CC BY-NC-ND 4.0 · Geburtshilfe Frauenheilkd 2024; 84(01): 48-58
DOI: 10.1055/a-2202-5363
GebFra Science
Review

Applikation antenataler Kortikosteroide: optimales Timing

Article in several languages: English | deutsch
Richard Berger
1   Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Marienhaus Klinikum St. Elisabeth, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universitäten Mainz und Maastricht, Neuwied, Germany (Ringgold ID: RIN39639)
,
Patrick Stelzl
2   Universitätsklinik für Gynäkologie, Geburtshilfe und gynäkologische Endokrinologie, Kepler Universitätsklinikum, Johannes Kepler Universität Linz, Linz, Austria (Ringgold ID: RIN31197)
,
Holger Maul
3   Frauenkliniken, Asklepios Kliniken Barmbek, Wandsbek und Nord-Heidberg, Hamburg, Germany (Ringgold ID: RIN9161)
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Die Effektivität antenataler Kortikosteroide (ACS), das Respiratory Distress Syndrome (RDS) signifikant zu senken, hängt entscheidend vom Timing ab. Dies gelingt bei einer Entbindung > 24 Stunden bis 7 Tage nach Applikation, nach dieser Zeit scheinen eher die Nebenwirkungen zu überwiegen. Darüber hinaus werden bei Kindern, die nach ACS-Applikation reif geboren werden, vermehrt mentale Beeinträchtigungen und Verhaltensstörungen beobachtet. Das optimale Timing der ACS-Gabe hängt entscheidend von der jeweiligen Indikation ab und gelingt bisher in lediglich 25–40% der Fälle. Die ACS-Applikation ist immer indiziert bei PPROM, bei schwerer, früher Präeklampsie, bei fetaler IUGR mit Null- oder Reverse-Flow in der A. umbilicalis, bei einer blutenden Placenta praevia und bei Patientinnen mit vorzeitiger Wehentätigkeit und einer Zervixlänge < 15 mm. Das Risiko von Frauen mit einer asymptomatischen Zervixinsuffizienz, innerhalb von 7 Tagen zu gebären, ist sehr gering. Hier sollte auf die ACS-Gabe auch bei einer Zervixlänge von unter 15 mm verzichtet werden, wenn der Muttermund geschlossen ist und keine weiteren Risikofaktoren für eine Frühgeburt vorliegen. Die Entwicklung weiterer diagnostischer Methoden mit verbesserter Prädiktion für eine Frühgeburt ist dringend notwendig, um das Timing der ACS-Gabe in diesem Patientenkollektiv zu optimieren. Zurückhaltung bei der ACS-Gabe ist ebenso angezeigt bei Frauen mit vorzeitiger Wehentätigkeit und einer Zervixlänge ≥ 15 mm. Hier gilt es, in weiteren Studien mittels Amniozentese das Patientenkollektiv zu identifizieren, bei dem eine intraamniale, mikrobielle Infektion/Inflammation (MIAC/IAI) vorliegt, und Schwellenwerte für die Indikation zur Entbindung zu definieren. Die ACS-Gabe ist keine Notfallmaßnahme, in der Regel auch nicht vor Verlegung in ein Perinatalzentrum. Deshalb sollte, wenn immer möglich, die Indikation zur ACS-Applikation von einem/einer in der Perinatologie sehr erfahrenen Kollegen/Kollegin gestellt werden.


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Einleitung

Die Applikation antenataler Kortikosteroide (ACS) bei einer Frühgeburt vor 34 SSW führt zu einer signifikanten Senkung der perinatalen Morbidität und Mortalität [1] [2]. Deren Effektivität hängt entscheidend von einem optimalen Timing ab [3]. Wie eine Metaanalyse aus dem Jahr 2006 zeigt, ist < 24 Stunden nach der ersten Gabe von Betamethason keine Wirkung auf das Respiratory Distress Syndrome (RDS) zu beobachten (RR 0,87, 95%-KI 0,66–1,15), erst bei < 48 Stunden tritt dieser Effekt zutage (RR 0,63, 95%-KI 0,43–0,92). Mit einem signifikanten Effekt ist also > 24 Stunden nach der ersten Applikation von ACS zu rechnen. Wird ein Zeitintervall von 7 Tagen nach Kortikosteroidapplikation überschritten, kann keine Reduktion des RDS mehr nachgewiesen werden (RR 0,82, 95%-KI 0,53–1,28) [4]. Allerdings beschreibt eine prospektive Kohortenstudie des German Neonatal Network auch 7 Tage nach Gabe von ACS noch positive Effekte auf die Rate intraventrikulärer Hirnblutungen (OR 0,43, 95%-KI 0,25–0,72) sowie auf die Notwendigkeit einer mechanischen Beatmung (OR 0,43, 95%-KI 0,27–0,71) [5]. Es gibt aber auch Hinweise, dass extrem frühgeborene Kinder < 28 SSW, die > 10 Tage nach der ersten Kortikosteroidgabe zur Welt kommen, eine um mehr als das Zweifache höhere Hirnblutungsrate aufweisen (17% vs. 7%; aOR 4,16, 95%-KI 1,59–10,87) [6], wobei der retrospektive Ansatz dieser Untersuchung naturgemäß keinen kausalen Schluss zulässt. Darüber hinaus treten möglicherweise bei Kindern, die nach antenataler Applikation von Kortikosteroiden reif geboren werden, vermehrt mentale Beeinträchtigungen und Verhaltensstörungen auf im Vergleich zu reif geborenen Kindern, die während der Schwangerschaft keine Kortikosteroide erhalten haben (HR 1,47, 95%-KI 1,36–1,69). Dieser Effekt bestand auch nach Berücksichtigung sozioökonomischer Einflüsse (HR 1,38, 95%-KI 1,21–1,58) [7]. Ähnliches gilt für die psychische und neurosensorische Entwicklung dieser Kinder [8]. Eine weitere prospektive Kohortenstudie bestätigt diese Ergebnisse für Dexamethason [9].

Wie zahlreiche Untersuchungen aber zeigen, entbinden nach Applikation von ACS lediglich 25–40% der Patientinnen im optimalen Zeitfenster [10] [11] [12]. Das optimale Timing hängt dabei entscheidend von der Indikation zur ACS-Gabe ab [10]. So gelingt es offenbar bei schwerer Präeklampsie oder frühem vorzeitigen Blasensprung (PPROM) sehr gut, weniger erfolgreich scheinen die Bemühungen bei Patientinnen mit asymptomatischer Zervixinsuffizienz zu sein ([Abb. 1]) [10]. In dieser Übersichtsarbeit sollen die Gründe hierfür dargelegt und Wege zur weiteren Optimierung aufgezeigt werden.

