Hintergrund
Speicheldrüsenkarzinome gelten als seltene, heterogene Erkrankungen. Für die USA wurde
festgestellt, dass 6% aller malignen Kopf-Hals-Tumoren Speicheldrüsenkarzinome sind.
Diese repräsentieren 0,3% aller malignen Tumoren [1 ]. Die WHO-Klassifikation für maligne Speicheldrüsentumoren enthält in ihrer Version
von 2017 20 unterschiedliche histologische Entitäten. Diese werden anhand morphologischer,
immunhistochemischer und erstmals auch molekularpathologischer Merkmale diagnostiziert
und unterscheiden sich in ihrer Prognose deutlich voneinander. Im Vergleich zur vorangegangenen
Überarbeitung von 2005 fand eine Reduktion um 3 Entitäten statt. Die zuvor als eigenständig
geführten Entitäten Zystadenokarzinom, muzinöses Adenokarzinom und intestinales Adenokarzinom
werden nun wieder unter Adenokarzinom NOS (not otherwise specified) zusammengefasst.
Die Entitäten kleinzelliges und großzelliges Karzinom werden nun unter dem Begriff
„gering differenziertes Karzinom“ subsumiert. Mit dem Mamma-analogen sekretorischen
Karzinom kam eine neue Entität hinzu [2 ]. Die prätherapeutische Diagnostik von Speicheldrüsentumoren beinhaltet eine klinische
und ggf. zytologische Untersuchung sowie bildgebende Verfahren (Sonografie, MRT, CT).
Goldstandard in der Therapie ist die chirurgische Resektion mit Neck Dissection sowie
risikoadaptiertadjuvanter Radio-/Chemotherapie. Die 5-Jahres-Gesamtüberlebensrate
von Patienten mit Speicheldrüsenkarzinomen variiert in der Literatur von 50–66% [3 ]
[4 ]
[5 ]. Risikofaktoren für die Entstehung von malignen Speicheldrüsentumoren sind bis heute
überwiegend unbekannt. Als mögliche ätiologische Faktoren werden unter anderem genetische
Faktoren, Nickelexposition, Alkohol- und Tabakkonsum, Virenexposition, Adipositas,
eine Krebsvorgeschichte und eine Diät mit niedrigem Anteil an Gemüse und hohem Anteil
an Fleisch genannt [6 ]
[7 ]. Strahleninduzierte Karzinome werden ebenfalls beschrieben [8 ]. Zahlreiche prognostische Faktoren werden in der Literatur diskutiert. Je nach Publikation
unterscheiden sich jedoch die festgestellten Risikofaktoren in Bezug auf ihre Bedeutung
für das Überleben. So werden unter anderem der histologische Subtyp, das Tumorstadium
und das Patientenalter als statistisch signifikant betrachtet [9 ]
[10 ]
[11 ]. In dieser Arbeit gehen wir der Fragestellung nach, welche Risikofaktoren in einem
monozentrischen Patientenkollektiv identifiziert werden können und welchen Stellenwert
insbesondere der histologische Subtyp für das Überleben bei Speicheldrüsenkarzinomen
hat. Hierzu präsentieren wir die Ergebnisse eines nachbeobachteten Patientenkollektivs
aus über 4 Jahrzehnten.
Material und Methoden
Aus der klinischen Dokumentation und dem „Gießener Tumordokumentationssystem“ (GTDS)
wurden 479 Patienten identifiziert, die zwischen 1972 und 2014 an malignen Speicheldrüsentumoren
erkrankten und an unserer Klinik behandelt wurden. Einschlusskriterien für die retrospektive
Analyse waren nach ICD10 klassifizierte primäre Tumoren der großen Speicheldrüsen
(C07, C08). Insgesamt standen 205 Datensätze von Patienten mit malignen Speicheldrüsentumoren
zur Verfügung. Abhängig vom Diagnosezeitpunkt erfolgte die Einteilung der Tumorstadien
und der Histologien nach der jeweils geltenden TNM-Klassifikation (3.–7. Auflage)
sowie WHO-Klassifikation (WHO-Klassifikation von 1972 [12 ], WHO-Klassifikation von 1991 [13 ] und WHO-Klassifikation von 2005 [1 ]). Anhand der 7. Auflage der TNM-Klassifikation wurden die dokumentierten UICC-Stadien
überprüft und gegebenenfalls für die Analysen korrigiert. Alle Berechnungen wurden
mit SPSS Version 27.0 (IBM Corporation, Armonk, NY, USA) durchgeführt. Die Häufigkeitsverteilungen
wurden mittels Chi-Quadrat (Chi²)-Tests ermittelt. Das Gesamtüberleben wurde nach
der Methode von Kaplan-Meier dargestellt. Unterschiede wurden mit dem Log-Rank-Test
auf Signifikanz geprüft. Die Modellbildung und die Bestimmung der Hazard Ratios (HR)
und der entsprechenden 95%-Konfidenzintervalle (95%-KI) erfolgten durch Cox-Regression.
