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DOI: 10.1055/a-2083-8176
Kopfschmerz News der DMKG
- Prolaktin und Oxytocin als mögliche neue Ansatzpunkte für die Migränebehandlung
- Analyse von Moderatorvariablen bei einer randomisiert-kontrollierten Psychotherapiestudie zur Migräneprophylaxe
- Adaption des Cluster Headache Impact Questionnaire (CHIQ) für die italienische Sprache
Prolaktin und Oxytocin als mögliche neue Ansatzpunkte für die Migränebehandlung
*** Szewczyk AK, Ulutas S, Aktürk T, et al. Prolactin and oxytocin: potential targets for migraine treatment. J Headache Pain 2023; 24(1): 31. doi: 10.1186/s10194-023-01557-6
Hintergrund
Migräne tritt bei Frauen 2- bis 3-mal so häufig auf wie bei Männern. Zyklische Fluktuationen der Sexualhormone, insbesondere Östrogen und Progesteron, haben einen Einfluss auf die Migränepathophysiologie. Dennoch könnten das hypophysäre Hormon Prolaktin sowie das hypothalamische Hormon Oxytocin eine modulierende Funktion ausüben und zu geschlechtsabhängigen Unterschieden bei Migräne beitragen. In dieser narrativen Übersichtsarbeit wurde die mögliche Rolle von Prolaktin und Oxytocin bei Migräne beschrieben und kritisch diskutiert.
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Zusammenfassung
Prolaktin wird hauptsächlich im Hypophysenvorderlappen gebildet und führt zur Induktion und Erhalt der Milchproduktion während der Stillzeit. Neben dieser Funktion spielt Prolaktin jedoch eine pleiotrope Rolle in der Immunantwort, Verhaltensregulation, Wachstum und Stoffwechsel. Bei Schmerzerkrankungen und insbesondere bei Migräne scheint Prolaktin pronozizeptiv zu wirken. Prolaktinrezeptoren sind in schmerzrelevanten neuronalen Strukturen weit exprimiert. Im Tiermodell führt die durale Verabreichung von Prolaktin zu migräneartigen Verhaltensweisen, allerdings nur bei weiblichen Tieren. Am Menschen wurden erhöhte Prolaktinkonzentrationen bei Patienten mit Migräne nachgewiesen. Diese waren mit einer Chronifizierung der Erkrankung vergesellschaftet. Darüber hinaus können Menschen mit Prolaktinomen migräneartige Kopfschmerzen entwickeln, die sich unter Prolaktinsuppression bessern. Interessanterweise führen auch einige Migräne-Akutmittel, wie Paracetamol und Sumatriptan, zu einer Abnahme der Prolaktinkonzentrationen.
Oxytocin ist ein hypothalamisches Neuropeptid mit multiplen Funktionen, darunter Verhaltenssteuerung, Modulation des autonomen Nervensystems und des Immunsystems. Oxytocin hat einen antinozizeptiven Effekt, welcher bei Migräne relevant sein könnte. Kleinere Studien zeigten eine Besserung in einigen Migränesymptomen nach Gabe von nasalem Oxytocin. Eine weitere Open-label-Studie konnte eine prophylaktische Wirkung von Oxytocin bei Migräne nachweisen.
Zusammenfassend scheinen Prolaktin und Oxytocin auf entgegengesetzte Weise an der Nozizeption beteiligt zu sein. Prolaktin hat eine pronozizeptive Wirkung und könnte zur Migräneentstehung beitragen, während Oxytocin eine antinozizeptive Wirkung hat, die auch bei Migräne therapeutisch hilfreich sein könnte. Möglicherweise sind die Effekte dieser Hormone bei Frauen ausgeprägter als bei Männern, was zu den Geschlechtsunterschieden bei Migräne beitragen könnte.
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Kommentar
Geschlechtsunterschiede bei Migräne sind seit jeher bekannt, die genauen Mechanismen dahinter nach wie vor nicht vollständig erforscht. Während sich die meiste Forschung auf die gonadalen Steroidhormone fokussiert, befasst sich diese narrative Übersichtsarbeit mit 2 anderen Hormonen, Prolaktin und Oxytocin, die ebenfalls eine relevante modulierende Funktion in der Migränepathophysiologie haben könnten. Obwohl die Forschung begrenzt ist, bieten diese 2 Substanzen neue interessante Ansatzpunkte für die Migränetherapie. So könnten auf der einen Seite prolaktininhibierende Substanzen und auf der anderen Seite Oxytocin oder oxytocinähnliche Substanzen in der Migränebehandlung eingesetzt werden. Diese sind jedoch zunächst theoretische Überlegungen, deren Überprüfung noch weitere Studien benötigt. Zuletzt ist es bedeutsam zu erwähnen, dass diese Übersichtsarbeit Produkt einer internationalen Kooperation ist, die im Rahmen der School of Advanced Studies der European Headache Federation entstanden ist.
