Patienten mit Kopfschmerzen vom Spannungstyp mit und ohne Migräne weisen T2-Veränderungen
im M. trapezius auf
**** Sollmann N, et al. Headache frequency and neck pain are associated with trapezius
muscle T2 in tension-type headache among young adults. J Headache Pain 2023; 24(1):
84. doi: 10.1186/s10194-023-01626-w
Hintergrund
Der Mechanismus und die Bedeutung von den so häufig im Zusammenhang mit primären Kopfschmerzen
auftretenden Nackenschmerzen, beschäftigt Wissenschaftler weltweit. Während die einen
den Standpunkt vertreten, dass es sich bei den Nackenschmerzen um ein Symptom von
primären Kopfschmerzen handeln muss [1] und der Mechanismus auf einer Art Referred Pain beruht, vermuten andere eher einen
nozizeptiven Input aus der Peripherie, der auf ein durch wiederholten Schmerz sensitisiertes
(chronisches Schmerz-)System trifft und zur Beeinträchtigung durch und Frequenz von
Kopfschmerzen beiträgt [2], [3].
Zusammenfassung
Sollmann et al. untersuchten für ihre Studie den M. trapezius von 16 Personen mit
Kopfschmerzen vom Spannungstyp (tension type headache, TTH), 12 Personen mit TTH +
Migräne und 22 Kontrollpersonen anhand einer manuellen Triggerpunkt-Palpation und
einer 3-dimensionalen Turbo-Spin-Echo-Sequenz im MRT (T2-mapping). Ziel war es, Veränderungen
im M. trapezius bei den Kopfschmerzgruppen zu detektieren und mit den Palpationsergebnissen,
der Kopfschmerzfrequenz und dem Vorhandensein von Nackenschmerzen in Verbindung zu
bringen. Tatsächlich zeigten beide Kopfschmerzgruppen höhere T2-Werte im M. trapezius
als die Kontrollpersonen. Die höchsten Werte erzielte die Gruppe mit TTH + Migräne
und T2-Werte waren gemäß einer Regressionsanalyse assoziiert mit der Anzahl von Kopfschmerztagen.
Kommentar
Dass sich die Kopfschmerzgruppen signifikant von der Kontrollgruppe unterscheiden,
ist teilweise überraschend, weil die Ein- und Ausschlusskriterien für die Kontrollgruppe
nicht eindeutig definiert wurden. Aus den Ergebnissen lässt sich ablesen, dass die
Kontrollpersonen 0–5 Kopfschmerztage pro Monat hatten, in der TTH-Gruppe gab es mindestens
eine Person mit nur 3 Kopfschmertagen (also 2 Tage weniger als die Person mit den
meisten Kopfschmerztagen in der Kontrollgruppe). Die Muskelveränderungen gemäß T2-mapping
zeigten signifikante Veränderungen in beiden Kopfschmerzgruppen, was die Autoren als
Zeichen einer peripheren Sensitisierung interpretierten. Die Ergebnisse indizieren,
dass der berichtete Nackenschmerz nicht allein eine Schmerzausstrahlung des Kopfschmerzes
sein kann, sondern mit lokalen strukturellen Veränderungen einhergeht. Ob diese jedoch
die Konsequenz wiederkehrender Kopfschmerzen oder deren Ursache sind, bleibt weiterhin
ungeklärt. Auch unklar bleibt, ob die Assoziation mit der Kopfschmerzfrequenz so zu
deuten ist, dass häufige Kopfschmerzen zu mehr Muskelaktivität führen oder veränderte
Muskelaktivität im Nacken die Kopfschmerzfrequenz erhöht.
Aus physiotherapeutischer Sicht etwas enttäuschend ist der fehlende Zusammenhang zwischen
den Palpations- und den MRT-Ergebnissen. Eine Vorstudie, in der Palpation mit Ultraschall
verglichen wurde, zeigte eine durchaus hohe Übereinstimmung für den M. trapezius [4]. In der vorliegenden Studie lagen der Palpationstermin und der MRT-Termin 2 Wochen
auseinander. Nackenschmerzen und Muskelanspannung fluktuieren jedoch in Abhängigkeit
mit den Kopfschmerzphasen [5]. Zumindest bei den 12 Patienten mit TTH + Migräne könnte dies das Ergebnis und die
Übereinstimmung zwischen beiden Messungen beeinträchtigt haben.
Leider wurde in den Ergebnissen nicht berichtet, ob es aktive Triggerpunkte gab, also
kopfschmerzähnlichen ausstrahlenden Schmerz bei der Triggerpunkt-Palpation. Latente
Triggerpunkte sind im M. trapezius extrem häufig [6]. Dies erklärt möglicherweise, warum alle Gruppen ca. 4 Triggerpunkte ohne signifikanten
Gruppenunterschied aufwiesen. T2-mapping ist als Biomarker aufgrund der mangelnden
Verfügbarkeit und der Untersuchungskosten wenig geeignet. Wären Palpation und MRT
zu übereinstimmenden Ergebnissen gekommen, hätte man die Triggerpunkt-Palpation für
die klinische Untersuchung empfehlen können, um eine potenzielle periphere Sensitisierung
festzustellen und bei entsprechender Indikation einen Behandlungsversuch der Nackenmuskulatur
in das Patientenmanagement zu integrieren. Aufgrund der methodischen Mängel der Studie
ist diese Aussage aber nicht zulässig.