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Abb. 1 Intervall zwischen Applikation antenataler Kortikosteroide (ACS) und Geburt in Abhängigkeit von der Indikation (Daten aus [10]), Patientinnen in % mit einem Intervall zwischen Applikation von ACS und Geburt von < 24 Stunden (blau), 24 Stunden bis 7 Tage (rot) und mehr als 7 Tagen (grün). Asymptomatisch = positiver Fibronektin-Test, verkürzte Zervixlänge, asymptomatische Muttermundseröffnung; fetal = intrauterine Wachstumsrestriktion, Oligohydramnion; HTN = schwangerschaftsinduzierte Hypertonie; Maternal = maternale Erkrankungen außer schwangerschaftsinduzierter Hypertonie; PPROM = früher vorzeitiger Blasensprung.

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Literatursuche

Es erfolgte eine selektive Literatursuche bis Mai 2023 in PubMed nach den Stichworten „corticosteroid“, „timing“, „preterm birth“, „preterm delivery“, „pregnancy prolongation“, „delivery delay“. Für das Thema relevante prospektiv randomisierte Studien, Reviews und Metaanalysen wurden ausgewählt. Querverweise zu weiteren wichtigen Arbeiten wurden berücksichtigt.


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PPROM

Über die Hälfte aller Patientinnen mit PPROM werden innerhalb einer Woche entbunden. Die mediane Schwangerschaftsdauer in einer Kohorte von 239 Patientinnen, die negativ für B-Streptokokken waren, lag bei 6,1 Tagen. Dabei betrug die kumulative Entbindungsrate nach 48 Stunden 27%, nach 7 Tagen 56%, nach 14 Tagen 76% und nach 21 Tagen 86% [13]. Die Latenzzeit bis zur Geburt ist invers mit dem Schwangerschaftsalter bei PPROM korreliert [14] und steigt mit der verbliebenen Fruchtwassermenge [15]. Ein spontaner Verschluss des Blasensprungs ist sehr selten, es sei denn, er ist infolge einer Amniozentese entstanden [16].

Angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, innerhalb von einer Woche nach PPROM zu entbinden, ist die Applikation von ACS indiziert. Allerdings stellt sich die Frage, wie das klinische Management bei den ca. 50% der Frauen aussehen soll, die 7 Tage nach PPROM noch nicht entbunden haben. Die Leitlinie „Prävention und Therapie der Frühgeburt“ empfiehlt hierzu folgendes: Frauen, bei denen vor 29+0 SSW wegen drohender Frühgeburt vor mehr als 7 Tagen Steroide appliziert wurden, können nach Reevaluation bei zunehmendem Risiko für eine unmittelbar eintretende Frühgeburt einmalig eine weitere Steroidgabe erhalten [17].


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ACS-Booster

Aufgrund der 50%igen Wahrscheinlichkeit für Frauen, die eine Woche nach PPROM noch schwanger sind, in der darauffolgenden Woche zu entbinden, erscheint die erneute Gabe von ACS durchaus sinnvoll. Allerdings zeigt eine aktuelle prospektiv randomisierte Studie, dass diese Überlegung umstritten ist [18]. So wurden in dieser Untersuchung 192 Patientinnen mit PPROM zwischen 24+0 und 31+6 SSW, die bereits eine Gabe von ACS erhalten hatten und nach 7 Tagen immer noch schwanger waren, auf eine zweite Gabe von ACS (Booster) oder Placebo randomisiert. Das primäre Studienziel war die kombinierte neonatale Morbidität oder neonataler Tod. Sowohl für das primäre Outcome als auch die sekundären Studienziele konnte kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen gefunden werden. Ebenso war diese Beobachtung unabhängig vom Zeitintervall zwischen ACS-Booster und Entbindung wie auch vom Gestationsalter bei Geburt ([Tab. 1]) [18]. Zwei weitere Studien, die auf einer Sekundäranalyse einer prospektiv randomisierten Studie zur Neuroprotektion mit Magnesium beruhen, konnten ebenfalls keinen Effekt eines ACS-Boosters auf die RDS-Rate nachweisen [19] [20].

Tab. 1 ACS-Booster bei frühem vorzeitigem Blasensprung. 192 Patientinnen mit frühem, vorzeitigem Blasensprung zwischen 24+0 und 31+6 SSW, die bereits eine Gabe von antenatalen Kortikosteroiden (ACS) erhalten hatten und nach 7 Tagen immer noch schwanger waren, wurden auf eine zweite Gabe von ACS (Booster) oder Placebo randomisiert. Das primäre Studienziel war die kombinierte neonatale Morbidität oder neonataler Tod (Daten aus [18]).

ACS-Booster

n = 94 (%)

Placebo

n = 98 (%)

p-Wert

primäres Studienziel: neonatale Morbidität und/oder Mortalität

60/94 (64)

63/98 (64)

0,54

Einzelkomponenten des primären Studienziels

Respiratory Distress Syndrome

57/94 (61)

63/98 (64)

0,44

bronchopulmonale Dysplasie

13/94 (14)

11/98 (11)

0,67

intraventrikuläre Hirnblutung, Grad 3 und 4

4/94 (4)

3/98 (3)

0,69

periventrikuläre Leukomalazie

0/94 (0)

1/98 (1)

0,31

durch Kultur nachgewiesene Sepsis

5/94 (5)

3/98 (3)

0,44

nekrotisierende Enterokolitis

4/94 (4)

3/98 (3)

0,70

neonataler Tod

2/94 (2)

4/98 (4)

0,38

primäres Studienziel in Abhängigkeit vom Zeitintervall Booster-ACS–Entbindung

< 48 h

7/9 (78)

5/12 (50)

0,47

24 h–< 7 d

25/35 (71)

15/23 (65)

0,88

48 h–< 7 d

22/32 (67)

13/18 (72)

0,58

7–< 14 d

8/14 (57)

20/31 (65)

0,83

≥ 14 d

20/35 (57)

26/35 (74)

0,19

primäres Studienziel in Abhängigkeit vom Gestationsalter bei Entbindung

Entbindung < 29 SSW

33/36 (92)

23/28 (82)

0,26

Entbindung ≥ 29 SSW

27/58 (47)

42/70 (60)

0,16

Bekanntermaßen kann eine Infektion die Wirksamkeit von Glukokortikoiden beeinträchtigen. So zeigten Webster et al., dass TNF-α, ein Entzündungsmediator, die Bildung des Glukokortikoid-β-Rezeptors stimuliert und damit eine Glukokortikoidresistenz herbeiführt [21]. Darüber hinaus modulieren Endotoxine die Glukokortikoidrezeptor-Expression und den zugehörigen Signalmechanismus [22]. So haben möglicherweise aszendierende Entzündungsvorgänge die Wirksamkeit der zweiten Applikation von ACS in der oben genannten Studie limitiert.

