Open Access
CC BY-NC-ND 4.0 · Laryngorhinootologie 2023; 102(S 01): S101-S114
DOI: 10.1055/a-1963-9957
Referat

Obstruktive Schlafapnoe – Einfluss auf kardiovaskuläres System und Kognition

Article in several languages: deutsch | English

Authors

  • Gerlind Schneider

 

Zusammenfassung

Kardiovaskuläre und kognitive Erkrankungen sind ebenso wie die obstruktive Schlafapnoe sehr häufige Krankheiten mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität und einer deutlichen sozioökonomischen Bedeutung. Die Auswirkungen einer unbehandelten obstruktiven Schlafapnoe (OSA) auf das kardiovaskuläre und kognitive Erkrankungsrisiko und die Therapieeffekte einer OSA sind für die meisten kardiovaskulären und kognitiven Folgeerkrankungen wissenschaftlich nachgewiesen. Für die klinische Praxis besteht ein deutlicher Bedarf nach mehr Interdisziplinarität. Aus schlafmedizinischer Sicht müssen bei der Therapieindikation das individuelle kardiovaskuläre und kognitive Risiko berücksichtigt und kognitive Erkrankungen bei der Beurteilung der Therapieintoleranz und residuellen Symptomatik beachtet werden. Aus internistischer Sicht sollte bei Patienten mit schlecht einstellbarem Hypertonus, Vorhofflimmern, koronarer Herzkrankheit und Schlaganfall die Abklärung einer OSA in die Diagnostik integriert werden. Bei Patienten mit milder kognitiver Beeinträchtigung, Alzheimer-Krankheit und Depression können sich die typischen Symptome wie Fatigue, Tagesmüdigkeit und Reduktion der kognitiven Leistungen mit OSA-Symptomen überschneiden. Die Diagnostik einer OSA sollte in die Abklärung dieser Krankheitsbilder integriert werden, da eine Therapie der OSA die kognitiven Beeinträchtigungen reduzieren und die Lebensqualität verbessern kann.


1. Einleitung

Die obstruktive Schlafapnoe (OSA) ist die mit Abstand häufigste Form schlafbezogener Atemstörungen. Sie ist gekennzeichnet durch inspiratorische Flusslimitationen (Hypopnoen, Apnoen), Schnarchen und paradoxe Atembewegungen von Thorax und Abdomen. Als obstruktives Schlafapnoesyndrom (OSAS) bezeichnet man eine OSA mit den typischen Symptomen Tagesschläfrigkeit und Schnarchen. Häufig werden beide Begriffe redundant verwendet. Der Schweregrad der OSA wird nach der Anzahl der pro Stunde auftretenden Hypopnoen und Apnoen (Apnoe-Hypopnoe-Index=AHI) eingeteilt in 3 Schweregrade: geringgradig (syn. mild): AHI 5–15/h, mittelgradig (syn. moderat): AHI 15–30/h und schwergradig: AHI>30/h.

Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf die obstruktive Schlafapnoe und deren Auswirkungen auf das kardiovaskuläre Erkrankungsrisiko und die kognitive Leistung bei Erwachsenen. Die anderen, selteneren Formen der schlafbezogenen Atemstörungen (zentrale Schlafapnoe, gemischte Formen) müssen im Einzelfall je nach Ursache und metabolischen, neurologischen sowie kardiovaskulären Komorbiditäten betrachtet werden.


