Entgegen mancher Befürchtungen fallen die Empfehlungen der
Regierungskommission in vielen Teilen doch positiver aus, was wohl auch daran liegt,
dass in der Person von Tom Bschor die Kommission von einem Facharzt für
Psychiatrie und Psychotherapie geleitet wird und damit von jemandem, der die
Spezifika und Probleme der psychiatrischen Versorgung aus eigener und
langjähriger Erfahrung kennt. Dadurch wird die besondere Rolle der
Psych-Fächer gesehen, die Bedeutung der Pflichtversorgung betont und die
Vorreiterrolle der Psychiatrie in der Etablierung tagesklinischer Behandlung und bei
setting- und sektorenübergreifenden Ansätzen hervorgehoben. Gerade
die Überwindung der Sektorengrenzen ist ein explizites Ziel der
Regierungskommission; diese Überwindung entspricht auch im besonderen
Maß den Therapiebedingungen in den Psych-Fächern.
Die damit verbundene Hoffnung, durch sektorenübergreifendes Arbeiten den
Fachkräftemangel abmildern zu können, erscheint aber nur in geringem
Maß, nur für bestimmte Berufsgruppen und nur insoweit
möglich, als unter Berücksichtigung medizinisch-pflegerischer
Aspekte vollstationäre in tagesklinische oder ambulante Behandlung
tatsächlich umgewandelt werden kann. Ein zusätzlicher Faktor
könnten dann qualitative Änderungen der Arbeitsplatzstruktur sein,
die die Rückgewinnung mancher aus dem klassischen Krankenhaus abgewanderter
Mitarbeitender ermöglicht.
Im Folgenden sollen die für psychiatrische Kliniken besonders
versorgungsrelevanten Gesichtspunkte dieser Stellungnahme angesprochen werden:
Abteilungspsychiatrie und Fachkrankenhäuser
Abteilungspsychiatrie und Fachkrankenhäuser
In Deutschland erfolgt die psychiatrische Versorgung in insgesamt über 400
Einrichtungen zu ca. je 50% in Fachabteilungen an
Allgemeinkrankenhäusern bzw. in Fachkrankenhäusern. Abteilungen
für Erwachsenenpsychiatrie werden von der Kommission zumindest an allen
Level II- bis III-Krankenhäusern empfohlen. Zudem soll laut
Regierungskommission geprüft werden, inwieweit Fachkrankenhäuser
baulich und inhaltlich in Allgemeinkrankenhäuser integriert werden
können. Da dies u. a. mit erheblichen baulichen Maßnahmen -
und somit mit einem erheblichen finanziellen Aufwand - einhergehen würde,
erscheint dies auch langfristig wenig realisierbar – und auch an vielen
Orten nicht erforderlich, da bereits enge Kooperationen zwischen
Fachkrankenhäusern und Allgemeinkrankenhäusern bestehen. Hier
sollten also gleichwertig eine bauliche Nähe oder eine enge Kooperation
(Liaison- u. Konsildienste) genannt werden. Dies entspricht bereits vielerorts der
Versorgungsrealität und bedarf keiner politisch erzwungenen
Veränderung.
PPP-RL
Die Regierungskommission appelliert bezüglich der PPP-RL, den
Dokumentationsaufwand zu reduzieren und die geplanten Sanktionen weiterhin
auszusetzen. Dies erfolgte dann auch durch Beschluss des G-BA vom 19.10.2023. Die
Empfehlung, die Sanktionssystematik der PPP-RL den Personaluntergrenzen in den
nicht-psychiatrischen Fächern anzupassen, ist zwar angemessener im Vergleich
zur bisherigen Ungleichbehandlung durch die PPP-RL, aber durch den Beschluss des
G-BA überholt: Es soll lediglich nur noch der Anteil der Vergütung
entfallen, der rechnerisch dem Anteil des fehlenden Personals entspricht. Ein
Festhalten an starren Mindestvorgaben für jede einzelne Berufsgruppe und
deren Sanktionierung bei Nichterfüllung führt letztlich zu einer
Bestrafung der Kliniken, die in Zeiten des Fachkräftemangels unverschuldet
nicht ausreichend Personal einstellen können. Bezüglich der
gefährdenden Wirkung der ursprünglich geplanten Klinik-Sanktionen
auf die psychiatrische Versorgung hat eindrücklich das Positionspapier der
Fachverbände übergreifenden Plattform Entgelt hingewiesen. Die
Bewertung der PPP-RL durch die Regierungskommission erscheint insgesamt noch zu
unkritisch, eine grundsätzliche Änderungen erfolgten auch durch den
G-BA-Beschluss vom 19.10.2023 nicht. Inhaltliche Kritikpunkte am Grundkonzept, am
hohen administrativen Aufwand usw. müssen eingebracht werden [1]. Verwiesen sei auf das Plattform-Modell [2] und das EPPIK-Projekt, auf deren Ergebnisse zu
einer modernen Personalbemessung nun auch der G-BA explizit wartet und Sanktionen
bis 2026 ausgesetzt lässt.
