Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/a-2124-6633
Pflegenotstand in Neurologischen Kliniken
Nursing Shortage in Neurological Hospitals
Vor wenigen Wochen war ich Teil einer Findungskommission für einen neuen Direktor / Direktorin einer großen deutschen neurologischen Klinik. Im Gespräch wurde erwähnt, dass 30 neurologische Betten zur Verfügung stünden und auf meinen überraschten Blick wurde mir mitgeteilt, dass eigentlich 55 Betten vorgesehen seien, 25 aber aufgrund von Pflegekraftmangel gesperrt seien. Leider ist diese Beobachtung kein Einzelfall und wir Neurologen leiden, ähnlich wie andere Fachdisziplinen, am Pflegenotstand. Spätestens seit der Pandemie ist in der Bevölkerung bekannt, dass sowohl im Krankenhaus als auch in der Alten- und Krankenpflege ein besorgniserregender Pflegekräftemangel herrscht. Wenn man sich fragt, wie es soweit kommen konnte, dann gibt es dafür viele Gründe. Vor wenigen Jahren gab es bereits 451 Fachabteilungen für Neurologie und mit 26 000 aufgestellten Betten ist die Neurologie nach der Inneren Medizin, Chirurgie und Frauenheilkunde das viertgrößte bettenführende Fach, so dass es auch unabdingbar ist, bei dem allgemeinen Pflegekräftemangel in der Neurologie schwierige Zeiten zu erleben. Durch die allseits bekannte Alterspyramide, das heißt, durch den demographischen Wandel zu einer immer älteren Gesellschaft ist es insbesondere in unserem Fachgebiet verständlich, dass nicht nur immer mehr Betten benötigt werden, sondern dass eben auch der Pflegekräftemangel bei uns besonders durchschlägt. Wir haben auch schlechtere Geburtenjahrgänge, so dass der Nachwuchs deutlich mehr Alternativangebote hat und wir weniger junge Menschen haben, die in Pflegeberufe eintreten könnten. Zumindest in der Presse wird die Pflege als außerordentlich belastend, wenig wertgeschätzt und schlecht honoriert dargestellt, wobei meine persönliche Meinung ist, dass letzteres sich deutlich verbessert hat. Wenn die Arbeit von immer weniger Pflegenden geleistet werden muss, ist es auch verständlich, dass im Sinne eines Dominoeffektes immer mehr die zusätzliche Belastung nicht mehr stemmen können und somit weitere Lücken in Pflegeteams auftreten. Es ist auch nicht zu leugnen, dass die Pflege körperlich herausfordernd ist, so dass für ältere Pflegende häufig die körperliche Belastungsgrenze erreicht oder überschritten wird, was zu Krankheit und Ausfällen führt. Problematisch ist auch das Thema Leasingkräfte, das heißt, so genannte Leiharbeiter, die zum einen besser bezahlt werden als das Stammpersonal und zum anderen sich in die Prozesse vor Ort erst einarbeiten müssen und damit nicht per se die gleiche Qualität aus dem Stand anbieten können, wie dies beim Stammpersonal der Fall ist. Da wir auch immer weniger Zeit haben und bereit sind, unsere kranken Angehörigen selbst zu betreuen, wird der Bedarf in der ambulanten Pflege ständig größer und damit für Pflegende am Krankenbett in den Krankenhäusern selbstverständlich auch die Konkurrenzsituation mit der ambulanten Pflege weiter verstärkt. Die Prognosen sind des Weiteren ernüchternd. Man geht davon aus, dass in den nächsten Jahren die Lücke eher größer wird und eine Vielzahl an Pflegenden ausscheiden, die durch jüngere nicht ersetzt werden können. Wenn man sich mit Fachkollegen aus anderen europäischen Ländern unterhält, dann ist es zumindest in Österreich, der Schweiz, Frankreich, dem Vereinten Königreich und anderen großen europäischen Ländern genau wie bei uns, es herrscht überall ein Pflegekräftemangel.