Bianca Raffaelli, Berlin/Kopenhagen
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Analyse von Moderatorvariablen bei einer randomisiert-kontrollierten Psychotherapiestudie zur Migräneprophylaxe
**** Klan T, Gaul C, Liesering-Latta E, et al. Cephalalgia 2023. doi: 10.1177/03331024231178237
Hintergrund
Psychotherapeutische Ansätze, insbesondere die verhaltenstherapeutischen, spielen in der (multimodalen) Behandlung der Migräne eine wichtige Rolle. Jedoch stellt sich nach wie vor die Frage, welche Betroffenen von welchen verhaltenstherapeutischen Angeboten profitieren. Gerade bei den wenigen Psychotherapieplätzen wäre es wünschenswert, diesbezüglich eine bessere Zuweisung zu realisieren, was auch Auswirkungen auf gesellschaftliche Gesundheitsaspekte haben könnte. Methodischer Ansatz ist hierfür eine Moderatorenanalyse. Hierbei wird untersucht, inwieweit der Einfluss einer unabhängigen Variable (z. B. Behandlung A vs. Behandlung B) auf eine abhängige Variable (z. B. Behandlungserfolg) durch bestimmte Personenvariablen (z. B. Geschlecht) beeinflusst („moderiert“) wird.
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Zusammenfassung
Ausgangspunkt der Arbeit war eine 2022 publizierte randomisiert-kontrollierte Studie, die zeigen konnte, dass ein multimodales migränespezifisches kognitiv-verhaltenstherapeutisches Therapieprogramm (MigräneManagement MiMa) zu einer vergleichbaren Verringerung von Kopfschmerzaktivität, Beeinträchtigung und emotionaler Belastung führte wie ein Entspannungstraining. In einer darauf aufbauenden Sekundäranalyse wurden klinische und kopfschmerzbezogene Moderatorvariablen des Behandlungserfolgs berücksichtigt, um zu untersuchen, welche Betroffenen von den jeweiligen Behandlungssträngen besser profitieren könnten. Die Leitlinie zur Migränebehandlung empfiehlt bei ausgeprägter migränebedingter Beeinträchtigung oder dem Vorliegen komorbider psychischer Störungen eine schmerzspezifische Verhaltenstherapie als Eskalation des verhaltenstherapeutischen Standardansatzes. Kopfschmerzbedingte Beeinträchtigung und das Vorliegen einer psychischen Störung wurden als potenzielle Moderatoren in der vorliegenden Studie berücksichtigt.
Die Analysen ergaben, dass eine höhere kopfschmerzbedingte Beeinträchtigung (erfasst mit dem Headache Impact Test HIT-6), eine höhere Ängstlichkeit (erfasst mit der Unterskala „Angst“ der Depressions-Angst-Stress-Skalen DASS) und das Vorliegen einer komorbiden psychischen Störung das Ergebnis zugunsten des migränespezifischen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Therapieprogramms MiMa moderierten. Weitere Moderatorvariablen ließen sich nicht ausweisen. Dies bedeutet, dass Betroffene mit diesen Merkmalsausprägungen von dem komplexeren MiMa-Programm stärker profitierten als von dem Entspannungstraining. Die Analysen zeigen, dass Betroffene ohne diese Merkmalsausprägungen vom Entspannungstraining besser profitieren. Die in der Publikation abgedruckten Abbildungen zu den Moderationseffekten zeigen, dass bei geringer Beeinträchtigung, geringer Angst oder keiner komorbiden psychischen Störung das komplexe MiMa-Programm schlechter abschneidet als das einfachere Entspannungstraining.
In der Diskussion wird als Erklärung vermutet, dass diejenigen mit geringer Ausprägung in den Moderatorvariablen bzw. ohne Komorbidität bei dem komplexen Behandlungsprogramm MiMa mit Problemaspekten oder Behandlungselementen konfrontiert würden, die auf sie nicht zuträfen oder für sie nicht relevant wären. Das Erlernen eines Entspannungsverfahrens sei hier eine gute Option. Bei starker Ausprägung in den Moderatorvariablen sei dann ein umfassenderes kognitiv-verhaltenstherapeutisches Therapieprogramm zu empfehlen. Die Autoren führen eine Reihe an Limitationen ihrer explorativen Studie aus, wie die geringe Power der Studie, kleine Moderationseffekte zu finden, die Wahl des speziellen methodischen Zugangs und die Möglichkeit des Einflusses nicht gemessener Variablen.
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Kommentar
Die Studie ist wichtig, weil sie versucht, Einflussfaktoren auf Therapieerfolg nachzugehen, mit dem Ziel einer möglichst maßgeschneiderten Therapie. Trotz der in der Studie angesprochenen Limitationen, unterstützen die Ergebnisse die Leitlinienempfehlungen, bei Migräne mit starker Beeinträchtigung und psychischen Komorbiditäten komplexere kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlungen zu empfehlen. Bei geringerer Ausprägung wäre ein Entspannungsverfahren zunächst die erste Wahl.
