2 Diagnostik
2.1 Allgemeine Anamneseinhalte
Eine ausführliche Anamnese ist wesentlicher Bestandteil der initialen Diagnostik.
In [Tab. 1 ] werden orientierend diejenigen Punkte dargestellt, welche inhaltlich in einem Anamnesegespräch
nach Meinung der Leitliniengruppe vorkommen bzw. abgefragt werden sollen. An erster
Stelle wird in der NVL die Frage nach einer Exposition gegenüber Tabakrauch und anderen
Risikofaktoren gestellt.
Tab. 1
Anamnese (modifiziert nach [3 ]).
Anamneseinhalte
Exposition gegenüber
Beschwerden (Wann bestehen Symptome wie Atemnot, Husten und Auswurf?)
Häufigkeit von Exazerbationen mit und ohne Krankenhausaufenthalt[1 ]
Arbeitsanamnese, einschließlich Schadstoffexpositionen
Lungenkrankheiten in der Familienanamnese (inklusive Suchtanamnese)
Frühgeborene
Infekte in der Kindheit
Angaben über Asthma, Allergien und andere Lungen- sowie HNO-Erkrankungen
Komorbiditäten (siehe Tabelle 8 in der NVL-Langfassung)
B-Symptomatik (Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust)
gegenwärtige Medikation
Körperliche Aktivität
1 Für eine strukturierte Erfassung der Exazerbationen kann der MEP-Fragebogen (Monitoring
of Exacerbation Probability) [4] herangezogen werden. Nähere Angaben hierzu finden
sich im Kapitel 2.7 Strukturierte Symptomerfassung der NVL COPD.
Weiterführende Informationen zur Erfassung der häufig vorkommenden Symptome Husten,
Auswurf und/oder Atemnot werden in der NVL-Langfassung im Kapitel 2.7 Strukturierte
Symptomerfassung dargestellt (https://www.leitlinien.de/themen/copd ).
2.1.1 Zusätzliche Anamnese für rauchende Patient*innen mit COPD
Der in [Abb. 1 ] (modifiziert nach [5 ]
[6 ]) dargestellte Fragebogen ist ein Vorschlag der Leitliniengruppe für eine strukturierte
und ausführliche Anamnese zum aktuellen Rauchverhalten für rauchende Patient*innen
mit COPD. Dieser kann im Wartezimmer ausgelegt und bereits vor der ärztlichen Konsultation
selbstständig von Patient*innen ausgefüllt werden.
Abb. 1 Fragebogen für rauchende Patient*innen mit COPD. Abrufbar unter www.leitlinien.de/themen/copd/weitere-dokumente [rerif].
2.1.2 Risikofaktoren
Die bedeutendste Ursache einer COPD ist die Exposition gegenüber Tabakrauch über mehrere
Jahre. Weitere Risikofaktoren sind in [Tab. 2 ] aufgeführt.
Tab. 2
Risikofaktoren für die Entwicklung einer COPD (modifiziert nach [3 ]).
Exogene Faktoren
Genuine Faktoren
Inhalativer Tabakkonsum (auch passiv)
Inhalativer Konsum alternativer Tabakprodukte (wie Wasserpfeife, Tabakerhitzer, E-Zigaretten)
Berufsbedingte inhalative Noxen
Umweltnoxen (Biomassenexposition, Luftverunreinigung)
Intrauterine und frühkindliche Einwirkungen
Atemwegsinfektionen (in der Kindheit)
Tuberkulose
Sozioökonomischer Status
Genetische Prädisposition (z. B. Alpha-1-Protease-Inhibitor-Mangel)
Bronchiale Hyperreaktivität (Asthma)
Störungen des Lungenwachstums
In den letzten Jahren nahm das Angebot alternativer Tabakprodukte zu. Da diese Produkte
Feinstaub und andere Emissionen freisetzen – und der Zusammenhang zwischen Feinstaub
und der möglichen Entwicklung einer COPD bereits in der breiten Literatur belegt werden
konnte –, wurden auch Alternativen zu klassischen Tabakprodukten als potenzielle Risikofaktoren
zusätzlich in die [Tab. 2 ] aufgenommen (siehe auch Abschnitt 3.3 E-Zigaretten ).
Weiterführende Informationen
Dieser Abschnitt ist ein Auszug aus dem Kapitel 2 Diagnostik und Monitoring der NVL
COPD. Ausführliche Informationen zur Diagnostik einer COPD finden sich in der Langfassung
unter https://www.leitlinien.de/themen/copd/2-auflage/kapitel-2 .
2.2 Tabakabhängigkeit
Empfehlungen/Statements
Empfehlungsgrad
Bei rauchenden Patient*innen mit COPD soll der Fagerströmtest (FTCD) zur weiterführenden
Diagnostik eingesetzt werden, wenn es für die Therapie relevant ist, die Stärke der
Zigarettenabhängigkeit einzuschätzen.
↑↑
Evidenzbasis
Die Empfehlung basiert auf einem Expert*innenkonsens und wurde mit der S3-Leitlinie
„Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung“ [6 ] abgestimmt.
Erwägungen, die die Empfehlung begründen
Tabakabhängigkeit ist eine häufige Komorbidität bei Patient*innen mit COPD – so werden
bspw. im Qualitätsbericht 2017 des DMP Nordrhein [7 ] 38 % der eingeschriebenen Patient*innen als Raucher*innen dokumentiert. Auch die
Angaben der DACCORD-Studie [8 ] zum Baseline-Rauchstatus der Gesamtpopulation zeigen, dass in dieser Gruppe zu Beginn
der Studie 38,3 % (n = 2271) der Patient*innen mit COPD aktiv rauchten. Eine valide
Erfassung der Rauchgewohnheiten ist daher zentral für die Therapieplanung (siehe auch
Abschnitt 3 Tabakentwöhnung ).
Die S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit“ [6 ] beschreibt die Reliabilität des Fagerströmtests (Fagerström Test for Cigarette Dependence;
FTCD; deutsch: Fagerström Test für Zigarettenabhängigkeit; FTZA) als gut belegt, für
die Validität lägen einzelne, z. T. widersprüchliche Studien vor. Der FTCD sei – neben
anderen quantitativen Instrumenten – ein gutes Screeninginstrument für die Erfassung
der Tabakabhängigkeit bei täglichen Tabakkonsumenten; er scheint jedoch bei Raucher*innen
mit geringerer Abhängigkeit etwas reliabler zu sein. Der Fagerströmtest ist im deutschsprachigen
Raum das einzige validierte Instrument zur Diagnostik der Tabakabhängigkeit [6 ]. Dieser psychometrische Test besteht aus 6 Fragen zum Rauchverhalten und ermöglicht
die Einschätzung der Stärke der Zigarettenabhängigkeit.