Somit rückt immer mehr in den Fokus, ob es intelligente Methoden und Ideen gibt, den Pflegekräftemangel einzuschränken oder gar zu beseitigen. Der ehemalige deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn hatte z. B. die Idee, aus dem Kosovo Pflegekräfte für Deutschland anzuwerben. Ein sehr intelligentes Modell wird von dem Vorstandsmitglied Pflege am Universitätsklinikum Bonn, Herrn Alexander Pröbstl, umgesetzt, der schon vor Jahren Kooperationsverträge mit Universitäten und Pflegekräfteausbildungsstellen in Mexiko, den Philippinen und anderenorts geschlossen hat und so durch die Rekrutierung von ausländischen Pflegekräften es bisher unvergleichlich gut geschafft hat, am Universitätsklinikum Bonn keinen schweren Pflegekräftemangel aufkommen zu lassen. Somit ist primär die Idee sicherlich verfolgenswert, durch Kooperationen mit anderen Ländern Pflegekräfte für Deutschland zu gewinnen. Kritisch zu bemerken ist diesbezüglich selbstverständlich aber, dass wir dann diesen Ländern wertvolle Pflegekräfte entziehen und somit dort zu ähnlichen Problemen beitragen, wie wir sie in den hoch entwickelten europäischen Ländern beklagen. Viele führen an, dass die von Minister Lauterbach angestrebte Krankenhausreform dazu führen wird, dass eine Vielzahl von Kliniken geschlossen werden und deren Pflegekräfte dann in die verbleibenden Kliniken wechseln könnten. Hier bin ich persönlich skeptisch, da Pflegende sehr ortsgebunden sind und sich nicht einfach per Schachbrett verschieben lassen. Problematisch diesbezüglich ist, dass ähnlich, wie es die Pflegekräfte jetzt schon machen, viele von diesen dann überlegen, ob sie nicht in andere, weniger belastende und vielleicht sogar besser bezahlte Berufe umwechseln könnten. Eine andere naheliegende Idee ist, sich zu überlegen, wie man aus den vielen Teilzeitarbeitenden in der Pflege Vollzeitkräfte generieren könnte. Sicherlich müsste diesbezüglich von dem höheren Lohn, der damit erreicht würde, mehr für die Pflegenden übrigbleiben, das heißt, die Steuer sollte nicht alles wieder wegfressen, was durch Mehrarbeit geleistet wird. Diesbezüglich scheint es jetzt bei der Politik auch interessante Überlegungen zu geben, die z. B. in der aktuellen Diskussion darin gipfeln, dass Überstünden steuerfrei sein sollten. Erneut habe ich diesbezüglich aber leider persönlich einen eher skeptischen Blick, weil es ja gute Gründe gibt, dass viele Pflegekräfte nicht mehr ganztags arbeiten. Dazu gehören die Belastungen eines Schichtdienstes und, wie oben bereits erwähnt, die harten körperlichen Ansprüche, die an eine Ganztagspflegekraft gestellt werden. Der neue Slogan einer großen deutschen Volkspartei, nämlich Fördern und Fordern, führt dahin, sich zu überlegen, dass Empfänger von Bürgergeld vielleicht für die Pflegearbeit einzusetzen wären. Auch diese Überlegung ist aus meiner Sicht nicht weiterführend, weil in der heutigen hochkomplexen Welt z. B. eines Krankenhauses es außerordentlich schwierig ist und einer sehr langwierigen und hochspezialisierten Ausbildung bedarf, um den Herausforderungen im Alltag einer Pflegekraft nachgehen zu können. Insbesondere im angelsächsischen und skandinavischen Krankenhauswesen ist die Akademisierung der Pflegekräfte vorangeschritten, was wir auch zunehmend in Deutschland umsetzen. Es ist aus meiner Sicht aber erneut zu kurz gesprungen, zu glauben, dass durch die Akademisierung von Pflegekräften diese nicht nur bessere Karrierechancen haben, sondern auch eine Sogwirkung in den Beruf der Pflege generiert werden könnte. Diese Idee verfolgt z. B. die