Thomas Dresler, Tübingen
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Adaption des Cluster Headache Impact Questionnaire (CHIQ) für die italienische Sprache
** Onofri, A, Iannone LF, Granato A, et al. Validation of the Italian version of the Cluster Headache Impact Questionnaire (CHIQ). Neurological Sciences 2023. doi.org/10.1007/s10072-023-06758-0
Die ins Italienische übersetze Version des Cluster Headache Impact Questionnaire (CHIQ) zur Erfassung der spezifischen Beeinträchtigung bei Clusterkopfschmerz zeigt eine gute Validität und Reliabilität.
Hintergrund
Clusterkopfschmerz ist oft mit erheblichen psychosozialen Belastungen und Beeinträchtigungen der Lebensqualität assoziiert. Daher ist es sinnvoll, diese Parameter mit einem Selbstbeurteilungsfragebogen zu erfassen (Patient Reported Outcome Measures, PROMs). In den letzten Jahren sind einige spezifische Fragebögen zur Erfassung von psychosozialer Belastung beziehungsweise der Lebensqualität bei Clusterkopfschmerz publiziert worden. Der von einer deutschen Arbeitsgruppe entwickelte Fragebogen Cluster Headache Impact Questionnaire (CHIQ) ermöglicht mit 8 Items respektive einer Skala die zeitökonomische Erfassung der Beeinträchtigung bei Clusterkopfschmerz.
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Zusammenfassung
In der vorliegenden Arbeit wurde der Fragebogen CHIQ vom Englischen ins Italienische übersetzt. Dabei wurden wissenschaftliche Standards (parallele Übersetzung durch 2 Personen, Rückübersetzung durch einen englischen Muttersprachler, Diskussion und Modifikation der Übersetzungen) angewendet. Es wurde eine Stichprobe von N = 181 Patienten (n = 96 aktiver episodischer Clusterkopfschmerz, n = 14 chronischer Clusterkopfschmerz, n = 71 inaktiver episodischer Clusterkopfschmerz) aus 14 Kopfschmerzzentren untersucht. Die Validität wurde anhand einer Substichprobe von Patienten mit vorhandener Kopfschmerzaktivität (chronischer sowie aktiver episodischer Clusterkopfschmerz, n = 110) bestimmt. Die Korrelationen mit den Skalen von etablierten Fragebögen (hier: Depression-Angst-Stress Skalen, DASS, sowie Short Form Health Survey, SF-36) waren hoch signifikant und lagen im mittleren Bereich, was als Indikator für gute konvergente Validität gewertet werden kann. Die Reliabilität (interne Konsistenz, Cronbachs Alpha = 0,891) war gut. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die italienische Version des CHIQ zur Anwendung in der klinischen Praxis und Forschung geeignet ist.
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Kommentar
Der Fragebogen CHIQ ist ein Selbstbeurteilungsfragebogen zur zeitökonomischen Erfassung der Beeinträchtigung von Personen mit Clusterkopfschmerz. Ziel der vorliegenden Studie war die Entwicklung einer italienischsprachigen Version des CHIQ und die Bestimmung deren Testgütekriterien. In der gut gemachten Studie werden wissenschaftliche Standards eingehalten und relevante Parameter bestimmt. Profitiert hätte die Arbeit von der Durchführung einer Faktorenanalyse um zu prüfen, ob sich die in der Originalversion mit einer exploratorischen Faktorenanalyse gefundene einfaktorielle Struktur (eine Skala) bestätigen lässt. Hier stellt die niedrige Stichprobengröße eine gewisse Limitation dar. Im Hinblick auf die Kürze der Skala wäre außerdem McDonald’s Omega das adäquatere Reliabilitätsmaß gewesen, da dieses im Gegensatz zu Cronbachs Alpha verzerrungsfreier ist. Nichtsdestotrotz stellt die vorliegende Studie einen wichtigen Beitrag zur Dissemination des für die klinische Praxis und Forschung relevanten Fragebogens CHIQ dar.
Timo Klan, Mainz
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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet |
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Gute experimentelle oder klinische Studie |
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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter |
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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln |
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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln |
Die Kopfschmerz-News werden betreut von der Jungen DMKG, vertreten durch Dr. Robert Fleischmann, Greifswald, Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Trigemino-autonomer Kopfschmerz & Clusterkopfschmerz), Dr. Laura Zaranek, Dresden (Bereich Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen) und Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie und Kopfschmerz).
Ansprechpartner ist Dr. Robert Fleischmann, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Unimedizin Greifswald, Ferdinand-Sauerbruch-Str. 1, 17475 Greifswald, Tel. 03834/86-6815, robert.fleischmann@uni-greifswald.de
Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.
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Publication History
Article published online:
02 August 2023
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Georg Thieme Verlag KG
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