Nervenheilkunde 2023; 42(08): 512-523
DOI: 10.1055/a-2103-7666
Schwerpunkt

Von den klinischen Charakteristika zur sicheren Diagnose funktioneller neurologischer Bewegungsstörungen

From clinical characteristics to reliable diagnosis of functional neurological movement disorders
Anne Weißbach
1   Institut für Systemische Motorikforschung, CBBM, Universität zu Lübeck
,
Feline Hamami
1   Institut für Systemische Motorikforschung, CBBM, Universität zu Lübeck
,
Alexander Münchau
1   Institut für Systemische Motorikforschung, CBBM, Universität zu Lübeck
,
Christos Ganos
2   Klinik für Neurologie, Charité Berlin
› Author Affiliations
 

ZUSAMMENFASSUNG

Funktionelle neurologische Bewegungsstörungen gehören zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen, führen oft zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität der Betroffenen und zu einer massiven finanziellen Belastung des Gesundheitssystems. Die Diagnose wird klinisch anhand positiver Diagnosekriterien gestellt, was apparative, kostenintensive Zusatzdiagnostik meist unnötig macht. Gehäuft kommt es allerdings zu einer erheblichen Verzögerung der Diagnose und damit verbunden, der Einleitung einer krankheitsspezifischen Therapie. In unserem Artikel möchten wir die Hauptpfeiler der klinischen Diagnose – die Inkongruenz und Inkonsistenz – die allen funktionellen Bewegungsstörungen gemeinsam ist, erläutern und darauf aufbauend die unterschiedlichen Subgruppen mit ihren individuellen klinischen Charakteristika und den dazugehörigen Untersuchungstechniken praxisnah erklären. Dies soll dazu beitragen, dass die Diagnose schnell und sicher gestellt werden kann. Außerdem ergeben sich aus den aufgeführten klinischen Charakteristika für die Therapie bedeutsame Strategien, z. B. die Modulation von Aufmerksamkeit, die in der Physio- und Psychotherapie zur Anwendung gebracht, aber vor allem durch die Patienten selbst genutzt werden können.


#

ABSTRACT

Functional neurological movement disorders are among the most common neurological diseases, often lead to a considerable reduction in the quality of life of those affected and to a massive financial burden on the healthcare system. The diagnosis is made clinically based on positive diagnostic criteria, which usually make additional, cost-intensive diagnostics unnecessary. However, there is often a considerable delay in diagnosis and initiation of disease-specific therapy. In our article, we would, therefore, like to explain the main pillars of clinical diagnosis – incongruence and inconsistency -, which are common to all functional movement disorders. Building on this, we will explain the different subgroups with their individual clinical characteristics and the associated examination techniques in a practical manner. This should help to ensure that the diagnosis can be made quickly and confidently. In addition, the clinical characteristics have strong implications for treatment strategies e. g., modulation of attention, which can be used in physiotherapy and psychotherapy, but above all by the patients themselves.


#

Relevanz einer zeitnahen Diagnosestellung

Funktionelle neurologische Bewegungsstörungen machen neben nicht epileptischen, funktionellen Anfällen die zweitgrößte Gruppe der funktionellen neurologischen Störungen aus und gehören damit neben Kopfschmerzen und Epilepsien zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen [1], [2]. Frauen sind dabei meist mehr als doppelt so oft betroffen als Männer [3]. Meist erkranken Patienten um das 40. Lebensjahr [3]. Patienten mit funktionellen neurologischen Störungen zeigen eine hohe Krankheitsschwere mit häufig chronischen Verläufen, was zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität und finanziellen Belastung der Patienten und des Gesundheitssystems führt [4].

Ein wichtiger Faktor für diese Beeinträchtigung resultiert aus der meist erheblichen Diagnoseverzögerung und der damit verbundenen fehlenden Akzeptanz und Bearbeitung der Erkrankung [5]. Die Diagnosestellung fällt häufig schwer, da das Krankheitsbild in der Ausbildung oder im Studium zahlreicher medizinischer Disziplinen kaum Beachtung findet [6]. Dies ist sehr bedauerlich, da die Diagnose zeitnah und klinisch anhand von positiven Diagnosekriterien gestellt werden kann und kostenintensive, zeitaufwändige Ausschlussdiagnostik in den meisten Fällen unnötig ist [7].


#

Grundpfeiler der Diagnosestellung – Inkongruenz und Inkonsistenz

Man sollte sich nicht durch die große Heterogenität der Symptome in die Irre führen lassen, sondern die bei allen funktionellen neurologischen Bewegungsstörungen vorliegende Inkongruenz und Inkonsistenz gezielt untersuchen [8]. Inkongruenz bedeutet dabei, dass sich die motorischen Symptome von denen klassischer nicht funktioneller neurologischer Bewegungsstörungen unterscheiden und nicht den neuroanatomischen und -physiologischen Gesetzmäßigkeiten unterliegen [9]. Dies verdeutlicht, dass eine klinisch-neurologische Expertise von Bedeutung für die Diagnosestellung ist [10]. Funktionelle neurologische Bewegungsstörungen zeigen sich zudem in der klinischen Vorstellung und im gesamten Krankheitsverlauf inkonsistent in Schwere und Art ihrer Ausprägung [11], [12]. Sobald den Symptomen eine größere kognitive Aufmerksamkeit zukommt, z. B. während der körperlichen Untersuchung, sind diese besonders stark ausgeprägt [13].

