Handchir Mikrochir Plast Chir 2024; 56(01): 55-64
DOI: 10.1055/a-2240-4781
Originalarbeit

Nerventransfers bei Kindern mit nicht traumatischer Amyoplasie

Nerve Transfers in Children with Non-traumatic Amyoplasia

Authors

  • Benedikt Schäfer

    1   Department of Plastic Surgery, Hand Surgery - Burn Center, Division for Plexus Surgery, University Hospital RWTH Aachen, Germany
    2   Department of Plastic Surgery, Hand Surgery - Burn Center, Division for Plexus Surgery, University Hospital RWTH Aachen, Germany
  • Justus P. Beier

    2   Department of Plastic Surgery, Hand Surgery - Burn Center, Division for Plexus Surgery, University Hospital RWTH Aachen, Germany
  • Jörg Bahm

    2   Department of Plastic Surgery, Hand Surgery - Burn Center, Division for Plexus Surgery, University Hospital RWTH Aachen, Germany
    2   Department of Plastic Surgery, Hand Surgery - Burn Center, Division for Plexus Surgery, University Hospital RWTH Aachen, Germany
 

Zusammenfassung

Hintergrund Die Behandlung der geburtstraumatischen Läsionen des Plexus brachialis durch primäre Rekonstruktionen und Nerventransfers hat sich in den letzten Jahrzehnten etabliert. Bei nicht traumatischen Erkrankungen, die zu schlaffen Lähmungen und zur Bewegungsunfähigkeit von Extremitäten führen, wie beispielsweise der Transversen Myelitis (TM) oder der Arthrogryposis multiplex congenita (AMC), die beide verschiedenste Ursachen haben können, steht bislang die rehabilitative Therapie im Vordergrund, während chirurgische Eingriffe nur limitiert, im Sinne von Umstellungsosteotomien oder Muskeltransfers, Anwendung finden. Unser Bestreben besteht darin für nicht-traumatische Amyoplasien Nerventransfers als chirurgische Option zur Verbesserung der Beweglichkeit zu etablieren.

Patienten Im Zeitraum von 08/2013 bis 03/2023 wurden bei insgesamt 23 Patienten im Alter von 4 Monaten bis 64 Monaten (davon 18 mit AMC und 5 mit TM) funktionsverbessernde Eingriffe in Form mikrochirurgischer Nerventransfers an der oberen Extremität durchgeführt.

Ergebnisse Wir konnten zeigen, dass sowohl bei der AMC wie auch bei der TM frühzeitige Nerventransfers der oberen Extremität eine Reanimation der Muskulatur ermöglichen konnten.

Schlussfolgerung Diese Arbeit zeigt auf, dass die Behandlung von nicht-traumatischen Amyoplasien bei Kindern mit selektiven Nerventransfers eine erfolgreiche Methode darstellt. Das Erlangen bzw. Wiedererlangen von wichtigen Funktionen zur Bewältigung des selbstständigen Alltags kann durch Nerventransfers erreicht werden. Die operative Methodik ist durch die Behandlung von traumatischen Nervenverletzungen etabliert, gut bekannt und sicher durchführbar. Unseres Erachtens stellt dies eine wichtige Behandlungsoption für pädiatrische Patienten mit Lähmungen im Rahmen einer TM oder AMC dar, die auch den betreuenden Kinderärzten bekannt sein sollte.


Abstract

Background The treatment of obstetric brachial plexus palsy through primary reconstruction and nerve transfers has been established in the past decades. In the case of non-traumatic diseases that lead to flaccid paralysis and the inability to move the extremities, such as transverse myelitis (TM) or arthrogryposis multiplex congenita (AMC), which can have a wide variety of causes, the focus has been on rehabilitative therapy so far, while surgical interventions have been used to a lesser extent, e. g., in the form of osteotomies or muscle transfers. Our aim is to establish nerve transfers as a surgical option to improve mobility in non-traumatic amyoplasia.

Patients This work presents the needs-adapted treatment of a total of 23 patients (aged 4 months to 64 months, 18 with AMC and 5 with TM) using nerve transfers on the upper extremity.

Results We were able to show that early nerve transfers in the upper extremity enabled the reanimation of muscles in both AMC and TM.

Conclusion This work shows that the treatment of non-traumatic amyoplasia in children with selective nerve grafts is a successful method. Nerve transfers allow patients to gain or regain important functions for managing independent everyday life. The surgical methods have been established in the treatment of traumatic nerve injuries. They are well-known and can be carried out safely. We believe that this is an important treatment option for paediatric patients with paralysis associated with TM or AMC, which should also be known to the treating physicians.


Einleitung

Im Kindesalter ist die geburtstraumatische Läsion des Plexus brachialis die geläufigste Indikation für einen operativen Eingriff am peripheren Nervensystem eines Säuglings oder Kleinkindes [1] [2]. Darüber hinaus existieren jedoch Erkrankungen der Muskulatur, welche durch periphere Nerventransfers behandelt werden können. Diese Möglichkeiten sind jedoch häufig insbesondere in den Therapiekonzepten von konservativen Behandlern nicht präsent und werden somit oftmals gar nicht in Betracht gezogen. Zu derartigen nicht-traumatischen Amyotrophien, aus denen sich Operationsindikationen ergeben können, zählen die Arthrogryposis multiplex congenita (AMC) und die transverse Myelitis (TM).

