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DOI: 10.1055/a-2065-5999
KI-basierte Medizinprodukte in der Radiologie, 1. Teil
- I. Einführung
- II. Anwendungsgebiete und Funktionsweise KI-basierter Softwareapplikationen
- III. Regulatorische Vorgaben und Voraussetzungen der Leistungserbringung
I. Einführung
Das Gesundheitswesen befindet sich derzeit in einer digitalen Transformation. Neben dem Aufbau der Telematikinfrastruktur (TI) ist nunmehr auch die künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin auf dem Vormarsch. Die KI ist ein Teilgebiet der Informatik. Sie imitiert menschliche kognitive Fähigkeiten, indem sie Informationen aus Eingabedaten erkennt und sortiert. Diese Intelligenz kann auf bereits programmierten Abläufen basieren oder aber durch maschinelles Lernen erzeugt werden. Bei maschinellen Lernverfahren (sog. Machine Learning) erlernt ein Algorithmus durch Wiederholung selbstständig eine Aufgabe zu erfüllen.
Die KI kommt insbesondere in der Medizintechnik zur Anwendung und spielt dabei unter anderem auch in der bildgebenden Diagnostik eine Rolle. Die Auswertung von Bildern erfolgt dabei mit statistischen und lernenden Methoden, um möglichst genaue Diagnosen zu erstellen, Therapien zu individualisieren und Krankheiten frühzeitig zu erkennen. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit den Einsatzmöglichkeiten KI-basierten Softwareapplikationen in der diagnostischen Radiologie sowie deren Anwendung- und Abrechnungsmöglichkeiten in der ambulanten Versorgung.
II. Anwendungsgebiete und Funktionsweise KI-basierter Softwareapplikationen
Den KI-basierten Softwareapplikationen (Apps), die in der bildgebenden Diagnostik zur Anwendung kommen, liegen sogenannte Machine-Learning-Algorithmen zugrunde, die Bildaufnahmen analysieren, indem sie Signalintensität oder Veränderungen in der Dichte erkennen, lokalisieren und quantifizieren. Die Ergebnisse werden anschließend visualisiert und verbalisiert. Die Entwicklung und das Training der Algorithmen erfolgen durch eine auf Machine-Learning-Methoden basierten Auswertung zahlreicher radiologischer Aufnahmen inklusive derer von unterschiedlichen medizinischen Experten erstellten Befunde und Segmentationen. Dadurch können unter Umständen zeitkritische Befunde erkannt und als solche gekennzeichnet werden. In der Radiologie kommen diese Softwareapplikationen insbesondere bei der Befundung von MRT-Aufnahmen zum Einsatz. Diese können beispielsweise pathologische Veränderungen, z. B. potentiell maligne Tumore der Wirbelsäule, frühzeitig erkennen oder das Hirnvolumen oder einzelne Hirnläsionen bei der Behandlung von an Multipler Sklerose oder Demenz erkrankter Patienten bestimmen.
Die Befundung von radiologischen Bildaufnahmen erfolgte bisher ausschließlich durch Fachärzte, die dabei ihr im Rahmen der fachärztlichen Weiterbildung erworbenes Wissen und ihre praktische Erfahrung einbringen. Dieses Vorgehen birgt jedoch spezifische menschliche Risiken in sich und kann dementsprechend zu Befundungsfehlern führen. Dies ist der Ansatzpunkt der App, die dieses Risiko reduzieren soll, indem sie durch die Analyse und Verfügbarkeit großer Datenmengen die ärztliche Leistung im Sinne einer „Zweitmeinung“ ergänzt. Damit solche intelligenten Systeme verlässlich und sicher funktionieren, forscht auch das Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS an der Absicherung solcher KI-basierten Anwendungen.
III. Regulatorische Vorgaben und Voraussetzungen der Leistungserbringung
Da die Anwendung KI-basierter Apps in der radiologischen Diagnostik eine relativ neue Möglichkeit der Befundung darstellt, sind die Voraussetzungen der Anwendung und Abrechnung dieser Leistung gegenüber dem einzelnen Patienten noch weitestgehend unklar. Hier stellt sich insbesondere die Frage, ob eine solche Leistung bei gesetzlich versicherten Patienten als Individuelle Gesundheitsleistung (sog. IGeL) erbracht werden kann.
1. Die leistungsrechtliche Einordnung KI-basierter Apps nach dem SGB V
Die Anwendung der App im Rahmen der radiologischen Befundung und deren Abrechnung gegenüber gesetzlich versicherten Patienten im ambulanten Bereich setzt voraus, dass diese Gegenstand des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist.
Die vertragsärztliche Versorgung umfasst gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 SGB V sowohl die ärztliche Behandlung (§ 28 SGB V), als auch die Versorgung mit Arznei- und Verbandmittel (§ 31 SGB V) sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen (§ 33a SGB V).