PEPP-System
Bezüglich des 2018 eingeführten PEPP-Entgeltsystem, das
Tagesvergütungssätze entsprechend Patientenkriterien und
Behandlungsdauer vorsieht, kommt die Regierungskommission zu einer abwartenden
Haltung und definiert einen (Anpassungs)Bedarf nach einer systematischen Auswertung.
Dieser Vorsicht ist zuzustimmen. Eine Vorhaltevergütung für die
Psych-Fächer ist aber unabhängig von den Ergebnissen der Evaluation
des PEPP-Systems zu fordern, hier ist ein Verweis auf angeblich schon eingepreiste,
aufwandsgerechte Vorhaltekosten nicht ausreichend, da unsere Kliniken Institutionen
der Daseinsvorsorge sind und die Versorgung nicht allein fallbasiert finanziert
werden sollte, um keine falschen finanziellen Anreize zu schaffen. Es muss durch
Strukturen der Finanzierung verhindert werden, dass einzelne Kliniken selektiv
möglichst viele, planbar und kurz behandelbare Fälle
akkumulieren.
Tagesklinische Behandlung
Tagesklinische Behandlung
Während somatische Abteilungen und Kliniken erst seit 01.01.2023 sog.
tagesstationäre Behandlungen flächendeckend erbringen
können, verfügen die Psych-Fächer bereits seit Jahren
über Tageskliniken. Aktuell stehen ca. 17.000 teilstationäre
(i. e. tages- und nachtklinische) Behandlungsplätze in knapp 400
Einrichtungen für Psychiatrie und Psychotherapie zur Verfügung. Im
Hinblick auf eine flexible sektorenübergreifende Behandlung von
vollstationär, tagesklinisch bis ambulant oder aufsuchend wird von der
Regierungskommission empfohlen, auf allen vollstationären
Behandlungsplätzen auch tagesklinisch entsprechend der vereinbarten
Vergütungsmodalität behandeln zu dürfen. Im klinischen
Alltag erfolgt dies vielerorts bereits im Rahmen einer integrierten tagesklinischen
Behandlung auf einer (meist spezialisierten) Station im Sinne einer kontinuierlichen
Behandlungskette durch das gleiche therapeutische Team. Es besteht Grund zur
Annahme, dass etwa 30% der Patienten mit einer akuten, stationär
behandlungsbedürftigen psychischen Störung in einem tagesklinischen
Setting behandelt werden könnten. Außerdem dürfte die
tagesklinische Behandlung einer vollstationären Behandlung bezüglich
Psychopathologie, Behandlungszufriedenheit und Lebensqualität gleichwertig
und bezüglich des sozialen Funktionsniveau überlegen [3], zudem in Bezug auf die direkten Kosten um etwa
20% kostengünstiger [4] sein.
Wie die Regierungskommission somit richtig feststellt, besteht weiter ein relevantes
Potential, bislang vollstationäre Behandlungen teilstationär (oder
ambulant) zu erbringen. Dem ist – insbesondere auch unter
Berücksichtigung der Ergebnisse von Modellprojekten [5]
[6] –
zuzustimmen, sofern die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten und
ökonomischen Voraussetzungen gegeben sind. In diesem Zusammenhang muss auch
explizit die – von mittlerweile ca. 60 Kliniken angebotene –
Stationsäquivalente Behandlung (StäB) genannt werden, deren
Praktikabilität und Effektivität erste Studien nahelegen [7]
[8], deren
Limitationen aber auch bedacht werden müssen [9]
[10].
Psychiatrische Institutsambulanzen
Psychiatrische Institutsambulanzen
Psychiatrische Institutsambulanzen sind eine feste Größe im
psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgungssystem zur Vermeidung von sog.
„Drehtüreffekten“, zur Stabilisierung bei chronischen
Verläufen und zur Krisenintervention [11].