Allerdings ist auch die Datenlage zur Applikation eines ACS-Boosters bei intakter Fruchtblase heterogen. Während Garite et al. eine Reduktion des RDS nach einer zweiten Applikation beobachten konnten [23], ist dieser Effekt in anderen Studien nicht nachzuweisen [24] [25]. Jedoch war das RDS in diesen Studien unterschiedlich definiert. Berücksichtigt man diesen Umstand, vermindert sehr wahrscheinlich die Gabe eines ACS-Boosters nur das Auftreten eines leichten RDS, wohingegen sie keinen Einfluss auf die Inzidenz des schweren RDS oder andere Parameter der neonatalen Morbidität hat [24]. Grundsätzlich ist Vorsicht beim Einsatz eines ACS-Boosters geboten, da er zu einer signifikanten Zunahme an Small for Gestational Age-(SGA-)Kindern führen kann (4,9% vs. 10,6%; aOR 1,63; 95%-KI 1,07−2,47) [24]. Dieser Tatsache wird in der Leitlinie „Prävention und Therapie der Frühgeburt“ Rechnung getragen. Hier wird ein Booster nur vor 29 SSW empfohlen und auch nur dann, wenn das Risiko für eine Frühgeburt innerhalb von 7 Tagen sehr hoch ist [17].


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Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen

Der sFlt/PlGF-Quotient kann hilfreich sein, um Patientinnen zu identifizieren, die im Laufe ihrer Schwangerschaft eine Präeklampsie entwickeln [26]. So zeigte die Pregnancy Outcome Prediction Study in einem nicht selektionierten Patientenkollektiv, dass der positive prädiktive Wert (PPV) eines sFlt/PlGF-Quotienten > 38 gemessen bei 28 SSW 32% der Patientinnen identifiziert, die aufgrund einer Präeklampsie eine Frühgeburt erleiden [27]. Ein Wert von > 38 zwischen 30 und 37 SSW detektiert 79% aller Patientinnen, die aufgrund einer Präeklampsie innerhalb einer Woche entbunden werden müssen, bei einer Falsch-positiv-Rate von 4,5% [28].

Der INSPIRE Trial zeigte für einen sFlt/PlGF-Quotienten > 85 einen PPV von 71,7%, innerhalb der nächsten 4 Wochen eine Präeklampsie zu entwickeln [29]. Ähnlich wurde in der Rule Out Pre-Eclampsia-Studie für einen sFlt/PlGF-Quotienten > 85 für Patientinnen vor 34 SSW ein PPV von 74% beschrieben, innerhalb von 2 Wochen an einer schweren Präeklampsie zu erkranken [30]. Frauen, bei denen ein extrem hoher sFlt/PlGF-Quotient > 655 gemessen wird, haben ein signifikant kürzeres Zeitintervall bis zur Entbindung [31]. Auch scheint dem zeitlichen Verlauf des sFlt/PlGF-Quotienten Bedeutung zuzukommen. So haben Patientinnen, die eine Präeklampsie entwickeln, einen stärkeren Anstieg des sFlt/PlGF-Quotienten innerhalb von 2 Wochen als diejenigen, die nicht an einer Präeklampsie erkranken (31,22 vs. 1,45) [32].

Obwohl der sFlt/PlGF-Quotient bei der Identifizierung von Patientinnen mit erhöhtem Risiko für eine Präeklampsie hilfreich sein kann, ist sein prädiktiver Wert nicht ausreichend, um damit die Gabe von ACS optimal zu platzieren. Eine hinlänglich sichere Aussage über eine innerhalb eines Zeitfensters von 7 Tagen drohende Entbindung unterhalb von 34 SSW ist derzeit nicht belegt. Die Entscheidung über die Applikation von ACS muss sich daher an der klinischen Symptomatik der Patientin orientieren, wobei auch hier die Vorhersage und damit das richtige Timing schwierig ist. In einer prospektiv randomisierten Studie bei Patientinnen mit früher, schwerer Präeklampsie zwischen 26+0 und 31+6 SSW wurde der Effekt von Esomeprazol auf eine mögliche Schwangerschaftsprolongation untersucht. Die systolischen Blutdruckwerte lagen bei den Frauen der Kontrollgruppe zum Zeitpunkt der Randomisierung im Mittel bei 168 ± 16,4 mmHg, die diastolischen Werte bei 103 ± 11,4 mmHg. Die mittlere 24-Stunden-Proteinurie betrug 1,06 (0,57–16,86) g/24 h (Median und interquartile Spanne). In der Kontrollgruppe konnte im Median eine Schwangerschaftsprolongation von 8,3 Tagen (interquartile Spanne, 3,8–19,6 Tage) erreicht werden [33]. Mit anderen Worten, in knapp 50% der Fälle hätte man mit der ACS-Gabe nach Diagnosestellung das Zeitfenster von 7 Tagen getroffen.

Sehr ähnliche Werte wurden auch von anderen Studiengruppen beschrieben [34] [35] [36] [37]. Haddad et al. untersuchten in einer prospektiven Beobachtungsstudie ein Kollektiv von 239 Frauen mit schwerer Präeklampsie zwischen 24 und 33 SSW. Im Rahmen eines exspektativen Vorgehens berichteten sie von einer medianen Verlängerung der Schwangerschaftsdauer vor 29 SSW um 6 Tage (Spanne: 2–35 Tage), zwischen 29 und 32 SSW um 4 Tage (Spanne: 2–32 Tage) und > 32 SSW um 4 Tage (Spanne: 2–12 Tage) [34]. Chammas et al. beschrieben ebenfalls eine Schwangerschaftsprolongation von 6 Tagen bei Patientinnen mit schwerer Präeklampsie vor 34 SSW. Lag zudem eine fetale Wachstumsrestriktion vor, betrug diese lediglich 3 Tage [35].

Diese Zahlen zeigen, dass bei einer frühen, schweren Präeklampsie das optimale Timing der ACS-Gabe in vielen Fällen sehr gut gelingen kann. So fanden Levin et al. in der bereits erwähnten Studie ein optimales Timing (Applikations-Entbindungs-Intervall: 24 Stunden–7 Tage) bei hypertensiver Schwangerschaftserkrankung in immerhin 62% der Patientinnen [10].

Mittlerweile stehen mit fullPIERS und PREP auch klinische Prädiktionsmodelle bei Präeklampsie zur Verfügung, um maternale und fetale Komplikationen innerhalb von 7 Tagen vorherzusagen. Beispielhaft sei hier die prospektive Kohortenstudie von Dadelszen et al. erwähnt, bei der 106 von 2023 Frauen, die wegen einer Präeklampsie stationär aufgenommen wurden, innerhalb von 48 Stunden lebensbedrohliche Komplikationen entwickelten. Das fullPIERS-Modell, das Gestationsalter, Brustschmerzen, Dyspnoe, Sauerstoffsättigung, Thrombozytenzahl, Serum-Kreatinin und Transaminasen berücksichtigte, zeigte für das Auftreten dieser Komplikationen eine AUC von 0,88 (95%-KI 0,84–0,92) [38]. Diese Modelle lassen sich sicher auch für die Prädiktion einer optimalen Applikation von ACS weiterentwickeln.


