CC BY-NC-ND 4.0 · Gesundheitswesen 2023; 85(11): 1010-1015
DOI: 10.1055/a-2035-9289
Originalarbeit

Haben Hausärzt*innen Erfahrungen mit Pflegestützpunkten? Eine berlinweite Fragebogenerhebung

Do General Practitioners have Experience with Social Care Points? A Berlin-Wide Survey
Judith Stumm
1   Institut für Allgemeinmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin, Humboldt- Universität zu Berlin, and Institute of Health, Berlin, Germany
,
Lisa Peter
1   Institut für Allgemeinmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin, Humboldt- Universität zu Berlin, and Institute of Health, Berlin, Germany
,
Lisa Kuempel
1   Institut für Allgemeinmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin, Humboldt- Universität zu Berlin, and Institute of Health, Berlin, Germany
,
Lara Regina Erdmann
1   Institut für Allgemeinmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin, Humboldt- Universität zu Berlin, and Institute of Health, Berlin, Germany
,
Marius Tibor Dierks
1   Institut für Allgemeinmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin, Humboldt- Universität zu Berlin, and Institute of Health, Berlin, Germany
,
Christoph Heintze
1   Institut für Allgemeinmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin, Humboldt- Universität zu Berlin, and Institute of Health, Berlin, Germany
,
Susanne Döpfmer
1   Institut für Allgemeinmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin, Humboldt- Universität zu Berlin, and Institute of Health, Berlin, Germany
› Author Affiliations
Funding Information Bundesministerium für Bildung und Forschung — http://dx.doi. org/10.13039/501100002347; 01GY1601
 

Zusammenfassung

In der hausärztlichen Versorgung multimorbider Patient*innen haben neben den medizinischen- auch soziale Beratungsanlässe eine große Bedeutung. Pflegestützpunkte stellen in Berlin ein etabliertes Angebot zur Beratung bei sozialen Anliegen auf Stadtbezirksebene dar. Im Rahmen einer berlinweiten Fragebogenerhebung wurde das Wissen von Hausärzt*innen über und die Erfahrungen mit Pflegestützpunkten exploriert. 700 Fragebögen wurden explorativ deskriptiv analysiert. Hausärzt*innen sind nur bedingt mit dem Angebot der Pflegestützpunkte vertraut (60% kaum oder gar nicht). 57% der Hausärzt*innen gaben an, dass sie bereits Kontakt mit einem Pflegestützpunkt hatten. Hausärzt*innen ohne bisherigen Pflegestützpunkt-Kontakt empfehlen ihren Patient*innen andere Beratungsstellen bei sozialen (76%) und bei pflegerischen Beratungsanlässen (79%). Eine große Mehrheit aller befragten Hausärzt*innen benennt weiteren Informationsbedarf zu Pflegestützpunkten.


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Abstract

Primary care for multimorbid patients involves social counseling in addition to medical care. Community care points are established institutions for social counseling at district level in Berlin. A Berlin-wide questionnaire survey examined primary care physicians' knowledge of and experience with community care points. 700 questionnaires were analysed exploratively and descriptively. General practitioners were only partially familiar with the services of community care points (60% barely or not at all). 57% of the general practitioners stated that they already had contact with community care points. General practitioners who had not yet had contact with a community care point recommended other advice centers for social (76%) and care-related advice (79%) to their patients. A majority of general practitioners expressed a wish to get more information about community care points.