2. Obstruktive Schlafapnoe und kardiovaskuläre Erkrankungen

2.1 Pathophysiologie

Die obstruktive Schlafapnoe ist ein unabhängiger Risikofaktor für die Entstehung verschiedener kardiovaskulärer Erkrankungen. OSA führt zu strukturellen myokardialen Veränderungen und Veränderungen des vaskulären Mikromilieus. Die Pathogenese ist multifaktoriell ([Abb. 1]). Durch die Imbalance zwischen Atemwegsöffnung (benötigt Muskelaktivität) und Verschlusskräften (bedingt durch anatomische Engstellen, Atemwegswiderstand) kommt es zur pharyngealen Obstruktion. Diese führt zur Hypoxämie, Hyperkapnie, negativem intrathorakalem Druck und einer Aktivierung des Sympathikus mit Auswirkungen auf die Hämodynamik und die autonome Regulation. Einer der wichtigsten Faktoren für Entstehung und Prognose kardiovaskulärer Erkrankungen bei OSA ist die intermittierende Hypoxie. Diese ist gekennzeichnet durch wiederholte kurze Zyklen von Entsättigungen gefolgt von einer schnellen Re-Oxygenierung. Die intermittierende Hypoxie triggert eine Zunahme des oxydativen Stresses als einen wichtigen Faktor für die Entstehung von gefäßendothelialen Dysfunktionen (Inflammation, Abnahme des Gefäßtonus) und Arteriosklerose [1] [2] [3] [4] [5].

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Abb. 1 Pathophysiologische Zusammenhänge zwischen obstruktiver Schlafapnoe (OSA) und kardiovaskulären Erkrankungen.

Diese durch die OSA ausgelösten komplexen Aktivierungen von neuralen, humoralen, metabolischen und entzündlichen Mechanismen führen zu einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen wie arterieller Hypertonie, Herzrhythmusstörungen, koronarer Herzerkrankung und Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz und Schlaganfall.

Die meisten Studien zu OSA und kardiovaskulären Erkrankungen basieren auf klinischen Beobachtungen und weisen einen engen Zusammenhang nach. Die Evidenz und die nachgewiesenen Therapieeffekte sind unterschiedlich und werden nachfolgend für die einzelnen Krankheitsbilder dargestellt.

Es gibt eine geringe Anzahl von Studien an in vitro Modellen und Tiermodellen [6]. In vitro Modelle untersuchen hauptsächlich den Einfluss der intermittierenden Hypoxie auf den oxydativen Stress und daraus resultierende zelluläre Veränderungen [7] [8]. Tiermodelle basieren auf dem Auslösen von intermittierenden Obstruktionen (über Tracheostoma, intratracheale Ballons, nasale Masken) oder Exposition von sauerstoffreduzierten Gasgemischen. Damit sind Grundlagenuntersuchungen der OSA-Effekte Hypoxie, Hyperkapnie und Sympathikusaktivierung möglich [9] [10] [11] [12] [13] [14].


2.2 Arterielle Hypertonie

Experimentelle und klinische Daten zeigen, dass eine OSA den nächtlichen Blutdruck akut erhöht und zu einem fehlenden nächtlichen Blutdruckabfall führen kann. Physiologisch kommt es im gesunden Schlaf zu einer Absenkung des Blutdruckes um mindestens 10%. Diese Blutdruckabsenkung (syn. Dipping) beruht auf einer Rückstellung des Regelpunktes des Barorezeptorreflexes. Durch die OSA-bedingte Sympathikusaktivierung mit erhöhter Katecholaminausschüttung und die Stimulation von Barorezeptoren durch den intrathorakalen Druckwechsel kann es zur Ausbildung einer chronischen Blutdrucksteigerung kommen. Die OSA ist ein unabhängiger Risikofaktor für die Entstehung einer arteriellen Hypertonie. Etwa 50% aller Patienten mit einer OSA weisen eine arterielle Hypertonie auf. Ca. 30% aller Patienten mit einer arteriellen Hypertonie haben eine OSA. Das Risiko der Entwicklung steigt mit dem Schwergrad der OSA. Bei jüngeren und mittelalten Patienten mit mittel- bis schwergradiger OSA und Tagesmüdigkeit steigt das relative Risiko für die Entwicklung einer arteriellen Hypertonie auf das fast Dreifache. Bei therapierefraktärer arterieller Hypertonie und besonders bei nächtlichem Hypertonus mit fehlendem Absenken des Blutdruckes (syn. Non-Dipping) liegt bei bis zu 70% eine OSA vor. Der nächtliche Hypertonus und das Non-Dipping sind mit einem hohen kardiovaskulären Risiko assoziiert.