Dem gegenüber steht der Leistungsanspruch des Versicherten, der gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V Leistungen zur Behandlung einer Krankheit umfasst. Gemäß § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst gemäß § 27 Abs. 1 S. 2 SGB V neben der ärztlichen Behandlung (§ 28 SGB V) auch die Versorgung mit Arznei- und Verbandmittel (§ 31 SGB V) sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen (§ 33a SGB V).
Die Einordnung ist zunächst abhängig davon, wie die Anwendung einer KI-basierten App als Medizinprodukt leistungsrechtlich einzuordnen ist. Unter den Begriff „Medizinprodukt“ fallen eine Vielzahl unterschiedlicher Produkte. Der Begriff des Medizinproduktes ist in Artikel 2 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte definiert:
„Medizinprodukt“ bezeichnet ein Instrument, einen Apparat, ein Gerät, eine Software, ein Implantat, ein Reagenz, ein Material oder einen anderen Gegenstand, das dem Hersteller zufolge für Menschen bestimmt ist und allein oder in Kombination einen oder mehrere der folgenden spezifischen medizinischen Zwecke erfüllen soll:
-
Diagnose, Verhütung, Überwachung, Vorhersage, Prognose, Behandlung oder Linderung von Krankheiten
-
[…]“
Bei einer KI-basierten App handelt es sich um eine Software, die die Funktion zur Diagnose, Vorhersage oder Prognose von Krankheiten entsprechend der vom Hersteller festgelegten Zweckbestimmung nachweislich erfüllt. Sie stellt somit ein Medizinprodukt i. S. d. Verordnung (EU) 2017/745 dar.
Das SGB V sieht für die Frage der Erstattungsfähigkeit von Medizinprodukten keine ausdrückliche Regelung vor, da das Gesetz den Begriff „Medizinprodukt“ als leistungsrechtliche Kategorie in § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB V nicht erwähnt. Da eine eigenständige Erstattungskategorie fehlt, müssen die Produkte, die nach der EU-Verordnung als Medizinprodukte gelten, somit den verwandten Kategorien zugeordnet werden, die das Leistungsrecht des SGB V vorsieht. Eine Zuordnung des betreffenden Medizinprodukts zu den einzelnen Leistungsansprüchen im Rahmen der Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 S. 2 SGB V und deren Abgrenzung erfolgt somit einzelfallbezogen.
Medizinprodukte sind nicht explizit Gegenstand des Leistungskataloges. In den §§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 SGB V werden ausdrücklich nur Arzneimittel genannt. Medizinprodukte fallen jedoch nicht unter den Arzneimittelbegriff des Arzneimittelgesetzes (AMG). Gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG sind Arzneimittel im Sinne dieses Gesetzes nicht Medizinprodukte und Zubehör im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 und 2 der Verordnung (EU) 2017/745, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 lit. b AMG. Die KI-basierte App als Medizinprodukt gemäß Art. 2 Nr. 1, 1. Spiegelstrich Verordnung (EU) 2017/745 fällt somit nicht unter den Arzneimittelbegriff des AMG. Dies liegt unter anderem daran, dass Arzneimittel eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung entfalten, während Medizinprodukte im Regelfall überwiegend mechanisch oder physikalisch funktionieren. Nach Auffassung des BSG[1] scheidet ein Mittel allerdings nicht schon deswegen aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung aus, weil es nicht unter den Arzneimittelbegriff des AMG fällt. Das BSG unterscheidet zwischen dem Arzneimittelbegriff nach dem AMG und dem krankenversicherungsrechtlichen Begriff des Arzneimittels nach dem SGB V. Arzneimittel im Sinne des SGB V sind Substanzen, deren bestimmungsgemäße Wirkung darin liegt, Krankheitszustände, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden durch Anwendung am oder im menschlichen Körper zu heilen oder zu verbessern. Die Erstattungsfähigkeit eines Medizinproduktes in der GKV ist daher daran gebunden, ob sich dieses unter den Arzneimittelbegriff des § 31 SGB V als arzneimittelähnliches Produkt subsumieren lässt.
a. KI-basierte Apps als Arznei- und Verbandmittel gemäß § 31 Abs. 1 SGB V
Nach der früheren Regelung des § 31 Abs. 1 Satz 3 SGB V a. F. konnten die Kosten für ein „arzneimittelähnliches“ Medizinprodukt erstattet werden. Besondere Probleme bereitete dabei die Frage, ob das jeweilige Medizinprodukt als arzneimittelähnliches Medizinprodukt i. S. d. Regelung qualifiziert werden konnte. Mit der Änderung des § 31 Abs. 1 SGB V durch das GKV-Organisationsstruktur-Weiterentwicklungsgesetz (GKV-OrgWG) sieht § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V in seiner aktuellen Fassung nun vor, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr. 6 SGB V festzulegen hat, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt sind, in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden. Der Begriff der Stoffe ist in § 3 Arzneimittelgesetz als chemische Elemente, pflanzliche oder tierische Bestandteile und Microorganismen definiert.
