Isabelle Puchta: Mein anderes Leben: Die Geschichte eines Mädchens von Liebe, Schicksal, Hoffnung und Tod. Berlin: Europa Buch, 2023; 216 Seiten, Taschenbuch, 15,90 Euro, ISBN 9791220135573
Nein. Der von einer knapp 24-jährigen, seit Geburt durch eine Hemiparese körperlich gezeichneten und behinderten jungen Frau geschriebene Roman ist kein psychotherapeutisches Sach- oder Fachbuch. Gleichwohl ist es ein Buch, das bezogen auf die Autorin mehr therapeutische Potenz hat, als so manche wohlgemeinten Versuche körperlich unbeeinträchtigter Menschen, Behinderten ein möglichst normales Leben, zumindest aber eine möglichst hohe Lebensqualität zu ermöglichen.
Der Roman handelt von der Heranwachsenden Lissi, zweifellos der Projektionsfigur der Autorin, die in Schottland bei ihrem Vater, die Eltern leben getrennt, Urlaub macht. Gleich zu Beginn des Buches kommt es zu einem Unfall, verursacht von einem betrunkenen LKW-Fahrer. Lissis Freundin, die vitale Olivia, stirbt. Lissi überlebt schwerverletzt, verliert aber ein Bein. In der Klinik, von wo sie mit einer Prothese entlassen wird, die sie im Verlauf kaum noch zu stören scheint, verliebt sie sich in den Assistenzarzt Robert, den absoluten Traummann. Und er verliebt sich wunderbarerweise in sie. Probleme zumal mit dem skeptischen Vater werden überwunden. Es folgen traumhafte Tage einer beginnenden Liebe in einem schottischen Fischerort, viel zu schön, um wahr sein zu können. Bei der Trauerfeier ihrer offenbar erst längere Zeit nach dem Unfall tatsächlich verstorbenen Freundin führen heftige Emotionen, Trauer, Misstrauen gegenüber Angehörigen und auch gegen den Arzt Robert – hätte man Olivia nicht vielleicht doch retten können? – zu einem das ansonsten drohende rosarote Happy-End kategorisch verhindernden Bruch. Lissi wird wieder zur Mutter nach London ziehen, um zu studieren. Alles andere bleibt offen.
Gleichermaßen berührend und beeindruckend ist die der Geschichte immanente, die Biografie der Autorin umschreibende Bewältigungsdynamik, die der vielbelesenen Autorin offenbar ohne von außen aufgetragene therapeutische Implikationen gelang. Die ersten Kapitel, in denen die Behinderung den Charakter eines bei dem Versuch die Freundin zu retten erlittenen Unfalls erhält, habe sie bereits mit 12 Jahren angefangen. Im Verlauf werden dann charmant-hemmungslose Mädchenträume ausgelebt um sich, im Rahmen der Handlung gedrängt durch eine Vertrauenskrise, dann eigenständig auf den weiteren Weg machen zu können, für den man ihr viel Glück und gerne, wenn sie geerdeter ist, auch eine Wiederbegegnung mit dem Traummann wünschen möchte. Das Buch, auch sprachlich zweifellos ein Erstlingswerk, ist ein schönes Beispiel dafür, wie Therapie eben auch und vielleicht idealerweise funktionieren kann: als ein autonom-kreatives Bemühen darum, für die Probleme des Lebens eindrückliche, sinn- und lebenswerte Perspektiven ermöglichende Bilder zu finden.
Andreas Hillert, Prien am Chiemsee