Das Signifikanzniveau (Alpha) wurde auf p≤0,05 festgelegt und bei multiplem Test nach
Bonferroni korrigiert.
Ergebnisse
205 Fälle mit vollständigen Daten zu Geschlecht, Alter, Tumorlokalisation und Operation
wurden retrospektiv ausgewertet. Folgende Variablen waren mit der angegebenen relativen
Häufigkeit der Fälle unvollständig dokumentiert: Differenzierungsgrad (68,8%), N-Stadium
(22,0%), T-Stadium (21,5%), M-Stadium (18,5%), UICC-Stadium (17,1%) und Rezidiv (1,5%).
Patientencharakteristika und Häufigkeit der histologischen Entitäten
Die absolute und relative Häufigkeit der histologischen Entitäten wurden ausgewertet
und sind nach WHO-Klassifikation in [Tab. 1 ] aufgeschlüsselt.
Tab. 1 Häufigkeit der diagnostizierten histologischen Entitäten in n=205 Fällen mit Speicheldrüsentumoren.
Diagnosezeitraum (entsprechende WHO-Klassifikation)
1972–2004 (Seifert et al. 1990 [13 ])
2004–2014 (Barnes et al. 2005 [1 ])
gesamt (1972–2014)
n
%
n
%
n
%
*in beiden WHO-Klassifikationen nicht gelistet; **in dieser WHO-Klassifikation nicht
gelistet; 1 Plattenepithelkarzinom schließt das verhornende Plattenepithelkarzinom mit ein. Ca=Carcinoma,
Karzinom; NOS=not otherwise specified
Entitäten aus den Klassifikationen Seifert
[13 ]
und Barnes
[1 ]
140
100
63
100
205
100
Plattenepithel-Ca1 – PEC
26
18,6
5
7,9
31
15,1
mukoepidermoides Ca – MEC
25
17,9
8
12,7
33
16,1
adenoidzystisches Ca – ACC
21
15,0
8
12,7
29
14,1
Adeno-Ca (NOS) – Adeno-Ca
18
12,9
11
17,5
29
14,1
Azinuszell-Ca – Acinar-CA
16
11,4
7
11,1
23
11,2
Ca im pleomorphen Adenom
8
5,7
1
1,6
9
4,4
muzinöses Adeno-Ca
2
1,4
0,0
2
1,0
Basalzelladeno-Ca
3
2,1
2
3,2
5
2,4
invasiv-duktales Ca
2
1,4
4
6,3
6
2,9
myoepitheliales Ca
2
1,4
1
1,6
3
1,5
papilläres Zystadeno-Ca
großzelliges Ca
1**
0,7
1
0,5
Karzinosarkom
**
2
3,2
2
1,0
epithelial-myoepitheliales Ca
1
1,6
1
0,5
onkozytäres Ca
kleinzelliges Ca
polymorphes Low-grade-Adeno-Ca
Talgdrüsenlymphadeno-Ca
**
Low-Grade-kribriformes Zystadeno-Ca
**
metastasierendes pleomorphes Adenom
**
Klarzell-Ca, NOS
**
Talgdrüsenadeno-Ca
1
1,6
1
0,5
lymphoepitheliales Ca
**
Sialoblastom
**
andere Entitäten
0,0
unbekannt
16
11,4
8
12,7
24
11,7
großzelliges, nichtverhornendes Ca*
3
4,8
3
1,5
neurogenes Sarkom*
1
0,7
1
0,5
Hämangiosarkom*
1
0,7
1
0,5
malignes fibröses Histiozytom*
1
1,6
1
0,5
Die 5 häufigsten histologischen Entitäten sind unabhängig von der angewendeten WHO-Klassifikation
([Tab. 1 ]): das PEC (15,1%), das MEC (16,1%), das Adeno-Ca (14,1%), das ACC (14,1%) und das
Azinus-Ca (11,2%). Trotz einer relativ hohen Fallzahl der Kohorte kommen die meisten
der in der WHO-Klassifikation definierten Entitäten selten oder gar nicht vor. Als
Seltenheitsgrenze wurde 5% der Gesamtfälle festgelegt (10/205). Demzufolge wurden
19/24 (79,2%) Histologien selten diagnostiziert (Ca im pleomorphen Adenom, muzinöses
Adeno-Ca, Basalzelladeno-Ca, invasiv-duktales Ca, myoepitheliales Ca, großzelliges
Ca, Karzinosarkom, epithelial-myoepitheliales Ca). Weitere 10/24 (41,7%) Histologien
(papilläres Zystadeno-Ca, Sialoblastom, lymphoepitheliales Ca, Klarzell-Ca, metastasierendes
pleomorphes Adenom, Low-grade-kribriformes Zystadeno-Ca, Talgdrüsenlymphadeno-Ca,
polymorphes Low-grade-Adeno-Ca, kleinzelliges Ca, onkozytäres Ca) wurden in der klinischen
Praxis während der vergangenen 4 Jahrzehnte in keinem einzigen Fall dokumentiert.