Da die Funktionsweise einer KI-basierten App auf Grundsätzen der Physik und Informatik beruht, stellt diese nach dieser Definition kein Medizinprodukt, das in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden kann, dar. Denn die App besteht weder aus chemischen Elementen (§ 3 Nr. 1 AMG), Pflanzen (§ 3 Nr. 2 AMG), Tierkörper (§ 3 Nr. 3 AMG) oder Mikroorganismen (§ 3 Nr. 4 AMG), sondern ist ein Algorithmus. Zudem wird die App auch nicht im oder insbesondere am Körper angewendet. Denn unter der Anwendung am Körper ist das unmittelbare Aufbringen bzw. Auftragen von Stoffen oder Zubereitung aus Stoffen auf die Körperoberfläche zu verstehen[2]. Da eine KI-basierte App nicht auf die Körperfläche des Patienten aufgetragen wird, sondern die durch die radiologische Untersuchung gewonnenen Schnittbilder des Patienten bewertet, ist sie kein arzneimittelähnliches Produkt i. S. d. § 31 Abs.1 S. 2 SGB V.
b. KI-basierte Apps als digitale Gesundheitsanwendung gemäß § 33a SGB V
Mit dem „Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation“ (Digitale Versorgung Gesetz, DVG) wurden die sog. digitalen Gesundheitsanwendungen gemäß § 33a SGB V eingeführt. Dieser lautet:
„Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Medizinprodukten niedriger Risikoklasse, deren Hauptfunktion wesentlich auf digitalen Techniken beruht und die dazu bestimmt sind, bei den Versicherten oder in der Versorgung durch Leistungserbringer die Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen zu unterstützen (digitale Gesundheitsanwendungen) […].“
Der Leistungsanspruch nach § 33a SGB V beinhaltet Software und Medizinprodukte, die auf digitalen Technologien basieren, eine gesundheitsbezogene Zweckbestimmung und ein geringes Risikopotenzial haben. Damit die Kosten einer digitalen Gesundheitsanwendung (DiGA) in der GKV erstattet werden, muss gemäß § 33a Abs. 2 Satz 2 SGB V eine Aufnahme in ein vom Bundesinstitut für Arzneimittel geführtes Verzeichnis erfolgt sein. Zudem muss die DiGA ärztlich verordnet werden oder die zuständige Krankenkasse muss die Zustimmung erteilt haben.
§ 33a SGB V stellt eine neue Versorgungsform für Patienten dar. Das Medizinprodukt muss vom Hersteller dazu bestimmt sein, in der Regel von den Versicherten selbst verwendet zu werden. Eine Unterstützung in der Handhabung oder teilweisen Mitverwendung durch die Leistungserbringer ist zwar zulässig, jedoch sind DiGA, die ausschließlich von Leistungserbringern und nicht vom Patienten selbst verwendet werden, davon nicht erfasst. Die einschränkende Auslegung ergibt sich zwar nicht direkt aus dem Wortlaut der Norm, aber aus dem Verordnungserfordernis des § 33 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V[3].
Eine KI-basierte App ist zur Anwendung durch den Arzt und nicht durch den Pateinten selbst bestimmt und stellt damit keine digitale Gesundheitsanwendung i. S. d. § 33a SGB V dar.
2. KI-basierte Apps als Teil der ärztlichen Behandlung nach § 28 Abs. 1 SGB V
Die ärztliche Behandlung umfasst die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Sie umfasst alle Maßnahmen der ambulanten medizinischen Versorgung der Versicherten. Damit diese Leistung an einem GKV-Patienten erbracht und zulasten der GKV abgerechnet werden kann, muss sie gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 1 SGB V Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sein. Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sind zunächst alle im Leistungsverzeichnis des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) aufgeführten Leistungen. Allerdings können auch neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dazu gehören. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass diese vom G-BA in dessen Richtlinien anerkannt worden sind.
a. KI-basierte Apps als Bestandteil des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen
Die Leistungsinhalte der für die radiologische Diagnostik maßgebenden Gebührenordnungspositionen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) sind in den Abschnitten 24 und 34 aufgeführt.
Eine spezielle Gebührenordnungsposition für KI-Leistungen gibt es derzeit im EBM nicht. Es stellt sich daher die Frage, ob die Analyse von Aufnahmen bildgebender Verfahren mittels der Software bereits von anderen im EBM beschriebenen Leistungen erfasst ist, beispielsweise könnten diese auch als deren Bestandteil von der Befundung durch einen Radiologen mitumfasst sein. Soweit die KI-Leistung Teil einer bereits bestehenden Gebührenordnungsposition (GOP) im EBM ist, kann sie unter dieser abgerechnet werden. Nach der Rechtsprechung des BSG[4] dürfen die Leistungsbeschreibungen allerdings nicht ausdehnend oder analog angewendet werden. Dies wird nachfolgend für die Befundung mithilfe einer KI-basierten App an MRT- und CT-Aufnahmen dargestellt.
aa. Leistungsbestandteil der Magnetresonanztomographie (Abschnitt 34.4 des EBM)
In Frage kommen für die Magnetresonanztomographie die GOP 34 411 – MRT-Untersuchung von Teilen der Wirbelsäule, die GOP 24 210–24 212 als Konsiliarpauschalen oder die GOP 34 269 – Phlebographie – sowie die GOP 34 295 – Zuschlag Computergestützte Analyse unter Umständen in analoger Anwendung.