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Einleitung

Der demografische Wandel einhergehend mit einer wachsenden Zahl multimorbider Patient*innen stellt Hausärzt*innen vor Herausforderungen [1] [2], wie zum Beispiel einen erhöhten Arbeitsaufwand durch häufigere Sprechstundenbesuche, Verordnungen, Überweisungen und Krankenhauseinweisungen und einen erhöhten Koordinationsbedarf [3]. Bei dieser Patient*innengruppe mit einem höheren Risiko für eingeschränkte funktionale Kapazitäten und Pflegebedürftigkeit [4] müssen häufig soziale Beratungsanlässe adressiert werden, wie Antragsstellung von Pflegegrad, Rehabilitationsmaßnahmen, Hilfsmitteln sowie die Erstellung einer Patient*innenverfügung [5] [6]. Studien zu sozialen Patient*innenanliegen in der Hausarztpraxis betonen vor allem die Zusammenarbeit mit institutionalisierten Unterstützungsangeboten als Möglichkeit, Hausarztpraxen zu entlasten [7] [8]. Die Informationsvermittlung zu und Vernetzung mit lokalen Institutionen und Akteur*innen wird sowohl durch Hausärzt*innen [5] [9] als auch von Patient*innen ausdrücklich gewünscht [10]. Bestehende Institutionen, wie bspw. der Pflegestützpunkt (PSP), scheinen derzeit in der Hausärzt*innenschaft jedoch weitestgehend unbekannt zu sein, und eine Zusammenarbeit erfolgt nur in geringem Maße [5] [9].

PSP stellen ein institutionalisiertes Unterstützungsangebot für soziale Anliegen dar. Sie wurden 2008 im Rahmen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes gegründet, mit dem Ziel, regionale Anlaufstellen zur Beratung rund um das Thema Pflege und Soziales zu schaffen. Zu ihren Aufgaben gehören unter anderem die Information und Beratung zur Inanspruchnahme von Sozialleistungen und Hilfsangeboten sowie die Koordinierung der wohnortnahen Versorgung von Patient*innen und ihren Angehörigen. PSP sind in den Bundesländern in unterschiedlichem Maße vertreten [11]; in Berlin gibt es drei je Stadtbezirk. Träger der Berliner PSP sind die Pflege- und Krankenkassen und das Land Berlin [12].

Die Bedeutung sozialer Unterstützung wurde im Zuge der Covid-19 Pandemie erneut verdeutlicht. [13].

Auch das international angewendete Konzept des „Social Prescribings“, welches es medizinischem Fachpersonal ermöglicht, Patient*innen mit sozialen Beratungsanlässen an verantwortliche Professionelle/Institutionen zu vermitteln [14] [15] lässt sich auf die Bedürfnisse von multimorbiden Patient*innen im hausärztlichen Setting bzw. im Rahmen der Vernetzung mit PSP übertragen.

Die hier vorgestellte Fragebogenerhebung ist einer Interventionsstudie zur Machbarkeit einer Kooperation zwischen Hausärzt*innen und PSP vorgeschaltet und findet im Rahmen des Projektes „COMPASS II“, einem Teilprojekt des BMBF-geförderten Verbundprojektes „NAVICARE – Patientenorientierte Versorgungsforschung“, statt.

Ziel der Fragebogenerhebung war es, den Bekanntheitsgrad von und die Erfahrungen mit PSP unter Berliner Hausärzt*innen zu explorieren.


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Methodik

Die Erhebung wurde im Oktober 2020 postalisch unter allen kassenärztlich tätigen Hausärzt*innen Berlins durchgeführt. Datengrundlage für die Kontaktliste war die Internetfunktion „KV-Arztsuche Berlin“ (https://www.kvberlin.de/60arztsuche/). Insgesamt wurden abzüglich Korrekturen (durch Dopplungen, nicht mehr existente Adressen etc.) 2410 Berliner Hausarztpraxen erreicht.

Der Fragebogen wurde in einem iterativen Prozess durch das Studienteam entwickelt und in einer Forschungswerkstatt des Instituts für Allgemeinmedizin der Charité mit Kolleg*innen interdisziplinär sowohl methodisch als auch thematisch diskutiert. Die im Fragebogen adressierten Themen wurden auf Basis der Ergebnisse der COMPASS I-Studie [5] [9] [16] und nach einer umfangreichen Literaturrecherche festgelegt. Ein Pretest wurde mit neun Hausärzt*innen aus dem Forschungspraxennetzwerk des Instituts für Allgemeinmedizin durchgeführt. Der Fragebogen musste daraufhin nicht angepasst werden.