Dagegen wurden in 6/205 (2,9%) Fällen Speicheldrüsentumoren diagnostiziert und dokumentiert,
welche sich bei der eingehenden pathohistologischen Befundung als Malignome herausgestellt
haben, die nicht in der WHO-Klassifikation für Speicheldrüsenerkrankungen gelistet
sind (z.B. Hämangiosarkom, neurogenes Sarkom, Riesenzellsarkom).
Um in den nachfolgenden Analysen valide Aussagen treffen zu können, wurden im Weiteren
nur die Fälle der 5 häufigsten Histologien (n=145, 70,7% der Fälle) hinsichtlich klinisch-pathologischer
Charakteristika ausgewertet und die selteneren Entitäten nicht weiter betrachtet ([Tab. 2 ]).
Tab. 2 Übersicht der klinisch-pathologischen Charakteristika der 5 häufigsten Histologien
(PEC, MEC, ACC, Adeno-Ca und Azinus-Ca).
Medianes Alter bei Diagnose (Jahre)
64,9 Jahre
n
(%)
gesamt
145
100
Geschlecht
weiblich
70
48,3
männlich
75
51,7
Lokalisation
große Speicheldrüsen
145
100,0
kleine Speicheldrüsen
0
0,0
Histologie
PEC
31
21,4
MEC
33
22,8
ACC
29
20,0
Adeno-Ca
29
20,0
Azinus-Ca
23
15,9
T
T1/2
84
57,9
T3/4
32
22,1
unbekannt
29
20,0
N
N0
74
51,0
≥ N1
43
29,7
unbekannt
28
19,3
M
M0
98
67,6
M1
21
14,5
unbekannt
26
17,9
UICC-Stage
I/II
61
42,1
III/IV
62
42,8
unbekannt
22
15,2
Differenzierungsgrad
low-grade
33
22,8
high-grade
12
8,3
unbekannt
100
69,0
OP
nein
18
12,4
ja
127
87,6
Rezidiv
nein
111
76,6
ja
31
21,4
unbekannt
3
2,1
Klinisch-pathologische Charakteristika der 5 häufigsten Histologien (PEC, MEC, ACC,
Adeno-Ca und Azinus-Ca)
Von den 145 Patienten waren 70 Frauen (48,3%) und 75 Männer (51,7%). Das mediane Alter
zum Diagnosezeitpunkt war 64,9 Jahre (Spannweite: 10–93 Jahre). Die mediane Nachbeobachtungszeit
betrug 66,7 Monate. Alle Tumoren waren in den großen Speicheldrüsen (Gll. parotis,
submandibularis und sublingualis) lokalisiert. 61 (42,1%) Patienten wurden im Stadium
I/II und 62 (42,8%) im Stadium III/IV nach UICC diagnostiziert.
In der Kaplan-Meier-Analyse wiesen die Patienten abhängig von der Histologie signifikante
Unterschiede des Gesamtüberlebens auf ([Abb. 1 ]). Die 5-Jahres-Überlebensrate (5J-ÜR) im Gesamtkollektiv betrug ungeachtet der Histologie
66,9%. Differenziert nach histologischer Entität betrug die 5J-ÜR für Patienten mit
Azinus-Ca 89,7%, mit ACC 92,5%, mit Adeno-Ca 66%, mit MEC 60,8% und mit PEC 35,5%.