Rationale
Bei rauchenden Patient*innen mit COPD ist Verzicht auf Tabakkonsum ein zentrales Therapiekonzept.
Da Tabakabhängigkeit einer besonderen und gezielten Behandlung bedarf, ist deren Erfassung
essenziell für die Therapieplanung. Mit dem Fagerströmtest liegt ein niederschwellig
einsetzbarer, validierter Test vor. Aus diesem Grund spricht die Leitliniengruppe
– basierend auf der Empfehlung der S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening,
Diagnostik und Behandlung“ [6 ] – konsensbasiert eine starke Empfehlung aus.
Vertiefende Informationen: Objektive Messung des Tabakkonsums
Dieser Abschnitt beruht auf den Inhalten der S3-Leitlinie „Tabakentwöhnung bei COPD“
[5 ]. Die Leitliniengruppe schätzt die dort beschriebenen Sachverhalte als weiterhin
gültig ein.
Objektive Messverfahren stellen eine Handlungsoption dar, wenn Zweifel an den Selbstauskünften
des/der Patient*in hinsichtlich des Rauchverhaltens bzw. einer Tabakabstinenz nach
Tabakentwöhnungsversuch bestehen. Entsprechende Tests bedürfen der aktiven Zustimmung
der Patienten*innen. Als Messverfahren stehen biochemische Marker wie die Nikotin-Plasma-Konzentration,
die Thiozyanat-Konzentration (mit geringer Spezifität bei niedrigem Tabakkonsum) sowie
der Cotinin-Spiegel im Serum, Speichel und Urin zur Verfügung.
Kohlenmonoxid (CO) kann sowohl mit Geräten in der Ausatemluft als auch durch kapilläre
Blutgasanalysen bestimmt werden. Da letztere im Rahmen der pneumologischen Diagnostik
oft durchgeführt werden, besteht die Möglichkeit, das Kohlenmonoxid im Hämoglobin
direkt mit zu erfassen.
Ein CO-Wert ≥ 10 ppm gilt hierbei als Indikator für Tabakrauchen [9 ].
3 Tabakentwöhnung
Das Kapitel Tabakentwöhnung bei COPD wurde in enger Zusammenarbeit mit den Leitliniengruppen
der S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V.
Tabakentwöhnung bei COPD [5 ] sowie der S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und
Behandlung“ [6 ] erarbeitet.
3.1 Therapieziel
Empfehlungen/Statements
Empfehlungsgrad
Eine relevante Verbesserung der COPD kann nur mit totaler Abstinenz erreicht werden.
Deshalb soll rauchenden Patient*innen mit COPD dringend die vollständige und dauerhafte
Abstinenz empfohlen werden.
↑↑
Evidenzbasis
Die Empfehlung stellt einen Expert*innenkonsens dar und beruht auf der klinischen
Erfahrung der Leitliniengruppe.
Erwägungen, die die Empfehlung begründen
In einer selektiv eingebrachten Sekundärdatenanalyse der NHLBI-Kohorte (National Heart
Lung and Blood Institute) [10 ] wurden die Effekte des Rauchens auf die Lungenfunktion untersucht. 25 352 Teilnehmer*innen
mit mindestens zwei spirometrischen Untersuchungen im Verlauf (medianer Follow-up:
7 Jahre) wurden hierbei analysiert.
Die FEV1 -Abnahme bei Raucher*innen, welche weniger als 5 Zigaretten pro Tag rauchten (niedrige
Intensität), betrug dennoch 7,65 ml pro Jahr (95 %-KI 6,21; 9,09), die Verringerung
der FEV1 bei Raucher*innen, welche mindestens 30 Zigaretten pro Tag konsumierten, lag bei
11,24 ml/Jahr (95 %-KI 9,86; 12,62). Bei ehemaligen Raucher*innen wurde hingegen eine
FEV1 -Abnahme von 1,57 ml im Jahr beobachtet (95 %-KI 1,00; 2,14). Die Autor*innen dieser
Analyse schlussfolgern daraus, dass möglicherweise alle Intensitäten des Tabakkonsums
mit einer dauerhaften und progressiven Lungenschädigung assoziiert sind. [10 ]
Für den fehlenden positiven Effekt der Tabakreduktion werden insbesondere Kompensationsmechanismen
angenommen, bei denen ein verändertes Rauchverhalten (tiefere und längere Inhalation)
den Effekt der geringeren Anzahl an inhalierten Zigaretten aufwiegt [5 ]. Dementsprechend ist eine Verbesserung der Lungenfunktion nicht zu erwarten, wenn
der Tabakkonsum lediglich reduziert wird [5 ] nach [11 ]
[12 ]
[13 ].
Rationale
Die Leitliniengruppe spricht konsensbasiert eine starke Empfehlung aus, um die Relevanz
der totalen Abstinenz als Therapieziel der Tabakentwöhnung zu unterstreichen und weil
Tabakabstinenz auch in Bezug auf allgemeine Gesundheitsparameter einen zu erwartenden
Nutzen hat. Um dem Risiko der Stigmatisierung und der Frustration bei Nicht-Erreichen
dieses Therapieziels bestmöglich entgegenzuwirken, ist die nicht-direktive und wertschätzende
Unterstützung der Patient*innen durch die behandelnden Ärzt*innen von großer Bedeutung.
Patienteninformation
Zur Unterstützung der Aufklärung und Beratung der Patient*innen wurde das Patientenblatt
„Warum Rauchstopp wichtig ist“ (https://www.patienten-information.de/patientenblaetter/copd-rauchstopp ) entwickelt.
3.2 Algorithmus zur Tabakentwöhnung
Empfehlungen/Statements
Empfehlungsgrad
Bei allen rauchenden Patient*innen mit COPD soll gemäß dem Algorithmus in [Abb. 2 ] vorgegangen werden.
↑↑
Abb. 2 Algorithmus Tabakentwöhnung (modifiziert nach [5 ]) [rerif].
Evidenzbasis
Die Empfehlung basiert auf einem Expert*innenkonsens sowie auf einer systematischen
Recherche zu Interventionen der Tabakentwöhnung bei COPD. Für einzelne Interventionen
wurde auf die systematischen Recherchen anderer S3-Leitlinien zurückgegriffen. Die
Darstellung der Evidenz sowie der Rationalen zu den einzelnen Interventionen erfolgt
in den jeweils zugehörigen Abschnitten des Kapitels.