Der konkrete Leistungsinhalt ergibt sich zunächst aus der jeweiligen GOP. Ist dies nicht der Fall, kann dieser unter Umständen durch Auslegung ermittelt werden. Hinsichtlich der Frage, ob bestimmte ärztliche Leistungen von einer GOP im EBM erfasst sind, bestehen bestimmte Auslegungsregeln. Für die Auslegung von Gebührenordnungspositionen hat das BSG[5] entschieden:
„Für die Auslegung der genannten GOP ist in erster Linie der Wortlaut der Regelung maßgebend. Grund für die besondere Bedeutung des Wortlauts ist nach der zu den GOP des EBM-Ä ergangenen ständigen Rechtsprechung des Senats (BSG Urteil vom 11.12.2013 – B 6 KA 14/13 R – SozR 4–2500 § 87 Nr 28 RdNr 11; zuletzt: BSG Urteil vom 11.9.2019 – B 6 KA 22/18 R – SozR 4–5531 Nr 01210 Nr 1 RdNr 13 jeweils mwN) zum einen, dass das vertragliche Regelwerk dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Ärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Normgebers des EBM-Ä – des Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs 1 SGB V – ist, Unklarheiten zu beseitigen. Zum anderen folgt die primäre Bindung an den Wortlaut aus dem Gesamtkonzept des EBM-Ä als einer abschließenden Regelung, die keine Ergänzung oder Lückenfüllung durch Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse bzw Gebührenordnungen oder durch analoge Anwendung zulässt. Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände besteht nur dann, wenn der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es einer Klarstellung bedarf. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ebenfalls in Betracht, kann allerdings nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben. Leistungsbeschreibungen dürfen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewendet werden. Diese Grundsätze gelten auch für Kostenerstattungstatbestände, sofern sie eine Pauschalerstattung vorsehen (BSG, Urteil vom 11.12.2013 – B 6 KA 14/13 R – SozR 4–2500 § 87 Nr 28 RdNr 11; BSG Urteil vom 16.12.2015 – B 6 KA 39/15 R – SozR 4–5531 Nr 40100 Nr 1 RdNr 25).“
(1) GOP 34 411 EBM (Abschnitt 34.4 des EBM)
Die GOP 34 411 EBM enthält folgenden obligaten Leistungsinhalt:
-
Darstellung mindestens des gesamten Wirbelsäulenabschnittes der HWS (HWK1 bis HWK7 / BWK1)
oder -
Darstellung des gesamten Wirbelsäulenabschnittes der BWS (BWK1 bis LWK1)
oder -
Darstellung des gesamten Wirbelsäulenabschnittes
und/oder -
Darstellung in zwei Ebenen.
Legt man die GOP 34 411 EBM streng nach dem Wortlaut aus, ist Leistungsinhalt die Darstellung einer der genannten Wirbelsäulenabschnitte. Die GOP kann folglich bis zu drei Mal je Abschnitt abgerechnet werden. Ob neben der Darstellung im Rahmen der radiologischen Leistung auch die Befundung der Aufnahmen gehört, lässt sich dem Wortlaut der GOP nicht eindeutig entnehmen, insoweit spricht dieser lediglich von „Darstellung“.
Die in der Überschrift zu einer Gebührenordnungsposition aufgeführten Leistungsinhalte sind gemäß Abschnitt I.2.1 Abs. 7 EBM auch immer Bestandteil der obligaten Leistungsinhalte. Obligater Leistungsinhalt der GOP 34411 EBM ist somit auch die „Untersuchung“ mittels MRT in Form der Darstellung des jeweiligen Abschnitts der Wirbelsäule. Unter Darstellung ist dabei die bildhafte Wiedergabe durch einen Kernspintomographen als bildgebendes Verfahren der Röntgendiagnostik zu verstehen. Inwieweit der Begriff der „Untersuchung“ darüber hinaus geht und eine Befundung dieser bildhaften Darstellung mit umfasst, gibt der Wortlaut der GOP 34411 zunächst keine Anhaltspunkte.
Eine medizinische Untersuchung ist die Summe der diagnostischen Tätigkeiten und Verfahren, die vom Arzt im Rahmen der Patientenversorgung durchgeführt und veranlasst werden. Die klinische Untersuchung kann dabei auch durch gerätegestützte Verfahren (sog. Diagnostik), wie die Kernspintomographie oder andere bildgebende Verfahren, erweitert werden[6]. Inwieweit diese Diagnostik allein die Darstellung oder ergänzend auch noch eine Auswertung des Bildmaterials umfasst, lässt sich dieser Definition jedoch nicht entnehmen.
