Sexualpädagogik und sexuelle Bildung in der Heimerziehung. Jugendliche individuell begleiten

Dominik Mantey. Sexualpädagogik und sexuelle Bildung in der Heimerziehung. Jugendliche individuell begleiten. Weinheim, Basel: Beltz Juventa 2020 (Reihe: Basistexte Erziehungshilfen). 216 Seiten. EUR 16,95 Euro

„Der 15-jährige Luis wohnt in einer Wohngruppe in einer Großstadt. Einer Erzieherin fällt ein deutlich älterer Mann auf, der vor der Wohngruppe auf Luis wartet und mit Luis gemeinsam aufbricht. Die Erzieherin sieht noch, wie der Mann Luis einen Kuss gibt. Als er zurückkommt, spricht sie Luis auf den Mann an und erfährt, dass Luis ‚sich Geldazuverdient‘, indem er sich prostituiert. Die geschockte Erzieherin verbietet Luis, den Mann oder andere Männer zu treffen, und droht ihm damit, dass er die Gruppe verlassen muss und in eine geschlossene Gruppe kommt. In der Folge verheimlicht Luis seine Aktivitäten besser.“

Das Beispiel von Luis (S. 71 f.) verweist auf komplizierte Lebensrealitäten und Dilemmata. Es ist eines von vielen Beispielen, mit denen das Praxislehrbuch „Sexualpädagogik und sexuelle Bildung in der Heimerziehung“ aufwartet. Der Autor Dominik Mantey, Sexualpädagoge und Professor mit der Studiengangsleitung Soziale Arbeit an der Hamburger Fern-Hochschule (HFH), will mit seiner Publikation den Fachkräften in der Heimerziehung das notwendige theoretische und praktische Rüstzeug mitgeben, um Jugendliche in prekären Lebenssituationen vor sexueller Gewalt zu schützen und sie vertrauensvoll in ihrer sexuellen Entwicklung zu begleiten. Grundlage des Werkes sind dabei sowohl eigene Praxiserfahrungen als auch diverse Forschungsarbeiten auf dem Gebiet.

Einfache Patentrezepte und Verbote helfen meist nicht, so zeigt das Buch anschaulich auf. Stattdessen geht es um den persönlichen Bezug zu den Jugendlichen, um individuelle Lösungen und Abstimmungen im Team. So wird das Beispiel fortgesetzt mit folgenden Anstößen: „Gemeinsam im Team, mit der Leitung und unter Hinzuziehung der Eltern wird entschieden, kein Verbot auszusprechen, wenn Luis bereit ist, vertiefte Gespräche zu führen. Ziel ist es zunächst, Luis zu begleiten, und erst im zweiten Schritt geht es um den Ausstieg aus der Prostitution. Dieses Vorgehen ist rechtlich jedoch durchaus kritisch […]“ (S. 71 f.). Die einzelnen Elemente, die hier als Lösungsansätze im Beispiel anklingen, werden alle im Buch ausführlicher behandelt: etwa sexuelle Freiheits- und Schutzrechte der Jugendlichen, strafrechtliche Regelungen, die notwendige Haltungsklärung der Fachkräfte, die Zusammenarbeit im Team, die Elternarbeit und vertrauensbildende Maßnahmen im Verhältnis zu den Jugendlichen.

Gegliedert ist das Buch dabei in vier Teile. Der erste Teil („Einführung“) begründet detailliert und facettenreich, warum es so wichtig ist, sexuelle Fragen in der Heimerziehung fachkundig zu behandeln. Der zweite Teil („Sexualpädagogische Grundlagen“) erklärt sexuelle Rechte, strafrechtliche Grundlagen, sexuelle Entwicklung im Jugendalter sowie sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Der dritte Teil („Praxis der Sexualerziehung“) widmet sich dem Handwerkszeug: Es geht um die Begleitung einzelner Jugendlicher, um sexualpädagogische Medien und Materialien, um Gruppenveranstaltungen, Regeln und Elternarbeit. Der vierte und letzte Teil („Organisationale Rahmenbedingungen“) setzt sich mit Teamarbeit, Networking, Organisationsentwicklung und der Prävention sexualisierter Gewalt auseinander.

Das Buch ist rundum empfehlenswert. Die Darstellung ist kompakt und sehr gut strukturiert. Neben lebensnahen Praxisbeispielen werden zahlreiche Reflexionsaufgaben zur eigenen Haltungsklärung präsentiert. Die Praxisnähe ist mit ausreichender theoretischer Fundierung und Anbindung an den aktuellen Forschungsstand verknüpft. Alles ist gut verständlich und flüssig geschrieben und der Autor punktet mit seinem unaufgeregten und ausgewogenen Zugang zum Thema.

Nicola Döring (Ilmenau)

Publication History

Article published online:
14 March 2023