Hinweise
Für die Diagnose einer Tabakabhängigkeit bei rauchenden Patient*innen mit COPD wird
auf die Anwendung des Fagerströmtests verwiesen (siehe Abschnitt 2.2 Tabakabhängigkeit ).
In der aktuellen NVL COPD wird zudem betont, dass eine Therapie zur Tabakentwöhnung
nicht nur zur Tabakentwöhnung motivierten Patient*innen mit COPD, sondern auch Patient*innen
ohne Entwöhnungswunsch anzubieten ist.
3.2.1 Dokumentation der Rauchgewohnheiten
Die Autor*innen der S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik
und Behandlung“ [6 ] gehen davon aus, dass eine systematische Erfassung des Tabakkonsums die Interventionsraten
verbessert (OR 3,1 (95 %-KI 2,2; 4,2); zitiert nach [6 ]), wobei bereits die Erfassung der Anamnese zu einer Erhöhung der Anzahl der erfolgreich
entwöhnten Patient*innen führt [6 ]. Hinweise zur Umsetzung einer Kurzanamnese zur Abfrage der Rauchgewohnheiten finden
sich im Abschnitt 2.1 Allgemeine Anamneseinhalte . Dort steht eine praktikable Kurzabfrage zum aktuellen Rauchverhalten im allgemeinmedizinischen
Setting zur Verfügung. Darüber hinaus wurde auch ein ausführlicher und detaillierter
Fragebogen speziell für rauchende Patient*innen mit COPD (siehe [Abb. 1 ]) entwickelt, welcher für eine umfassende Dokumentation herangezogen werden kann.
Dieser kann im Wartezimmer ausgelegt und bereits vor der ärztlichen Konsultation von
den Patient*innen ausgefüllt werden.
3.2.2 Kurzberatung und motivierende Gesprächsführung
Die S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung“
[6 ] beschreibt die Kurzberatung als eine i. d. R. in Arztpraxen oder anderen Settings
der medizinischen oder psychosozialen Versorgung durchgeführte Intervention mit einer
Dauer von etwa 1–2 Minuten bis zu 20 Minuten in einer Beratungseinheit. Meist werden
die Patient*innen zunächst allgemein auf das Rauchen angesprochen, Risiken werden
dargestellt und eine Empfehlung zum vollständigen Rauchstopp ausgesprochen. Die S3-Leitlinie
weist auf Basis systematischer Recherchen darauf hin, dass eine Ansprache von Raucher*innen
in einer Kurzberatung wirkungsvoller ist als überhaupt keine Ansprache (ärztliche
Kurzberatung vs. keine Beratung oder Usual Care: RR 1,66 (95 %-KI 1,42; 1,94); 17
Studien, n = 13 724, zitiert nach [6 ]). Zudem scheint ein Schadenspotenzial durch die Intervention nicht plausibel.
Zur inhaltlichen Ausgestaltung der Kurzberatung stehen verschiedene Konzepte zur Verfügung.
5As: Fiore et al. [14 ] schlagen bspw. 5 Schritte vor, die sich ins Deutsche übersetzt auch in der S3-Leitlinie
„Rauchen und Tabakabhängigkeit“ wiederfinden [6 ].
A bfragen des Rauchstatus („ask“): alle Patient*innen zum Rauchen befragen und den Rauchstatus
dokumentieren;
A nraten des Rauchverzichts („advise“): individuelle und motivierende Empfehlung zum
Rauchstopp geben;
A nsprechen der Aufhörmotivation („assess“): erfassen, ob die/der Rauchende bereit ist,
das Rauchverhalten zu ändern;
A ssistieren beim Rauchverzicht („assist“): Raucher*innen, die aufhören wollen, qualifiziert
unterstützen oder an ein anerkanntes Entwöhnungsangebot weiterleiten;
A rrangieren von Folgekontakten („arrange“). [14 ]
Das ABC-Modell von Robbie et al. [15 ] beinhaltet 3 Schritte, die ebenfalls in der S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit“
aufgeführt wurden [6 ]:
A sk (Abfragen des Rauchstatus, Dokumentation);
B rief advice or intervention (Individuelle und motivierende Empfehlung zum Rauchstopp)
und
C essation support (qualifizierte Unterstützung bei Aufhörwunsch, Weiterleitung an ein
anerkanntes Entwöhnungsangebot). [15 ]
Aufgrund des geringen zeitlichen Aufwandes einer Kurzberatung empfiehlt die Leitliniengruppe
analog der S3-Leitlinie [6 ] diese Form der Ansprache bevorzugt und flächendeckend für alle Settings (siehe [Abb. 2 ]), ohne jedoch speziell ein einzelnes Konzept hervorzuheben.
Motivierende Gesprächsführung ist eine zusätzliche Option bei Raucher*innen [6 ], deren Motivation, mit dem Rauchen aufzuhören, gering ist. Hier besteht das Ziel
darin, die intrinsische Motivation zur Verhaltensänderung aufzubauen. Das Konzept
basiert auf einem non-direktiven, klientenzentrierten Ansatz der Gesprächsführung.
Die Rauchenden werden nicht von außen zum Rauchstopp motiviert oder gedrängt, sondern
entwickeln im gemeinsamen Gespräch durch wertfreie und zieloffene Abwägung der Vor-
und Nachteile des Rauchens selber eine zunehmende Änderungsmotivation. [5 ]
3.2.3 Therapie zur Tabakentwöhnung
Empfehlungen/Statements
Empfehlungsgrad
Eine Therapie zur Tabakentwöhnung soll
angeboten werden.
↑↑
Evidenzbasis
Die Empfehlung basiert auf einem Expert*innenkonsens sowie indirekt auf der Evidenz
zur Wirksamkeit der Therapiemaßnahmen zur Tabakentwöhnung.
Rationale
Tabakabhängigkeit ist eine häufige Komorbidität bei Patient*innen mit COPD (siehe
Abschnitt 2.2 Tabakabhängigkeit ) und hat einen negativen Effekt auf den Verlauf der Erkrankung. Das Angebot einer
Entwöhnungsbehandlung zeigt allen Patient*innen eine konkrete Handlungsoption auf.