Nach den aktuellen Empfehlungen [15] [16] wird eine polygrafische Abklärung bei klinischem Verdacht auf eine OSA, pathologischem 24-h-Blutdruckprofil oder therapierefraktärer arterieller Hypertonie empfohlen.

Der blutdrucksenkende Effekt der OSA-Therapie ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Bei der Therapie mit positivem Atemwegsdruck (positive airway pressure; PAP) ist der wichtigste Parameter die ausreichende Nutzungsdauer (>4 h/Nacht). In der Regel muss eine Kombination aus medikamentöser Therapie und PAP-Therapie erfolgen. Es zeigen sich hinsichtlich der Blutdrucksenkung synergistische Effekte zwischen PAP-Therapie und medikamentöser Therapie, so dass bei guter Therapieadhärenz der PAP-Therapie die Blutdruckmedikation regelmäßig angepasst werden sollte. Die PAP-Therapie senkt den systolischen und diastolischen Blutdruck stärker in der Nacht als am Tag. Die höchsten Therapieeffekte werden bei Patienten mit therapierefraktärem Blutdruck, Non-Dipping, Lebensalter<60 Jahren und schwerer OSA mit schwerer Hypoxämie erreicht. Die höchste Absenkung (-10 mm Hg) wurde bei Patienten mit schwerer OSA, arterieller Hypertonie und Tagesschläfrigkeit erreicht [17] [18]. Bei der Therapie mit Unterkieferprotrusionsschiene (UKPS) konnte ebenfalls eine moderate Senkung des arteriellen Mitteldruckes gezeigt werden [18].


2.3 Koronare Herzerkrankung und Myokardinfarkt

Pathophysiologisch erfolgt durch die OSA-bedingte Ausschüttung von vasoaktiven Substanzen, dem erhöhten oxidativen Stress und der Gefäßinflammation eine arteriosklerotische Schädigung der Coronararterien mit nachfolgender akuter Myokardischämie [15]. Die Inzidenz für eine koronare Herzerkrankung ist bei OSA-Patienten zwei- bis dreifach erhöht [17] [19] [20] In epidemiologischen Studien und systematischen Reviews zeigte sich bei mittel- und schwergradiger unbehandelter OSA eine signifikant höhere Inzidenz für fatale und nichtfatale kardiovaskuläre Ereignisse [20] [21] [22] [23] [24] [25]. Ein Myokardinfarkt tritt bei OSA-Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung gehäuft in den Nachtstunden auf [26].

Zu einer kontroversen Diskussion führten Ergebnisse zweier größerer randomisierter Studien (SAVE, ISAAC) und sowie Metanalysen aller randomisierten Studien zu Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse bei OSA, die den Zusammenhang zwischen OSA und kardiovaskulärem Ereignis nicht mehr so eindeutig nachwiesen [27] [28] [29] [30] [31]. In der aktuellen ISAAC-Studie (multizentrisch, randomisiert) wurden Patienten mit akutem Koronarsyndrom in eine Gruppe mit PAP-Therapie und in eine Gruppe ohne PAP-Therapie 1:1 randomisiert und mindestens 1 Jahr nachbeobachtet. Eine Gruppe mit akutem Koronarsyndrom aber ohne OSA wurde als Referenzgruppe einbezogen. Es gab keine signifikanten Unterschiede zwischen den Inzidenzen für kardiovaskuläre Ereignisse in allen 3 Gruppen [30]. Die Interpretation der Ergebnisse wurde wegen dem Ausschluss symptomatischer Patienten und der insgesamt geringen Nutzungszeiten der PAP-Therapie kritisch betrachtet. Hauptproblem aller Studien ist zudem die Heterogenität der eingeschlossenen Patienten mit koronarer Herzerkrankung und OSA [25] [32] [33] [34]. Eine Post-hoc-Analyse der ISAAC-Studie an 1701 Patienten erbrachte die Unterteilung in zwei Phänotypen: Patienten ohne vorherige Herzerkrankung/früherem akutem Koronarsyndrom (81%) versus Patienten mit früheren Herzerkrankungen/früherem akutem Koronarsyndrom (19%). Für den Phänotyp ohne vorangegangene Herz-Kreislauferkrankung zeigte sich in der OSA-Gruppe ein signifikant erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse. Im Gegensatz dazu ergab sich für den anderen Phänotyp sogar ein protektiver Effekt der OSA für kardiovaskuläre Ereignisse. Diese Ergebnisse stützen andere Studienergebnisse und die Hypothese, dass bei lange bestehenden Koronarstenosen das Vorliegen einer obstruktiven Schlafapnoe einen protektiven Effekt durch die Ausbildung von koronaren Kollateralen durch ischämische und hypoxämische Konditionierung haben kann [35] [36] [37]. Unterstützt wird diese Hypothese dadurch, dass die protektiven Effekte im Phänotyp mit vorangegangenen Herz-Kreislauferkrankungen unabhängig von Alter, Geschlecht, BMI und Läsionsort waren und vor allem nur bei OSA und nicht bei zentraler Schlafapnoe auftraten.