Die AMC beschreibt eine angeborene Steifheit mehrerer Gelenke. Eine eingeschränkte Funktionalität der Muskulatur mit zunehmender Fibrose und Muskelverkürzung führt zu einer Funktionsstörung der Gelenke. Die Inzidenz beträgt 1:3000 Geburten. In 84% der Fälle sind alle Extremitäten betroffen, nur die Beine sind bei 11% und nur die Arme bei 4% der Patienten betroffen [3]. Die Ursachen der AMC sind vielfältig. Es sind verschiedene zugrundliegende genetische Mutationen bekannt, auch mitochondriale Veränderungen und Infektionen können eine AMC auslösen [4]. Bereits in der 8. Schwangerschaftswoche ist die intrauterine Bewegung der Kinder eingeschränkt, sodass die Atrophie der Muskulatur bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt eintritt.

Bei der TM handelt es sich, mit 4,6 Fällen pro 1 Million pro Jahr, um ein seltenes neurologisches Krankheitsbild, bei der es zu einer Inflammation des Rückenmarks mit Schädigung des unteren Motoneurons kommt. Prinzipiell kann eine TM jederzeit auftreten, im Alter von 10, 20 und 40 Jahren gibt es jedoch Spitzen in der Erkrankungshäufigkeit [5]. Im Kindes- und Jugendalter konnten zwei Altersgipfel identifiziert werden. Im Alter von 3 Jahren, sowie zwischen 12 und 15 Jahren traten in einer Untersuchung des Johns Hopkins Transverse Myelitis Center gehäuft Erkrankungen auf, wobei Mädchen wie Jungen gleichermaßen betroffen waren [6]. Eine Infektionskrankheit, welche durchschnittlich 11 Tage vor Erkrankungsbeginn durchlaufen wurde, konnte in etwa der Hälfte in Verbindung mit der TM gebracht werden. In ca. 30% der Fälle stand die TM im Bezug zu einer Impfung [6], während auch Fälle in Folge von Stürzen mit einer Gefäßtraumatisierung beschrieben wurden. Die Inflammation breitet sich horizontal über den gesamten Querschnitt des Rückenmarks aus [5]. Entsprechend äußern sich die klinischen Symptome abhängig von der Läsionshöhe. So kommt es zu Sensibilitätsstörungen und einer Schwäche der betroffenen Extremität, aber auch zu Funktionsstörungen des Blasen- oder Analsphinkter. Die Ursachen der TM sind nicht immer eindeutig. 60% der Fälle sind idiopathisch, selten kann eine Assoziation mit einer Meningokokken-Infektion assoziiert sein [7]. Auch eine autoimmun-vermittelte Genese ist beschrieben [5]. [Tab. 1] zeigt eine Auflistung von möglichen Ursachen ([Tab. 1]). Eine virale Genese kann entweder direkt durch das Virus ausgelöst werden, jedoch auch als immunologische Reaktion auf ein Virus entstehen [5]. Auch Helminthosen, wie auch Perfusionsstörungen des Rückenmarks oder eine paraneoplastische Genese, sowie eine Heroin-assoziierte-Variante sind beschrieben [8].

Tab. 1 Mögliche Ursachen einer TM.

Virusinfektionen

Bakterielle Infektionen

HIV

Mycoplasma pneumoniae

Herpes simplex Virus

Bartonella henselae

Herpes Zoster

Lyme-Borreliose auslösende verursachende Borrelien

Cytomegalievirus

Epstein-Barr-Virus

Campylobacter jejuni

Flavivirus

Zika-Virus

West-Nil-Virus

Die akute Therapie richtet sich entsprechend nach dem verursachenden Agens [5]. Die Genesung ist dennoch nicht vorhersehbar, sehr individuell und abhängig von der ursächlichen Erkrankung. Sie kann nur teilweise oder gar nicht erfolgen, sodass Symptome wie Muskelschwäche oder fehlende Muskelfunktion persistieren. Kommt es innerhalb von drei bis sechs Monaten zu keiner Verbesserung, ist eine Genesung unwahrscheinlich. Beschrieben sind zu einem Drittel vollständige Genesungen, zu einem Drittel teilweise Lähmungen mit nicht unerheblichen Einschränkungen und einem Drittel ohne Zeichen einer Erholung [5].

Nerventransfers wurden ursprünglich zur Behandlung schwerer motorischer Lähmungen bei Patienten beschrieben, die beispielsweise an einer Läsion des Plexus brachialis mit Wurzelausrissen litten. In der neueren Entwicklung wurde ihr Einsatzgebiet deutlich erweitert und auf andere neuromuskuläre Erkrankungen ausgeweitet [9].


Patienten und Operationstechnik

Klinische Präsentation und Diagnostik

Bei der AMC präsentieren sich die Patientin in der klinischen Untersuchung mit typischen Haltungen der Extremitäten und pathologischen Gelenkstellungen. An der oberen Extremität zeigt sich die Schulter innenrotiert, das Ellenbogengelenk gestreckt, ohne dass sich auf der Beugeseite im Ellenbogengelenk eine Falte bildet ([Abb. 1]). Das Handgelenk ist meist palmar flektiert und ulnar deviiert, während sich die Finger in Flexionsstellung präsentieren. Zur Klassifizierung der klinischen Ausprägung wird häufig die „Münchener Klassifikation“ verwendet [10] ([Tab. 2]).

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Abb. 1 Klinisches Bild bei AMC. Fehlende Beugefalte in der Ellenbeuge (a) und passive Gelenkbeweglichkeit (b).

Tab. 2 Münchener-Klassifikation der AMC [10].