Den Patienten fällt es sehr schwer, ihre erhöhte Aufmerksamkeit auf Aufforderung von den Symptomen weg auf andere motorische oder kognitive Aufgaben zu lenken [14]. So können z. B. selbst einfache kognitive (einfache Rechenaufgaben, Monatsnamen rückwärts aufsagen) und motorische Aufgaben (einen einfachen Rhythmus in der nicht betroffenen Extremität nachmachen) nicht fehlerfrei ausgeführt werden. Gelingt es den Patienten (meist nach längerem Üben) die Aufmerksamkeit von der betroffenen Körperregion weg zu verlagern, kommt es typischerweise zu einer Reduktion der Symptome [15]. Dies zeigt sich darin, dass bestimmte motorische Aufgaben nicht oder nur eingeschränkt ausgeführt werden, wohingegen andere, bei denen gleiche Muskelgruppen mitbeteiligt sind, aber die Aufmerksamkeit nicht bewusst auf der motorischen Ausführung liegt, ohne Einschränkungen funktionieren, z. B. Gehen funktioniert nicht, aber Tanzen mit Fokus auf die Musik ist ohne Einschränkungen möglich [15] ([ Tab. 1 ]).

Tab. 1

Allgemeine klinische Charakteristika aus der Anamnese und der klinisch-neurologischen Untersuchung

Anamnese

Plötzlicher Beginn

Symptome entwickeln sich nicht schleichend, sondern sind plötzlich vorhanden.

Triggerereignis

Ereignis, welches im zeitlichen, aber in keinem kausalen Zusammenhang mit dem Erstauftreten der Symptome steht.

Triggerereignis wird vom Patienten als Auslöser der Erkrankung verstanden.

Gestörtes Handlungsbewusstsein (Sense of Agency)

Symptome werden als nicht willentlich beeinflussbar erlebt.

Patient sieht sich nicht als Akteur seiner Bewegung/Handlung.

Gestörte Antizipation

Fehlerhafte Annahme über Dinge, die die Krankheitssymptome verstärken.

Modulationsfähigkeit der Symptome

Faktoren, die die Krankheitssymptome verändern, z. B. Hobbys, Stress.

Klinisch-neurologische Untersuchung

Inkongruenz

Motorische Symptome unterscheiden sich von denen klassischer nicht funktioneller neurologischer Bewegungsstörungen.

Motorische Symptome unterliegen nicht neuroanatomischen und -physiologischen Gesetzmäßigkeiten.

Inkonsistenz mit Variabilität der Symptomschwere und -ausprägung

Starke Symptomausprägung, wenn Aufmerksamkeit auf betroffene Köperregion gerichtet wird.

Abnahme der Symptome, wenn Aufgaben durchgeführt werden, bei denen Aufmerksamkeit nicht auf betroffener Körperregion liegt.

Schwierigkeiten in der Aufmerksamkeitslenkung

Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit bewusst auf Aufforderung von den Symptomen weg auf andere kognitive oder motorische Aufgaben zu richten.

Huffing-and-Puffing-Zeichen

Patienten zeigen große Anstrengung bei Durchführung von Aufgaben in der klinisch-neurologischen Untersuchung.

Vorsicht, Zurückhaltung

Aufgaben in der betroffenen Körperregion werden nur sehr zögerlich und unter großer visueller Kontrolle durchgeführt.

Diese Veränderung der klinischen Zeichen geschieht meist unbewusst und wird vom Patienten selbst, aufgrund der Aufmerksamkeitsverlagerung weg von den Symptomen, nicht wahrgenommen. Es empfiehlt sich daher die Patienten direkt während der Untersuchung darauf aufmerksam zu machen, damit sie dies nachvollziehen können. Außerdem können die klinischen Charakteristika z. B. auf einem Video aufgenommen werden, um diese den Patienten während der Diagnosevermittlung zu verdeutlichen.


#

Weitere wichtige Gemeinsamkeiten funktioneller Bewegungsstörungen

In der klinisch-neurologischen Untersuchung zeigen die Patienten große Anstrengung, um die vorgegeben Aufgaben zu absolvieren (Huffing-and-Puffing-Zeichen) [16], [17]. Komplexe Bewegungsabläufe, die implizit ablaufen sollten, unterliegen dabei gesteigerter expliziter Kontrolle und funktionieren daher nicht mehr. Dieses Phänomen der reduzierten Leistung durch übermäßige Selbstbeobachtung und -kontrolle wurde anschaulich von Profisportlern und -musikern beschrieben [18], [19]. Allen Patienten ist darüber hinaus gemeinsam, dass sie ihre Symptome als nicht willentlich beeinflussbar erleben. Dies spiegelt sich neurophysiologisch und bildgebend in einem gestörten Handlungsbewusstsein, dem fehlerhaften Sense of Agency wider (siehe Artikel Gless et al. in diesem Heft). Obwohl die Symptome Charakteristika von Willkürmotorik beinhalten, können die Patienten diese nicht willentlich steuern, was häufig zu einer großen Hilflosigkeit und Verzweiflung der Betroffenen führt.