Die erste Seite des Fragebogens bestand einleitend aus einem Informationskasten mit Definitionen zu den Begriffen „Soziale Beratungsanlässe“ und „Pflegestützpunkte“, um gleiche Wissensvoraussetzungen für alle Teilnehmer*innen zu gewährleisten. Der Fragebogen begann mit einer initialen Filterfrage, die mit Ja oder Nein zu beantworten war und zu einem von zwei Fragenblöcken leitete. Die beiden Frageblöcke enthielten 9 bzw. 11 offene bzw. geschlossene sowie globale Filterfragen. Je nach Frage wurden itemspezifische Antwortskalen verwendet.

Die finale Version des Fragebogens wurde in zwei Wellen versendet. Im Rahmen der ersten Welle konnten die Ärzt*innen über eine frankierte, getrennt abzuschickende Rückantwortkarte ankreuzen, ob sie an der Fragebogenstudie teilnehmen oder nicht. Diese Angaben wurden in der Versendung der Fragebögen in der zweiten Welle Ende November 2020 berücksichtigt, so dass kein(e) Ärzt*in den Fragebogen doppelt erhielt. Insgesamt wurden abzüglich Korrekturen (durch Dopplungen, nicht mehr existente Adressen etc.) 2410 Berliner Hausarztpraxen erreicht.

Die Fragebogeneingabe erfolgte händisch in das Statistik Programm IBM SPSS Statistics, Version 27. Im Rahmen der Plausibilitätskontrolle wurden fehlende Werte auf die Struktur ihres Auftretens untersucht [17]. Bei den fehlenden Werten handelte es sich nach Einschätzung der Forscher*innen um „missings at random“, die sich jeweils unter 5% der Gesamtstichprobe befanden. Diese wurden nicht ersetzt.

Die Analyse der Daten erfolgte zunächst deskriptiv univariat. Zusammenhänge zwischen Ärzt*innen- und Praxischarakteristika und einzelnen Variablen wurden darauf aufbauend bivariat mittels Chi-Quadrat-Tests exploriert. P-Werte sind aufgrund des explorativen Vorgehens orientierend zu bewerten. Die offenen Fragen, die mit einer Freitextangabe beantwortet werden konnten, wurden quantitativ inhaltsanalytisch ausgewertet. Antworten wurden anhand eines Kategorienschemas durch zwei Forscherinnen kodiert. Das Kategoriensystem wurde induktiv anhand des Textmaterials entwickelt.

Die Ergebnisse der Befragung wurden nach Beantwortung der Filter-Einstiegsfrage separat ausgewertet. Bei 20 Fällen entsprach der ausgefüllte Frageblock nicht der Beantwortung der Einstiegsfrage, oder umgekehrt. Hierfür wurde eine Regel erstellt, wonach die Beantwortung der Einstiegsfrage und die Beantwortung des entsprechenden Frageblocks angeglichen wurden. Die Regel wurde auf alle 20 Fälle angewendet. Die entsprechenden Fälle wurden mit einer „Inkongruenz-Variable“ kodiert und schließlich auf weitere Besonderheiten überprüft. Alle 20 Fälle sind schließlich in die Gesamtauswertung eingeflossen.

Ein positives Votum der Ethikkommission der Charité- Universitätsmedizin liegt vor (EA1/146/20).


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Ergebnisse

An der Befragung haben insgesamt 702 Hausärzt*innen teilgenommen (Rücklaufquote von 29,12%). Aus zwei Fragebögen ging hervor, dass es sich nicht um hausärztlich tätige Praxen handelte. 700 Fragebögen wurden schließlich in die Auswertung einbezogen.

[Tab. 1] beschreibt die soziodemografische Daten und Praxischarakteristika der Stichprobe.