Typ

Merkmale

Typ 1

Extremitäten betroffen; keine weiteren Störungen, normale geistige Entwicklung

Typ 1 a

Hände und Füße hauptsächlich betroffen

Typ 1 b

Ganze Extremitäten betroffen, einschließlich Schulter und Hüfte

Typ 2

wie Typ 1+Organfehlbildung (z. B. Bauchdecke, Blase)

Typ 3

zusätzlich Fehlbildungen der Wirbelsäule und des Zentralnervensystems

In 50% der Fälle kann die Diagnosestellung bereits intrauterin erfolgen [4]. So können sonographisch eine mangelnde Beweglichkeit und abnormale Stellungen der Extremitäten dargestellt werden [3]. Die klinische Untersuchung liefert in der Regel die Diagnose. Die Sonographie oder MRT der Muskulatur können die Diagnose, ebenso wie eine Muskelbiopsie, unterstreichen und die Planung einer operativen Versorgung unterstützen [4] [11]. Eine humangenetische Untersuchung auf bekannte verursachende Gene und eine entsprechende Beratung der Familie wird häufig durchgeführt.

Bei der TM kommt es bei Betrachtung der Extremitäten zu einer Schwäche und Sensibilitätsstörungen im Sinne von Dysästhesien. Die Symptome können innerhalb von Stunden bis Wochen eintreten [5] [12]. Die motorischen Ausfälle werden durch eine Beteiligung der Pyramidenbahnen verursacht. Dadurch sind vor allem an der oberen Extremität extendierende und an der unteren Extremität flektierende Muskeln betroffen [5]. Die sensiblen, motorischen und auch autonomen Funktionsstörungen äußern sich im Bereich der Läsionshöhe des Rückenmarks, bzw. im darunterliegenden Rückenmark. Zudem können im Bereich des inflammatorisch veränderten Rückenmarks Rückenschmerzen entstehen [5]. Sehr hohe Myelitiden können eine Lähmung aller vier Extremitäten und des Zwerchfells mit einer daraus resultierenden Ateminsuffizienz verursachen. Zur Diagnosestellung einer idiopathischen TM wurden einige Ein- und Ausschlusskriterien definiert [13]. Eine MRT oder CT-Myelographie, sowie eine Liquorpunktion gehören zur Standarddiagnostik. Langfristig zeigen sich die Patienten in ihrer Selbstständigkeit eingeschränkt und sind teilweise oder komplett auf fremde Hilfe angewiesen [6].


Konventionelle Behandlungswege

Die AMC ist bislang eine Domäne der Kinderorthopäden. Hierbei wird sich jedoch schwerpunktmäßig auf die Behandlung der unteren Extremität fokussiert. Auch chirurgische Behandlungen, wie beispielsweise Umstellungsosteotomien, erfolgen vor allem an den Beinen und Füßen [14], aber auch am Handgelenk [15]. Das frühe Behandlungsschema für die obere Extremität besteht zumeist aus Orthesen. In seltenen Fällen wurden Indikationen zur Arthrolyse und regionalen Muskeltransfers, hauptsächlich um eine aktive Ellenbogenbeugung zu erreichen, gestellt. Ein frühestmöglicher Beginn einer ergo- und physiotherapeutischen Behandlung, beispielsweise nach Vojta oder Bobath, wird angestrebt [11]. Neben Exoskeletten [16] kann auch eine spezielle Kleidung (sog. Playskin Lift) zur Verbesserung der Beweglichkeit eingesetzt werden [17].

Neben der Behandlung der verursachenden Erkrankung, die entsprechend individuell ist und beispielsweise Antibiotika oder Virostatika erfordert, kann die vordringliche Behandlung der TM die Anwendung von Kortikosteroiden und eine Plasmapharese beinhalten [18]. Wie bereits beschrieben ist die Prognose höchst individuell und ebenfalls stark von der Ursache abhängig [5]. Im Anschluss an eine Akutbehandlung sollte bei Residuen eine interdisziplinäre Rehabilitationsbehandlung angeschlossen werden.


Nerventransfers für AMC und TM

Die zeitnahe Reanimation der denervierten Muskulatur sollten sowohl bei der AMC wie auch bei der TM angestrebt werden. Bei der AMC ist die Besonderheit gegeben, dass bereits im Mutterleib die Aktivierung der Muskulatur gestört ist und die Denervierung so bereits pränatal besteht [11]. Um die Zeit bis zur potentiellen Reanimation geringstmöglich zu halten, ist die Durchführung von Nerventransfer bereits im frühen Säuglingsalter indiziert. Eine frühzeitige Vorstellung beim Operateur und ein zeitnaher Eingriff erhöhen die Chancen auf einen erfolgreichen Nerventransfer [19], finden in der klinischen Realität jedoch häufig erst mit einer signifikanten Latenz nach Geburt und/oder erstmaliger Diagnosestellung statt. Die Behandlung der AMC und der TM mit mikrochirurgischen Möglichkeiten ist aktuell noch nicht weit verbreitet und nur wenigen Medizinern als Behandlungsoption bekannt. Dass dies jedoch eine probate Therapiemöglichkeit darstellt konnte in der letzten Dekade gezeigt werden [20] [21] [22].