Das mit Abstand schlechteste Gesamtüberleben wiesen somit Patienten mit der Histologie
PEC auf. Signifikante Unterschiede im Gesamtüberleben bestanden zwischen der Histologie
PEC und jeder der 4 weiteren Histologien (vs. Adeno-Ca p=0,022; vs. Azinus-Ca oder
ACC p≤0,001; vs. MEC p=0,006). Keiner der weiteren paarweisen Vergleiche zwischen
verschiedenen Histologien in [Abb. 1 ]a erreichte das Signifikanzniveau (Alpha=0,05). Die gruppierte Gegenüberstellung
der Patientengruppe mit einer der weiteren 4 häufigsten Entitäten (Azinus-Ca, ACC,
Adeno-Ca oder MEC) gegenüber der Histologie PEC zeigte das besonders ungünstige Gesamtüberleben
bei PEC eindrücklich ([Abb. 1 ]b).
Abb. 1 Kaplan-Meier-Überlebenszeitanalyse (n=145) differenziert (a ) nach der Histologie und (b ) für die Histologie PEC vs. andere Histologie (zusammengefasst aus Adeno-Ca, ACC,
Azinus-Ca und MEC); p: Logrank-Test über alle Histologien (a ) bzw. zwischen PEC und andere Histologie (b ).
Die Häufigkeitsverteilung Patienten- und Tumor-bezogener klinischer Merkmale innerhalb
der 5 häufigsten Histologien zeigte statistisch signifikante Unterschiede innerhalb
der Patientenkohorte bezogen auf das N-Stadium bei Adeno-Ca sowie auf Alter, T- und
UICC-Stadium bei PEC ([Tab. 3 ]). Die markantesten Unterschiede lagen vor bei PEC für Alter und UICC-Stadium. Hier
blieb die statistische Signifikanz auch nach einer Adjustierung des Signifikanzniveaus
für multiple Tests nach Bonferroni bestehen.
Tab. 3 Häufigkeitsverteilung Patienten- und Tumor-bezogener Merkmale in Abhängigkeit von
der Histologie.
Adeno-Ca (n=29)
Azinus-Ca (n=23)
ACC (n=29)
MEC (n=33)
PEC (n=31)
alle
%
%
%
%
%
%
p-Wert
p-Wert: Chi²-Test, fettgedruckt: Signifikanzniveau=0,05; *signifikante Werte nach
Adjustierung des Signifikanzniveaus nach Bonferroni für multiple Tests (n=7: p ≤0,007);
#: Kategorie mit größter Abweichung in der Häufigkeitsverteilung zwischen den Histologien
innerhalb jedes Merkmals bei Vorliegen statistisch signifikanter Unterschiede; bei
unvollständigen Daten wurden die Prozentwerte der jeweils gültigen Fälle angegeben.
Geschlecht
w
41,4
60,9
62,1
36,4
45,2
48,3
0,183
m
58,6
39,1
37,9
63,6
54,8
51,7
Alter
< Median
41,4
65,2
58,6
66,7
19,4#
49,7
0,001*
> Median
58,6
34,8
41,4
33,3
80,6#
50,3
T-Stadium
T1/2
66,7
88,9
78,3
81,5
50,0#
72,4
0,034
T3/4
33,3
11,1
21,7
18,5
50,0#
27,6
N-Stadium
N0
40,0#
77,8
80,0
68,0
54,2
63,2
0,021
≥N1
60,0#
22,2
20,0
32,0
45,8
36,8
M-Stadium
M0
73,1
100,0
79,2
80,8
84,0
82,4
0,226
M1
26,9
0,0
20,8
19,2
16,0
17,6
UICC
I/II
33,3
72,2
65,4
59,3
24,0#
49,6
0,002*
III/IV
66,7
27,8
34,6
40,7
76,0#
50,4
Differenzierungsgrad
low-grade
53,3
100,0
100,0
90,9
60,0
73,3
0,061
high-grade
46,7
0,0
0,0
9,1
40,0
26,7
Aufgrund der Analyse des Gesamtüberlebens wurde die Hypothese formuliert, dass die
Entität PEC hauptsächlich für die signifikanten Unterschiede verantwortlich sein könnte.