Kerstin Lüdtke, Hamburg
The impact of Vitamin D3 supplementation to topiramat therapy on pediatric migraine prophylaxis
*** Elmala MK, et al. The Impact of Vitamin D3 Supplementation to Topiramate Therapy
on Pediatric Migraine Prophylaxis. J Child Neurol 2022; 37(10-11): 833-839
Hintergrund
Die Kopfschmerzprävalenz bei Kindern und Jugendlichen ist steigend und geht mit Einschränkungen
der Lebensqualität und schulischen Leistungen einher. Die Rolle von Vitamin D3 in der Prophylaxe pädiatrischer Migräne ist weitesgehend nicht erforscht [1]. Diese Studie beschäftigt sich mit der Effektivität und Sicherheit der Vitamin-D3-Einnahme zusätzlich zur Topiramat-Prophylaxe.
Zusammenfassung
60 Kinder und Jugendliche mit einer schweren Migräne (PedMIDAS > 20), einem normalem
Vitamin-D3-Spiegel (> 30 ng/mL) und einem normalen Hämoglobin (> 11,5 g/dL) wurden in die Studie
eingeschlossen. Es erfolgte die Randomisierung in eine Verum- (Topiramat 2 mg/kg KG
und Vitamin d3 5000 IE) und eine Placebo-Gruppe (Topiramat 2 mg/kg KG und Placebo-Präparat).
56 Teilnehmende haben die Studiendauer von 16 Wochen beendet und wurden in die Analyse
eingeschlossen. Für die Studie wurde der initiale Vitamin-D3-Spiegel bestimmt, die Kopfschmerzfrequenz, der PedMIDAS und die subjektive Zufriedenheit
erhoben. Nach den 16 Wochen zeigte sich in der Verum-Gruppe eine signifikante Besserung
der Kopfschmerzfrequenz (p = 0,001) und im direkten Vergleich beider Gruppen zeigte
die Verum-Gruppe eine signifikant höhere Reduktion der Kopfschmerztage (p = 0,01)
um > 50 % als die Placebo-Gruppe. Im PedMIDAS zeigten beide Gruppen eine signifikante
Besserung (Verum p = 0,0001, Placebo p = 0,001), jedoch zeigte die Verum-Gruppe im
direkten Gruppenvergleich eine signifikant stärkere Reduktion als die Placebo-Gruppe
(p = 0,04). Für die Kopfschmerzstärke (p = 0,01) und die Dauer (p = 0,01) der Migräne
zeigte sich in der Verum-Gruppe eine signifikante Besserung, jedoch ohne signifikanten
Gruppenunterschied. Nebenwirkungen zur Vitamin-D3-Einnahme zeigte sich bei 6 Teilnehmenden in der Placebo-Gruppe und in 4 der Verum-Gruppe.
Allgemein wurde nur von milden Nebenwirkungen berichtet (abdominelle Schermerzen,
Anorexie, Übelkeit, Erbrechen, Verstopfungen), welche innerhalb von 10 Tagen wieder
verschwanden.
Kommentar
Die Studie aus Saudi-Arabien beschäftigt sich mit der Sicherheit von Vitamin D3 in der pädiatrischen Migräne-Prophylaxe. Vitamin D3 hat parakrine und autokrine Eigenschaften [2]. Es hat zudem antinozizeptive und antiinflammatorische Effekte [3] und hemmt die Stickstoffmonoxid-Synthese. NO ist dafür bekannt neben den nozizeptiven
Neuronen und der Neuroinflammation auch das trigeminovaskuläre System zu triggern.
Weiterhin reduziert es den Serumspiegel von CGRP, welches eine zentrale Rolle in der
Migräne-Pathophysiologie spielt [4]. Die Ergebnisse zeigen, dass eine zusätzliche regelmäßige Einnahme von Vitamin D3 zur Topiramat-Therapie einen Effekt auf die Kopfschmerzfrequenz und die Einschränkungen
im Alltag hat.
Limitierend an der Studie ist die kleine Fallzahl von 56 Teilnehmenden und der kurze
Studienzeitraum. Weiterhin wurde der Vitamin-D3-Spiegel nur initial bestimmt, wodurch kein Vergleich zwischen Verum und Placebo möglich
war. Ebenfalls wäre eine Bestimmung des Vitamin-D3-Spiegels über alle 4 Jahreszeiten sinnvoll gewesen. Weiterhin fehlt ein Follow-up
nach Beendigung der Vitamin-D3-Zufuhr hinsichtlich der Kopfschmerzfrequenz, Dauer, Schwere und Alltagseinschränkungen.
Nichtsdestotrotz gibt die Studie einen erstmaligen Überblick über die mögliche Effektivität
und Sicherheit von Vitamin D3 in der pädiatrischen Migräneprophylaxe im Vergleich zu einem Placebo.
Berit Höfer, Dresden
INFORMATION
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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete
Übersicht bietet
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Gute experimentelle oder klinische Studie
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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter
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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen
Mängeln
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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln
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Die Kopfschmerz-News werden betreut von der Jungen DMKG, vertreten durch Dr. Robert
Fleischmann, Greifswald, Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Trigemino-autonomer
Kopfschmerz & Clusterkopfschmerz), Dr. Laura Zaranek, Dresden (Bereich Kopfschmerz
bei Kindern und Jugendlichen) und Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie
und Kopfschmerz).
Ansprechpartner ist Dr. Robert Fleischmann, Klinik und Poliklinik für Neurologie,
Unimedizin Greifswald, Ferdinand-Sauerbruch-Str. 1, 17475 Greifswald, Tel. 03834/86-6815,
robert.fleischmann@uni-greifswald.de
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