Etwas zwei Drittel aller Patienten berichten ein auslösendes Ereignis [20]–[22], welches unmittelbar vor dem Erstauftreten der Symptome, die in aller Regel ganz plötzlich und in voller Schwere aufgetreten sind [23], stattgefunden hat, aber in keinem kausalen Zusammenhang zu den Beschwerden steht [24]. Viele Patienten sehen dies aber als Auslöser ihrer Erkrankung an und haben ein falsches Krankheitsverständnis. Häufig bestehen feste Annahmen über Dinge, die die Krankheitssymptome verstärken (eine gestörte Antizipation) [25]. Im Gegensatz dazu berichten Patienten aber auch von Faktoren, die die Symptome reduzieren. Nicht selten sind dies Hobbys oder andere Prozesse, die die Aufmerksamkeit der Patienten unbewusst von den Symptomen weglenken ([ Tab. 1 ]). Diese Modulationsfähigkeit sollte man sich für die Untersuchung, die Diagnosevermittlung und weitere Therapieplanung zu Nutze machen.

Des Weiteren zeigte sich, dass nicht selten andere Erkrankungen für die Entstehung einer funktionellen neurologische Bewegungsstörung prädisponieren [26]. So erkranken bis zu 30 % der Patienten mit nicht funktionellen Bewegungsstörungen (z. B. idiopathisches Parkinson-Syndrom [27] oder Tourette-Syndrom [28]) zusätzlich an funktionellen Bewegungsstörungen. Aber auch bei Patienten mit Multipler Sklerose wurde ein gehäuftes Auftreten von zusätzlichen funktionellen Störungen beschreiben [29], [30]. Dies ist von erheblicher therapeutischer Relevanz, da diese Erkrankungen, nur wenn sie voneinander abgegrenzt diagnostiziert werden, für das jeweilige Krankheitsbild spezifisch therapiert werden können.

Häufig leiden Patienten mit funktionellen Bewegungsstörungen zusätzlich an weiteren funktionellen Störungen wie Konzentrationsstörungen, Gefühlsstörungen, nicht epileptischen Anfällen und Schwindel [31]. Die meisten Patienten berichten darüber hinaus über eine nicht selten stark reduzierte körperlicher Belastbarkeit im Sinne eines Fatigue-Syndroms und chronischer Schmerzen [31]. Psychiatrische Komorbiditäten liegen nicht wie früher angenommen bei allen Patienten vor und sind kein Diagnosekriterium mehr [32]. Patienten mit funktionellen Bewegungsstörungen leiden deutlich seltener an psychiatrischen Komorbiditäten als Patienten mit funktionellen, nicht epileptischen Anfällen [33]. Angststörungen gefolgt von depressiven Störungen und posttraumatischen Belastungsstörungen treten bei funktionellen Bewegungsstörungen am häufigsten auf [33]. Ein Großteil der Patienten berichtet von erheblichen beruflichen und privaten psychosozialen Belastungsfaktoren, welche ein wichtiger Baustein in der Therapie sein können (siehe Artikel von Bolte et al. in diesem Heft).


#

Funktionelle Bewegungsstörungen und ihre Besonderheiten

Die beschriebenen Hauptdiagnosekriterien lassen sich während der klinisch-neurologischen Untersuchung gut auf die individuellen funktionellen Bewegungsstörungen anwenden. Wir führen im Folgenden einige, aber nicht alle Untergruppen auf und verdeutlichen wie in diesen Fällen die Kriterien praktisch zur Anwendung gebracht werden können ([ Tab. 2 ]). Detaillierte Informationen zu weiteren funktionellen Bewegungsstörungen wie dem funktionellem Parkinson-Syndrom [34] und funktionellen Tics [35], [36], [66] finden sich in den angegebenen Fachartikeln.

Tab. 2

Praktische Untersuchungstechniken pro Störungsbild. Die Tabelle beinhaltet eine Auswahl der wichtigsten Zeichen. Wenn Zeichen nummeriert sind, zeigt dies die Reihenfolge der Durchführung an.

Klinisches Zeichen

Durchführung der Untersuchung

Beschreibung des Untersuchungsbefundes

Zittern/Zuckungen

Entrainment

  • Der Untersuchende gibt einen visuell und akustisch angeleiteten Rhythmus vor, z. B. repetitiver Faustschluss, Fußauftreten; Mundöffnen.

Zittern/Zucken nimmt vorgegebene Frequenz an

  • Der Patient soll diesen Rhythmus einseitig durch weniger stark/nicht betroffene Körperregion imitieren.

  • Der Untersuchende leitet den Patienten an, die volle Aufmerksamkeit auf den Rhythmus zu lenken.

Diskrepanz bei einseitig durchgeführten Bewegungen mit der nicht betroffenen oberen Extremität

Finger-Nase-Test: Der Patient tippt im Wechsel mit dem Zeigefinder erst auf den Zeigerfinger des Untersuchenden und dann auf seine Nasenspitze.

Abnahme des Zitterns/Zucken

Schreibprobe: Der Patient soll einen Satz schreiben, z. B. „Heute ist ein schöner Tag“.

Der Patient füllt mit einer Hand Wasser von einem Glas in ein anderes Glas, ohne dabei das andere Glas festzuhalten.

Der Patient schreibt mit einem Fuß eine „8“ auf den Boden.

Abnahme des Zitterns/Zucken

Der Patient schießt einen Ball.

Kokontraktion

Der Untersuchende bewegt die betroffene Körperregion passiv durch.