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Fetale Wachstumsrestriktion

Zum exspektativen Management bei früher fetaler Wachstumsrestriktion (IUGR) liegen 2 prospektiv randomisierte Studien vor [39] [40]. Im GRIT-Trial wurden 588 Patientinnen mit IUGR zwischen 24 und 36 SSW rekrutiert. In 77% der Fälle lag ein pathologischer enddiastolischer Fluss in der A. umbilicalis vor. Die betreuenden Ärzte waren unsicher, ob sie die Patientinnen sofort entbinden sollten. Nach Applikation eines Zyklus Betamethason wurden die Frauen randomisiert für eine sofortige Entbindung oder ein exspektatives Vorgehen. Das primäre Studienziel Tod oder schwere Behinderung im Alter von 2 Jahren lag in der ersten Gruppe bei 19% und in der zweiten bei 16% (OR 1,1, 95%-KI 0,7–1,8). Allerdings betrug die Rate an Behinderungen bei Kindern ≤ 30 SSW 13% bei sofortiger Entbindung und lediglich 5% bei exspektativem Vorgehen. Das entsprechende mediane Intervall zwischen Randomisierung und Entbindung betrug 0,9 (interquartile Spanne [0,4–1,3]) bzw. 4,9 Tage (interquartile Spanne [2,0–11,0]), für das Schwangerschaftsalter ≤ 30 SSW lagen die Werte bei 0,8 (0,3–1,1) versus 3,2 Tage (1,5–8,0) [39].

Im TRUFFLE-Trial wurden 542 Patientinnen zwischen 26 und 32 SSW rekrutiert, bei denen eine frühe fetale Wachstumsrestriktion (Abdomenumfang < 10. Perzentile) und ein pathologischer Pulsatilitätsindex (PI) in der A. umbilicalis (> 95. Perzentile) vorlagen. Die Frauen wurden in 3 Gruppen randomisiert, die durch unterschiedliche Strategien bei der Entscheidung zur Entbindung gekennzeichnet waren. In allen Gruppen erfolgte die Überwachung durch Oxford-CTG und Doppler-Sonografie der A. umbilicalis, ein Monitoring des Ductus venosus war nur in 2 Gruppen vorgesehen. In der ersten Gruppe wurde die Entscheidung zur Entbindung anhand der Kurzzeitvariabilität im Oxford CTG getroffen (Cut-off: 2,6 ms < 29 SSW bzw. 3,0 ms 29–32 SSW), in der zweiten anhand früher Veränderungen im Ductus venosus (Pulsatilitätsindex > 95. Perzentile) und in der dritten anhand später Veränderungen im Ductus venosus (keine oder negative A-Welle). Von den überlebenden Kindern ohne neurologisches Defizit waren signifikant mehr der Gruppe 3 zugehörig als der Gruppe 1 (95% [95%-KI 90–98] vs. 85% [95%-KI 78–90]; p = 0,005). Das mediane Intervall von der Randomisierung bis zur Entbindung betrug für die 3 Gruppen 7 Tage (interquartile Spanne [0,5–61]), 7 Tage (interquartile Spanne [0,5–56]) und 9 Tage (interquartile Spanne [0,5–88]) [40].

Bei ca. 40% der Patientinnen in der TRUFFLE-Studie lag zum Zeitpunkt der Randomisierung ein Null- oder Reverse-Flow in der A. umbilicalis vor [40]. Das Zeitintervall bis zur fetalen Gefährdung liegt hier bei 5 bzw. 2 Tagen, während bei frühen Veränderungen des PI in der A. umbilicalis die Wahrscheinlichkeit einer Entbindung innerhalb der nächsten 7 Tage deutlich geringer ist [41]. Ein Null- oder Reverse-Flow in der A. umbilicalis ist also eine Indikation zur Applikation von ACS, während bei frühen Veränderungen des PI Zurückhaltung geübt werden sollte. Denn bei sofortiger Applikation von ACS wird hier das optimale Zeitfenster meistens verfehlt.

Unter Beachtung der pathophysiologischen Entwicklung des enddiastolischen, umbilikalen Blutflusses in der Doppler-Sonografie bei IUGR-Feten sollte ähnlich wie bei der frühen Präeklampsie auch bei dieser Indikation in der Regel ein optimales Timing der ACS-Applikation gelingen. Dabei sollte bedacht werden, dass nach ACS bei IUGR-Feten häufig eine Verbesserung des enddiastolischen Flusses in der A. umbilicalis zu beobachten ist. Dies ist allerdings oft Ausdruck eines erhöhten Herzzeitvolumens und nicht eines reduzierten plazentaren Widerstandes [42].

Es gibt derzeit keine prospektiv randomisierten Studien, die den Effekt einer ACS-Gabe auf die neonatale Morbidität bei IUGR-Feten untersucht haben. Es besteht die Sorge, dass Glukokortikoide die kardiovaskulären und endokrinologischen Alterationen, die mit einer intrauterinen Wachstumsrestriktion einhergehen, noch verstärken könnten. Allerdings konnten Schaap et al. 2001 in einer prospektiven Kohortenstudie zeigen, dass IUGR-Feten, die per Sectio 24 Stunden bis 7 Tage nach Applikation von ACS geboren wurden, eine höhere Wahrscheinlichkeit für ein Überleben ohne Behinderung im Alter von 2 Jahren hatten (OR 3,2, 95%-KI 1,1–11,2) [43]. Eine Metaanalyse aus 2017, die 5 retro- bzw. prospektive Studien einschloss, fand keine Reduktion der neonatalen Morbidität nach Applikation von ACS bei IUGR-Kindern, jedoch zeigte sich ein deutlicher Trend hin zu einer reduzierten Hirnblutungsrate. Allerdings ist unklar, ob bei dieser Analyse das optimale Zeitfenster von > 24 Stunden bis 7 Tage nach ACS-Gabe berücksichtigt wurde [44].

Auch für Feten mit einer späten intrauterinen Wachstumsrestriktion zwischen 32+0 und 36+6 konnte in einer prospektiven Kohortenstudie nach ACS-Gabe keine Reduktion der neonatalen Morbidität oder der perinatalen Mortalität beobachtet werden. Allerdings waren die untersuchten Parameter der neonatalen Morbidität (z. B. pH-Wert in der A. umbilicalis < 7,00, Hirnblutung Grad III–IV, periventrikuläre Leukomalazie Grad II–III, respiratorische Unterstützung für mehr als 7 Tage, mechanische Beatmung etc.) nicht geeignet, einen möglicherweise doch kleinen Vorteil einer ACS-Gabe zu detektieren [45]. Jenseits von 32 SSW ist ohnehin, wie im Kapitel „Benefit antenataler Kortikosteroide in Abhängigkeit vom Gestationsalter“ ausgeführt werden wird, der Nutzen einer ACS-Gabe kaum noch nachweisbar.