Abhängig vom klinischen Befund und der betroffenen, fehlenden Bewegungen sollte ein individueller Behandlungsplan erstellt werden. Dabei stellt sich neben den möglichen Zielnerven und -muskeln, insbesondere bei den Patienten mit einer AMC, die häufig beidseits betroffen sind, die Frage in welcher Reihenfolge Eingriffe erfolgen können. Die klinische Untersuchung ist im Säugling- und Kleinkindalter nicht strukturiert durchführbar. Durch verschiedene Reize, wie beispielsweise Spielzeuge etc., kann das Bewegungsausmaß meist jedoch so erfasst werden, dass fehlende Bewegungsmuster und -möglichkeiten zur Darstellung kommen. Elektrophysiologische Untersuchungen sind in dem sehr jungen Alter der Patienten deutlich erschwert, sodass auch hierdurch in der Regel keine Argumente für oder gegen eine OP-Indikation geliefert werden können. Die Entscheidung zur Operation und die Indikationsstellung müssen sehr eng mit den Eltern betroffener Kinder erörtert werden. Dabei muss der Behandler deutlich seine Beobachtungen erläutern und die daraus resultierenden Schlüsse, die für oder gegen eine operative Versorgung sprechen, erklären. Die Limitierungen von den Verfahren, zumindest soweit bekannt, müssen hierbei ebenfalls erklärt werden. Letztlich wird im Konsens mit den Eltern das weitere Vorgehen festgelegt.

In unserer Klinik wurden im Zeitraum von 08/2013 bis 03/2023 bislang insgesamt 18 Patienten mit einer AMC mittels insgesamt 21 Nerventransfers operativ behandelt. Wir führten im Rahmen von 15 Eingriffen zunächst Explorationen des Plexus brachialis zur Evaluation der anatomischen Verhältnisse und der elektrischen Stimulierbarkeit durch. Abhängig vom klinischen Bedarf der Patienten und den intraoperativen anatomischen Gegebenheiten führten wir im selben Eingriff die in [Tab. 3] aufgeführten Eingriffe durch ([Tab. 3]). Wie dargestellt ist das häufigste Ziel die Wiederherstellung der Ellenbogenbeugung und die Außenrotation der Schulter. Hierfür verwenden wir in der Regel eine Variante des Oberlin-Transfer [23] ([Abb. 2]), beziehungsweise führen einen Nerventransfer zur Reanimation der Schulterabduktion des anteiligen N. accessorius (englisch kurz SAN=spinal accessory nerve) auf den N. suprascapularis durch ([Abb. 3]) [24].

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Abb. 2 Modifizierter Oberlin-Transfer, als „double fascicular nerve transfer“, mit Verlagerung von Faszikeln des N. ulnaris (NU) und des N. medianus (NM) selektiv auf die motorischen Äste des N. musculocutaneus (NMC) bei AMC.
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Abb. 3 Dorsaler Zugang für die Neurotisation des N. suprascapularis (a), sowie die Darstellung des absteigenden Anteils des N. accessorius (XI/SAN) und des N. suprascapularis (SSC) (b).

Tab. 3 Eingriffe am peripheren Nervensystem bei AMC.

Eingriff

Ziel der Operation

Anzahl

Transfer Nervus accessorius auf N. suprascapularis

Reinnervation M. infraspinatus zur Verbesserung der aktiven Außenrotation der Schulter

10

Faszikel des N. medianus auf den N. musculocutaneus (Oberlin II)

Reinnervation des M. biceps brachii+M. brachialis zur Verbesserung der Ellenbogenbeugung

6

Faszikel des N. ulnaris auf den N. musculocutaneus (Oberlin I)

2

Faszikel des N. ulnaris+N. medianus selektiv auf Endäste des N. musculocutaneus (double fascicular nerve transfer)

Selektive Reinnervation der Mm. biceps brachii+M. brachialis zur Verbesserung der Ellenbogenbeugung

1

Faszikel des N. ulnaris auf den N. axillaris

Reinnervation des M. deltoideus zur Verbesserung der Schulterabduktion

1

N. thoracodorsalis auf den N. axillaris

1

Bei der TM ist die Behandlungsmöglichkeit mittels Nerventransfers ebenfalls wenig bekannt. Bei einer insgesamt geringen Fallzahl und der initialen Dramatik der Erkrankung ist die operative Versorgung am peripheren Nervensystem zunächst nicht im Fokus der Behandlung. Kommt es dennoch im Verlauf zu einer Vorstellung der Patienten in einer auf die kindliche Plexuschirurgie spezialisierten Einrichtung, sind diese nicht selten bereits aus dem Zeitfenster für einen erfolgreichen Nerventransfer gefallen. Auch hier ist die detaillierte Analyse der eingeschränkten oder gänzlich fehlenden Bewegungen erforderlich, um einen erfolgreichen Behandlungsplan erstellen zu können. Letztlich ergibt sich aus dem Bedarf und dem Ausmaß der Ausfälle die Strategie der Behandlung, sodass denkbare Optionen die Verwendung von Intercostalnerven (ICN) ([Abb. 4]) oder ein kontralateraler C7-Transfer ([Abb. 5]) sind. Insgesamt führten wir im Zeitraum von 10/2016 bis 08/2023 bei insgesamt fünf Patienten (im Alter von 22 bis 64 Monaten) mit TM die beschriebenen Nerventransfers durch.

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Abb. 4 Langstreckig präparierte Intercostalnerven (ICN) (a) zum Transfer auf u. a. den N. thoracicus longus (*) (b).
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Abb. 5 N. suralis-Interponate werden subkutan im Rahmen eines kontralateralen C7-Transfers getunnelt (a) und mikrochirurgisch koaptiert (b).