Wechselinnervation

Zunahme des Muskeltonus

Whack-a-Mole-Zeichen

Der Untersuchende fixiert das betroffene Körperteil, um das Zittern/Zucken passiv zu unterdrücken.

Zittern/Zucken einer anderen Körperregion, Unruhegefühl in einer anderen Körperregion, die vorher nicht oder weniger betroffen war

Schnelle ballistische Bewegungen mit nicht betroffener Extremität

Der Untersuchende lässt den Patienten die betroffene Extremität in die Position der stärksten Symptomauslösung halten.

Sistieren des Zitterns/Zuckens

Der Patienten bewegt seine gestreckte Extremität schnell und ausfahrend gegen die Hand des Untersuchenden.

Gewichtsbelastung des betroffenen Körperteils

Der Untersuchende legt ein ca. 0,5 kg schweren Gegenstand auf betroffene Gliedmaße.

Verstärkung des Zitterns/Zuckens

Der Patient hält ein Gewicht in der betroffenen Hand.

Suggestion

Der Untersuchende versucht Symptome durch Suggestion (z. B. durch das Aufsetzen einer Stimmgabel) zu verändern.

Symptome durch Suggestion potenziell veränderbar

Fehlhaltungen

Häufiges Fehlen einer Geste antagoniste

Der Untersuchende fragt den Patienten, ob die Symptome durch die Berührung des eigenen Körpers, z. B. Hand an die Wange legen, vermindert werden.

Keine Abnahme der Beschwerden durch selbstgenerierte Berührung der Patienten

Kein Babinski-II-Zeichen bei funktionellem Hemispasmus

Der Patient kneift die Augen zusammen.

Keine Elevation der Augenbraue bei gleichzeitigem Augenschluss, anders als beim klassischen Hemispasmus facialis

Auffälligkeiten beim passiven Durchbewegen der betroffenen Extremität

Der Untersuchende kündigt dem Patienten an, dass er die betroffene Körperregion passiv durchbewegen wird und bewegt diese dann vorsichtig passiv durch.

Kokontraktion agonistischer und antagonistischer Muskelgruppen beim passiven Durchbewegen im Bereich der Gelenke, z. B. Ellenbogen

Wechselinnervation

Erhöhung der Muskelanspannung

Wird vom Patienten häufig als unangenehm/schmerzhaft empfunden

Symptomdarstellung außerhalb der formalen neurologischen Untersuchung

Symptome des Patienten z. B. während des An- und Auskleidens, beim Raumwechsel, Lagewechsel etc. beobachten.

Häufig Symptomreduktion beobachtbar durch unbewusste Aufmerksamkeitslenkung

Lähmung/Schwäche

Give way weakness

Einzelkraftprüfung: Der Untersuchende prüft die Kraft des betroffenen Körperteils des Patienten gegen einen Widerstand.

Zunächst gute Kraft, aber nach kurzer Zeit plötzlicher vollständiger Kraftverlust

Absinken ohne Pronation im Arm-Vorhalte-Versuch

Arm-Vorhalte-Versuch: Der Untersuchende leitet den Patienten an, die Arme mit den Handflächen nach oben (Supination) mit geschlossenen Augen für 10 Sekunden zu halten.

Unregelmäßiges Absinken der betroffenen Gliedmaße ohne Pronation

Abduktor-Zeichen im Finger bzw. Bein

Allgemeine Durchführung

  • 1. Der Untersuchende untersucht zunächst das betroffene Körperteil des Patienten mittels Einzelkraftprüfung.

Keine Abduktion des betroffenen Körperteils bei 1. möglich

  • 2. Der Untersuchende leitet den Patienten an, die Aufmerksamkeit auf das nicht betroffene Körperteil zu lenken.

Unbewusst ausgeführte und dadurch uneingeschränkte Abduktion im betroffenen Körperteil bei 2. möglich

Spezifische Durchführung

Finger: Der Untersuchende lässt den Patienten eine Abduktion des fünften Fingers der nicht betroffenen Hand gegen Widerstand für ca. 2 min. durchführen.

Synkinetische Abduktion des fünften Fingers der betroffenen Hand

Bein: Der Untersuchende lässt den Patienten eine Abduktion des nicht betroffenen Beines gegen Widerstand durchführen.

Synkinetische Abduktion des betroffenen Beines

Hoover-Zeichen

  • 1. Der Untersuchende legt die flache Hand unter den Ober-/Unterschenkel des betroffenen Beins des Patienten und fordert diesen zur Dorsalextension (gegen seine Hand) auf

Keine direkte Kraftentfaltung möglich

  • 2. Der Untersuchende fordert den Patienten dann auf, das nicht betroffene Bein gegen Widerstand anzuheben (Flexion).

Während der Flexion des nicht betroffenen Beins kommt es unbewusst zur Kraftentfaltung (Extension) im zuvor gelähmten Bein

Diskrepanz der Symptome im Liegen und Stehen

  • 1. Der Untersuchende prüft die Plantar- oder Dorsalflexion des Patienten im Liegen.

Schwache Plantar- oder Dorsalflexion im Liegen

  • 2. Der Untersuchende leitet den Patienten an, entweder auf Zehenspitzen oder auf den Hacken zu stehen.