Da Evidenz für den Nutzen solcher Therapieangebote vorliegt (siehe nächste Empfehlung),
geht die Leitliniengruppe davon aus, dass ein Therapieangebot allen Patient*innen
mit COPD nutzen kann und kein relevantes Schadenspotenzial hat. Deshalb spricht sie
konsensbasiert eine starke Empfehlung aus. Dabei beziehen sich Empfehlung und Empfehlungsstärke
ausschließlich auf das Angebot der Therapie. In jedem Fall ist eine wertschätzende
Kommunikation die Basis für ein solches Angebot. Dieses Angebot darf im Sinne der
Empfehlung nicht zur Folge haben, weiterhin nicht aufhörbereite Patient*innen zu stigmatisieren
(siehe Abschnitt 3.1 Therapieziel ).
Empfehlungen/Statements
Empfehlungsgrad
Bei entwöhnungsbereiten Patient*innen mit COPD soll eine kombinierte Therapie mit
Verhaltenstherapie und medikamentöser Entzugssyndrombehandlung nachdrücklich empfohlen
und angeboten werden.
↑↑
Evidenzbasis
Diese Empfehlung basiert auf einer systematischen Recherche und der klinischen Erfahrung
der Leitliniengruppe.
Evidenzbeschreibung
Ein in der Recherche identifizierter Cochrane-Review [16 ] untersuchte die Wirksamkeit verhaltensbezogener und/oder pharmakologischer Maßnahmen
zur Raucherentwöhnung bei rauchenden Patient*innen mit COPD. Als primärer Endpunkt
wurde der prozentuale Anteil der Teilnehmer*innen erfasst, welcher dauerhaft oder
über einen längeren Zeitraum (≥ 6 Monate) abstinent war.
Wurde eine verhaltenstherapeutische Intervention mit einer üblichen medizinischen
Versorgung (care as usual) verglichen, so zeigte sich eine prolongierte Abstinenz
nach 6 Monaten zu Gunsten der Verhaltenstherapie (44/1000 vs. 2/1000; RR 25,38 [95 %-KI
8,03; 80,22]; 1 RCT, n = 3562, Evidenzqualität moderat). Eine hochintensive verhaltenstherapeutische
Maßnahme resultierte in verbesserten Abstinenzraten nach 6 Monaten im Vergleich zu
Verhaltenstherapien mit niedriger Intensität (17/42 vs. 8/43; RR 2,18 [95 %-KI 1,05;
4,49]; 1 RCT, n = 85, Verzerrungsrisiko [RoB] 4 × niedrig/1 × hoch/2 × unklar).
Wenn eine Nikotinersatztherapie gegen Placebo untersucht wurde, so zeigte sich eine
Risk Ratio von 2,6 nach 12 Monaten ([95 %-KI 1,29; 5,24]; 1 RCT, n = 370, Evidenzqualität
hoch). Ähnliche Aussagen konnten zum Vergleich Nortriptylin vs. Placebo nach 6 Monaten
hinsichtlich der längeren Abstinenz abgeleitet werden (RR 2,54 [95 %-KI 0,87, 7,44];
1 RCT, n = 100; Evidenzqualität niedrig). Vareniclin zeigt nach 12 Monaten ebenfalls
eine Verbesserung der prolongierten Abstinenz (RR 3,34 [95 %-KI 1,88; 5,92]; 1 RCT,
n = 504; Evidenzqualität hoch). Für Bupropion vs. Placebo nach 6 Monaten ergab sich
eine RR von 2,03 ([95 % KI 1,26; 3,28]; 2 RCTs, n = 503, Evidenzqualität moderat).
Verglich man die Kombination aus verhaltenstherapeutischen Maßnahmen und pharmakologischen
Verfahren im Allgemeinen gegen Placebo und Verhaltenstherapie, konnte eine verlängerte
Abstinenz nach 6–12 Monaten dargestellt werden (168/1000 vs. 66/1000; RR 2,53 [95 %-KI
1,83; 3,50]; I² = 0 %, 4 RCTs, n = 1429, Evidenzqualität hoch).
Aufgrund klinischer und statistischer Heterogenität zwischen den Studien konnte keine
Metaanalyse für eine Kombination aus Verhaltenstherapie und pharmakologischer Verfahren
gegenüber anderen Kombinationen bzw. Usual Care durchgeführt werden. Alle Einzelstudien
ergaben jedoch höhere Effekte hinsichtlich einer dauerhaften Abstinenz zu Gunsten
der Kombinationstherapie (individuelle Risk Ratios der Einzelstudien: RR 4,10 [95 %-KI
3,36; 5,00]; RR 2,22 [95 %-KI 1,06; 4,68]; RR 1,91 [95 %-KI 0,65; 5,61]; RR nicht
beurteilbar).
Eine in Zusammenarbeit mit der Cochrane Airways Group durchgeführte systematische
Update-Recherche ergab zwei zusätzliche RCTs [17 ]
[18 ], welche die Aussagen des Cochrane-Reviews [16 ] stützen.
Sicherheit
An dieser Stelle weist die Leitliniengruppe explizit auf mögliche Nebenwirkungen bei
der Therapie mit Bupropion entsprechend der S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit:
Screening, Diagnostik und Behandlung“ hin [6 ]: Möglicherweise besteht ein Risiko für neurologische und der Verdacht auf schwerwiegende
neuropsychiatrische Nebenwirkungen. Für Letzteres besteht eine unsichere Evidenz auf
Basis von Melderegistern (FDA). Die Wertigkeit dieser Melderegister ist für den speziellen
Fall des Nikotinentzugs stark eingeschränkt, da der Entzug selbst mit neuropsychiatrischen
Symptomen einhergeht wie z. B. dysphorische und depressive Stimmung, Angst, Anhedonie,
Reizbarkeit, Ruhelosigkeit, Insomnie, Appetitsteigerung, Antriebsverlust und Konzentrationsschwierigkeiten.
Auch der systematische Vergleich mit Placebo fehlt generell bei der Auswertung von
Melderegistern [6 ].
Rationale
Die Evidenzqualität für die Wirksamkeit der Kombinationstherapie wird als hoch eingeschätzt.
Die Leitliniengruppe hält die Evidenz für belastbar und sieht die Hinweise für die
Überlegenheit einer Kombinationsbehandlung für Patient*innen mit COPD als ausreichend
an. Dies ist auch mit der besonderen Situation und dem potenziellen Suchtdruck von
rauchenden Patient*innen mit COPD erklärbar. Gleichzeitig ist bei einer Nicht-Behandlung
der Tabakabhängigkeit von fortschreitender Verschlechterung der COPD auszugehen. Deshalb
spricht sie eine starke Empfehlung zugunsten eines kombinierten Therapieangebots mit
verhaltenstherapeutischen und medikamentösen Maßnahmen aus, weil sie nach Einschätzung
der Evidenz davon ausgeht, dass die Kombination wirksamer ist. Dabei konkretisiert
sie nicht bezüglich der medikamentösen Maßnahmen, da für alle Interventionen Hinweise
auf Nutzen mit überwiegend hoher bis moderater Evidenzqualität identifiziert werden
konnten und sich die Indikation auch nach dem jeweiligen Nebenwirkungsprofil richtet.