Zusammenfassend besteht ein erhöhtes Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis (Myokardinfarkt, akutes Koronarsyndrom) bei männlichen Patienten mit unbehandelter mittel- bis hochgradiger OSA. Der Therapieeffekt des OSA ist nach der aktuellen Studienlage nicht so eindeutig nachweisbar wie bei der arteriellen Hypertonie.


2.4 Herzrhythmusstörungen

OSA-assoziierte Herzrhythmusstörungen können als brady- und tachykarde Arrhythmien auftreten. Die Prognose ist entscheidend vom Vorhandensein anderer kardialer Erkrankungen und der Form der Herzrhythmusstörung abhängig [4]. Ursachen sind die intermittierende Hypoxämie/Hyperkapnie, der gesteigerte Sympatikotonus und die intrathorakalen Druckschwankungen. Bradykardien können als höhergradige AV-Blöcke bis zu vorübergehenden Asystolien auftreten und sind ein prädiktiver Marker für eine höhergradige OSA [4] [38]. Ursache ist in den meisten Fällen die repetitive Stimulation des autonomen Nervensystems. Eine Behandlung der OSA führt häufig zu einer Reduktion der nächtlichen, bradykarden Rhythmusstörungen [4] [39].

Bis zu 70% aller Patienten mit Vorhofflimmern haben eine relevante schlafbezogene Atemstörung. Die Prävalenz von Vorhofflimmern ist bei OSA um das 5-6fache erhöht und nimmt mit dem Lebensalter zu [4]. Die PAP-Therapie kann zu einer deutlichen Reduktion (bis zu 60%) des Wiederauftretens oder Fortschreitens von Vorhofflimmern führen. Die Effektivität einer Kardioversion oder medikamentösen Therapie ist bei Patienten mit unbehandelter OSA deutlich schlechter [4]. In Leitlinien wird daher bei Vorhofflimmern ein Schlafapnoescreening und die Therapie der OSA empfohlen. Bisher liegen nur Beobachtungsstudien mit nachgewiesenen Mechanismen und homogener Datenlage vor [40] [41] [42], die Ergebnisse von randomisierten Studien (SLEEP-AF-Studie, Studie des PAP-Effektes auf das Vorhofflimmer-Burden) stehen aktuell noch aus. Bei asymptomatischer OSA und Vorhofflimmern werden aktuell auch medikamentöse Therapieansätze diskutiert. In Grundlagenuntersuchungen zeigten sich im Herzmuskelgewebe von OSA-Patienten Veränderungen der Enzymaktivität (Calcium-Calmodulin-abhängige Proteinkinase II) sowie eine Störung der Synthese von Strukturproteinen (Connexin 43). Für beide Signalwege befinden sich Medikamente in der präklinischen Entwicklung [2].