Auch wenn das Verfahren der Magnetresonanztomographie nicht mithilfe ionisierender Strahlung durchgeführt wird, könnten als Vergleich andere bildgebende Verfahren, wie das konventionelle Röntgen oder die Computertomographie, vergleichend herangezogen werden. Diese Verfahren bestehen ebenfalls aus einer bildhaften Darstellung und einer sich anschließenden Befundung derselben. Für diese Verfahren gilt das Strahlenschutzgesetz (StrlSchG). Dieses unterscheidet in § 5 Abs. 3 zwischen den beiden Begrifflichkeiten der „Untersuchung“ und der „Befundung“. Der Wortlaut des § 5 Abs. 3 Ziff. 1 StrlSchG lautet:
„(3) Anwendung ionisierender Strahlung oder radioaktiver Stoffe am Menschen: Technische Durchführung
1. einer Untersuchung mit ionisierender Strahlung oder radioaktiven Stoffen und die Befundung der Untersuchung oder
2. […]“
Die Unterscheidung zwischen der „Untersuchung“ und der „Befundung“ in § 5 Abs. 3 Ziff. 1 StrlSchG hat zur Folge, dass diese Leistungen getrennt voneinander durchgeführt werden. Folglich beinhaltet eine Untersuchung im Strahlenschutzrecht nicht auch zugleich die Befundung. Da die Kernspintomographie ebenfalls ein bildgebendes Verfahren darstellt, könnte diese Definition für die Begriffsabgrenzung auch auf sie übertragen werden. Zur Abgrenzung dürfte der Einsatz ionisierender Strahlung keine Rolle spielen, so dass davon ausgegangen werden könnte, dass der Begriff der „Untersuchung“ auch im EBM die Befundung nicht mit umfasst.
Eine weitere, über den Wortlaut hinausgehende Auslegung der GOP 34411 wäre nur zulässig, wenn der Leistungsinhalt des in Frage stehenden Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es daher einer Klarstellung bedarf[7]. In diesem Zusammenhang darf der Leistungsgegenstand anhand eines Vergleichs mit anderen ähnlichen Leistungstatbeständen und der systematischen Stellung im EBM ausgelegt werden. Ergänzend könnten auch die Präambeln der jeweiligen Abschnitte zur Auslegung herangezogen werden. Ziffer 4 der Präambel zu Abschnitt 34 lautet:
4. „In den Gebührenordnungspositionen dieses Kapitels sind die Beurteilung, obligatorische schriftliche Befunddokumentation, […] enthalten.“
Die GOP 34 411 beinhaltet somit auch die Befundung der einzelnen MRT-Aufnahmen der jeweiligen Abschnitte.
Inwieweit die Befundung mithilfe der KI-basierten App im Rahmen der GOP 34411 mit umfasst ist, ist allerdings nicht eindeutig feststellbar. Zieht man zum Vergleich die ebenfalls in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) enthaltene computergesteuerte Analyse nach Ziffer 5377 heran, setzt diese die Aufarbeitung und Auswertung der erhobenen Datensätze durch den befundenden Arzt voraus und erfordert die Durchführung von Rechenprozessen, deren Ergebnisse diagnostisch relevante Daten erwarten lassen. Der Leistungsinhalt des Zuschlags wird laut der Bundesärztekammer[8] nicht durch die heute noch übliche Befundung am Monitor erfüllt. Ebenfalls kann unter einer computergestützten Analyse weder die Nachbearbeitung zur Kontrastverstärkung noch die Einstellung der Helligkeit oder die Vergrößerung am Bildschirm verstanden werden. Ein Vergleich mit der GOÄ ist jedoch insoweit nicht möglich, da danach nur privatärztliche Leistungen abgerechnet werden.
Bei der Beurteilung, ob die Leistung Bestandteil des EBM ist, ist letztendlich nicht ganz auszuschließen, dass die Anwendung einer App im Rahmen der Auswertung der MRT-Aufnahmen bei GKV-Patienten dem befundenden Radiologen lediglich als zusätzliches „Hilfsmittel“ dient. Die Konsequenz aus dieser Feststellung wäre, dass die Leistung einer App Bestandteil der Befundung im Rahmen der Untersuchung der GOP 34 411 EBM wäre und dann nicht separat abgerechnet werden könnte.
Als weiterer Vergleich zur GOP 34411 EBM bieten sich auch die radiologischen Konsiliarpauschalen nach den GOP 24210–24212 EBM an.
(2) GOP 24 210–24 212 EBM (Abschnitt 24.2 des EBM)
Die GOP 24 210–24 212 EBM sind nach Alter des Patienten gestaffelt und enthalten folgenden Leistungsinhalt:
-
Obligater Leistungsinhalt
-
Persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt,
-
Überprüfung der vorliegenden Indikation,
-
-
Fakultativer Leistungsinhalt
-
Veranlassung und Durchführung der radiologischen Untersuchung(en),
-
Interpretation,
-
In Anhang 1 aufgeführte Leistungen,
-
-
einmal im Behandlungsfall.