Weiterführende Empfehlungen zu spezifischen Fragestellungen – z. B. die Wahl des medikamentösen
Verfahrens – werden in der S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening,
Diagnostik und Behandlung“ dargestellt (https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/076-006 ) [6 ].
Empfehlungen/Statements
Empfehlungsgrad
Patient*innen mit COPD soll eine intensive verhaltenstherapeutisch-orientierte Einzel-
oder Gruppenintervention angeboten werden.
↑↑
Evidenzbasis
Die Empfehlung basiert auf einer systematischen Recherche sowie den klinischen Erfahrungen
der Leitliniengruppe.
Rationale
Die Evidenzqualität wird als gering eingeschätzt. Ein Cochrane-Review [16 ] sieht einen Vorteil für eine hoch-intensive verhaltenstherapeutische Intervention
hinsichtlich besserer Abstinenz-Outcomes im Vergleich zu einer weniger intensiven
Maßnahme (siehe Evidenzbeschreibung vorhergehende Empfehlung). Allerdings beruhen
diese Aussagen nur auf einem RCT mit wenigen Teilnehmer*innen. Da gleichzeitig keine
Hinweise auf Schaden gefunden wurden und die Tabakentwöhnung als zentrale Therapiemaßnahme
mit prognostischer Wirkung angesehen wird, spricht die Leitliniengruppe eine starke
Empfehlung aus. Unter einer intensiven verhaltenstherapeutischen Maßnahme wird im
Kontext der Rauchentwöhnung eine Intervention von ca. 8 Einheiten verstanden. Eine
Einheit muss nicht zwangsläufig eine Doppelstunde umfassen.
Vertiefende Informationen
In Deutschland anerkannte Programme sind bspw. das „Rauchfrei Programm“ (vom Institut
für Therapieforschung [IFT], München, und Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
[BZgA], Köln) oder „Nichtraucher in 6 Wochen“ (vom Arbeitskreis Raucherentwöhnung
der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Tübingen).
Zu den Kernelementen verhaltenstherapeutisch-orientierter Interventionen zur Raucherentwöhnung
zählen:
die Psychoedukation;
Gesprächstechniken zur Motivationsförderung;
verhaltenstherapeutische Selbstkontrollverfahren/Selbstmodifikationsverfahren unter
Einsatz operanter Techniken;
der Aufbau alternativer Verhaltensweisen zur funktionellen Bedeutung des Konsums;
die Anleitung zur Inanspruchnahme externer sozialer Hilfen sowie
Techniken zur Rückfallprophylaxe und zum Umgang mit kurzfristigen Rückfällen [19 ]
[20 ].
Verfügbarkeit und Alternativen
Da jedoch intensive verhaltenstherapeutisch-orientierte Einzel- oder Gruppeninterventionen
im deutschen Versorgungskontext nicht flächendeckend verfügbar sind oder auch durch
patientenseitige Gründe eine intensive Therapie gegebenenfalls nicht wahrgenommen
werden kann, weist die Leitliniengruppe die Behandelnden darauf hin, in diesen Fällen
möglichst direkt andere evidenzbasierte Beratungs- und Unterstützungsangebote anzubieten.
Rationale hierfür ist die Evidenz zu Kurzinterventionen im Allgemeinen (nicht spezifisch
für Patient*innen mit COPD) [6 ]. Auf dieser Basis geht die Leitliniengruppe davon aus, dass jede Intervention Nutzen
hat im Vergleich zu keiner verhaltenstherapeutischen Intervention.
Falls Patient*innen mit COPD – unabhängig von ihren Gründen dafür – die intensiven
verhaltenstherapeutischen Maßnahmen nicht wahrnehmen können, stehen bspw. folgende
weniger intensive Angebote zur Verfügung:
Kurzberatung und motivierende Gesprächsführung (siehe Abschnitt 3.2.2 )
Telefonberatung (Rauchfrei-Telefon der BZgA; kostenfreie Servicenummer: 0800 8313131);
Online-Programme (digitale Gesundheitsanwendungen mit Bezug zur Raucherentwöhnung);
Selbsthilfe-Materialien.
Kooperation zwischen den betreuenden Ärzt*innen
Die AOK PLUS-Studie zur strukturierten Tabakentwöhnung durch pneumologische Facharztpraxen
und Psychotherapeuten in Sachsen und Thüringen mit Minimal-Intervention vs. Maximal-Intervention
(ATEMM) nach der S3-Leitlinie „Tabakentwöhnung bei COPD“ [5 ] untersuchte die Bedeutung der kontinuierlichen Anbindung an die fachärztliche Versorgung
für die Nachhaltigkeit des Abstinenzerfolges (www.tu-chemnitz.de/hsw/psychologie/professuren/klinpsy/forschung/ATEMM/index.php , [21 ]).
Im Rahmen der ATEMM-Studie wurden insgesamt 781 Patient*innen mit Diagnose einer COPD
bzw. eines CPH (chronisch persistierender Husten) in pneumologischen Facharztpraxen
untersucht. Die Patient*innen erhielten entweder als Minimal-Intervention eine Kurzmotivierung
zum Rauchstopp (n = 257) oder als Maximal-Intervention (n = 524) ein evidenzbasiertes,
leitlinienorientiertes und COPD-spezifisches verhaltenstherapeutisches Tabakentwöhnungsprogramm
im Umfang von 3 × 180 Minuten plus eine regelmäßige proaktive telefonische Begleitung
nach Kursabschluss. Die Tabakentwöhnungskurse wurden in den Praxen von zuvor geschulten
pneumologischen Fachärzt*innen durchgeführt, die auch bedarfsweise eine begleitende
pharmakologische Behandlung des Tabakentzugssyndroms verordneten. Sämtliche Kosten
zur Tabakentwöhnung wurden in diesem Pilotprojekt von der GKV übernommen. 12 Monate
nach Kursende waren nach Angaben der teilnehmenden Patient*innen und Ärzt*innen sowie
mittels CO-Messung im Exhalat apparativ validiert in der Minimal-Intervention 8 %
(ITT: 6 %) und in der Maximal-Intervention 48 % (ITT: 38 %) kontinuierlich abstinent
(OR 9,91 [95 %-KI 5,73; 17,14], p < 0,001; ITT: OR 9,07 [95 %-KI 5,30; 15,51], p < 0,001).