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Blutung ex utero

Bei einer Blutung ex utero ist die Zeitspanne bis zur notwendigen Entbindung schwer vorhersehbar. Im Falle von Vasa praevia, einer Abruptio placentae oder einer stark blutenden Placenta praevia ist die Notfallsectio indiziert. Ist bei einer mäßig blutenden Placenta praevia oder Plazentarandblutung ein exspektatives Vorgehen möglich, sollte immer die ACS-Applikation in Betracht gezogen werden. Da für diese Konstellationen in der Literatur keine Angaben zum Intervall bis zur Entbindung zu finden sind, unterliegt die Indikation zur ACS-Gabe der jeweils subjektiven Einschätzung. Bei einer sehr geringen Blutung verzichten wir auf eine ACS-Gabe, ab Periodenstärke befürworten wir sie.


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Asymptomatische Zervixinsuffizienz

Wie Levin et al. in ihrer retrospektiven Untersuchung zeigen konnten, gelingt das optimale Timing in der Gruppe von Patientinnen mit asymptomatischer Zervixinsuffizienz nur unzureichend. Lediglich 12% der Frauen wurden in dem Zeitfenster zwischen 24 Stunden und 7 Tagen nach Applikation der ACS entbunden [10]. Dieses Phänomen ist der unzureichenden Prädiktion der diagnostischen Methoden geschuldet, die uns hier zur Verfügung stehen.

So zeigten Esplin et al. für die zwischen 22 und 30 SSW vaginalsonografisch gemessene Zervixlänge bei asymptomatischen Patientinnen lediglich eine AUC (95%-KI) von 0,67 (0,64–0,70) für eine Frühgeburt vor 37 SSW [46]. In einer weiteren prospektiven Kohortenstudie wurde die Wertigkeit der zwischen 31 und 34 SSW vaginalsonografisch gemessenen Zervixlänge für das Eintreten einer Frühgeburt zwischen 32 und 36 SSW geprüft. Für asymptomatische Patientinnen betrug die AUC (95%-KI) nur 0,700 (0,627–0,773) [47].

Neben der sonografischen Messung der Zervixlänge stehen uns verschiedene Tests zur Verfügung, die anhand der Messung von Proteinen im Zervixsekret (PAMG-1, Fibronektin, IGFBP-1) eine Prädiktion der Frühgeburt innerhalb von 7 Tagen erlauben. Wie allerdings Esplin et al. ebenso zeigen konnten, lagen bei einer Zervixlänge von > 15 mm die Sensitivität und der positive prädiktive Wert für ein zwischen 22 und 30 SSW gemessenes fFN ≥ 50 ng/ml für eine Frühgeburt < 32 SSW bei lediglich 32,1 bzw. 3,1%. Auch die Verwendung höherer oder niedrigerer Schwellenwerte verbesserte die Testqualität nicht. Der Fibronektin-Test erhöhte die Vorhersagekraft der vaginalsonografisch gemessenen Zervixlänge für eine Frühgeburt < 37 SSW nicht (AUC-Zervixlänge: 0,67; AUC-Fibronektin: 0,59; AUC-Zervixlänge + Fibronektin: 0,67) [46].

Generell ist das Risiko von Frauen mit einer asymptomatischen Zervixinsuffizienz, innerhalb von 7 Tagen zu gebären, sehr gering. So wurde in einer retrospektiven Untersuchung, die 126 asymptomatische Patientinnen mit einer Zervixlänge ≤ 25 mm zwischen 23 und 28 SSW einschloss, keine Patientin innerhalb von 7 Tagen und lediglich eine innerhalb von 14 Tagen entbunden. Ihre Zervixlänge betrug weniger als 10 mm [48]. Diese Daten werden durch eine weitere retrospektive Studie gestützt, in die 367 weitestgehend asymptomatische Frauen – Druck oder Ziehen im Unterbauch, vaginales Spotting galten nicht als Ausschlusskriterien – mit einer Zervixlänge von weniger als 25 mm zwischen 24 und 34 SSW einflossen. Lediglich 2 dieser Patientinnen entbanden innerhalb von 7 Tagen [49].

Eine retrospektive Analyse untersuchte den negativ prädiktiven Wert des Fibronektin-Tests bei asymptomatischen Patientinnen, deren Zervixlänge zwischen 22 und 32 SSW weniger als 10 mm betrug. Dieser lag für eine Geburt innerhalb von 7 oder innerhalb von 14 Tagen bei 100% [50]. Eine weitere retrospektive Studie zeigt nahezu identische Ergebnisse [51].

Aufgrund dieser Ergebnisse wurde in der Leitlinie „Prävention und Therapie der Frühgeburt“ folgende Empfehlung ausgesprochen: Liegen bei asymptomatischen Patientinnen mit einer Zervixlänge von 5–15 mm und einem negativen Test für Fibronektin, phIGFBP-1 oder PAMG-1 keine weiteren Risikofaktoren für eine Frühgeburt vor, sollte aufgrund der äußerst geringen Wahrscheinlichkeit für eine Entbindung innerhalb von 7 Tagen (< 1%) keine Applikation antenataler Steroide erfolgen. Dennoch sollte die Patientin weiter engmaschig hinsichtlich des Frühgeburtsrisikos überwacht werden [17].

Für die Indikationsstellung zur ACS benötigen wir bei dieser Patientengruppe diagnostische Methoden mit einem besseren positiven prädiktiven Wert. Allerdings zeichnen sich tragfähige Lösungen trotz zahlreicher innovativer Ansätze im Moment nicht ab [52] [53].


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Vorzeitige Wehentätigkeit

Vorzeitige Wehen allein weisen einen < 50%igen Vorhersagewert für eine drohende Frühgeburt auf; z. B. sistieren in 30% der Fälle die vorzeitigen Wehen spontan, 50–70% der Schwangeren, die mit Placebo behandelt werden, entbinden in Terminnähe [54], nur 12–17% innerhalb einer Woche [55]. Um das Risiko dieser Patientinnen, innerhalb von 7 Tagen zu entbinden, besser einschätzen zu können, können die sonografisch gemessene Zervixlänge und der Fibronektin-Test hilfreich sein. In einer prospektiven Kohortenstudie an 655 Patientinnen mit vorzeitiger Wehentätigkeit beobachteten van Baaren et al. eine Entbindungsrate innerhalb von 7 Tagen von 12% [56]. Betrug die Zervixlänge < 15 mm, lag die Entbindungsrate unabhängig vom Fibronektin-Test bei 47%. Lag die Zervixlänge zwischen 15 und 30 mm, kamen bei negativem Fibronektin-Test 2,7% (4/149) Kinder innerhalb von 7 Tagen zur Welt, bei positivem Test waren das 14,1% (21/148). Bei einer Zervixlänge > 30 mm entbanden unabhängig vom Fibronektin-Test lediglich 0,7% der Frauen innerhalb von 7 Tagen.