Erhaltene Fähigkeit auf den Zehen oder Hacken zu stehen

Spinal Injury Center Test

Der Untersuchende bringt die Beine des liegenden Patienten passiv in eine im Kniegelenk gebeugte Position, wobei die Fußsohlen weiterhin die Unterlage berühren.

Beine können selbstständig vom Patienten in dieser Position gehalten werden

Gang-/Gleichgewichtsstörung

Abnahme der Gangstörung durch Schnelligkeit

Langsames und konzentriertes Gehen demonstrieren lassen.

Symptomverstärkung

Seiltänzergang: Der Patient soll eine Strecke gehen, wobei ein Fuß vor den anderen Fuß (auf einem imaginären Seil) gesetzt wird.

Schnelles Gehen, Laufen oder Joggen demonstrieren lassen.

Abnahme der Symptome

Fallneigung zur Unterstützung

Langsames und konzentriertes Gehen demonstrieren lassen.

Fallneigung in Richtung einer Unterstützung, z. B. Untersuchende, Wand, meist keine Stürze, falls ja, fällt der Patient eher langsam und ohne schwere Verletzungen

Untersuchung im Stand

Rumpfschwanken, bei dem der Oberkörper sehr stark in verschiedene Richtung ausgelenkt und dann im Anschluss wieder gut in die Mittellinie zurückgeführt wird

Bürostuhl-Test

Der Untersucher leitet den Patienten an, sich auf einem Stuhl mit Rollen, auf dem er sitzt, fortzubewegen

Verbesserung der Symptome

Wandel der Phänomenologie

Erschwerte Gangprobe des Patienten, z. B. Hindernisse übersteigen, Slalom, Seiltänzergang

Veränderung der Phänomenologie der Gangstörung

Funktionelles Romberg Zeichen

  • 1. Der Patient soll beide Füße so eng wie möglich zusammenzubringen und die Augen schließen

Mit Latenz von wenigen Sekunden kommt es zu einem starken Schwanken des Patienten mit großen, ausfahrenden Rumpf-/Armbewegungen.

  • 2. Erneute Durchführung des Romberg-Stehversuchs mit gleichzeitiger Aufmerksamkeitsverlagerung des Patienten, z. B. mit dem Finger Zahlen auf den Rücken des Patienten schreiben oder kognitive Aufgaben, wie Kopfrechnen, durchführen.

Symptomverbesserung

Pull-Test/Zugtest mit Windmühlenzeichen

  • 1. Der Untersuchende lenkt das Gleichgewicht des Patienten im Stehen durch ruckartiges, schnelles Ziehen an beiden Schultern des Patienten nach hinten aus

Schreckreaktion und große, ausfahrenden Armbewegungen oder Patient lässt sich komplett passiv ohne einen Ausfallschritt in die Arme des Untersuchenden fallen.

Ein funktionelles Zittern (funktioneller Tremor), welches die größte Gruppe der funktionellen Bewegungsstörungen ausmacht [3], zeigt sich irregulär in Amplitude, Frequenz und Art der betroffenen/aktivierten Muskelgruppen [37]. Meist tritt das Zittern in Ruhe, beim Halten und in Aktion auf und betrifft am häufigsten die Arme, Beine und den Rumpf [38], wobei aber der gesamte Körper oder nur einzelne Körperteile (Gaumensegel [39]) betroffen sein können. Typischerweise nimmt das funktionelle Zittern eine vom Untersuchenden vorgegebene Frequenz an, was Entrainment (Einschwingen) genannt wird [40]. Dazu sollte einseitig (mit der weniger stark/nicht betroffenen Extremität) ein vorgegebener Rhythmus imitiert werden, z. B. durch einen repetitiven Faustschluss oder Fußauftreten. Meist gelingt es den Patienten durch eine visuell und akustisch angeleitete Instruktion (Patient sieht die Hand des Untersuchenden und hört den vorgegebenen Takt) effektiver, ihre Aufmerksamkeit zu verlagern [41].

Andere einseitig durchgeführte Bewegungen mit der nicht betroffenen Hand wie das Fingerabzählen oder der Finger-Nase-Test führen ebenfalls zu einer Abnahme/Sistieren des Zitterns [41]. Dabei sollte immer auf eine komplette Aufmerksamkeitsverlagerung von den Symptomen weg, auf die vorgegebene Aufgabe hin, geachtet werden. Dies kann durch eine höhere Komplexität der Aufgabe erreicht werden (obere Extremität: Schreiben, Umfüllen von Wasser in ein Glas mit einer Hand; untere Extremität: eine „8“ mit dem Fuß auf den Boden schreiben, einen Ball schießen).

Beim passiven Durchbewegen der zitternden Körperregion zeigt sich eine Kokontraktion agonistisch/antagonistischer Muskelgruppen, welche man in Form einer Wechselinnervation während der passiven Bewegung oder beim Sistieren des Tremors, kurz bevor dieser wieder auftritt, wahrnehmen kann [14]. Das betroffene Körperteil sollte zudem vom Untersuchenden fixiert werden, sodass das Zittern passiv unterdrückt wird. In einigen Fällen kommt es dann zu einem Zittern einer anderen Körperregion und/oder Patienten berichten über ein deutliches Unruhegefühl in einer anderen Körperregion, die vorher nicht oder weniger betroffen war (Whack-a-Mole-Zeichen [42]). In einigen Fällen lässt sich das Zittern durch Suggestion (z. B. das Aufsetzen einer Stimmgabel) verändern [41].