Diese im internationalen Vergleich methodisch äquivalenter Studien sehr hohe Erfolgsrate
und die Nachhaltigkeit der Totalabstinenz wird von den beteiligten Ärzt*innen auch
auf die Patientenbindung in der Arztpraxis und die kontinuierlichen Arzt-Patienten-Kontakte
im Rahmen der fachärztlichen Dauerbehandlung zurückgeführt. Möglicherweise spielt
diese im deutschen Gesundheitssystem strukturell verankerte langfristige persönliche
Patientenanbindung eine wichtige Rolle für die Abstinenzmotivation und -adhärenz der
aufhörbereiten Raucher*innen.
3.2.4 Bezugnahme auf Gesundheitsparameter
Empfehlungen/Statements
Empfehlungsgrad
Die patientengerechte Erklärung individueller Gesundheitsparameter in Bezug auf das
Rauchen wie z. B. das Besprechen von Lungenfunktionsparametern und CO-Messungen kann
einen positiven Einfluss auf den Erfolg der Tabakentwöhnung haben.
↔
Evidenzbasis
Diese Empfehlung basiert auf den klinischen Erfahrungen der Leitliniengruppe und stellt
einen Expert*innenkonsens dar.
Evidenzbeschreibung
Um mögliche motivierende Effekte der Besprechung von Lungenfunktion oder Kohlenmonoxid-Werten
(CO) im Blut oder in der Ausatemluft mit den Patient*innen darzustellen (siehe auch
Abschnitt 2.2 Tabakabhängigkeit: Objektive Messung des Tabakkonsums ), wurden die Primärstudien des Cochrane-Reviews (van Eerd et al. [16 ]) speziell diesbezüglich betrachtet. Zusätzlich wurde die zur Verfügung gestellte
Evidenz der S3-Leitlinie „Tabakentwöhnung bei COPD“ [5 ] zum Thema geprüft.
Ein hierbei identifizierter RCT [22 ] konnte keine Effekte hinsichtlich Langzeitabstinenz bei rauchenden Patient*innen,
welche mit ihren Lungenfunktionsparametern konfrontiert wurden, im Vergleich zu Patient*innen
ohne Konfrontation aufzeigen (11,2 % vs.11,6 %; OR 0,96 [95 %-KI 0,43; 2,18]).
Rationale
Die identifizierte Evidenz sieht die Leitliniengruppe als nicht konklusiv an und schätzt
die Evidenzqualität als gering ein. Möglicherweise ist weniger die Besprechung der
Lungenfunktion als solche hilfreich, sondern die Veranschaulichung von Therapieerfolgen
anhand individueller Gesundheitsparameter. Zudem scheint plausibel, dass auch die
Art der Gesprächsführung (positiv verstärkend und motivierend) eine Rolle spielt.
In der klinischen Erfahrung kann die konkrete Bezugnahme auf individuelle Gesundheitsparameter
der Patient*innen der Motivation dienen. Wegen der unsicheren Datenlage und des unklaren
Nutzens formuliert die Leitliniengruppe eine offene Empfehlung.
Empfehlungen/Statements
Empfehlungsgrad
Als Möglichkeit des Biomonitorings kann eine CO-Messung durchgeführt werden.
↔
Evidenzbasis
Die Empfehlung beruht auf einem Expert*innenkonsens.
Rationale
Der Stellenwert des Biomonitorings mittels CO-Messung ist unklar, und es liegen keine
belastbaren Daten hierfür vor, gleichwohl scheint bei einigen Patient*innen ein Vorteil
einer vermeintlich objektiven Messung plausibel. Daher spricht die Leitliniengruppe
konsensbasiert eine schwache Empfehlung aus.
Vertiefende Informationen
Weiterführende Informationen zu den Messmethoden siehe Abschnitt 2.2 Tabakabhängigkeit: Objektive Messung des Tabakkonsums .
3.3 E-Zigaretten
Evidenzbeschreibung
Um mögliche Effekte der E-Zigarette beschreiben zu können, wurde im Rahmen der Aktualisierung
der S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung“
[6 ] eine systematische Update-Recherche bezüglich der Nutzung von E-Zigaretten durchgeführt.
Die identifizierten Volltexte wurden der Arbeitsgruppe Tabakentwöhnung der NVL COPD
zur Verfügung gestellt. Es konnten keine Publikationen gefunden werden, welche die
Wirkung der E-Zigaretten speziell bei Patient*innen mit COPD untersuchten. Eine Grundlage
für den Nutzen speziell bei Patient*innen mit COPD liefern die Daten daher nicht.
21 Publikationen [23 ]
[24 ]
[25 ]
[26 ]
[27 ]
[28 ]
[29 ]
[30 ]
[31 ]
[32 ]
[33 ]
[34 ]
[35 ]
[36 ]
[37 ]
[38 ]
[39 ]
[40 ]
[41 ]
[42 ]
[43 ] äußerten sich zu einem möglichen Schadenspotenzial. Zu beachten ist hierbei, dass
die E-Zigarette weltweit in ihrer Zusammensetzung uneinheitlich und variabel ist [44 ] und mögliche Schädigungspotenziale daher unterschiedlich vorhanden sein können.
Häufig wurden Husten, Übelkeit, Kopfschmerzen, Schlafprobleme sowie Reizungen der
Mundschleimhaut und Rachen-Irritationen als Nebenwirkungen beschrieben. Das Auftreten
von schweren Nebenwirkungen wurde in diesen Publikationen hingegen selten beobachtet.
Fernandez et al. [29 ] beschrieben zudem, dass die Emissionen aus E-Zigaretten neben Feinstaub auch potenziell
toxische Verbindungen wie Nikotin, Carbonyle, Metalle und flüchtige organische Verbindungen
enthalten können. Ferrari et al. [30 ] stellten dar, dass bei der Verwendung nikotinfreier E-Zigaretten hohe Glykolkonzentrationen
enthalten sein können, die beim Einatmen reizend wirken könnten. Andere potenziell
gefährliche Inhaltsstoffe, die in nikotinfreien E-Zigaretten enthalten sein können,
sind Lösungsmittel, Genotoxine und verschiedene andere Chemikalien. Die FDA (The Food
and Drug Administration) berichtete in einem Zeitraum von 2012–2015 über 92 Meldungen
bezüglich Überhitzungs-, Feuer- oder Explosionsereignissen; etwa die Hälfte davon
führten zu Verletzungen (d. h. thermischen Verbrennungen, Schnittwunden oder Einatmen
von Rauch) [33 ]. Mögliche kardiovaskuläre Effekte der E-Zigarette wurden von Skotsimara et al. beschrieben.