Tab. 1 Soziodemografische Daten und Praxischarakteristika aller Befragten.

Median (Spannweite)

Alter

56 (32–89)

Prozentanteil

Geschlecht Weiblich

63%

Dauer Beschäftigung als Hausärzt*in

Weniger als 5 Jahre

19%

Zwischen 5 und 20 Jahren

47%

Länger als 20 Jahre

34%

Praxisart

Einzelpraxis

47%

Berufsausübungsgemeinschaft (BAG)/

Gemeinschaftspraxis (GP)

27%

Praxisgemeinschaft

12%

Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ)

14%

Beschäftigungsart

Angestellt

25%

Selbstständig niedergelassen

75%

Lage der Praxis

Innerstädtisch

61%

Stadtrand

39%

Alter, Geschlecht, Praxis- und Beschäftigungsart der Teilnehmer*innen entsprechen in etwa der Demografie der Hausärzt*innenschaft in Berlin [18].

Durch die initiale Filter-Frage „Hatten Sie selbst oder Ihre Patient*innen bzw. deren Angehörige jemals Kontakt mit einem PSP“ (im folgenden kurz PSP-Kontakt genannt) wurden die Befragten je nach Antwort (Ja/Nein) aufgefordert, Block A bzw. Block B zu beantworten.

57% der befragten Hausärzt*innen gaben an, PSP-Kontakt gehabt zu haben. Für 43% traf dies nicht zu.

Im Folgenden werden die Ergebnisse separat in Abhängigkeit von einem bereits stattgefundenen Kontakt (abhängig von der Beantwortung der Filterfrage) dargestellt.

Hausärzt*innen mit PSP-Kontakt

Unter denjenigen Hausärzt*innen, die bereits PSP-Kontakt hatten, finden sich eher selbständig Niedergelassene mit einer mittleren Tätigkeitsdauer und tendenziell solche mit einer Praxis am Stadtrand (s. [Tab. 2]).

Tab. 2 Soziodemografische Daten der Hausärzt*innen mit PSP-Kontakt.

Variable

Anzahl

Prozentanteil, derjenigen, die PSP-Kontakt hatten

p-Wert (Chi-Quadrat)

Geschlecht

Weiblich

431

60

0,039

Männlich

255

51

Anderes

1

Keine Angaben

13

Erfahrung

<5 Jahre

129

44,2

0,006

5–9 Jahre

115

65,2

10–14 Jahre

112

62,5

15–19 Jahre

97

52,6

20 und mehr Jahre

238

58,8

Keine Angaben

9

Art der Beschäftigung

0,051

Angestellt

166

50

Niedergelassen

510

58,6

Keine Angaben

24

Städtische Lage

0,099

Innerstädtisch

402

53,5

Stadtrand

260

60

Keine Angaben

38

Bezüglich des Alters unterschieden sich die Hausärzt*innen mit bzw. ohne PSP-Kontakt nicht voneinander (56 vs. 55.5 Jahre).

Diejenigen Hausärzt*innen, die bereits mit einem PSP in Kontakt waren, wurden zum Anliegen, Ablauf und Ergebnis der Beratung durch einen PSP befragt.

Über die Hälfte der befragten Hausärzt*innen mit PSP-Kontakt (56%) ist durch Flyer und Informationsbroschüren, und knapp 30% sind durch persönliche Vorstellung von PSP-Mitarbeiter*innen auf die Pflegestützpunkte aufmerksam geworden. Weiterhin haben sie über das Internet (25%) oder Empfehlungen durch das Fachkollegium (18%) von ihnen erfahren. Aus der Auswertung der Freitextantworten geht hervor, dass auch viele Hausärzt*innen durch ihre Patient*innen auf den Pflegestützpunkt aufmerksam geworden sind.

6% der Hausärzt*innen mit PSP-Kontakt sind sehr gut mit dem Angebot der PSP vertraut, 34% gut, 40% mittelmäßig und 20% kaum oder gar nicht.

Die Hälfte der befragten Hausärzt*innen mit PSP-Kontakt (50%) hat bereits selbst einmal einen Pflegestützpunkt wegen konkreter Beratungswünsche der Patient*innen kontaktiert, davon 20% häufig, 60% eher selten und 20% einmalig. Diese Beratungswünsche wurden größtenteils (86%) erfüllt.

93% der befragten Hausärzt*innen mit PSP-Kontakt gaben zudem an, dass eine(r) ihrer Patient*innen bereits durch einen Pflegestützpunkt beraten wurden. Diese Beratung haben 82% der Hausärzt*innen ihren Patient*innen selbst empfohlen. Zusätzlich, wenn auch zu einem geringeren Anteil, wurde die Beratung durch Angehörige oder durch die Patient*innen selbst initiiert.

Bei den Beratungsanlässen handelte sich dabei überwiegend um pflegerische Anliegen (88%). Weitere Anliegen waren: Soziale Beratungsanlässe (58%), Fragen zur Angehörigenbetreuung (55%) und organisatorische Anliegen (51%). In den Freitexten wurden konkretere Beratungsanliegen genannt, wie etwa die Vermittlung von Adressen pflegerischer Anlaufstellen, die Beratung zu Haushaltsführung und Alltagsmanagement, die Beratung zu Hilfsmitteln und zur Wohnraumanpassung sowie die Vermittlung von behindertengerechtem Wohnen. 68% der Hausärzt*innen haben von dem Beratungsergebnis erfahren, und zwar laut Freitextangaben vor allem durch die Angehörigen der Patient*innen oder den Patient*innen selbst. Entsprechend der Angaben einiger Hausärzt*innen erfuhren sie das Ergebnis der Beratung durch Mitarbeitende von Pflegediensten. Wenn Kommunikation mit den PSP erfolgte, dann per Post, E-Mail oder telefonisch.

In [Abb. 1] werden die Beratungs- und Koordinierungsleistungen, die sich Hausärzt*innen durch die PSP wünschen, dargestellt.

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Abb. 1 Wunsch nach PSP-Beratungs- und Koordinierungsangebot (Mehrfachauswahl möglich).

Im Freitext wurden Wünsche nach konkreten Beratungsleistungen durch die PSP erfragt. Darunter waren die Empfehlung/Vermittlung von anderen Angeboten und Strukturen (z. B. Demenz-WGs, Mittagstisch, Gesprächsrunden, Pflegeheime, Selbsthilfegruppen etc.) und die Kommunikation mit und die Rückmeldung (zu Beratungsergebnissen/Beratungsstand) an die Hausarztpraxen, sowie die Organisation der Versorgung (zum Beispiel Organisation zum Verbleib in der Häuslichkeit, Organisation Pflegeeinrichtung und Pflegedienst).


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Hausärzt*innen ohne PSP-Kontakt

Von den Hausärzt*innen ohne PSP-Kontakte gaben 65% an, schon einmal von einem Pflegestützpunkt gehört zu haben. Von diesen ist nur 1% sehr gut, 6% gut, 24% mittelmäßig, 41% kaum und 28% gar nicht mit dem Angebot der PSP vertraut. Knapp 80% dieser Hausärzt*innen möchte gerne mehr über das Angebot erfahren. Für eine Nutzung der PSP werden mehr Informationen zu ihrem Angebot (87%), persönliche Ansprechpartner*innen (31%), eine bessere Kommunikation (14%) und eine bessere Erreichbarkeit (10%) angeregt.

Hausärzt*innen, die noch keinen PSP-Kontakt hatten, empfehlen ihren Patient*innen andere Beratungsstellen (siehe [Abb. 2]).

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Abb. 2 Empfehlung anderer Beratungsstellen (Mehrfachauswahl möglich).