Innerhalb der Gruppe von Frauen mit vorzeitiger Wehentätigkeit gibt es neben denjenigen mit einer Zervixlänge < 15 mm ein weiteres Patientenkollektiv, das mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Frühgeburt innerhalb von 7 Tagen erleidet. Dies sind Frauen mit einer intraamnialen, mikrobiellen Infektion/Inflammation (IAI/MIAC) [57] [58] [59]. So fanden Cobo et al. in einer Kohorte von 358 Frauen mit vorzeitiger Wehentätigkeit bei 68 Patientinnen eine sogenannte MIAC, die sie mit Amniozentese diagnostizierten. Bei diesen Frauen war das Schwangerschaftsalter bei Entbindung signifikant niedriger (26,9 SSW [25,2–31,1] vs. 35,0 [29,7–38,3]; p = 0,001) (Median und interquartile Spanne). Ebenso war das Zeitintervall bis zur Entbindung signifikant verkürzt (1 Tag [0–3] vs. 31 [6–62]; p = 0,001) [60]. Diese Beobachtung wird durch weitere Studien gestützt [57] [58]. In bereits geplanten Untersuchungen soll nun geprüft werden, inwieweit durch die Applikation von Antibiotika bei nachgewiesener intraamnialer Infektion das neonatale Outcome verbessert werden kann [61].

Es besteht dringender Forschungsbedarf, die Selektion der Patientinnen mit intraamnialer Infektion zu optimieren. Gerade in dieser kleinen Gruppe, die ca. 10% aller Frauen mit vorzeitiger Wehentätigkeit betrifft [62], ist die Indikation zur Applikation von ACS gegeben. Im restlichen Kollektiv sollte strenge Zurückhaltung geübt werden, wie die lange mediane Latenzzeit von 31 Tage in der Studie von Cobo et al. zeigt [60]. Da eine intraamniale Infektion nur mit Amniozentese diagnostiziert werden kann, wird eine verbesserte Patientenselektion nur mit einer verstärkten Implementierung dieser Methodik in der Klinik gelingen. Technisch sollte die Amniozentese in dieser Situation bei den allermeisten Patientinnen einfach zu handhaben sein.


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Kombinierte Indikationen

Natürlich liegen im klinischen Alltag öfters mehrere geburtshilfliche Krankheitsbilder vor, die für sich alleine keine Indikation zur Applikation von ACS darstellen, möglicherweise aber in Kombination. Da für derartige Konstellationen in der Regel keine Angaben zum Applikations-Entbindungs-Intervall in der Literatur zu finden sind, bleibt es dem jeweilig betreuenden Team vorbehalten, die verbleibende Zeitdauer bis zur Geburt einzuschätzen.


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Timing der Indikationsstellung

Die ACS-Gabe ist keine Notfallmaßnahme, in der Regel auch nicht vor Verlegung in ein Perinatalzentrum. Deshalb sollte, wenn immer möglich, die Indikation zur ACS-Applikation von einem/einer in der Perinatologie sehr erfahrenen Kollegen/Kollegin gestellt werden. Gerade bei Patientinnen mit vorzeitiger Wehentätigkeit oder asymptomatischer Zervixinsuffizienz und geschlossenem Muttermund ist die Wahrscheinlichkeit für eine Entbindung in den nächsten 7 Tagen gering. Das gleiche gilt für IUGR-Feten mit einer beginnenden Reduktion des enddiastolischen Flusses in der A. umbilicalis. Durch ein entsprechendes Organisationsmanagement lässt sich hier wahrscheinlich das Timing der ACS-Gabe weiter optimieren.


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Qualitätssicherung

Leider hat der bisherige Qualitätsparameter des IQTIG QI 330 „Antenatale Kortikosteroidtherapie bei Frühgeburten mit einem präpartalen stationären Aufenthalt von mindestens zwei Kalendertagen“ zu hohen Fehlanreizen geführt. Bei einem geforderten Cut-off > 95% wurde bei der Gabe von ACS das optimale Zeitfenster von 24 Stunden bis 7 Tagen weitgehend außer Acht gelassen. Dies wurde mit der Auswertung des Jahrgangs 2021 nun korrigiert. Der Qualitätsparameter wurde ausgesetzt. Es wird jetzt die Anzahl der Mütter angegeben, die eine Frühgeburt vor 34 SSW hatten und bei denen die Applikation von ACS nicht im optimalen Zeitfenster von 24–168 Stunden lag (72,9%; n = 11873/16278), ebenso die Anzahl der Frauen, die eine ACS-Gabe erhalten hatten und erst nach 34 SSW geboren hatten (41,2%; n = 6715/16278) [63].

In eine ganz ähnliche Richtung denkt auch die Society for Maternal Fetal Medicine, die 2 Qualitätsparameter definierte. Der erste ist ein Quotient, in dessen Nenner alle Mütter mit frühgeborenen Kindern zwischen 24+0 und 33+6 SSW mit Ausnahme von Totgeburten stehen und in dessen Zähler alle Mütter summiert werden, die eine komplette oder partielle ACS-Gabe oder einen ersten ACS-Booster 6–168 Stunden vor Geburt erhalten haben. Der zweite Qualitätsparameter ist ein Quotient mit allen Müttern, die eine oder mehr Dosen ACS erhalten haben, im Nenner und denjenigen, die am Termin geboren haben, im Zähler [64].

Derartige Qualitätsparameter können helfen, das Management des ACS-Timings zu objektivieren, und Anstoß geben für interne Evaluationsprozesse, die optimalerweise zu einer Verbesserung der neonatalen Morbidität und Mortalität führen.


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Benefit antenataler Kortikosteroide in Abhängigkeit vom Gestationsalter

Wie zahlreiche prospektiv randomisierte Studien zeigen, tragen ACS unstrittig zur Reduktion der perinatalen Morbidität und Mortalität bei. Allerdings wurden diese Studien nahezu ausschließlich vor mehr als 20 Jahren durchgeführt und bilden in keiner Weise den derzeitigen Standard in der Perinatologie ab. Dies zeigt sich schon allein an der Tatsache, dass lediglich ca. 100 Kinder < 28 SSW in diesen Studien untersucht wurden, die zudem wahrscheinlich keine Therapie mit Surfactant oder eine Neuroprotektion mit Magnesium erhalten hatten [1] [4]. Da randomisierte Studien zu ACS vor 34 SSW heutzutage als unethisch betrachtet werden, werden zu dieser Thematik auch in absehbarer Zeit keine weiteren Informationen vorliegen.