Um dies zu testen, wurde die Häufigkeitsverteilung Patienten- und Tumor-bezogener
Merkmale unter Ausschluss der Histologie PEC vorgenommen ([Tab. 4 ]). Von den vormals 4 (siehe fett markierte p-Werte in [Tab. 3 ]) blieben lediglich 3 statistisch signifikante Unterschiede für Adeno-Ca in der Häufigkeitsverteilung
bei den Merkmalen Differenzierungsgrad, N- und UICC-Stadium bestehen (siehe fett markierte
p-Werte in [Tab. 4 ]). Nach einer Bonferroni-Korrektur für multiple Tests wurde jedoch das Signifikanzniveau
von keinem dieser Werte erreicht.
Tab. 4 Häufigkeitsverteilung Patienten- und Tumor-bezogener Merkmale in Abhängigkeit von
der Histologie.
Adeno-Ca
(n=29)
Azinus-Ca
(n=23)
ACC
(n=29)
MEC
(n=33)
%
%
%
%
p-Wert
p-Wert: Chi²-Test, fettgedruckt: Signifikanzniveau = 0,05 (nach Bonferroni adjustiertes
Alpha für multiple Tests (n=7, p ≤0,007) wurde nicht erreicht); #: Kategorie mit größter
Abweichung in der Häufigkeitsverteilung zwischen den Histologien innerhalb jedes Merkmals
bei Vorliegen statistisch signifikanter Unterschiede; bei unvollständigen Daten wurden
die Prozentwerte der jeweils gültigen Fälle angegeben.
Geschlecht
w
41,1
60,9
62,1
36,4
0,109
m
58,6
39,1
37,9
63,6
Alter
< Median
41,4
65,2
58,6
66,7
0,187
> Median
58,6
34,8
41,4
33,3
T-Stadium
T1/2
66,7
88,9
78,3
81,5
0,354
T3/4
33,3
11,1
21,7
18,5
N-Stadium
N0
40,0#
77,8
80,0
68,0
0,013
≥N1
60,0#
22,2
20,0
32,0
M-Stadium
M0
73,1
100,0
79,2
80,8
0,139
M1
26,9
0,0
20,8
19,2
UICC
I/II
33,3#
72,2
65,4
59,3
0,035
III/IV
66,7#
27,8
34,6
40,7
Differenzierungsgrad
low-grade
53,3#
100,0
100,0
90,9
0,034
high-grade
46,7#
0,0
0,0
9,1
Prognoseanalyse
Es wurde der Einfluss Patienten- und Tumor-bezogener Faktoren (Geschlecht, Altersgruppe,
TNM- und UICC-Stadium, histologische Entität sowie Differenzierungsgrad) univariat
ausgewertet. Es zeigte sich, dass alle einbezogenen Variablen einen statistisch signifikanten
Einfluss auf das Gesamtüberleben haben ([Tab. 5 ]).
Tab. 5 Univariate Analyse von Einflussfaktoren auf das Gesamtüberleben von Patienten der
5 häufigsten Speicheldrüsentumoren (n=145).
univariate Analyse (Kaplan-Meier) von Risikofaktoren (n=145)
univariate Cox-Regression
medianes OS
5J-ÜR (%)
p (log-rank)
HR
95%-KI (unteres/ oberes)
n
Jahre
S.E.
Gesamt
145
11,6
1,7
66,9
5J-ÜR=5-Jahres-Gesamtüberlebensrate; S.E.=Standardfehler; HR=Hazard Ratio; KI=Konfidenzintervall;
Signifikanzniveau erreicht (p ≤0,05; fettgedruckt); *signifikante Werte nach Adjustierung
des Signifikanzniveaus nach Bonferroni für multiple Tests (n=8, p ≤0,006).