Eine Berechnung dieser GOP kommt zunächst nur in Betracht, wenn es zu einem Arzt-Patienten-Kontakt gekommen ist. Die Überprüfung der Indikation, die Veranlassung und Durchführung der Untersuchung sowie die Interpretation von Befunden sind nicht obligater Leistungsbestandteil. Diese werden je nach den Erfordernissen des Einzelfalls vom überweisenden Arzt erbracht. Dennoch entbindet dies nicht den Radiologen von der Verpflichtung zur Überprüfung der Indikation vor Durchführung der jeweiligen Untersuchung[9].
Wenn je nach Lage des Falles jedoch von dem Radiologen, an den der Patient überwiesen wird, erwartet wird, dass er sich ein eigenes fachliches Urteil über die in Anbetracht der diagnostischen Fragestellung notwendigen Untersuchungsmethoden bildet, muss er gegebenenfalls neben einer Beratung auch eine orientierende Untersuchung durchführen, diese befunden und deren Ergebnisse mit dem Patienten besprechen. Dies bildet dann der Leistungsinhalt der GOP 24 210–24 212 EBM ab. Soweit bei der Untersuchung die App zum Einsatz kommt, wäre auf jeden Fall eine Befundung durch den jeweiligen Radiologen, zu dem der Patient überwiesen wird, erforderlich. Fraglich ist nur, ob dies unter den Begriff der „Interpretation“ fällt. Mit dem Begriff „Interpretation“ könnte einerseits die Interpretation durch den Radiologen allein aufgrund seiner eigenen ärztlichen Erfahrung gemeint sein, andererseits könnte die Interpretation auch unter Verwendung etwaiger (technischer) Hilfsmittel wie einer KI-basierten App erfolgen. Es ist also unklar, ob die Leistung einer App Bestandteil der GOP 24210–24212 EBM ist. Der Wortlaut dieser GOP liefert hier ebenfalls keine eindeutige Antwort, sodass es einer erneuten, über den Wortlaut hinausgehenden, systematischen Auslegung bedarf. In diesem Fall können unter Umständen die GOP 34294–34296 EBM herangezogen werden.
(3) GOP 34294, 34295 und 34296 EBM
Die GOP 34294 EBM Phlebographie enthält folgenden obligaten Leistungsinhalt:
Obligater Leistungsinhalt
-
Kontrastmitteleinbringung(en)
-
Darstellung regionaler Abflussgebiete nach Kontrastmittelapplikation,
je Extremität
Zusätzlich berechenbar ist daneben die GOP 34295 mit folgendem Leistungsinhalt:
Zuschlag zu der Gebührenposition 34 294 für die computergestützte Analyse.
Während die GOP 34294 im Rahmen der Phlebographie lediglich die Darstellung und die Kontrastmitteleinbringung vorsieht, enthält die GOP 34294 EBM einen Zuschlag für die computergestützte Analyse.
Gemäß Abschnitt I.4.2 des EBM wird mit Zusatzpauschalen der gesonderte Leistungsaufwand vergütet, der sich aus den Leistungs-, Struktur- und Qualitätsmerkmalen des Vertragsarztes und, soweit dazu Veranlassung besteht, in bestimmten Behandlungsfällen ergibt.
Bei der computergestützten Analyse handelt es sich somit um einen besonderen Leistungsaufwand, der nicht Leistungsinhalt der Hauptleistung der GOP 34294 EBM ist. Der EBM unterscheidet hier zwischen zwei voneinander getrennten Leistungen, die Auswertung/Befundung allein durch den Radiologen und die zusätzliche computergestützte Analyse in bestimmten Behandlungsfällen.
Bei der Phlebographie des Brust- und Bauchraumes gehört die computergestützte Analyse sogar zur Hauptleistung selbst.
Die GOP 34296 EBM enthält folgenden Leistungsinhalt:
Obligater Leistungsinhalt
-
Phlebographie(n) des Brust- und /oder Bauchraumes,
-
Kontrastmitteleinbringung(en),
-
Computergestützte Analyse,
je Sitzung
Bei der GOP 34296 ist die „computergestützte Analyse“ somit Bestandteil des obligaten Leistungsinhalts der Hauptleistung, eine Zusatzpauschale sieht der EBM hier nicht vor. Der Leistungsinhalt dieser GOP wird somit nicht allein durch die übliche Befundung am Monitor erfüllt, sondern erfordert hier die Durchführung von Rechenprozessen, deren Ergebnisse diagnostisch relevante Daten erwarten lassen.