Alternativ wurde versucht, anhand von großen prospektiven Kohortenstudien Aufschluss über den Effekt von ACS auf die perinatale Mortalität und Morbidität in Abhängigkeit vom Gestationsalter zu erhalten. So untersuchten Carlo et al. in einer prospektiven Kohortenstudie 10541 Kinder, die zwischen 22 und 25 SSW geboren wurden. Das primäre Studienziel Tod oder neurologische Beeinträchtigung war zwischen 23 und 25 SSW nach ACS signifikant vermindert (23 SSW: aOR, 0,58 [95%-KI, 0,42–0,80]; 24 SSW: aOR, 0,62 [95%-KI, 0,49–0,78]; 25 SSW: aOR, 0,61 [95%-KI, 0,50–0,74]), nicht aber bei 22 SSW (aOR, 0,80 [95%-KI, 0,29–2,21]). Nahezu gleich sahen die Ergebnisse für schwere Hirnblutungen Grad 3/4 aus (22 SSW: aOR, 0,94 [95%-KI, 0,20–4,49]; 23 SSW: aOR, 0,59 [95%-KI, 0,40–0,87]; 24 SSW: aOR, 0,81 [95%-KI, 0,61–1,08]; 25 SSW: aOR, 0,56 [95%-KI, 0,44–0,72]) [65]. Travers et al. konnten in einer prospektiven Kohortenstudie mit fast 118000 Frauen zeigen, dass bei Kindern, die zwischen 23 und 34 SSW geboren wurden, die Mortalität vor Entlassung nach ACS-Gabe für nahezu jede SSW signifikant geringer war (aOR 0,47–0,32). Allerdings lag die Number Needed to Treat bei 23 SSW bei 6, während sie in 34 SSW 798 betrug. Ein signifikanter Einfluss von ACS auf die Rate an schweren Hirnblutungen konnte bis 30 SSW beobachtet werden und auf das Überleben ohne schwere Behinderung bis 27 SSW ([Tab. 2]) [66]. Auch in der EPICE-Kohortenstudie, in der Kinder zwischen 24 und 31 SSW untersucht wurden, konnte eine 50%ige Reduktion der perinatalen Mortalität nach Gabe von ACS gezeigt werden [67].

Tab. 2 Benefit von ACS bei Kindern zwischen 23 und 34 SSW. Adjusted Odds Ratio (aOR) und 95%-Konfidenzintervall (KI); antenatale Kortikosteroide (ANS) (Daten aus [66]).

23 SSW

n (%)

24 SSW

n (%)

25 SSW

n (%)

26 SSW

n (%)

27 SSW

n (%)

28 SSW

n (%)

29 SSW

n (%)

30 SSW

n (%)

31 SSW

n (%)

32 SSW

n (%)

33 SSW

n (%)

34 SSW

n (%)

Tod vor Entlassung

ANS

439/754 (58,2)

642/1781 (36,0)

432/2161 (20,0)

302/2602 (11,6)

213/3315 (6,4)

141/4237 (3,3)

90/5019 (1,8)

75/6466 (1,2)

45/8556 (0,5)

44/13203 (0,3)

22/16810 (0,1)

9/16928 (0,1)

ohne ANS

331/447 (74,0)

182/352 (51,7)

114/381 (29,9)

77/444 (17,3)

51/468 (10,9)

46/685 (6,7)

30/813 (3,7)

22/1172 (1,9)

21/1591 (1,3)

18/3070 (0,6)

18/5954 (0,3)

37/20732 (0,2)

aOR (95%-KI)

0,47 (0,36–0,62)

0,51 (0,40–0,64)

0,52 (0,41–0,67)

0,55 (0,42–0,74)

0,50 (0,36–0,71)

0,48 (0,34–0,69)

0,44 (0,29–0,68)

0,66 (0,41–1,12)

0,42 (0,25–0,74)

0,61 (0,36–1,08)

0,43 (0,23–0,80)

0,32 (0,14–0,63)

Überleben ohne schwere Behinderung

ANS

51/754 (6,8)

270/1781 (15,2)

594/2161 (27,5)

1127/2602 (43,3)

1988/3315 (60,0)

3068/4237 (72,4)

4125/5019 (82,2)

5676/6466 (87,8)

7817/8556 (91,4)

12409/13203 (94,0)

16177/16810 (96,2)

16507/16928 (97,5)

ohne ANS

8/447 (1,8)

38/352 (10,8)

96/381 (25,2)

175/444 (39,4)

265/468 (56,6)

494/685 (72,1)

653/813 (80,3)

1008/1172 (86,0)

1443/1591 (90,7)

2876/3070 (93,7)

5728/5954 (9,2)

20220/20732 (9,5)

aOR (95%-KI)

4,2 (2,1–9,7)

1,64 (1,15–2,41)

1,26 (0,98–1,64)

1,27 (1,03–1,58)

1,23 (1,00–1,50)

1,09 (0,90–1,31)

1,19 (0,98–1,44)

1,18 (0,98–1,42)

1,08 (0,89–1,30)

1,08 (0,91–1,27)

1,04 (0,88–1,21)

0,99 (0,87–1,13)

schwere Hirnblutung

ANS

186/745 (24,7)

314/1781 (17,6)

267/2161 (12,4)

204/2602 (7,8)

146/3315 (4,4)

126/4237 (3,0)

76/5019 (1,5)

63/6466 (1,0)

50/8556 (0,6)

34/13203 (0,3)

25/16810 (0,1)

12/16928 (0,1)

ohne ANS

133/447 (29,8)

92/352 (26,1)

71/381 (18,6)

78/444 (17,6)

47/468 (10,0)

36/685 (5,3)

25/813 (3,1)

26/1172 (2,2)

15/1591 (0,9)

12/3070 (0,4)

10/5954 (0,2)

13/20732 (0,1)

aOR (95%-KI)

0,75 (0,57–0,98)

0,61 (0,46–0,80)

0,60 (0,45–0,81)

0,40 (0,30–0,54)

0,40 (0,29–0,58)

0,56 (0,38–0,83)

0,50 (0,32–0,81)

0,44 (0,28–0,71)

0,61 (0,15–1,12)

0,65 (0,35–1,32)

0,87 (0,43–1,90)

1,08 (0,48–2,40)

Allerdings muss bei diesen Kohortenstudien immer bedacht werden, dass heutzutage ca. 90% der Kinder, die vor 34+0 SSW geboren werden, ACS erhalten haben. Mütter, denen vor Geburt kein ACS appliziert wurde, zeichnen sich durch abweichende Patientencharakteristika aus, denen auch mit multipler Regressionsanalyse nur bedingt Rechnung getragen werden kann. Dies geht beispielsweise auch aus der EPICE-Kohortenstudie hervor. So wurden aus der Gruppe der Patientinnen, die ACS erhalten hatten, lediglich 18% am Aufnahmetag entbunden, während das für 67% der Frauen ohne ACS galt [67]. Sehr wahrscheinlich ist die ACS-Gabe ein signifikanter Indikator für eine geordnete und strukturierte Patientenbetreuung, während die fehlende Applikation auf Notfallsituationen hindeutet. Aufgrund des erhöhten Risikoprofils der Patientinnen ohne ACS dürfte bei diesem Studiendesign der Benefit von Kortikosteroiden auf die neonatale Morbidität und Mortalität überschätzt werden.