Geschlecht
weiblich
70
14,1
1,1
77,2
0,014
1
1,12–2,76
männlich
75
8,7
3,3
57,0
1,76
Alter
< Median 64,9 Jahre
72
22,3
3,7
82,0
<0,001*
1
2,67–7,64
≥ Median 64,9 Jahre
73
5,4
1,9
52,1
4,51
T-Stadium
1/2
84
13,7
1,4
71,9
<0,001*
1
1,73–4,77
3/4
32
2,9
1,2
37,1
2,88
unbekannt
29
N-Stadium
N0
74
12,9
1,5
77,1
<0,001*
1
1,42–3,65
≥ N1
43
1,7
0,8
34,4
2,28
unbekannt
28
M-Stadium
M0
98
11,6
1,9
69,6
0,039
1
1,02–3,05
≥ M1
21
3,1
2,0
45,0
1,76
unbekannt
26
UICC
I/II
61
14,2
1,6
85,9
<0,001*
1
1,72–4,42
III/IV
62
3,1
1,4
41,0
2,76
unbekannt
22
Histologie
Azinus-Ca
23
16,7
0,8
89,7
<0,001*
1
ACC
29
13,5
0,9
92,5
1,25
0,51–3,07
MEC
33
–
–
60,8
1,58
0,66–3,77
Adeno-Ca
29
11,4
4,8
66,0
2,23
0,97–5,13
PEC
31
2,3
1,1
35,5
4,38
1,98–9,70
Differenzierungsgrad
low-grade
33
13,9
2,6
71,5
0,001*
1
1,65–9,16
high-grade
12
2,4
0,8
27,3
3,88
unbekannt
100
Hinsichtlich des Sterberisikos (Hazard Ratio, HR) zeigten sich deutliche Unterschiede
zwischen den häufigsten histologischen Entitäten in der univariaten Cox-Regression.
Das niedrigste Risiko lag bei Azinus-Ca (Referenzkategorie) und das höchste Risiko
bei PEC, welches im Vergleich zur Referenzkategorie mehr als 4-mal erhöht war ([Tab. 5 ]).
Variablen mit statistisch signifikantem Einfluss auf das Gesamtüberleben in der univariaten
Analyse wurden in eine multivariate Cox-Regression einbezogen ([Tab. 6 ]). Ausgenommen hiervon wurde die Variable UICC-Stadium, die sich aus den Variablen
des TNM-Stadiums zusammensetzt. Zudem bestand eine hohe Assoziation der Variable Differenzierungsgrad
mit der Variable Histologie ([Tab. 3 ]: hoch differenzierte Tumoren [low-grade] finden sich nahezu ausnahmslos bei Azinus-Ca,
ACC oder MEC, wogegen Adeno-Ca und PEC in hohen Anteilen niedrig differenziert [high-grade]
sind). Die genannten Variablen wurden demnach nicht in die multivariate Auswertung
eingeschlossen, da dies zu einer Verzerrung durch Multikollinearität führen würde.
Tab. 6 Multivariate Cox-Regression mit den Variablen Alter, Histologie, T- und N-Stadium
(n=114).
Variable
Schritt 1
Schritt 2
HR
95 %-KI (unterer/ oberer)
p-Wert
HR
95%-KI (unterer/ oberer)
p-Wert
Alter
1,04
0,99
1,08
<0,001
1,07
1,05
1,09
<0,001
Histologie
Azinus-Ca
1
0,237
ACC
1,19
0,46
3,12
0,720
MEC
2,05
0,79
5,30
0,141
Adeno-Ca
1,17
0,49
2,80
0,720
PEC
1,99
0,86
4,56
0,106
T
T1/2
1
0,007
1
0,003
T3/4
2,15
1,23
3,73
2,28
1,31
3,95
N
N0
1
0,033
1
0,046
≥ N1
1,80
1,05
3,08
1,67
1,01
2,77
Die multivariate Cox-Regression beschreibt den Effekt der einzelnen erklärenden Variablen
auf das Sterberisiko (Hazard Ratio) unter Berücksichtigung der Einflüsse der anderen
erklärenden Variablen. Eine statistische Signifikanz ergab sich zunächst für die Variablen
Alter, T- und N-Stadium ([Tab. 6 ], Schritt 1). Da die histologische Entität im ersten Schritt der Modellierung keinen
signifikanten Einfluss hatte, wurde sie in einer zweiten Modellierung ausgeschlossen
([Tab. 6 ], Schritt 2). Hier zeigte sich keine wesentliche Veränderung im Vergleich zu Schritt
1 der Modellierung, und die einbezogenen Faktoren zeigten jeweils einen signifikanten
Einfluss auf das Risikomodell. Mit jedem Altersjahr stieg das Sterberisiko um 7% an
(HR: 1,07). Ebenfalls erhöhte ein hohes T-Stadium das Risiko um 128% (HR: 2,28) und
ein hohes N-Stadium um 67% (HR: 1,67).