Typischerweise führen schnelle, ballistische Bewegungen, wie eine schnell ausfahrende Bewegung der gestreckten einseitigen Extremität gegen die Hand des Untersuchenden, zu einem Sistieren des Zitterns [43]. Wichtig ist dabei, dass Patienten angeleitet werden, die Bewegung so schnell wie möglich auszuführen. Wenn Patienten ein Gewicht halten, wird die Amplitude eines funktionellen Haltetremors größer [37]. Man sollte sich zudem in der Untersuchung demonstrieren lassen, welche Dinge das Zittern verstärken oder lindern können. Sollten die Symptome paroxysmal auftreten und in der Untersuchung nicht vorhanden sein, können einige Patienten Videos der Beschwerden, die sie im Vorfeld im häuslichen Umfeld aufgenommen haben, vorzeigen. Viele der in diesem Abschnitt beschriebenen Charakteristika und Untersuchungstechniken lassen sich auf andere repetitive funktionelle Bewegungsstörungen z. B. repetitive Zuckungen (funktionelle Myoklonien) im Bereich der Extremitäten, des Gesichts und des Rumpfes übertragen [44].

Die funktionelle Gangstörung ist eine der häufigsten funktionellen Bewegungsstörungen und kommt meist in Kombination mit funktionellem Zittern, funktioneller Lähmung oder funktionellen Fehlhaltungen vor bzw. ist durch diese mitbedingt [45]. Sie weist zudem die höchste Heterogenität auf [46]. Ein Großteil der Patienten lässt sich dabei aber einer der 9 Arten funktioneller Gangstörungen zuordnen ([ Tab. 3 ]). Die Ganguntersuchung sollte, wenn möglich, eine längere Gehstrecke, z. B. im Flur anstelle des Untersuchungszimmers, ermöglichen, und die Patienten sollten für eine ausreichend lange Zeit am Stück gehen und laufen, da so am besten die aufgeführten Charakteristika festgestellt werden können.

Tab. 3

Arten funktioneller Gangstörungen

Art der Gangstörung

Charakteristika

Langsamer, vorsichtiger Gang

Exzessiv langsamer Gang mit ggf. Zögern beim Beginn des Gehens

Astasia-Abasia

Unfähigkeit alleine zu stehen oder zu gehen; Notwendigkeit, sich an einem Gegenstand oder einer anderen Person festzuhalten, um zu stehen; Bewegen der Beine im Stand nicht möglich

Breitbasiger (ataktischer) Gang

Anhaltender breitbasiger Gang mit Schwanken durch den Raum und ausfahrenden Armbewegungen

Fehlhaltungs-(dystoner) Gang

Ein- oder beidseitige Bein- oder Fußfehlhaltung z. B. Innenrotation/Supination im Fuß/Bein

Scherengang

Häufiges Überkreuzen der Beine bei meist erhöhtem Muskeltonus

Wie auf Eis-Gehen

Patienten bewegen sich, als ob sie auf einer Eisfläche gehen würden, fort

Hinkender Gang

Anhaltende einseitige oder deutlich asymmetrische Beugung im Kniegelenk mit reduzierter Standphase im betroffenen Bein

Schleifend (hemiparetisch) Gang

Hinterherziehen des betroffenen Beines, welches meist eine Schwäche und einen erhöhten Muskeltonus zeigt

Unökonomischer Gang

Patient bewegt sich mit dauerhaft gebeugten Knien fort

Allen funktionellen Gangstörungen gemeinsam ist, dass die Symptomausprägung bei langsamem und konzentriertem Gehen am stärksten ausgeprägt ist. Schnelles Gehen und Laufen/Joggen gelingt häufig deutlich besser, da eine explizite Kontrolle erschwert wird. Je schneller gegangen/gelaufen wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass dieser Vorgang unbewusst, also implizit passieren kann. Viele Patienten mit funktionellen Gangstörungen bewegen sich sehr langsam, vorsichtig und in ineffektiver Weise (mit stark gebeugten Knien oder Tonusverlust der Beinmuskulatur beim Auftreten) fort [46]. Häufig gelingt es Patienten gut, die unter erheblichen Problemen der Bein- und Fußbeweglichkeit während des Gehens leiden, einen Drehstuhl mit Rädern auf dem sie sitzen fortzubewegen [47].

Bestimmte Bewegungsabläufe, die Patienten von Hobbys kennen, können hierbei mit in die Untersuchung integriert werden, z. B. Tanzen, mit dem Ball trippeln etc. Diese Bewegungen gelingen den Patienten meist erheblich besser und bieten eine gute Möglichkeit, die Pathogenese und sich daraus ergebende Therapiestrategien abzuleiten (siehe Artikel Degen et al. in diesem Heft).