Für die ca. 500 psychiatrischen Institutsambulanzen (etwa 2 Mio.
Behandlungsfälle pro Jahr) wird von der Regierungskommission das sog.
Bayerische Modell zur bundesweiten Einführung empfohlen. Anstelle von
Quartalspauschalen wird hier jede einzelne Behandlungsleistung je nach Berufsgruppe
vergütet. Zudem bietet das Modell eine bürokratiearme, einfache und
dennoch transparente Dokumentations- und Abrechnungsmöglichkeit. Somit
erhalten Patient*innen individuell und flexibel die notwendige ambulante
Behandlung, welche auch unproblematisch bei Beschwerdeverschlechterung intensiviert
werden kann. Das Bayerische Modell wäre damit zudem eine gute Basis
für eine ambulante Intensivbehandlung (vgl. AMBI, Rahmenkonzept für
eine ambulant-intensive Komplexbehandlung in Psychiatrischen Institutsambulanzen)
oder Home Treatment [9].
Modellvorhaben nach §64b SGB V
Modellvorhaben nach §64b SGB V
Das Ziel einer bedarfsgerechten und kosteneffektiven Versorgung erfordert die
Überwindung der Sektorengrenzen. Die Regierungskommission bewertet daher
Modellvorhaben nach § 64b SGB V zurecht positiv, insbesondere auf Basis
umfangreicher Evaluationen [5]:
„Modellvorhaben nach § 64b SGB V verringern die Anzahl
vollstationärer Behandlungstage. Vermiedene vollstationäre
Behandlungstage werden in einigen Modellvorhaben im teilstationären Bereich
und in anderen in der Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA) kompensiert.“
Dennoch sieht die Kommission diese Modellprojekte als noch nicht geeignet und
hält es für verfrüht, diese bereits jetzt pauschal und
obligat auf ganz Deutschland zu übertragen, da sich u. a. die
KV-Versorgung regional unterscheidet. Perspektivisch erscheint langfristig ein
einheitliches Vergütungssystem über alle Behandlungssettings (incl.
StäB) hinweg sowie auch die Einbeziehung der Vertragspartner der KV
sinnvoll. Aufgrund aktueller Daten, u. a. aus dem seit 20 Jahren laufenden
Modellprojekt eines Regionalbudgets [6],
wäre eine klarere Empfehlung zum Abschluss solcher Vergütungsmodelle
und auch ein Kontrahierungszwang ohne vorausgehende Mindestquote
wünschenswert gewesen. Am Beispiel eines Landkreises konnten langfristige
Effekte eines Regionalen Budgets gezeigt werden [6]: Durch ein Regionalbudget kann es zu einer deutlichen Verschiebung der
Versorgung aus dem stationären in den ambulanten Bereich und gleichzeitig zu
einer Stabilität der Kosten kommen, wobei durch die
settingunabhängige Behandlung auch eine am individuellen Bedarf
ausgerichtete langfristige Versorgung möglich ist. Regionalbudgets und
vergleichbare Vergütungsformen könnten neben der
Entökonomisierung klinischer Prozesse die Flexibilisierung, Ambulantisierung
und Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung fördern [12]. Es spricht aus psychiatrischer Sicht somit
viel dafür, verstärkt die Option einer Überführung
solcher Modellprojekte auch in die regionale Regelversorgung zu prüfen.
Mittlerweile sieht dies auch der GKV-Spitzenverband im Grundsatz so (vgl.
Zehn-Punkte-Papier der GKV zur Weiterentwicklung der psychiatrischen
Krankenhausversorgung in Deutschland vom 26.06.2023).
Resümee
Die Achte Stellungnahme und Empfehlung der Regierungskommission für eine
moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung stellt die Weichen für die
Zukunft der psychiatrischen Krankenhäuser. Dabei muss für alle
Beteiligten übergeordnetes Ziel sein, eine bürokratiearme,
bedarfsgerechte und leitlinienkonforme Versorgung herzustellen. In diesem Sinne
braucht es auch „einen Paradigmenwechsel von der Orientierung an den
Strukturen der Anbieter hin zu der Orientierung an den Bedürfnissen und dem
Bedarf der Patienten, von der Finanzierung von Einzelleistungen hin zur Finanzierung
von Aufgaben, von der Orientierung am Behandlungssetting zur
Settingunabhängigkeit und von der Verfolgung von Partialinteressen zur
Übernahme von Verantwortung in der Region“ [13].