Diskussion
Die retrospektive unizentrische Analyse der Speicheldrüsenkarzinome über einen Zeitraum
von 42 Jahren ergab, dass zahlreiche histologische Entitäten im praktischen Alltag
an unserer Klinik sehr selten bzw. gar nicht diagnostiziert worden sind. Dies wird
durch andere Untersuchungen bestätigt [14 ]
[15 ]
[16 ]
[17 ]. Ein wesentlicher Teil der in der WHO-Klassifikation für maligne Speicheldrüsentumoren
benannten histologischen Diagnosen ist in der von uns untersuchten Kohorte so selten,
dass sie in den weiteren statistischen Analysen nicht berücksichtigt werden konnten.
In einer epidemiologischen Analyse aus den USA mit einer sehr großen Fallzahl sind
die 5 häufigsten WHO-Typen identisch mit denen unserer Auswertung. Hinsichtlich der
seltener auftretenden Histologien ergibt sich ebenfalls ein ähnliches Ergebnis [17 ]. In der vorliegenden Auswertung wurden zu den in der zitierten Arbeit genannten
zusätzlich das Sialoblastom, das metastasierende pleomorphe Adenom und das papilläre
Zystadenokarzinom als seltene Histologie klassifiziert ([Tab. 1 ]). Obwohl übereinstimmend viele Histologien als selten bezeichnet werden können,
ist aus der Literatur bekannt, dass in Abhängigkeit von der geografischen Region das
Auftreten von Karzinomen der Speicheldrüsen und deren histologische Zusammensetzung
schwanken [18 ]. Möglicherweise spielen hierbei Umweltbedingungen oder Risikofaktoren in Bezug auf
regionale Besonderheiten im Lebensstil eine Rolle.
Die in dieser Arbeit festgestellte 5J-ÜR von 66,9% der Gesamtkohorte entspricht den
Literaturangaben [3 ]
[4 ]. Nach Klassifizierung der Patienten entsprechend der 5 häufigsten Histologien zeigen
sich jedoch deutliche Unterschiede zwischen 3 Patientengruppen mit unterschiedlichen
Überlebensraten. Hierbei können 3 Prognosegruppen unterschieden werden. Azinus-CA
und ACC weisen mit 89,7% bzw. 92,5% eine exzellente 5J-ÜR auf. MEC (60,8%) und Adeno-Ca
(66,0%) lassen sich in eine mittlere Prognosegruppe einordnen. Das PEC zeigt eine
deutlich davon abgegrenzte und verhältnismäßig schlechte 5J-ÜR von 35,5% ([Abb. 1 ]). Eine ähnliche Aufteilung ist in der Literatur beschrieben. So haben Spiro et al.
[11 ] und Terhaard et al. [3 ] ebenfalls Azinuskarzinome mit der besten und PEC als Tumoren mit der schlechtesten
Überlebensrate identifiziert.
Die beobachteten Unterschiede im Gesamtüberleben zwischen Patientengruppen der 5 häufigsten
Entitäten ist ein Hinweis auf grundlegende Unterschiede zwischen den Tumortypen. Um
zu analysieren, welche anderen Faktoren mit der Histologie assoziiert sind und ggf.
für die prognostischen Differenzen der Tumoren verantwortlich sein könnten, wurde
die Häufigkeitsverteilung bekannter Risikofaktoren untersucht. Sowohl in den hier
vorliegenden Daten als auch in der Literatur sind besonders die Entitäten PEC und
Adeno-Ca statistisch häufiger mit größeren Primärtumoren und weiter fortgeschrittener
lymphogener Metastasierung assoziiert ([Tab. 3 ]) [3 ]. Zudem weisen Adeno-Ca häufiger einen niedrigen Differenzierungsgrad auf ([Tab. 3 ] und [Tab. 4 ]). Das hohe Lebensalter bei Diagnosestellung bei Patienten mit PEC kann ebenfalls
als prognostisch relevante Einflussgröße für das Gesamtüberleben infrage kommen ([Tab. 3 ]). Im Gegensatz dazu sind bei Patienten mit Azinus-CA, ACC oder MEC die genannten
Risikofaktoren (hohes Lebensalter, niedrige Differenzierung, hohes T/N-Stadium) seltener
vertreten.