Eine Aufmerksamkeitsverlagerung von der Gangstörung weg kann zudem dadurch gelingen, dass man die Patienten anleitet, sich während des schnellen Gehens auf Umgebungsgegenstände (Farbe und Form beschreiben lassen) oder kognitive Aufgaben (Rechnen, Monatsnamen rückwärts aufsagen) zu konzentrieren. Dabei ist es hilfreich, den Patienten im Vorfeld zu erklären, dass es nicht um ein Ablenken von den Symptomen geht, damit sich Patienten nicht vorkommen, als würden sie „überführt“, oder als Simulanten „vorgeführt“. Vielmehr soll im Rahmen der Untersuchung die erhöhte und fokussierte Aufmerksamkeit auf die Symptome und die erschwerte Verlagerung dieser Aufmerksamkeit untersucht werden, was dann im Verlauf therapeutisch (z. B. in der Physiotherapie, Psychotherapie und bei Alltagstätigkeiten durch die Patienten selbst) genutzt werden kann. Bei erschwerten Gangproben (z. B. Hindernisse übersteigen, Slalom, Seiltänzergang) kommt es häufig zu einem phänomenologischen Symptomwandel der Gangstörung [46].

Nicht selten haben Patienten mit funktionellen Gangstörungen das Gefühl eines eingeschränkten Gleichgewichts. Dabei kommt es während des Gehens meist zu einer Fallneigung in Richtung der Unterstützung wie der Wand oder der Untersuchenden. Meist imponiert ein funktionelles Romberg-Zeichen, bei dem es im Romberg-Stehversuch mit einer Latenz von wenigen Sekunden zu einem starken Schwanken mit großen, ausfahrenden Rumpf-/Armbewegungen (Windmühlen-Zeichen [46]) kommt, welches unter Aufmerksamkeitsverlagerung, z. B. durch das Schreiben von Zahlen und Buchstaben auf den Rücken der Patienten, abnimmt [48]. Häufig ist das subjektive Symptomempfinden der Patienten von erheblicher Beeinträchtigung ihres Gleichgewichts inkongruent zum Untersuchungsbefund. So zeigen Patienten zum Teil ein deutliches Rumpfschwanken, bei dem sie den Oberkörper sehr stark in verschiedene Richtungen auslenken und diesen im Anschluss wieder gut in die Mittellinie zurückführen, welches eine gut erhaltene posturale Stabilität voraussetzt. Deshalb kommt es auch bei den meisten, aber nicht allen Patienten nicht zu Stürzen. Sollten Patienten fallen, geschieht dies in aller Regel eher langsam und führt nicht zu schweren Verletzungen [46]. Im Zugtest (Pull-Test [49]), in dem der Rumpf durch ein ruckartiges, schnelles Ziehen an beiden Schultern der Patienten nach hinten ausgelenkt wird, kann es zum beschriebenen Windmühlenzeichen kommen oder die Patienten lassen sich komplett passiv, ohne einen Ausfallschritt zu tätigen, in die Arme der Untersuchenden fallen [50]. Häufig zeigt sich bei Patienten mit auffälligem Zugtest eine Diskrepanz zu einer gut erhaltenen Stabilität, wenn der Rumpf von vorne (durch einen Stoß gegen die Brust) ausgelenkt wird [51], [52]. Dabei sollte gewährleistet sein, dass Patienten nicht nach hinten fallen (ggf. zweiter, den Patienten auffangender Untersucher).

Funktionelle Gangstörungen können nicht selten durch funktionelle Lähmungen/Schwächen oder fixierte Fehlhaltungen in der unteren Extremität bedingt sein. Dabei zeigt sich meist eine erhebliche Diskrepanz der Befunde zwischen der Untersuchung im Liegen und Stehen/Gehen. So können die Patienten im Liegen häufig die Beine/Füße gar nicht oder nur minimal anheben, obgleich der Lagewechsel vom Stehen in den Sitz bis hin zum Liegen ohne fremde Hilfe und bei normaler Kraftentfaltung möglich ist.

Typischerweise zeigen Patienten mit einseitiger Beinschwäche ein positives Hoover-Zeichen (Abb. 1 und Details im Artikel Michaelis et al. in diesem Heft) [53]. Ähnliche Untersuchungszeichen für unilaterale funktionelle Schwächen sind das Abduktor-Zeichen am Finger bzw. Bein. Bei Ersterem zeigt sich eine Abduktion des fünften Fingers der gelähmten Hand, wenn gleichzeitig dieselbe Bewegung gegen Wiederstand für ca. 2 min. an der gesunden Hand ausgeführt wird [54]. Beim Abduktor-Zeichen des Beines kommt es im betroffenen Bein zu einer synkinetischen Abduktion, wenn das nicht betroffene Bein gegen Wiederstand eine Abduktion durchführt [55]. Beiden Untersuchungszeichen ist gemeinsam, dass bei der Einzelkraftprüfung des betroffenen Körperteils keine Abduktion möglich ist. Sobald aber die Aufmerksamkeit auf das nicht betroffene Körperteil und dessen Bewegungsausführung gelenkt wird, kann eine unbewusst ausgeführte und dadurch uneingeschränkte Abduktion im zuvor gelähmten Körperteil erfolgen. Bringt man bei bilateralen Lähmungen die Beine der liegenden Patienten passiv in eine im Kniegelenk gebeugte Position, wobei die Fußsohlen weiterhin die Unterlage berühren, können sie diese Position meist aktiv selbst halten [56]. Bei der Kraftprüfung gegen Widerstand zeigen Patienten mit funktioneller Schwäche meist einen ganz plötzlich einsetzenden kompletten Verlust der Kraft bei initial (nahezu) voller Kraftentfaltung (Give-way-weakness [57]). Im Armvorhalteversuch kommt es bei Patienten mit funktioneller Armschwäche zu einem Absinken ohne zusätzliche Pronation [58].