Ergebnisse

Insgesamt konnten wir in 21 Eingriffen bei 18 AMC Patienten Nerventransfers erfolgreich durchführen. Die nötigen Voraussetzungen, wie wieein adäquater Muskelund auch regelrechte anatomische Gegebenheiten, wie beispielsweise ein normal angelegter N. musculocutaneus, waren in diesen Fällen gegeben. Bei 15 vorausgehenden Explorationen des Plexus brachialis zeigte sich dieser zumeist hypoplastisch ausgeprägt und dabei nur die unteren Anteile, die eine Bewegung der Handgelenke und Finger auslösten, mit atypisch hohen Stromstärken (3–5 mA) stimulierbar. Über die Stimulation des Plexus brachialis konnte bei keinem der Kinder eine Ellenbogenbeugung oder Außenrotation der Schulter ausgelöst werden. In vier Fällen lag eine deutliche Einengung des Plexus brachialis, im Sinne einer fehlenden Skalenuslücke ([Abb. 6]), vor, welche dekomprimiert und erweitert wurde.

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Abb. 6 Vollständig verschlossene Skalenuslücke (*) im Rahmen der Plexus-Exploration bei AMC.

Bei neun Patienten konnte ein Oberlin-Transfer (6x Faszikel des N. medianus auf den N. musculocutaneus – Oberlin II-Transfer, 2x Faszikel des N. ulnaris auf den N. musculocutaneus - Oberlin I-Transfer, 1x N. ulnaris und N. medianus auf Endäste des N. musculocutaneus – double fascicular nerve transfer) durchgeführt werden. Das durchschnittliche Alter der Patienten bei diesem Eingriff lag bei 9,5 Monaten (SD 5,44 Monate). In zehn Fällen führten wir einen Transfer des N. accessorius auf den N. supracscapularis durch. Hierbei betrug das durchschnittliche Alter der Patienten 14,7 Monate (SD 9,2 Monate). In einem Fall konnte kein N. accessorius aufgefunden werden, was sich in einem degenerierten M. trapezius ebenfalls darstellte. In einem weiteren Fall war der N. accessorius nur mit sehr hohem Reizstrom stimulierbar (5 mA), sodass sich gegen dessen Verwendung als Spendernerv entschieden wurde.

Von neun Eingriffen mit einem Nerventransfer mit dem N. musculocutaneus als Ziel zur Wiederherstellung der Ellenbogenbeugefunktion konnten im Follow up 7 Patienten nachuntersucht werden. Mit einem durchschnittlichen Zeitraum von 31 Monaten (SD 37,2 Monate) nach dem entsprechenden Eingriff zeigte sich im Mittel eine Verbesserung der Ellenbogenbeugung um 75,7° (SD 12,9°) ([Abb. 7]). Von 10 Eingriffen, bei denen der anteilige N. accessorius auf den N. suprascapularis transferiert wurde, konnten 5 Patienten im Langzeitverlauf nachuntersucht werden. Hier zeigte sich nach durchschnittlich 35 Monaten (SD 40 Monate) eine Verbesserung der aktiven Außenrotation der Schulter um 19° (SD 10,2°). Im Einzelfall des transferierten N. thoracodorsalis auf den N. axillaris konnte bereits 6 Monate postoperativ eine Abduktion der Schulter im Sitzen von 45°, liegend sogar von 90° erreicht werden. Diese Patientin wurde im Alter von 19 Monaten operiert. Im weiteren Einzelfall des Transfers eines Faszikels des N. ulnaris auf den N. axillaris führte mit ca. 30° Abduktion in liegender Position 18 Monate nach dem Eingriff zu einem mäßigen Ergebnis. Die Operation bei diesem Patienten erfolgte im Alter von 14 Monaten.

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Abb. 7 Beugefähigkeit des Ellenbogens 10 Jahre nach Oberlin-Transfer bei AMC.

Bei den acht Patienten, bei denen nach Exploration ein Nerventransfer zur Aufwertung des N. musculocutaneus nicht durchführbar war, lag das durchschnittliche Alter bei 15 Monaten (Minimum=6 Monate / Maximum=32 Monate). Hierbei zeigte sich die Region, in der der M. biceps brachii zu erwarten war, vollständig verfettet oder komplett fibrotisch umgebaut ([Abb. 8]). In zwei der operierten Fälle lag eine anatomische Variante des N. musculocutaneus vor, mit keiner Innervation der typischen Bicepsregion.

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Abb. 8 Atrophierte, mit deutlich vermehrtem Binde- und Fettgewebe, Loge des M. biceps brachii am Oberarm bei AMC.

Es erfolgte teilweise eine histopathologische Aufarbeitung der distalsten, bzw. proximalsten Schnittkanten der Empfänger- und Spendernerven. Für alle untersuchten Nerven (N. musculocutaneus, Faszikel N. medianus, N. accessorius, N. suprascapularis) wurde eine regelrechte neuroanatomische Struktur der Nerven ohne pathologische Auffälligkeiten beschrieben.

Es konnten alle behandelten Fälle der TM Gruppe in die Nachuntersuchung eingeschlossen werden. [Tab. 4] zeigt die durchgeführten Eingriffe und die erzielten Resultate. Eine statistische Aufarbeitung der erreichten Resultate ist unseres Erachtens aufgrund der geringen Fallzahl und der großen Heterogenität der durchgeführten Eingriffe nicht sinnvoll möglich, sodass diese hier einzeln abgebildet werden. Durch die verschiedenen Nerventransfers konnte die Funktionalität der Extremität in allen Fällen deutlich aufgewertet werden konnte. Eine Entnahmemorbidität der Spendernerven trat in keinem der dargestellten Fälle auf. Die Darstellung zeigt die individuellen Therapieregime für die einzelnen Patienten in Abhängigkeit von deren Lähmungsmuster. Bei allen Patienten zeigte sich präoperativ klinisch für die reanimierten Muskeln eine vollständige schlaffe Lähmung.