Dass der EBM bei den GOP für die Phlebographie separat von der Befundung am Monitor die Auswertung der Aufnahmen durch eine computergestützte Leistung vorsieht, könnte im Umkehrschluss darauf schließen lassen, dass diese von der GOP 34411 bei der MRT-Untersuchung der Wirbelsäule gerade nicht erfasst ist. Bei der GOP 34411 EBM für die MRT-Untersuchung der Wirbelsäule ist eine computergestützte Analyse weder obligater Leistungsinhalt, noch sieht der EBM eine Zusatzpauschale für eine computergestützte Analyse vor. Dies spricht zunächst dafür, dass der EBM eine computergestützte Analyse nur vereinzelt vorsieht und diese auch explizit als Leistungsinhalt vorgibt. Da diese im EBM für die MRT-Untersuchung der Wirbelsäule noch nicht enthalten ist, lässt darauf schließen, dass es sich hierbei womöglich um eine neue innovative Methode im Leistungssystem der vertragsärztlichen Versorgung handelt.
Eine systematische Auslegung des EBM kommt somit zum Ergebnis, dass es sich bei der Leistung der App um eine computergestützte Analyse handelt, die derzeit nicht Bestandteil einer MRT-Untersuchung der Wirbelsäule nach Abschnitt 34.4 des EBM – weder als obligater Leistungsinhalt der Hauptleistung noch über eine Zuschlagsziffer – und somit nicht Bestandteil des EBM ist.
bb. Leistungsbestandteil der Computertomographie (Abschnitt 34.3 des EBM)
Für die Anwendung der KI im Rahmen einer Computertomographie kommt als Hauptleistung die GOP 34311 – CT-Untersuchung von Teilen der Wirbelsäule (Abschnitt 34.3 des EBM) in Betracht.
Die GOP 34311 EBM enthält folgenden Leistungsinhalt:
Obligater Leistungsinhalt
-
Darstellung von mindestens 2 Segmenten,
Fakultativer Leistungsinhalt
-
Darstellung weiterer Segmente,
je Wirbelsäulenabschnitt
Nach Ziffer 4 der Präambel zu Abschnitt 34 beinhaltet die GOP 34311 EBM auch die Befundung der einzelnen CT-Aufnahmen.
Entsprechend den Ausführungen zur Magnetresonanztomographie (vgl. Ziffer III d aa (1)) dürfte auch bei der Computertomographie die Leistung einer KI-basierten App weder von der Hauptleistung der GOP 343311 EBM noch von den radiologischen Konsiliarpauschalen GOP 24210–24212 EBM umfasst sein. Ebenso sieht der EBM für die CT-Untersuchung keinen Zuschlag zur computergestützten Analyse vor. Die Leistung der App ist folglich auch nicht Teil des Leistungsinhaltes der Computertomographie nach der GOP 343311 und damit aktuell kein Bestandteil des EBM.
Im Ergebnis ist Leistung einer KI-basierten App derzeit weder in der Magnetresonanztomographie nach Abschnitt 34.4, noch in der Computertomographie nach Abschnitt 34.3 Bestandteil des EBM. Es könnte sich daher um eine neue Untersuchung- und Behandlungsmethode nach § 135 Abs. 1 SGB V handeln, deren Aufnahme in den ambulanten Leistungskatalog der GKV durch den G-BA zu erfolgen hätte.
3. KI-basierte Apps als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode nach § 135 Abs. 1 SGB V
Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen gemäß § 135 Abs. 1 SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der G-BA in seinen Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V die Empfehlung über die Anerkennung des therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit – auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden – nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung abgegeben hat. Eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode ist damit solange nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung, bis sie vom G-BA anerkannt wurde (sog. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt)[10].
Aufgrund der neuartigen Funktionsweise einer KI-basierten App bei deren Anwendung im Rahmen radiologischer Diagnostik liegt es damit nahe, dass es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handelt.
Eine Untersuchungs- und Behandlungsmethode i. S. d. § 135 Abs. 1 SGB V ist „die auf einem theoretisch-wissenschaftlichen Konzept beruhende systematische Vorgehensweise bei der Untersuchung und Behandlung einer Krankheit“[11] .
„Neu“ sind Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden im materiellen Sinne, wenn sie sich bewusst von den bisher in der vertragsärztlichen Versorgung angewandten Diagnostik- und Therapieverfahren abgrenzen und sich darüber hinaus auf nicht weitgehend einhellig anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse berufen, die gerade deshalb der Prüfung auf Qualitätssicherung unterzogen werden sollen. Gemeinhin stellt die Judikatur aber auf einen für die Praxis praktikableren formellen Begriffsinhalt ab und fragt danach, ob sie als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen noch nicht im EBM enthalten sind oder sie zwar im EBM aufgeführt sind, ihre Indikationen oder ihre Art der Erbringung in der Zwischenzeit aber wesentliche Änderungen oder Erweiterungen erfahren hat. „Neu“ ist nach diesen Grundsätzen auch diejenige Methode, die sich aus einer neuartigen Kombination verschiedener – für sich allein jeweils anerkannter oder zugelassener – Maßnahmen zusammensetzt.
