopischen intermuskulären Dissektion (EID). Nach Markierung und
Unterspritzung der Läsion erfolgt analog der ESD zunächst eine zirkuläre Inzision
der
Mukosa, dann eine zusätzliche Inzision der inneren zirkulären Muskelschicht. Es
verbleibt lediglich die äußere Längsmuskelschicht. Quelle: Moons LMG, Bastiaansen
BAJ,
Richir MC et al. Endoscopic intermuscular dissection for deep submucosal invasive
cancer
in the rectum: a new endoscopic approach. Endoscopy 2022; 54: 993–998. doi:10.1055/a-1748-8573
Abb. 6
a –e 2,5 × 2 cm großes Frühkarzinom
im mittleren Rektum. Endoskopische intermuskuläre Dissektion zur Ermöglichung der
Untersuchung der gesamten Submukosabreite. Der Defekt zeigt Fasern der äußeren
Längsmuskelschicht. Die Präparateunterseite zeigt Muskelfasern der zirkulären, inneren
Muskelschicht. Der histopathologische Befund ergab ein im Gesunden entferntes, mäßig
differenziertes Adenofrühkarzinom mit 2400 µm submukosaler Infiltration (pT1b; G2,
L0,
V0, PN-, Budd1, R0). Aufgrund der submukosalen Tiefeninfiltration als einzigem
Risikofaktor wurde die Situation als „Low Risk“ eingestuft (siehe Text, Abschnitt
„Spezielle Situation T1-Karzinome“).
Endoskopische Vollwandresektion (eFTR)
Seit der Markteinführung Ende 2015 erweitert das Ovesco FTRD-System das Spektrum der
endoskopischen Therapiemöglichkeiten zur Entfernung von Polypen im Dick- und Enddarm.
Die
endoskopische Vollwandresektion (eFTR – Endoscopic Full-Thickness Resection) mit dem
sog.
„Full Thickness Resection Device“ (FTRD) entfernt Polypen einschl. der gesamten darunter
liegenden Darmwand ([Abb. 7 ])
[15 ]. Neben
suspekten Polypen können grundsätzlich auch umschriebene Polypenrezidive oder -reste
in
vernarbtem Gewebe entfernt werden.
Abb. 7 Schematischer Ablauf der Resektion mit einem endoskopischen
Vollwand-Resektionssystem (engl. Full Thickness Resection Device, FTRD), wie es im
mittleren und oberen Rektum für Befunde bis 2 cm Größe eingesetzt werden kann. Nach
Markierung (nicht gezeigt) wird die Läsion, z. B. ein Narbenrezidiv, mit einem Greifer
erfasst und so zentriert mit Sog in einen transparenten Zylinderaufsatz des Endoskopes
gezogen. Nachfolgend wird ein spezieller Nickel-Titan Makroclip abgefeuert und das
Präparat 2–3 mm oberhalb des Clips mit einer integrierten Schlinge und Diathermiestrom
reseziert. Quelle: Ovesco Endoscopy AG, Tübingen
Das FTRD-System besteht aus einer Transparentkappe mit Clip ähnlich dem OTSC-Makroclip
in Kombination mit einer Diathermieschlinge in einer distalen inneren Rinne in der
Kappe.
Der erkrankte Darmwandabschnitt wird zunächst mit einer Greifzange plus Sog in die
Fixierkappe eingezogen und der OTSC-Makroclip („Bärenfalle“) gelöst. Der Nickel-Titan-Clip
klemmt den Befund plus die darunter liegende Darmwand pilzförmig ab. Die Basis dieses
Pilzes
kann nun basal durch die Schlingen 1,5–2 mm über dem Nickel-Titan-Clip abgetrennt
und das
Präparat geborgen werden ([Abb. 7 ]). Grundsätzlich sind für die endoskopische Vollwandresektion mit dem
FTRD-System im Rektum Läsionen bis max. 20 mm geeignet [42 ]. Einschränkungen des FTRD-Systems liegen
im Bereich des distalen Rektums aufgrund der limitierten Mobilität des Gewebes. Küllmer
et
al. werteten die Ergebnisse nach Vollwandresektion bei 156 kolorektalen T1-Karzinomen
aus
[43 ]. Die
Resektionsrate lag bei in der Voruntersuchung nach Unterspritzung abhebbaren Läsionen
mit
87,5% signifikant über der von Läsionen mit mangelnder Abhebung („Non-Lifting Sign“)
mit
60,9%, sodass bei „Non-Lifting-Sign“ in der Voruntersuchung das Verfahren im Rektum
in
Anbetracht der guten Alternativen nicht eingesetzt werden sollte [43 ].
Spezielle Situation bei T1 Karzinomen im Rektum
Spezielle Situation bei T1 Karzinomen im Rektum
Zahlreiche Adenokarzinome werden bei suspekten Polypen erst nach der endoskopischen
Resektion histopathologisch diagnostiziert. Kolorektale Karzinome, deren Eindringtiefe
die
Submukosa nicht überschreitet, werden als Frühkarzinome bezeichnet. Zu diesen zählen
einerseits die sog. Mukosa- oder intraepithelialen Karzinome (pTis) sowie pT1-Karzinome
mit
Tiefeninfiltration bis in die Submukosa. Frühkarzinome unterscheiden sich je nach
Risikoprofil
erheblich in ihrer Prognose.