Tab. 4 Angaben zu den operativ versorgten Patienten mit TM.

Pat.

Geschl.

Alter bei Erkrankung

Alter bei OP

Durchgeführte OP

Resultat

Letzte Nach-untersuchung nach letzter OP

1

m

4 J 4 Mo

5 J 4 Mo

6 ICN→

N. thoracicus long.
N. thoracodorsalis
N. musculocutaneus

geringe Scapula alata

EB-Beugung 130° (Biceps M4)

6 J 1 Mo

5 J 6 Mo

Kontralateraler N. pectoralis medialis → N. axillaris

Abduktion liegend 50°/stehend 30°

2

m

4 J 9 Mo

6 J 8 Mo

N. accessorius →

N. suprascapularis

Faszikel N. medianus →

N. musculocutaneus (Oberlin II)

aAR in Add 30°

Ellenbogenbeugung 120° (Biceps M4)

1 J 10 Mo

3

m

10 Mo

1 J 10 Mo

N. accessorius →

N. suprascapularis

Faszikel N. medianus →

N. musculocutaneus (Oberlin II)

1. Radialisast Triceps →

N. axillaris

aAR in Add 50°

EB-Beugung 120° (Biceps M3)

Abduktion 90°

11 Mo

4

m

3 J 3 Mo

3 J 10 Mo

cC7 →

Tr. Superior, Pars lateralis

Faszikel N. medianus →

N. musculocutaneus (Oberlin II)

Abduktion 50°

aAR in Add 50°

EB-Beugung 120° (Biceps M4)

3 J 7 Mo

3 J 11 Mo

4 ICN →

N. thoracicus long. N. thoracodorsalis

Radialisast zum M. triceps

Geringe Scapula alata

Tastbare Anspannung M. latissimus dorsi

Triceps M3

5

w

3 J 6 Mo

4 J 4 Mo

Faszikel N. medianus+N. ulnaris →

N. musculocutaneus (double fascicular nerve transfer)

3 ICN →

N. thoracodorsalis

EB-Beugung 90°

Reinnervation M. latissimus dorsi für Muskeltransfer

3 J 3 Mo

4 J 6 Mo

cC7 →

N. axillaris

Abduktion liegend 90°/stehend 30°


Diskussion

Die Einschränkungen im Alltag durch schlaffe Lähmungen oder Gelenkimmobilitäten sind sehr ausgeprägt, sodass die Betroffenen beispielsweise nicht in der Lage sind, selbstständig und ohne Hilfsmittel die Hand zum Mund zu führen und Nahrung aufzunehmen. Die Durchführung von Arthrolysen, Sehnen- oder Muskeltransfers können bei der AMC und der TM schon häufig eine Verbesserung der Alltagsbewältigung ermöglichen [25].

Sowohl bei der AMC, wie auch bei der TM ist eine frühzeitige Mitbeurteilung durch einen peripheren Nervenchirurgen sinnvoll. So können innerhalb einer frühen Phase bei schlaffen Lähmungen wichtige Weichen gestellt werden und mögliche Nerventransfers evaluiert werden, bevor eine Reanimation der gelähmten Muskulatur nicht mehr möglich und die Atrophie derselben zu weit fortgeschritten ist. Hierbei liegt aktuell das Augenmerk auf der oberen Extremität und dort allem voran auf der Ellenbogenflexion und der Außenrotation der Schulter. Diese Funktionen sind für eine selbstständige und autonome Bewältigung des Alltags von essenzieller Bedeutung [6]. Der Vorteil hier liegt darin, dass die Möglichkeiten zum Nerventransfer bewährt und bereits auf dem Feld der geburtstraumatischen Plexusparesen in hohem Maße etabliert sind [21] [26]. Das Erreichen einer aktiven Bewegung, vor allem im Ellenbogengelenk, bei der AMC ist ein sehr ambitioniertes, aber durchaus erreichbares Ziel. Dass Nerventransfers auch an der unteren Extremität bei TM erfolgreich sind publizierten Moore et al. in einer Fallserie von acht Kindern, welche durchschnittlich 15,7 Monate nach der Diagnose operiert wurden [27].

Die von uns erlangten Ergebnisse an der oberen Extremität deuten darauf hin, dass eine Intervention durch einen Nerventransfer zu einem sehr frühen Zeitpunkt, am ehesten sogar in der ersten Hälfte des ersten Lebensjahres, einen Erfolg ermöglichen kann. Zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführte Explorationen am Oberarm zeigten oftmals eine weit fortgeschrittene Fibrosierung oder Atrophie der Muskulatur, sodass ein Nerventransfer nicht mehr sinnvoll durchführbar war. Histopathologische Untersuchungen der Ziel- und Spendernerven aus den von uns durchgeführten Operationen zeigten bei der AMC eine regelrechte Anatomie des peripheren Nervens, sodass kein neurogener Befund vorliegt, der per se gegen einen Nerventransfer spräche. Die Muskulatur muss als Zielorgan vital und ohne massive Fibrosierung vorhanden sein, um den Erfolg des Nerventransfers zu ermöglichen. Hierbei können präoperative Sonographien oder eine MRT-Untersuchung zur Abschätzung hilfreich sein und sollten festen Einzug in die präoperative Vorbereitung halten. Letztlich ist jedoch der intraoperative Eindruck und möglicherweise geringe elektrische Stimulierbarkeit wichtig für die Entscheidung für einen Nerventransfer, was präoperativ bei Säuglingen unseres Erachtens nicht adäquat zu eruieren ist.

Grenzen solcher Verfahren sind dann erreicht, wenn es sich nicht um stabile, sondern progressive Muskeldystrophien handelt. Dabei handelt es sich um genetische Erkrankungen, die zu defekten oder mangelnden Proteinen im Muskel selber führen. Daraus resultierende Muskelschwäche und Muskelschwund sind primär myogener und nicht neurogener Ätiologie, sodass die beschriebenen Verfahren hier keine Anwendung finden können.

In der Regel sind die Patienten bereits früh in physio- und ergotherapeutischer Behandlung. Dies ist präoperativ unter anderem wichtig, um die Gelenke passiv, im Rahmen ihres Bewegungsradius, beweglich zu halten und mit bestmöglichen Voraussetzungen eine beginnende Eigenbewegung zu unterstützen. Nach der operativen Versorgung mit einem Nerventransfer wird von uns in der Regel ein kurzer Zeitraum von 10 Tagen der Ruhigstellung zum Schutz der Koaptation angeschlossen. Anschließend soll die Beübung wie zuvor fortgesetzt werden. Dabei lohnt sich ein enger Austausch mit den Behandlern, um für das OP-Prinzip und Ziel zu sensibilisieren. Gerne erinnern wir Eltern und Therapeuten, dass eine Nervenregenerationszeit von mehreren Wochen bis Monaten bis zum Beginn einer aktiven Bewegung abzuwarten ist, die im Verlauf dann langsam zunimmt. Darüber hinaus sollte nach erfolgter Reinnervation auf bestimmte Triggerbewegungen, wie z. B. der Faustschluss beim Oberlin-Transfer oder die kontralaterale Adduktion des Oberarms beim kontralateralen C7-Transfer, hingewiesen werden. Diese sind zum Kraftaufbau zunächst nützlich, dennoch ist das Ziel im Verlauf eine Unabhängigkeit der Bewegungen zu erreichen.

Was tun, wenn ein Nerventransfer nicht mehr möglich ist?

Wie dargestellt führt sowohl bei Patienten mit einer AMC wie auch mit einer schlaffen Lähmung im Rahmen einer TM nicht zwingend jeder Nerventransfer zum gewünschten Erfolg. Auch einehäufig erst späte Vorstellung der Patienten macht einen Nerventransfer meist unmöglich, sodass auch weitere Möglichkeiten wie motorische Ersatzplastiken zur operativen Verbesserung der Extremitätenfunktion in Betracht gezogen werden sollten. Diese Möglichkeiten sollten, bei ausgefallener Funktion, bereits im Rahmen der Rekonstruktionen mittels Nerventransfers bedacht werden. So kann beispielsweise ein neurotisierter M. latissimus dorsi bei Bedarf als gestielte funktionelle Muskellappenplastik ([Abb. 9]) zum Biceps- oder Tricepsersatz, wie auch für die Bewegungen der Schulter Verwendung finden [25]. Darüber hinaus gibt es Beschreibungen, bei denen der M. pectoralis major [28] für die Flexion des Ellenbogens, ebenso wie das Caput longum des M. triceps brachii [29], transferiert werden. Eine Schwäche der Außenrotation der Schulter kann über einen ipsilateralen, aber auch einen kontralateralen Transfer des M. trapezius aufgewertet werden [30] [31]. Bei Fehlstellungen des Handgelenks können entsprechende knöcherne Resektionen oder Sehnentransfers in Betracht gezogen werden [15].

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Abb. 9 M. latissimus dorsi Transfer zur Herstellung einer Ellenbogenbeugung. Der M. latissimus dorsi wird großflächig auf der rechten Thoraxseite (*) mobilisiert (a) und an seiner Ansatzsehne, sowie seinem Gefäßnervenbündel gestielt durch die Axilla ( → ) in den Oberarm transferiert und am proximalen Radius inseriert (b).

Sowohl für die AMC wie auch für die TM stellt der Transfer eines freien funktionellen Muskeltransplants eine weitere Therapieoption dar [32]. Hierfür kann es bei mangelnden Spendernerven an der betroffenen Extremität erforderlich sein einen Spendernerv von weiter entfernter Stelle mittels Suralisinterponat in die Empfängerregion vorzulegen ([Abb. 10]).

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Abb. 10 Vorlegen eines 29 cm langen N. suralis Interponats vom N. accessorius zum Unterarm als Vorbereitung für einen freien funktionellen Muskeltransfer.

Dennoch sollte hierbei der Aspekt, dass die Gelenke entsprechend lange immobilisiert sind, nicht außer Acht gelassen werden, sodass auch hier die möglichst frühe Versorgung erfolgen sollte.



Schlussfolgerungen

Durch die dargestellten bedarfsadaptierten Nerventransfers konnten wir in vielen Fällen wichtige Funktionen der oberen Extremität, wie Ellenbogenbeugung oder Schulterbeweglichkeit, für die betroffenen Kinder herstellen, bzw. wiederherstellen. Bei der Indikationsstellung ist es wichtig, dass die Diagnose korrekt gestellt und nicht eine primär myogene Ursache, wie beispielsweise eine progressive Muskeldystrophie, übersehen oder fehlgedeutet wird. Die kritische Evaluation der Vitalität der Muskulatur, die begrenzte Gelenkkontraktur und die Verfügbarkeit entbehrlicher motorischer Spendernerven ist für die Durchführung derartiger Eingriffe zwingend erforderlich. Die Möglichkeiten zur präoperativen Erfassung der Qualität von verbliebener Muskulatur, deren Stimulierbarkeit und die Darstellung der Anatomie sind bei kleinen Kindern stark limitiert. Eine Sonographie ist einfach durchführbar und kann grob orientierend einen Eindruck der Muskulatur liefern. Die durch eine MRT zusätzlich erreichbaren Informationen sind ebenfalls begrenzt und erfordern im Säuglingsalter zwangsläufig eine zusätzliche Sedierung. Um einen bestmöglichen Erfolg durch eine Reinnervation mittels Nerventransfers erreichen zu können, ist eine frühestmöglicher OP-Zeitpunkt essentiell. Dafür ist es unseres Erachtens wichtig, dass die die beschriebenen Möglichkeiten bei den (neuro)pädiatrisch Vor- bzw. Mitbehandelnden, welche die betroffenen Kinder bspw. im Rahmen von U-Untersuchungen regelmäßig sehen, größere Bekanntheit erlangen. Die betroffenen Kinder sollten in einer spezialisierten Plexussprechstunde, ggf. unter Einbeziehung von Neuropädiatern und Kinderorthopäden, gesehen und die Indikationen bzw. Behandlungspläne erstellt werden. Insgesamt ermutigen die dargestellten Resultate zur Durchführung von frühen Nerventransfers bei der AMC oder schlaffen Lähmungen im Rahmen einer TM.


Dr. med. Benedikt Schäfer, Jahrgang 1988. 2008–2014 Studium der Humanmedizin an der RWTH Aachen. 2015–2021 Facharztausbildung Plastische und Ästhetische Chirurgie, 2021 Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie, 2023 Zusatzbezeichnung Handchirurgie. Oberarzt der Sektion für Plexuschirurgie in der Klinik für Plastische Chirurgie, Hand- und Verbrennungschirurgie, Uniklinik RWTH Aachen. Schwerpunkte: Periphere Nervenchirurgie, Muskuloskelettales Tissue Engineering.


Autorinnen/Autoren

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Dr. med. Benedikt Schäfer, Jahrgang 1988. 2008–2014 Studium der Humanmedizin an der RWTH Aachen. 2015–2021 Facharztausbildung Plastische und Ästhetische Chirurgie, 2021 Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie, 2023 Zusatzbezeichnung Handchirurgie. Oberarzt der Sektion für Plexuschirurgie in der Klinik für Plastische Chirurgie, Hand- und Verbrennungschirurgie, Uniklinik RWTH Aachen. Schwerpunkte: Periphere Nervenchirurgie, Muskuloskelettales Tissue Engineering.

Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. Benedikt Schäfer
University Hospital RWTH Aachen
Plastic Surgery, Hand surgery, Burn center
Pauwelsstraße 30
52074 Aachen
Germany   

Publication History

Received: 11 October 2023

Accepted: 01 January 2024

Article published online:
20 March 2024

© 2024. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Dr. med. Benedikt Schäfer, Jahrgang 1988. 2008–2014 Studium der Humanmedizin an der RWTH Aachen. 2015–2021 Facharztausbildung Plastische und Ästhetische Chirurgie, 2021 Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie, 2023 Zusatzbezeichnung Handchirurgie. Oberarzt der Sektion für Plexuschirurgie in der Klinik für Plastische Chirurgie, Hand- und Verbrennungschirurgie, Uniklinik RWTH Aachen. Schwerpunkte: Periphere Nervenchirurgie, Muskuloskelettales Tissue Engineering.
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Abb. 1 Klinisches Bild bei AMC. Fehlende Beugefalte in der Ellenbeuge (a) und passive Gelenkbeweglichkeit (b).
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Abb. 2 Modifizierter Oberlin-Transfer, als „double fascicular nerve transfer“, mit Verlagerung von Faszikeln des N. ulnaris (NU) und des N. medianus (NM) selektiv auf die motorischen Äste des N. musculocutaneus (NMC) bei AMC.
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Abb. 3 Dorsaler Zugang für die Neurotisation des N. suprascapularis (a), sowie die Darstellung des absteigenden Anteils des N. accessorius (XI/SAN) und des N. suprascapularis (SSC) (b).
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Abb. 4 Langstreckig präparierte Intercostalnerven (ICN) (a) zum Transfer auf u. a. den N. thoracicus longus (*) (b).
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Abb. 5 N. suralis-Interponate werden subkutan im Rahmen eines kontralateralen C7-Transfers getunnelt (a) und mikrochirurgisch koaptiert (b).
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Abb. 6 Vollständig verschlossene Skalenuslücke (*) im Rahmen der Plexus-Exploration bei AMC.
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Abb. 7 Beugefähigkeit des Ellenbogens 10 Jahre nach Oberlin-Transfer bei AMC.
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Abb. 8 Atrophierte, mit deutlich vermehrtem Binde- und Fettgewebe, Loge des M. biceps brachii am Oberarm bei AMC.
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Abb. 9 M. latissimus dorsi Transfer zur Herstellung einer Ellenbogenbeugung. Der M. latissimus dorsi wird großflächig auf der rechten Thoraxseite (*) mobilisiert (a) und an seiner Ansatzsehne, sowie seinem Gefäßnervenbündel gestielt durch die Axilla ( → ) in den Oberarm transferiert und am proximalen Radius inseriert (b).
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Abb. 10 Vorlegen eines 29 cm langen N. suralis Interponats vom N. accessorius zum Unterarm als Vorbereitung für einen freien funktionellen Muskeltransfer.