Eine weitere wichtige Untergruppe sind funktionelle (fixierte) Fehlhaltungen (funktionelle Dystonie). Patienten dieser Untergruppe sind meist jünger (mittleres Alter von 30 Jahren) und haben in mehr als 60 % der Fälle im Vorfeld eine Verletzung im Bereich der Fehlhaltung erlitten [59]. Die Fehlhaltung betrifft zum Großteil (ca. 90 %) die obere und untere Extremität meist im Sinne einer verdrehten Faust (mit geringerer/fehlender Beteiligung des Daumens und Zeigefingers) oder im Sinne eines pes equinovarus (fixed functional dystonia) [59] und seltener den Hals/Nacken oder das Gesicht (z. B. verzogener Mundwinkel, unwillkürlicher Augenschluss im Sinne eines funktionellen Blepharospasmus). Im Gegensatz zu dystonen Fehlhaltungen anderer Ätiologie haben Patienten mit funktionellen Symptomen häufiger keine Geste antagoniste [60], also keine Abnahme der Beschwerden durch Berührung bestimmter Stellen des eigenen Körpers. Bei Beteiligung des Gesichts im Sinne eines funktionellen Hemispasmus findet sich kein Babinski-II-Zeichen [61]). Anders als beim klassischen Hemispasmus facialis kommt es bei funktionellen Patienten also nicht zur Elevation der Augenbraue bei gleichzeitigem Augenschluss [61].

Bei funktionellen Fehlhaltungen zeigt die betroffene Körperregion häufig eine erhöhte Muskelanspannung, welche bei passiver Bewegung der Körperregion zunimmt [62]. Meist kommt es speziell bei der passiven Durchbewegung der Extremitäten im Bereich der Gelenke, z. B. dem Ellenbogen, zu einer Kokontraktion agonistischer und antagonistischer Muskelgruppen [63]. Oft wird die passive Bewegung von den Patienten als unangenehm/schmerzhaft empfunden und sollte daher vorsichtig und nur nach vorheriger Ankündigung vorgenommen werden. Eine Symptomreduktion durch Aufmerksamkeitsverlagerung ist meist deutlich geringer ausgeprägt als beim funktionellen Zittern, vor allem, da den Betroffenen die Verlagerung von Aufmerksamkeit häufig deutlich schlechter gelingt. Hierbei kann es hilfreich sein, sehr komplexe Aufgaben mit der nicht betroffenen Körperregion durchführen zu lassen, z. B. werden Patienten, bei denen eine Hand betroffen ist, aufgefordert, Hindernisse mit den nicht betroffenen Beinen zu überwinden oder eine schnelle Tippaufgabe am Computer mit der nicht betroffenen Hand zu absolvieren.

Von Bedeutung ist zudem die Symptomausprägung außerhalb der formalen neurologischen Untersuchung, z. B. während des An- und Auskleidens, Raumwechsel, Lagewechsel, da es einigen Patienten dabei deutlich besser gelingt, die Aufmerksamkeit unbewusst von den Symptomen wegzulenken.

Im Vergleich zu den anderen Bewegungsstörungen leiden Patienten dieser Untergruppe häufiger zusätzlich an Schmerzen in der von der Bewegungsstörung betroffenen Körperregion [64]. Ein Teil dieser Patienten erfüllt zudem die Diagnosekriterien eines chronischen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS) [65]. Einige Patienten berichten von Behandlungen mit Botulinumtoxin in der Vorgeschichte, die zu einer sofortigen Linderung der Beschwerden nach Injektion geführt haben und damit nicht der eigentlichen Wirkweise des Medikaments entsprechen, aber meist nach kurzer Zeit nachließen oder zu einer erheblichen Symptomzunahme führten [65].

FAZIT FÜR DIE PRAXIS

Die Diagnose funktioneller Bewegungsstörungen kann zumeist klinisch anhand der Symptominkongruenz und -inkonsistenz gestellt werden, die sich am besten erschließen, indem alle klinischen Befunde eines Patienten sowohl pathologische als auch unauffällige Befunde gemeinsam ausgewertet und in Zusammenschau mit der Anamnese und Fremdanamnese eingeordnet werden. Zwar sind die Anamneseerhebung und die klinisch-neurologischen Untersuchungen funktioneller Patienten umfangreich und zeitaufwändig, machen allerdings meist kosten- und zeitintensive Zusatzdiagnostik unnötig, ermöglichen eine sichere Diagnosestellung und stellen damit selbst bereits den Beginn einer effektiven Behandlung der Patienten dar.


#
#

Interessenkonflikte

Erklärung zu finanziellen Interessen

Forschungsförderung erhalten: ja; Honorar/geldwerten Vorteil für Referententätigkeit erhalten: nein; Bezahlter Berater/interner Schulungsreferent/Gehaltsempfänger: nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an Firma (Nicht-Sponsor der Veranstaltung): nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an Firma (Sponsor der Veranstaltung): nein.

Erklärung zu nicht finanziellen Interessen

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Anne Weißbach
Institut für Systemische Motorikforschung, CBBM
Universität zu Lübeck
Marie-Curie-Straße Haus 66
23562 Lübeck
Deutschland   

Publication History

Article published online:
02 August 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany