Könnten Sie uns Ihren Weg in die Medizin und die Radiologie beschreiben? Welche Rolle
hat dabei vielleicht auch Ihr Migrationshintergrund gespielt?
Dr. Elif Can
© Charité – Universitätsmedizin Berlin
Dr. Can: Lange war mir selbst nicht bewusst, dass meine Migrationsgeschichte eine Rolle spielt,
Diskriminierung und Rassismus waren mir als strukturelles Problem bekannt, aber als
weiß gelesene Person nicht meine bewusste Lebensrealität – bis mir als Promotionsthemen
nach meinem Magister in Geschichte und Philosophie thematisch nur Migrations- und
Genderfragen angeboten wurden. Sobald Menschen meinen Namen hören, werde ich ab diesem
Zeitpunkt grundsätzlich als Migrantin gelesen, gleichwohl ich hier geboren wurde,
Abitur machte und zwei Studienabschlüsse erworben habe. Es wird die Differenz gesucht,
entweder als Makel oder als Besonderheit in Form von Leistungsstärke. Retrospektiv
war das schon immer so und das Bewusstsein darüber erleichtert mir so manche Situation.
Aber unabhängig davon fand ich als Kind einer Ärztefamilie meinen Weg in das großartige
Fach Medizin und es war schnell klar: Radiologie, als Schnittstellenbereich, ist genau
das Richtige für mich. Ich denke schon, dass besondere Erwartungen an mich gestellt
werden, gleichwohl dies sicher nicht immer im Bewusstsein aller Personen ist, die
in der traditionellen deutschen Medizin tätig sind.
PD Dr. Saif Afat
© Universitätsklinikum Tübingen
PD Dr. Afat: Meine Geschichte ist ziemlich straight forward. Ich komme aus dem Irak und wusste
immer, dass ich im Ausland studieren werde. Ich habe mich für Deutschland entschieden
und bin nach Bonn gereist, wo ich Deutsch gelernt habe, dort habe ich auch mein Medizinstudium
absolviert. In Tübingen bei Professor Konstantin Nikolaou habe ich meinen Facharzt
und meine Habilitation abgeschlossen und bin nun dort Oberarzt im zentralen Bereich.
Persönlich sind mir entweder keine negativen Erlebnisse aufgrund meiner Herkunft begegnet
oder ich habe sie erfolgreich weggelacht.
PD Dr. Daniel Pinto dos Santos
© Privat
PD Dr. Pinto dos Santos: Ich würde sagen, dass bei meinem Weg meine Migrationsgeschichte keine Rolle gespielt
hat, zumindest keine, die mir bewusst geworden wäre. Der Weg war recht unspektakulär
– Schule, Abi, Studium, PJ, dann die erste Stelle. Ich wusste schon, dass ich in die
Medizin wollte, zur Radiologie kam ich dann aber erst recht zufällig durch das PJ.
Dr. Can, wie nehmen Sie die Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund
in der Radiologie und in der Medizin generell wahr?
Dr. Can: Menschen mit Migrationsgeschichte bekommen erst neuerdings eine sichtbare Plattform.
Dies hängt m. E. mit einem Generationswechsel zusammen und dem neuen Bewusstsein darüber,
dass Medizin und auch die Radiologie inklusiv gedacht werden muss. Wir therapieren
schließlich nicht nur den 170 cm großen 70 kg schweren mitteleuropäischen Mann. Daher
sollte Medizin Menschen sichtbarer machen, die nicht diesem Bild entsprechen, was
auch den ärztlichen Bereich selbst umfasst.
PD Dr. Afat, es gibt in der DRG nun eine Fokusgruppe zum Thema Migration. Sie sind
einer der Initiatoren. Was war Ihr Motiv für die Initiative?
PD Dr. Afat: Während der Zeit in der Radiologie hatte ich viele Begegnungen mit Personen, die
mir von ihren Erlebnissen mit Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft oder Alltagsproblemen
erzählt haben. Seitdem ich im Diversity-Netzwerk der DRG aktiv bin, war für mich klar,
dass die Interessen dieser Radiologinnen und Radiologen vertreten werden sollten und
wir eine Anlaufstelle für sie schaffen müssen. Wir brauchen die Fokusgruppe zu Migration,
um als Fachgesellschaft inklusiver zu werden, die Vernetzung unter den Kolleginnen
und Kollegen zu stärken und das Potential motivierter und brillanter Persönlichkeiten
bei der Entfaltung zu unterstützen.
PD Dr. Pinto dos Santos, welche Themen wird die Fokusgruppe bearbeiten?
PD Dr. Pinto dos Santos: Wir werden zwei Hauptschwerpunkte setzen: Zum einen wollen wir Angebote machen für
solche Kolleginnen und Kollegen, die durch ihre Migrationsgeschichte vor ganz praktischen
Herausforderungen stehen – etwa sprachlich bei der Befunderstellung oder auch im Alltag,
sollte es zu Problemen im zwischenmenschlichen Zusammenleben kommen. Zum anderen wollen
wir aber auch zeigen, dass es viele Kolleginnen und Kollegen mit Migrationsgeschichte
gibt, die erfolgreich die DRG und die Radiologie insgesamt mitgestalten und hoffentlich
andere mit Migrationsgeschichte motivieren können, sich ebenfalls einzubringen.
Wie, glauben Sie, Dr. Can, wird sich die Deutsche Röntgengesellschaft als medizinische
Fachgesellschaft durch die Fokusgruppe verändern?
Dr. Can: Sichtbarkeit ist ein großer Faktor, um Inklusion zu fördern. Dafür ist diese Fokusgruppe
wichtig. Selbstermächtigung von Menschen mit Migrationsgeschichte zu fördern ist Ziel
dieser Gruppe und soll perspektivisch dazu führen, dass wir womöglich neue Aspekte
in Forschung und im klinischen Alltag vorfinden werden, die innovativ und progressiv
sind.
PD Dr. Afat, wie könnten Ihrer Ansicht nach Radiologinnen und Radiologen mit Migrationshintergrund
dazu motiviert werden, sich in der Fokusgruppe und in der DRG generell zu engagieren?
PD Dr. Afat: Wir können die Kolleginnen und Kollegen durch die genannten Angebote, aber auch durch
die Mitgestaltungsmöglichkeit, die Vernetzung und das Aufbauen eines Gemeinschaftsgefühls
motivieren. Ich bin sicher, dass wir mit der Gruppe vielleicht nicht alle, aber viele
abholen können, die sich in der DRG engagieren möchten.
Sollten mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund motiviert werden, ein Medizinstudium
zu beginnen und wenn ja, wie könnte das gelingen?
PD Dr. Pinto dos Santos: Natürlich sollten Menschen mit Migrationsgeschichte genauso wie solche ohne motiviert
werden, in die Medizin zu gehen. Das Fach ist für mich auch nach einigen Jahren immer
noch spannend. Allerdings glaube ich, dass unsere Fokusgruppe darauf vielleicht nicht
so viel Einfluss wird haben können. Aber vielleicht können wir jene mit Migrationsgeschichte,
die bereits Ihren Weg in die Medizin gefunden haben, besonders motivieren, dann auch
in die Radiologie zu gehen, indem wir Unterstützung anbieten und Erfolgsgeschichten
präsentieren.
Dr. Can: Ich finde es wichtig, proaktiv zu fördern, dass mehr junge Leute mit Migrationsgeschichte
ein Medizinstudium beginnen. Unsere Fokusgruppe konstituiert sich zwar gerade erst,
aber Projekte, die jungen Menschen Medizin und speziell Radiologie näherbringen können,
sind sicher ein Teil künftiger Projekte. Zudem freuen wir uns über alle, die uns unterstützen
wollen.
PD Dr. Afat: Ich hatte vielleicht Glück, da ich aus einer Medizinerfamilie komme. Aber die junge
Generation, die nichts mit Medizin zu tun hatte, sollte zumindest die Möglichkeit
bekommen, Einblicke in das Fach zu gewinnen. Die Medizin kann davon nur profitieren,
wenn das Personal genau die kulturellen Hintergründe und Zusammenhänge der Patientinnen
und Patienten versteht, oder wenn Muttersprachen in der Klinik beispielsweise bei
Aufklärungen gesprochen werden.
Mehr Infos zur Fokusgruppen Migration finden Sie auf diversity.drg.de > Fokusgruppen.
Und: Wir freuen uns im Netzwerk Diversity@DRG immer über neue Mitstreiterinnen und
Mitstreiter! Die Mitarbeit im Diversity-Netzwerk und seinen Fokusgruppen ist für Radiologinnen
und Radiologen, aber auch für andere Berufsgruppen kostenlos möglich. Sie möchten
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