In Freitextangaben wurden ergänzend Wohlfahrtsverbände und Hilfsorganisationen genannt, wie beispielsweise die Caritas-Beratungsstelle und die Arbeiterwohlfahrt Berlin.


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Diskussion

Über die Hälfte der befragten Hausärzt*innen hatte bereits PSP-Kontakt. Der angegebene PSP-Kontakt bedeutet jedoch nicht, dass diese Hausärzt*innen über einen breiten Wissenstand zum Angebot der PSP verfügen.

In vorangegangenen Studien beschreiben Berliner Hausärzt*innen – aufgrund der vielen sozialen Beratungsanliegen ihrer Patient*innen- einen großen Informationsbedarf zu sozialen Angeboten im Stadtbezirk [9] [11] [16]. Nach Wissensstand der Autor*innen gab es bisher jedoch noch keine Befragungen zum Bekanntheitsgrad von Pflegestützpunkten in der Hausärzt*innenschaft. Die hier vorgelegte Studie zeigt neben der Benennung des Kenntnisstandes auch einige Gründe auf, warum PSP von Hausärzt*innen bisher nicht umfänglich bekannt sind oder genutzt werden.

Während von einem Teil der Hausärzt*innenschaft vielfältige Wege benannt werden, wie sie von PSP und ihren Angeboten erfahren haben, erreichen diese Informationen einen erheblichen Teil der Hausärzt*innenschaft nicht. Weitere mögliche Methoden der Disseminierung und des Informationsaustausches gilt es daher zu entwickeln und zu erproben.

Des Weiteren überrascht, dass nur etwa zwei Drittel der befragten Hausärzt*innen vom Beratungsergebnis erfahren, nachdem eine(r) ihrer Patient*innen beim Pflegestützpunkt war, und zwar meistens von den Patient*innen selbst oder deren Angehörigen. Eine mögliche Lösung stellt die vereinheitlichte Rückmeldung durch die PSP zur stattgefundenen Beratung an die Hausarztpraxen dar. Dies wird im Rahmen der aufbauenden Interventionsstudie des COMPASS II-Projektes erprobt und untersucht (https://navicare.berlin/de/forschung/compass/).

Dieses Antwortmuster der Befragung legt nahe, dass der Begriff „Pflegestützpunkte“ Unklarheiten bezogen auf Zuständigkeiten und ihr Beratungsspektrum auslöst und die Abgrenzung zu lokalen Pflegediensten nicht immer klar ist. Auch dies könnte ein Grund dafür sein, dass PSP, obwohl sie bereits seit einem längeren Zeitraum etabliert sind, kaum durch Hausärzt*innen genutzt werden. Ergebnisse des vorangegangenen COMPASS I-Projektes konnten ebenso anhand von Fokusgruppen zeigen, dass das Leistungsangebot und die Verantwortungsbereiche einzelner sozialer und pflegerischer Einrichtungen verwechselt wurden. Die Namensähnlichkeiten verschiedener Angebote könnte aus Sicht der Autor*innen zu diesem Missverständnis beitragen. (z. B. PSP und Pflegestation bzw. Sozialstation) [9]. Diese Verwechslung der Begrifflichkeiten durch die Hausärzt*innen wird in dieser Fragebogenerhebung auch in der Benennung der Einrichtungen in den Freitexten vermutet. Demnach wurde das Ergebnis der PSP-Beratung neben vor allem Patient*innen und Angehörigen zusätzlich durch Pflegedienste vermittelt. Die Vermittlung des PSP-Beratungsergebnisses durch den Pflegedienst erscheint den Autor*innen an dieser Stelle eher unpassend zu sein. Dieses Phänomen der Verwechslung wurde auch in der Befragung mit Berliner Passant*innen von Kollak et al. 2012 konstatiert [19]. Diese Studie zeigte weiterhin, dass PSP auch in der Bevölkerung kaum bekannt sind [19]. Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) zeigt, dass nur 25% der Befragten wohnortnahe, auf das Thema Pflege spezialisierte Beratungsstellen kennen. Nur 8% dieser Befragten gaben an, einen Pflegestützpunkte zu kennen [20]. Dieser geringe Bekanntheitsgrad ist vermutlich ein Grund dafür, dass Patient*innen aktuell neben der Informationsvermittlung durch Internet, Zeitungen und ihren Krankenkassen, vermehrt ihre Hausärzt*innen bei sozialen und pflegerischen Anliegen adressieren [19]. Auch in anderen Bundesländern scheint der Bedarf der Weiterentwicklung von Transparenz, Vernetzung und Koordination des Angebotes der Pflegestützpunktes groß zu sein [21].

Eine Vernetzung zwischen Hausärzt*innen und PSP kann nicht nur das Team der Hausarztpraxen entlasten, sondern vermutlich die Versorgung multimorbider Patient*innen verbessern. Der/die Hausärzt*in kann soziale Beratungsanlässe der Patient*innen identifizieren und eine Empfehlung zur Beratung durch einen PSP aussprechen oder die Patient*innen dorthin übermitteln.

Laut Pohontsch et al. (2021) ist aus Sicht von Patient*innen die Koordination der Versorgung durch den/die behandelnde(n) Hausärzt*in ein wichtiger Pfeiler in der Versorgung multimorbider Patient*innen. Die Patient*innen können sich ihrem/ihrer Hausärzt*in anvertrauen, und diese erkennen im Rahmen eines ganzheitlichen Blickes auf die Patient*innen die Notwendigkeit der Inanspruchnahme weiterer Hilfsangebote [22]. Hierfür gilt es, Strukturen einer besseren Vernetzung und Kommunikation zwischen Hausarztpraxen und PSP im Stadtbezirk zu schaffen, die sowohl langfristig und nachhaltig für die Versorger*innen als auch niedrigschwellig für die Patient*innen nutzbar bleiben.

Die hohe Teilnahmebereitschaft der angeschriebenen Ärzt*innen lässt schließlich ein großes Interesse an dem Thema in der Berliner Hausärzt*innenschaft annehmen. Es ist zu erwarten, dass allein durch die Versendung der Befragung die Berliner Hausärzt*innen auf die PSP aufmerksam gemacht wurden.

Zum Abschluss des Projektes wird eine Handreichung erstellt, anhand derer sich sowohl Hausärzt*innen als auch Pflegestützpunkt-Mitarbeiter*innen über die Möglichkeiten und Best-Practice-Empfehlungen für eine Kooperation informieren können. Es wäre interessant, die Beteiligten nach einem Zeitintervall von ein bis zwei Jahren erneut nach ihren Erfahrungen zu befragen.

Stärken und Limitationen

Eine Stärke der Untersuchung zeigt sich in dem verhältnismäßig hohen Rücklauf, insbesondere unter Berücksichtigung des Befragungszeitraums zu Beginn der Covid-19 Pandemie. Erwähnt werden sollte jedoch auch, dass die Fragebogenergebnisse sich nur bedingt auf andere Bundesländer übertragen lassen, wenngleich in anderen Regionen ähnliche Ergebnisse vorstellbar sind.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung

Die Autor*innen danken allen engagierten Hausärzt*innen für ihre Teilnahme an der der Fragebogenerhebung. Weiterhin gilt der Dank dem gesamten NAVICARE Forschungsverbund für die Zusammenarbeit und den regelmäßigen Austausch sowie dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für die Förderung dieses Forschungsvorhabens.


Korrespondenzadresse

Judith Stumm
Charite Universitatsmedizin Berlin
Institut für Allgemeinmedizin
Chariteplatz 1
10117 Berlin
Germany   

Publication History

Article published online:
07 April 2023

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Abb. 1 Wunsch nach PSP-Beratungs- und Koordinierungsangebot (Mehrfachauswahl möglich).
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Abb. 2 Empfehlung anderer Beratungsstellen (Mehrfachauswahl möglich).