Es zeigten sich Hinweise, dass direkt nach der Nutzung von E-Zigaretten (5–30 Minuten
danach) sowohl die Herzfrequenz als auch systolischer und diastolischer Blutdruck
[42 ] anstiegen.
Zwei selektiv eingebrachte Publikationen [45 ]
[46 ] deuten ein zusätzliches Schadenspotential durch den sog. Dual-Use an, d. h. die
gleichzeitige Nutzung von Tabakzigaretten und E-Zigaretten. Hier besteht ein Schadenspotenzial,
welches wahrscheinlich über eine einfache Addition der Toxizitäten hinausgeht.
Stellenwert
Die Theorie der Schadensminimierung bei fortbestehendem Tabakkonsum (harm reduction)
bei Raucher*innen geht davon aus, dass E-Zigaretten (und andere nikotinhaltige Produkte
wie Tabakerhitzer oder rauchlose Tabakprodukte) [47 ] möglicherweise eine weniger schädliche Alternative zu konventionellen Tabakzigaretten
sind [48 ] und sie somit die Gesundheitsrisiken verringern könnten. Da valide Evidenz hierfür
aktuell noch aussteht, ist ein direkter Vergleich des langfristigen Schädigungspotenzials
der E-Zigarette im Vergleich zur Tabakzigarette nur im Sinne einer Abschätzung möglich
[44 ]. Auch Aussagen hinsichtlich einer möglichen positiven Wirkung auf den Verlauf der
COPD-Erkrankung sind zur Zeit eher theoretischer Natur. Aufgrund der aktuell unzureichenden
Datenlage, und auch wegen der noch nicht abschätzbaren gesundheitlichen Langzeitfolgen
für Patient*innen mit COPD, sieht die Leitliniengruppe in der E-Zigarette keine Option
für einen primären Entwöhnungsversuch. Gleichwohl ist der Leitliniengruppe bewusst,
dass manche Raucher*innen dieses Produkt nutzen, um ihren Tabakkonsum zu beenden.
Falls der Einsatz der E-Zigarette zur Unterstützung der Tabakabstinenz erwogen wird,
dann nur unter folgenden Voraussetzungen:
Bei dokumentiertem Versagen oder Ablehnung anderer evidenzbasierter Maßnahmen,
nach Aufklärung über bekannte Risiken,
bei gleichzeitiger Beendigung des Tabakkonsums und
bei kontinuierlichem ärztlichem Monitoring und Begleitung.
Idealerweise bedarf die Therapie mittels E-Zigarette einer verhaltenstherapeutischen
Beratung.
Hinweis
Die Kennzeichnung des Nikotingehaltes ist vorgeschrieben (§ 27 Tabakerzeugnisverordnung)
und wird meist in der Einheit Milligramm pro Milliliter (mg/ml) angegeben. Es gibt
unterschiedliche Nikotindosen, welche bei Konsum der E-Zigarette aufgenommen werden.
3.4 Strukturierte Entwöhnung im Akutkrankenhaus/im Rahmen der Rehabilitation
Empfehlungen/Statements
Empfehlungsgrad
Bei rauchenden Patient*innen mit COPD soll bereits während eines (akut-)stationären
Aufenthaltes im Krankenhaus eine Tabakentwöhnung initiiert und eine anschließende
ambulante Entwöhnungsbehandlung organisiert werden.
↑↑
Evidenzbasis
Diese Empfehlung entspricht einem Expert*innenkonsens basierend auf den Inhalten des
OPS 2020 (Operationen- und Prozedurenschlüssel). In der S3-Leitlinie „Rauchen und
Tabakabhängigkeit“ [6 ] wird zudem ein Cochrane-Review zitiert, der die Effekte von Interventionen zur Rauchentwöhnung
untersucht, welche bereits im stationären Bereich initiiert wurden [49 ]. Im Rahmen der strukturierten Recherche zur NVL COPD wurde dieser nicht identifiziert,
weil er sich nicht direkt auf Patient*innen mit COPD beschränkt. Die Autor*innen halten
diese Ergebnisse jedoch für extrapolierbar auf diese Patient*innengruppe.
Evidenzbeschreibung
Der Cochrane-Review von Rigotti et al. [49 ] beschreibt eine erhöhte Erfolgsrate bei der Rauchentwöhnung (Langzeitabstinenz)
nach 6–12 Monaten, wenn bereits während eines Krankenhausaufenthaltes intensive Beratungsmaßnahmen
durchgeführt und mit unterstützenden Kontakten für mindestens einen Monat nach der
Entlassung fortgesetzt wurden (293/1000 vs. 206/1000, RR 1,37 [95 %-KI 1,27; 1,48],
I² = 32 %; 25 Studien, n = 7403, keine Evidenzqualität nach GRADE berichtet). Supportiver
oder unterstützender Kontakt wurde in den meisten Studien mittels Telefon, aber auch
über Briefe, E-Mail oder Internet realisiert. Weniger intensive Beratungsangebote
(kein supportiver Kontakt oder supportiver Kontakt < 1 Monat) zeigten hingegen kaum
eine Verbesserung hinsichtlich der Langzeitabstinenz.
Wurde im stationären Bereich eine intensive Beratungsmaßnahme zusammen mit einer Nikotinersatztherapie
(NRT) angeboten, so zeigte sich im Vergleich zur Beratung allein ebenfalls eine verbesserte
Langzeitabstinenzrate (284/1000 vs. 185/1000, RR 1,54 [95 %-KI 1,34; 1,79], I² = 32,7 %,
6 Studien, n = 2487, keine Evidenzqualität nach GRADE berichtet). Wenn Vareniclin
oder Buproprion anstelle der NRT genutzt wurde, fielen die Effekte weniger deutlich
aus.
In den eingeschlossenen Studien wurden Patient*innen mit kardiovaskulären, respiratorischen
und malignen Erkrankungen untersucht. Zudem weist die S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit“
darauf hin, dass dieser Cochrane-Review von 2012 bisher nicht aktualisiert worden
ist. Es seien seither allerdings nur Studien publiziert worden, die die Ergebnisse
der Metaanalyse prinzipiell bestätigen [6 ]. Die Evidenzqualität des Cochrane-Reviews wird als gering eingeschätzt; u. a. weil
keine zufriedenstellende Bewertung des Verzerrungsrisikos bei den eingeschlossenen
Primärstudien durchgeführt wurde.