Diese formelle Sichtweise findet sich auch in der Verfahrensordnung des G-BA (VerfO)[12] wieder. Darin heißt es:
„§ 2 Neue Methode
(1) Als „neue“ Untersuchungs- und Behandlungsmethode für Zwecke des § 135 Abs.1 Satz 1 SGB V können nur Leistungen gelten,
a) die nicht als abrechnungsfähige ärztliche oder zahnärztliche Leistungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) oder Bewertungsmaßstab (Bema) enthalten sind oder
b) die als Leistungen im EBM oder im Bema enthalten sind, deren Indikation oder deren Art der Erbringung, bei zahnärztlichen Leistungen einschließlich des zahnärztlichen Herstellungsverfahrens, aber wesentliche Änderungen oder Erweiterungen erfahren haben.
Der Künstlichen Intelligenz in Form von Deep-Learning Modellen mit Hilfe eines Algorithmus liegt ein theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde, das sie von anderen diagnostischen Verfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Untersuchung oder Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll. Sie stellt eine neue Untersuchungsmethode dar, da sie sich bewusst von den bisher in der vertragsärztlichen Versorgung angewandten Diagnostik- und Therapieverfahren abgrenzt und sich ihr diagnostischer bzw. therapeutischer Nutzen aus einer bisher nicht erprobten Wirkungsweise ergibt. Durch die Anwendung einer KI-basierten App erfährt die Befundung im Rahmen der radiologischen Diagnostik eine wesentliche Änderung und Erweiterung und stellt damit auch im formellen Sinn eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode dar, da sie in dieser Form noch nicht als abrechnungsfähige Leistung im EBM aufgeführt ist.
Ebenso wurde die Methode bisher noch nicht vom G-BA in dessen Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V aufgenommen. Maßgeblich ist die Richtlinie „Methoden vertragsärztlicher Versorgung“ vom 17.01.2006[13]. Gemäß § 1 Abs. 1 benennt die Richtlinie in der Anlage I nach Überprüfung gemäß § 135 Abs. 1 SGB V, die vom G-BA anerkannten ärztlichen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung und – soweit zur sachgerechten Anwendung der neuen Methode erforderlich – die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie die Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung und die erforderliche Aufzeichnung über die ärztliche Behandlung. Nach der Aufnahme einer Methode in die Anlage I der Richtlinie wird eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode durch den Bewertungsausschuss gemäß § 87 Abs. 2 SGB V in abrechenbare und punktzahlenmäßig bewertete Leistungen umgesetzt und schließlich in den EBM aufgenommen.
Die KI-basierte App ist derzeit weder Bestandteil von radiologischen Abrechnungspositionen im EBM, noch wurde sie als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode vom G-BA anerkannt und in dessen Richtlinien aufgenommen. Damit ist sie derzeit nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung und kann mithin – auch gegenüber GKV-Patienten – nur privatärztlich erbracht werden[14].
Der Beitrag wird im nächsten Heft fortgesetzt.
Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
Christiane Dieckmann
Rechtsanwältin
Rechtsanwälte Wigge
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48 151 Münster
Telefon: (0251) 53 595–0
Telefax: (0251) 53 595–99
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1 BSG, Urteil vom 9.12.1997, Az.: 9 RK 23/95 – juris – Rn. 13
2 Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2022, § 2 Rn. 68
3 Kircher in Becker/Kingreen, SGB V, 2022, § 33a Rn. 12
4 BSG, Urt. v. 25.11.2020, Az.: B 6 KA 14/19 R – juris – Rn. 18
5 BSG, Urt. v. 25.11.2020, Az.: B 6 KA 14/19 R – juris – Rn. 18
6 https://de.wikipedia.org/wiki/Medizinische_Untersuchung
7 BSG, Urt. v. 25.11.2020, Az.: B 6 KA 14/19 R – juris – Rn. 18
9 Kölner Kommentar zum EBM, 15. Stand: 01.01.2019, Rn. 24.2
10 BSG, Urt. v. 9.11.2006, Az.: B 10 KR 3/06 B – juris – Rn. 7; BSG, Urt. v. 30.1.2002, Az.: B 6 KA 73/00 R – juris – Rn. 24
11 Schmidt-De Caluwe in Becker/Kingreen, SGB V, 2020, § 135 Rn. 7
12 VerfO in der Fassung vom 18.12.2008, zuletzt geändert am 20.10.2022, BAnz AT 03.02.2023 B3, abrufbar unter: https://www.g-ba.de/richtlinien/42/
13 Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung in der Fassung vom 17.01.2006, zuletzt geändert am 22.10.2022, abrufbar unter: https://www.g-ba.de/richtlinien/7/
14 Zu IGeL-Leistungen in der Radiologie, vgl. Wigge, Dieckmann: Fortschr Röntgenstr 2022, 1162–1167
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
26. April 2023
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