Grundsätzlich gilt es, zu bedenken, dass bei Karzinomen im Stadium pT1 die lokale
„En-bloc-“ Resektion als alleinige therapeutische Maßnahme ausreichend ist, wenn folgende
Bedingungen zur Einstufung in eine Niedrigrisikosituation erfüllt sind [44 ]
[45 ]:
Durchmesser < 3 cm
G1/2: gute oder mäßige histologische Differenzierung
L0: keine Infiltration von Lymphgefäßen
V0: keine Infiltration von Blutgefäßen
R0: komplette Resektion
fehlende „versprengte“ Tumorzellen an der Invasionsfront des Karzinoms („Budding“;
„Tumorknospung“)
Liegen hingegen Risikofaktoren vor, wie ein schlechter Differenzierungsgrad, eine
Lymphgefäßinfiltration, tumorpositive Resektionsränder oder eine Tumorknospung, so
spricht man
von einem Hochrisiko-T1-Karzinom (engl. „High Risk“). Die tiefe submuköse Invasion
(> 1000 µm) als alleiniger Risikofaktor ohne weitere negativ prädiktive Faktoren stellt
nach jüngsten Studien nur einen geringen Risikofaktor für die Metastasierung dar [44 ].
Das Risiko für eine Lymphknotenmetastasierung liegt nach Chen et al. bei einem
High-Risk-T1-Rektumkarzinom bei 20,7% (bei einem Risikofaktor) und bei bis zu 36,4%
bei
mehreren Risikofaktoren [46 ]. Wichtigste Risikofaktoren für eine Lymphknotenmetastasierung sind
Lymphgefäßinvasion (L1) und schlechte Differenzierung [44 ]
[45 ]. Aus genannten Parametern ergibt sich
üblicherweise die Indikation zur sekundären chirurgisch-onkologischen Resektion. Diese
sollte
klassischerweise innerhalb von 30 Tagen ohne Nachteil für das onkologischen Ergebnis
durchgeführt werden [47 ].
Im Rektum wird bei der Notwendigkeit einer chirurgischen totalen mesorektalen Exzision
(TME) eine Mortalität von 1–1,5% angegeben. Zudem besteht eine im Vergleich zur endoskopischen
Therapie erhöhte Morbidität mit potenziellen Folgen wie Kolostoma, Sexualfunktionsstörungen,
Urin- und Stuhlkontinenzproblemen [48 ]
[49 ]. Trotz des Risikos für ein Lokalrezidiv, von Lymphknoten- oder von
Fernmetastasen profitieren nicht alle Patienten von einer sekundären chirurgisch-onkologischen
Resektion [50 ]. In
einer 2023 erschienen Arbeit von Corre et al. unter Einbeziehung von 197 Patienten
zeigte sich
für die nachoperierten Patienten mit High-Risk-pT1-Karzinomen nach 48 Monaten kein
Vorteil in
Bezug auf krankheitsfreies Überleben oder Tod [51 ]. In einer größeren Metaanalyse von Chen et
al. unter Einschluss von 2961 Patienten zeigte sich ein Benefit für Patienten in der
nachresezierten Gruppe erst nach 10 Jahren Follow-up [46 ]. Es scheint bei alten, multimorbiden
Patienten daher eine individualisierte Entscheidung gerechtfertigt, ob eine sekundäre
chirurgisch-onkologische Resektion erfolgen sollte oder nicht.
In der Frage ob eine chirurgisch-operative Therapie auch nach ESD gleich kurativ
durchgeführt werden kann, fanden Takamaru et al. an über 800 Patienten mit kolorektalen
Hochrisikokarzinomen keinen onkologischen Nachteil für die primäre ESD und ggf. notwendige
sekundäre chirurgische Resektion im Vergleich zu einer primären chirurgischen Resektion
[52 ].
Zusammenfassung
Endoskopische Verfahren ermöglichen heute auch großflächige Resektionen von Adenomen
und
die kurative Resektion von mukosalen und Niedrig-Risiko-T1-Karzinomen im Rektum. Die
endoskopische Submukosadissektion (ESD) hat hierbei zu einer wesentlichen Senkung
der
Lokalrezidivrate im Vergleich zum stückchenweisen Abtrag durch „Piecemeal“-Resektion
führen
können. Dies betrifft insbesondere Läsionen im distalen Rektum und anorektalen Übergang,
wo
die ESD primär eingesetzt werden sollte. Die endoskopische intermuskuläre Dissektion
(EID)
stellt bei Rektumfrühkarzinomen mit unsicherem oberflächlichem Befall eine neue Perspektive
dar, die in multizentrischen Studien an Zentren mit sehr hoher ESD-Frequenz weiter
evaluiert
werden sollte. Eine endoskopische Resektion stellt hier auch bei High-Risk-pT1-Karzinomen
keinen Nachteil dar vor potenzieller sekundärer chirurgischer Resektion. Die primäre
endoskopische Resektion an einem Zentrum mit entsprechender Frequenz und Expertise
bei
komplexen ESD-Resektionen und viszeralchirurgischem Back-up sollte bei unklaren Fällen
daher
immer angestrebt werden.