Pro
Der demographische Wandel führt innerhalb der Ärzteschaft und
explizit in den Fachbereichen Psychiatrie und Psychotherapie zwangsläufig zu
einer Nachwuchslücke, was die Versorgungssituation für Menschen mit
psychischen und psychosomatischen Störungen in Zukunft verschärfen
wird [1]. Welche Möglichkeiten gibt es
also um diese Fachspezialist*innen zu entlasten? Im Sinne einer
ergänzenden Versorgung können Hausärzt*innen helfen
die Nachwuchslücke zu minimieren.
Die hausärztliche Versorgung in Deutschland und weltweit umfasst in der Regel
eine kontinuierliche und koordinierte Erstversorgung für Einzelpersonen und
Bevölkerungsgruppen, die nicht nach Alter, Geschlecht, Krankheit oder
Organsystem unterschieden werden. Das bedeutet, dass selbstverständlich auch
Menschen mit psychischen Beschwerden in der Primärversorgung behandelt
werden. Die Mehrheit aller Patient*innen mit psychischen Problemen nimmt
zudem gar keine psychologischen Dienste in Anspruch und wird ausschließlich
in der Primärversorgung behandelt [2].
Zudem suchen Patient*innen mit Depressionen ihre*n Arzt/
Ärztin überwiegend aufgrund von Körperbeschwerden auf.
Hausärzt*innen übernehmen somit die zunächst
notwendige Aufgabe psychische Störungen, funktionelle somatische Syndrome
und rein strukturelle Pathologien korrekt abzugrenzen.
Durch die auf Dauer ausgelegte Beziehung zwischen Hausärzt*innen und
Patient*innen werden Patient*innen unter der
Berücksichtigung von wichtigen biopsychosozialen Aspekten versorgt. Das
bedeutet, dass Beziehungen zu Familie, Nachbarschaft und sozialem Umfeld in der
Diagnostik und Behandlung leichter berücksichtigt werden können
[3], wodurch sich
Hausärzt*innen bei der therapeutischen Entscheidungsfindung an
zusätzlichen Informationen orientieren, die Fachärzt*innen
nur eingeschränkt zur Verfügung stehen.
Ein weiterer Vorteil, der sich durch die (Mit-) Behandlung des Hausarztes/
der Hausärztin ergibt, sind die Regelmäßigkeit und
Gestaltungsmöglichkeiten der Kontakte. In wiederkehrenden Kurzterminen kann
der Zustand der Patient*innen erfasst sowie die Selbstversorgungskompetenz
adäquat erhöht werden [4].
Hausärzt*innen haben in der Regel ein gutes Wissen um Ressourcen und
Strukturen des Gemeinwesens und den Kontext der Patient*innen, so dass sie
hier koordinativ tätig werden können.
Es ist somit unbestreitbar, dass die Rolle von Hausärzt*innen in der
Behandlung psychischer Störungen und in der Zusammenarbeit mit
Fachärzt*innen zentral ist. Die stark zunehmende Fragmentierung der
Patient*innenversorgung sowie die Differenzierung innerhalb der
medizinischen Fachbereiche selbst birgt dabei außerdem die Gefahr von
Informationsverlusten. Die regelmäßige Kommunikation zwischen
behandelnden Ärzt*innen und ärztlichen/
psychologischen Psychotherapeut*innen ist noch keine gängige Praxis.
Häufig wenden Mediziner*innen ein, dass sie nach einer
Überweisung von den Weiter-Behandlern (ärztlichen/
psychologischen Psychotherapeut*innen, Psychiater*innen) ,,nichts
mehr hören‘‘ [5]. Daraus
wird deutlich, wie wichtig es ist Fachspezialist*innen für die Rolle
der Hausärzt*innen und eine patientenorientierte Zusammenarbeit zu
sensibilisieren. Gleichzeitig muss im Sinne einer integrativen Versorgung bereits
in
der Ausbildung die Zusammenarbeit und Kommunikation unter den verschiedenen
Behandler*innen unterrichtet werden [3].
Da die Entwicklung der Altersstruktur zweifelsohne auch eine Herausforderung in der
hausärztlichen Versorgung darstellt und Patient*innen mit
Depressionen auch in der Primärversorgung nicht immer optimal behandelt
werden [6], sollten zusätzlich die
Kompetenzen der Hausärzt*innen im Bereich der psychischen und
psychosomatischen Versorgung innerhalb der Grundversorgung ausgebaut werden.
Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung psychischer/ psychosomatischer
Störungen in der Primärversorgung müssen besser
implementiert oder implementierbar gemacht werden.
Das POKAL Graduierten Kolleg (PrädiktOren und Klinische Ergebnisse bei
depressiven ErkrAnkungen in der hausärztLichen Versorgung, DFG-GRK 2621) der
LMU und TU München bietet eine Ausbildungsmöglichkeit, bei der die
Zusammenarbeit, der Austausch, die gemeinsame Sprache, die
Interdisziplinarität sowie die integrative Arbeit gefördert werden
[7]. Ziel ist eine deutschlandweite
Verbesserung der Diagnostik, Behandlung und Implementierung psychischer und
psychosomatischer Erkrankungen in der Primärversorgung und folglich eine
Entlastung der Fachspezialist*innen.