Robert-Bosch-Stiftung, es bleibt aber doch die Frage offen, ob dann die Pflege am Bett von akademisierten Pflegekräften noch als adäquat betrachtet wird und nicht eine sehr hohe Zahl in Leitungsfunktionen strebt und damit am Krankenbett fehlt. Im Zeitalter der Digitalisierung ist selbstverständlich auch zu fragen, ob wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Pflegeroboter bekommen werden, die einige Tätigkeiten von Pflegekräften übernehmen könnten. Hier ist laut Experten in der Tat eine Revolution zu erwarten. Solche Experten gehen z. B. davon aus, das wir zuhause einen Hausroboter haben werden, der viele Tätigkeiten für uns übernehmen wird und dass dies selbstverständlich auch im Krankenhaus möglich werden wird. Konkrete Beispiele dafür wären z. B. die Essensausgabe, wie ich dies z. B. in einem Hotel in Kanada bereits erlebt habe, wo ein Roboter den Room-Service, das heißt, den Transport des Essens aus der Küche in das Hotelzimmer des bestellenden Gastes übernahm. Ein weiteres bekanntes Beispiel sind Roboter, die z. B. in Japan demente Patienten nicht nur bei einfachen Handreichungen helfen, sondern auch zum „Gesprächspartner“ werden und so die Einsamkeit dieser Patienten verringern. In den Vereinigten Staaten ist ein Demenzhund entwickelt worden, der etwa 250 Bewegungsmuster, Laute und Zuwendungsformen beherrscht, die ihn zumindest für demente Patienten zu einem wertvollen Freund und Partner werden lassen. Solche Pflegehilfsleistungen könnten, um auf das Thema Fördern und Fordern zurückzukommen, aus meiner Sicht selbstverständlich auch nicht gelernte Personen übernehmen, so dass hier, eine gewisse Motivation vorausgesetzt, noch ein hohes Potenzial für Hilfe in der Pflege besteht. Nicht zuletzt beklagen Pflegekräfte, dass sie viel zu wenig am Bett des Patienten sind und damit das, warum sie eigentlich Pflegekraft geworden sind, gar nicht mehr umsetzen können, sondern ständig mit Bürokratie, Dokumentation überfrachtet, überfordert und frustriert werden. Auch hier müsste man überlegen, ob eine Aufteilung zwischen Dokumentation und Pflege am Bett möglich ist und damit unseren Patienten auch wieder die Perspektive eröffnet wird, in schweren Zeiten menschliche Zuneigung zu erfahren. Wir werden es somit alle zusammen als Gesellschaft schaffen müssen, ausreichend viele junge Menschen für den Beruf der Pflege zu begeistern, wobei die entsprechende Wertschätzung notwendig ist, eine ausreichende Bezahlung gewährleistet werden muss und die Motivation, Schwerkranken zu helfen, durch Zeiten am Krankenbett auch umgesetzt werden muss. Diesbezüglich sollte aus meiner Sicht somit von Seiten der Leitungen von Pflegeeinrichtungen und Pflegedirektoren von Krankenhäusern Werbung in Schulen gemacht werden und durch Mentorenprogramme junge Pflegekräfte in ihrer initialen Entscheidung gestützt und bestärkt werden, so dass vermieden wird, dass viele, die mit dem Beruf der Pflegekraft begonnen haben, schon nach kurzer Zeit frustriert wieder in andere Berufe wechseln.
Abschließend ist es offensichtlich, dass eine geniale Idee, die dem Pflegenotstand auf einen Schlag beseitigen würden, wohl nicht besteht, sondern dass wir an vielen Stellschrauben gemeinsam drehen müssen, um diese besorgniserregende Entwicklung zu korrigieren und für die immer älter wertende Gesellschaft in Deutschland noch eine adäquate Betreuung im Krankenhaus im Alter zu gewährleisten.
Heinz Reichmann, Dresden
Publication History
Article published online:
19 September 2023
© 2023. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14,70469 Stuttgart,
Germany