Die univariate Analyse zeigt hierbei einen signifikanten Einfluss aller untersuchten
Faktoren auf das Gesamtüberleben der Patienten ([Tab. 5 ]). Jedoch verfehlt der Einfluss des Geschlechts und einer Fernmetastasierung das
Signifikanzniveau nach einer Bonferroni-Korrektur für multiple Tests. In der daraufhin
durchgeführten multivariaten Analyse nach Elimination redundanter oder abhängiger
Faktoren ([Tab. 6 ]) erwiesen sich das T- und N-Stadium der Tumoren sowie das Alter bei Diagnosestellung
als unabhängige Einflussfaktoren auf das Gesamtüberleben. Die multivariate Analyse
unserer Daten bestätigt nicht, dass die histologische Entität als unabhängiger Einflussfaktor
auf das Gesamtüberleben bei Speicheldrüsenkarzinomen angesehen werden kann ([Tab. 6 ]). Erklärlich ist dies durch Zusammenhänge mit anderen Risikofaktoren, die mehr oder
weniger spezifisch für jede histologische Entität bestehen ([Tab. 3 ] und [Tab. 4 ]). Die Ergebnisse unserer Auswertungen (HR in der univariaten Analyse, 5J-ÜR sowie
Assoziation mit Tumoreigenschaften) legen nahe, dass Patienten mit einem PEC der Speicheldrüsen
einem Hochrisikokollektiv, Patienten mit MEC und Adeno-CA einer Prognosegruppe mit
mittlerem Risiko und mit Azinus-Ca und ACC einem Niedrigrisikokollektiv quo ad vitam
zugeordnet werden können.
Limitationen dieser Arbeit ergeben sich durch den retrospektiven Charakter der Untersuchung
und den sehr ausgedehnten Zeitraum des einbezogenen Patientenkollektivs. Im betrachteten
Zeitraum haben sich die TNM-/WHO-Klassifikationen sowie die klinischen Verfahren (Chirurgie/adjuvante
Verfahren) verändert, und die allgemeine Lebenserwartung hat sich insgesamt verbessert.
Dahingegen zeichnet sich das untersuchte Patientenkollektiv durch eine vergleichbar
zu anderen Arbeiten (z.B. [9 ]) relativ hohe Fallzahl und lange Nachbeobachtungszeit aus.
Die Ergebnisse dieser Arbeit lassen den Schluss zu, dass Prognosesysteme für Speicheldrüsentumoren,
die rein auf anatomischen Indikatoren (wie TNM) der Karzinome beruhen, nicht ausreichend
sind, sondern dass diese um weitere Faktoren erweitert werden sollten – insbesondere
um die histologische Entität der häufigsten Subtypen. Die Abhängigkeit der Variablen
lässt eine Einteilung in Prognosegruppen zu. Ob dies einen Einfluss auf die Intensität
der Therapie der genannten Tumoren sowohl betreffend die Ausdehnung des chirurgischen
Eingriffs und die Indikationsstellung adjuvanter Verfahren als auch im Hinblick auf
neue medikamentöse Therapiemodalitäten haben sollte, ist eine sich ergebende weiterführende
Fragestellung.
Zusammenfassung und Schlussfolgerung
Die vorliegenden Daten geben einen Überblick über Häufigkeit und prognostische Kriterien
von Speicheldrüsenkarzinomen. Dabei zeigt sich, dass die meisten der von der WHO identifizierten
Subtypen im klinischen Alltag ausgesprochen selten bis gar nicht vorkommen. Die sowohl
in dieser Arbeit als auch in der Literatur häufigsten Subtypen PEC, Adeno-Ca, MEC,
Azinus-Ca und ACC unterscheiden sich sowohl in der Überlebensrate der Patienten als
auch in ihrer Assoziation zu Patienten- und Tumor-bezogenen Risikofaktoren. Die Ergebnisse
der Arbeit legen nahe, dass bezogen auf die 5J-ÜR PEC als Hochrisikohistologie, MEC
und Adeno-CA als Mittelrisikohistologien sowie Azinus-Ca und ACC als Niedrigrisikohistologien
bei Karzinomen der Speicheldrüsen angesehen werden können, wenn auch die histologische
Entität in der multivariaten Untersuchung nicht als unabhängiger Risikofaktor bestätigt
werden konnte. Die statistisch signifikante Abhängigkeit der Histologie von den weiteren
erfassten Risikomerkmalen TNM, Alter und Differenzierungsgrad machen die histologische
Diagnose dennoch zu einem interessanten und relevanten Stratifizierungsmerkmal für
die prognostische Einschätzung und perspektivisch möglicherweise auch für die Therapieplanung.
Die alleinige Betrachtung der Tumorausbreitung (TNM-/UICC-Stadium) ist nach den vorliegenden
Daten für die Prognosestellung nicht ausreichend.