Nichtsdestotrotz liegt der Nutzen einer ACS-Gabe vor 30 SSW auf der Hand. Jenseits von 32 SSW ist die Number Needed to Treat, um die Mortalität vor Entlassung zu reduzieren, extrem hoch. Ein Einfluss auf die Hirnblutungsrate ist kaum mehr zu erwarten, da diese sich nur noch im Promillebereich bewegt [66]. Für die Behandlung des RDS steht uns Surfactant zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund kann man ernsthaft darüber nachdenken, ob die ACS-Gabe bei ≥ 32 SSW noch Sinn ergibt. Leider fehlen uns für eine genaue Einschätzung Daten aus prospektiv randomisierten Studien.


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Fazit

Die Applikation von ACS sollte möglichst 24 Stunden bis 7 Tage vor Entbindung erfolgen, da Kortikosteroide nur in diesem Zeitfenster die Rate des RDS reduzieren. Ihr Einfluss auf die neonatale Morbidität und Mortalität ist bei extremer Frühgeburt ungleich höher als jenseits von 32 SSW. Darüber hinaus haben Kinder, die nach ACS-Gabe reif geboren werden, signifikant häufiger mentale und psychische Entwicklungsstörungen. Eine Entbindung im optimalen Zeitfenster gelingt allerdings nur in ca. 25–40% der Fälle. Daraus folgt, dass die Indikation zur ACS-Gabe sehr viel strenger als bisher gestellt werden muss. ACS sind immer indiziert bei PPROM, bei schwerer, früher Präeklampsie, bei fetaler IUGR mit Null- oder Reverse-Flow in der A. umbilicalis, bei einer blutenden Placenta praevia und bei Patientinnen mit vorzeitiger Wehentätigkeit und einer Zervixlänge < 15 mm. Das Risiko von Frauen mit einer asymptomatischen Zervixinsuffizienz, innerhalb von 7 Tagen zu gebären, ist sehr gering. Hier sollte auf die ACS-Gabe auch bei einer Zervixlänge von unter 15 mm verzichtet werden, wenn der Muttermund geschlossen ist und keine weiteren Risikofaktoren für eine Frühgeburt vorliegen ([Tab. 3]). Um die Indikationsstellung zur ACS-Gabe bei diesem Patientenkollektiv optimieren zu können, benötigen wir diagnostische Methoden mit einem besseren positiven prädiktiven Wert. Zurückhaltung ist ebenso angezeigt bei Frauen mit vorzeitiger Wehentätigkeit und einer Zervixlänge ≥ 15 mm. Hier gilt es, in weiteren Studien mittels Amniozentese das Patientenkollektiv zu identifizieren, bei dem eine MIAC/IAI vorliegt, und Schwellenwerte für die Indikation zur Entbindung zu definieren. Wenn immer möglich sollte die Indikation zur ACS-Applikation von einem/einer in der Perinatologie sehr erfahrenen Kollegen/Kollegin gestellt werden. Von einer notfallmäßigen ACS-Applikation vor Verlegung in ein Perinatalzentrum sollte außer in eindeutigen Fällen (s. o.) nach Möglichkeit abgesehen werden. Darüber hinaus können Qualitätsparameter helfen, das jeweilige Management des ACS-Timings zu objektivieren und Anstoß geben für interne Evaluationsprozesse, die optimalerweise zu einer Verbesserung der neonatalen Morbidität und Mortalität führen.

Tab. 3 Indikation zur Applikation von antenatalen Kortikosteroiden (ACS).

Indikation zur Applikation antenataler Kortikosteroide

gegeben

nicht gegeben

früher, vorzeitiger Blasensprung

+

schwere, frühe Präeklampsie

+

fetale, intrauterine Wachtsumsrestriktion mit Null- oder Reverse-Flow in der A. umbilicalis

+

Blutung bei Placenta praevia oder vorzeitiger Plazentalösung, falls exspektatives Management möglich

+

asymptomatische Zervixinsuffizienz mit einer Zervixlänge < 15 mm bei geschlossenem Muttermund und keinen weiteren Risikofaktoren für eine Frühgeburt

+

vorzeitige Wehentätigkeit und Zervixlänge < 15 mm

+


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Conflict of Interest

The authors declare that they have no conflict of interest.


Correspondence

Prof. Dr. med. Richard Berger
Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Marienhaus Klinikum St. Elisabeth, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universitäten Mainz und Maastricht
Friedrich-Ebert-Straße 59
56564 Neuwied
Germany   

Publication History

Received: 31 July 2023

Accepted after revision: 31 October 2023

Article published online:
03 January 2024

© 2024. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).

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Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Fig. 1 Interval between administration of antenatal corticosteroids (ACS) and delivery according to the indication (data from [10]) Patients as % with an interval between ACS administration and delivery of < 24 hours (blue), 24 hours to 7 days (red), and over 7 days (green). Asymptomatic = positive fibronectin test, shortened cervical length, asymptomatic cervical opening; Fetal = intrauterine growth restriction, oligohydramnios; HTN = hypertensive diseases of pregnancy; Maternal = maternal diseases other than pregnancy-induced hypertension; PPROM = preterm premature rupture of membranes.
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Abb. 1 Intervall zwischen Applikation antenataler Kortikosteroide (ACS) und Geburt in Abhängigkeit von der Indikation (Daten aus [10]), Patientinnen in % mit einem Intervall zwischen Applikation von ACS und Geburt von < 24 Stunden (blau), 24 Stunden bis 7 Tage (rot) und mehr als 7 Tagen (grün). Asymptomatisch = positiver Fibronektin-Test, verkürzte Zervixlänge, asymptomatische Muttermundseröffnung; fetal = intrauterine Wachstumsrestriktion, Oligohydramnion; HTN = schwangerschaftsinduzierte Hypertonie; Maternal = maternale Erkrankungen außer schwangerschaftsinduzierter Hypertonie; PPROM = früher vorzeitiger Blasensprung.