Rationale
Die Leitliniengruppe sieht in einem Krankenhausaufenthalt einen Anlass und eine Chance,
eine Entwöhnungsmaßnahme zu beginnen, und stellt gleichzeitig fest, dass für den Start
einer solchen Maßnahme im Krankenhaus gute strukturelle Voraussetzungen bestehen.
Ebenso kann eine anschließende ambulante Entwöhnungsbehandlung direkt organisiert
werden. Aus diesem Grund formuliert die Leitliniengruppe konsensbasiert eine starke
Empfehlung. Dabei ist zu beachten, dass die Voraussetzung für die Initiierung einer
Tabakentwöhnung die aktive Zustimmung der Patient*innen ist.
Vertiefende Informationen
Der OPS 2020 nimmt Bezug auf eine multimodale stationäre Behandlung zur Tabakentwöhnung
(Punkt 9.501) und definiert folgende Mindestmerkmale hierfür (www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/ops/kode-suche/opshtml2020 ):
Standardisierte Erfassung der Raucheranamnese mit einem ausführlichen Fragebogen und
standardisierte Erfassung der Zigarettenabhängigkeit unter Verwendung des Fagerström-Tests;
Durchführung und Dokumentation von Motivationsgesprächen zur Beendigung des Tabakkonsums
von insgesamt mindestens 60 Minuten durch Ärzt*innen mit der Qualifikation zur Tabakentwöhnung;
Durchführung und Dokumentation von Motivationsgesprächen individuell oder in Gruppen
von insgesamt mindestens 120 Minuten durch Personal mit der Qualifikation zur Tabakentwöhnung;
Aufklärung über Einsatz und Wirkungsweise von nikotinhaltigen Präparaten und anderen
medikamentösen Hilfen zur Tabakentwöhnung;
Mindestens zwei Kohlenmonoxid-Bestimmungen in der Ausatemluft oder im Blut (CO-Hb-Wert
in der Blutgasanalyse) zur Verlaufsdokumentation;
Dokumentierte Anmeldung zu einem ambulanten, von den Krankenkassen anerkannten Tabakentwöhnungsprogramm,
bei einer Rehabilitationseinrichtung oder zu einem Internet- oder Telefonangebot.
Die Aktualität des OPS ist auf den Internetseiten des Deutschen Instituts für Medizinische
Dokumentation und Information (DIMDI) zu prüfen (www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/ops/kode-suche/opshtml2020 ).
Empfehlungen/Statements
Empfehlungsgrad
Rauchenden Patient*innen mit COPD, die eine Rehabilitationsmaßnahme wahrnehmen, soll
im Rahmen der Rehabilitation ein strukturiertes Entwöhnungsprogramm (kognitive Verhaltenstherapie
und medikamentöse Therapie) angeboten werden.
↑↑
Evidenzbasis
Die Empfehlung basiert auf einem Expert*innenkonsens.
Rationale
Die Tabakentwöhnung gehört zu den Komponenten einer strukturierten Rehabilitationsmaßnahme.
Da Angebote für Änderungen der Lebensgewohnheiten den Patient*innen im Rahmen von
Rehabilitationsmaßnahmen direkt und ohne großen organisatorischen Mehraufwand unterbreitet
werden können, empfiehlt die Leitliniengruppe konsensbasiert allen Patient*innen mit
COPD unabhängig vom Grund für die Rehabilitationsmaßnahme ein strukturiertes Entwöhnungsprogramm
mit kognitiver Verhaltenstherapie und medikamentöser Therapie. Auch weil in der Rehabilitation
bereits die Strukturen vorhanden sind, kann dies den Zugang zu einer Tabakentwöhnungsmaßnahme
für Patient*innen mit COPD erleichtern.
Hinweis
Wann Rehabilitationsmaßnahmen indiziert sein können, beschreibt die Empfehlung 6–1
in der NVL-Langfassung (https://www.leitlinien.de/themen/copd/2-auflage ).
3.5 Tabakentwöhnung vor Einleitung einer LTOT oder NIV
Empfehlungen/Statements
Empfehlungsgrad
Vor Einleitung einer Langzeit-Sauerstofftherapie (LTOT) oder einer außerklinischen
nichtinvasiven Beatmung (NIV) soll allen rauchenden Patient*innen mit COPD erneut
und dringlich die Tabakentwöhnung angeboten werden.
↑↑
Evidenzbasis
Die Empfehlung beruht auf einem Expert*innenkonsens und wurde sowohl aufgrund der
klinischen Erfahrungen der NVL-Arbeitsgruppe zur LTOT als auch in Anlehnung an die
S2k-Leitlinie „Nichtinvasive und invasive Beatmung als Therapie der chronischen respiratorischen
Insuffizienz“ [50 ] formuliert.
Rationale
Um die Wichtigkeit der wirksamen Tabakentwöhnung bei Patient*innen mit COPD insbesondere
auch im Hinblick auf die Gefahren des Rauchens bei atmungsunterstützenden Maßnahmen
herauszustellen, hat die Leitliniengruppe konsensbasiert eine starke Empfehlung formuliert
und diese explizit vor die Abschnitte zur Langzeit-Sauerstofftherapie (LTOT) und außerklinischen
nichtinvasiven Beatmung (NIV) gestellt. Sie erhofft sich, dass einerseits die einschneidende
Maßnahme der Atmungsunterstützung als solche und andererseits die möglichen Gefahren,
wie z. B. eine erhöhte Verbrennungsgefahr beim Rauchen und gleichzeitiger Sauerstofftherapie,
Patient*innen motivieren können, mit dem Rauchen aufzuhören. Darüber hinaus geht die
Leitliniengruppe aufgrund ihrer klinischen Erfahrungen und ihrer Kenntnis der allgemeinen
Evidenz zum Thema von vermutlich geringeren Effekten einer LTOT bei noch rauchenden
Patient*innen mit COPD aus.
Weiterführende Informationen
Dieser Abschnitt ist ein Auszug aus dem Kapitel 4.6 Atmungsunterstützende Maßnahmen
bei chronisch respiratorischer Insuffizienz der NVL COPD. Weiterführende Informationen
finden sich in der Langfassung unter https://www.leitlinien.de/themen/copd/2-auflage/kapitel-4 .