2.5 Herzinsuffizienz

Etwa 50% der Patienten mit stabiler Herzinsuffizienz haben eine mittel- bis hochgradige OSA. Bei Patienten mit einer akut dekompensierten Herzinsuffizienz ist die Häufigkeit deutlich höher [43]. Mit zunehmendem Schweregrad der Herzinsuffizienz und vor allem bei einer eingeschränkten Ejektionsfraktion nimmt der Anteil an zentralen Apnoen zu, die auf die gestörte Atemregulation (Cheyne-Stokes-Atmung) zurückzuführen ist, so dass die häufigste Ursache für die zentrale Schlafapnoe eine schwergradigere Herzinsuffizienz ist. Bei den Patienten mit einer Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion liegt dagegen am häufigsten eine OSA vor [44].

Die OSA ist bei Männern ein unabhängiger Risikofaktor für das Entstehen einer Herzinsuffizienz [23]. Pathophysiologisch kommt es zu einer anhaltenden und progredienten subklinischen Myokardschädigung durch die OSA-bedingte Zunahme der linksventrikulären Nachlast, der Sympathikusaktivierung sowie dem gesteigerten Sauerstoffverbrauch bei gleichzeitiger Hypoxämie [4] [45].

Die Effekte der PAP-Therapie sind bei Herzinsuffizienzpatienten geringer nachweisbar als bei Herzgesunden [46]. Es liegt keine randomisierte kontrollierte Studie vor, die einen eindeutigen Überlebensvorteil (kardiovaskuläre Mortalität) unter der PAP-Therapie bei Herzinsuffizienz zeigt. In einzelnen monozentrischen Studien konnte eine Senkung der linksventrikulären Nachlast und eine Steigerung der linksventrikulären Ejektionsfraktion gezeigt werden [47]. Die PAP-Therapie bei Herzinsuffizienzpatienten wird bei symptomatischer OSA empfohlen. Hier kommt es zu einer Verbesserung der Lebensqualität. Bei Herzinsuffizienzpatienten ohne Tagesmüdigkeit muss die Indikation zur PAP-Therapie individuell gestellt werden [43] [48].


2.6 Schlaganfall

Eine OSA kann durch verschiedene Mechanismen Auslöser für einen apoplektischen Insult sein. Durch den oxydativen Stress kommt es zu einer zerebralen Arteriosklerose, die Hauptursache für ischämische Schlaganfälle ist. Akut können Blutdrucksteigerungen oder thrombembolische Ereignisse auf dem Boden einer Herzrhythmusstörung zu einem hämorrhagischen Insult führen. Nach einem Schlaganfall treten bei bis zu 70% der Patienten sekundäre schlafbezogene Atemstörungen auf, die zu einer Zunahme des Schlaganfallschadens und der akuten Schlaganfallsterblichkeit führen können [49]. Die OSA ist unabhängig von anderen Risikofaktoren mit dem Auftreten von Schlaganfällen assoziiert [50] [51]. Die Inzidenz für einen Schlaganfall ist bei schwergradiger OSA geschlechter- und altersunabhängig um das 2–3fache erhöht [50] [52]. Der Effekt einer PAP-Therapie auf die Schlaganfallhäufigkeit konnte in einer Metanalyse von 7 randomisierten Studien nicht nachgewiesen werden [27]. Kleinere randomisierte Studien zeigen, dass eine PAP-Therapie nach einem Schlaganfall die neurologische Erholung sowie Schläfrigkeit und depressive Symptome verbessert [50]. Es wird deshalb die PAP-Therapie im Rahmen eines multimodalen Managements nach einem Schlaganfall als ein Therapiebestandteil empfohlen.


2.7 Bestimmung des individuellen kardiovaskulären Risikos

2.7.1 Arousallast

Die Last an Aufwachreaktionen (Arousallast; Arousalburden) ist definiert durch die kumulative Länge aller Aufwachreaktionen bezogen auf die Schlafzeit. Die Bestimmung erfolgt automatisiert durch Analysealgorithmen. Der Parameter beschreibt die Schlaffragmentierung deutlich besser als der Apnoe-Hypnoe-Index (AHI) und ist ein möglicher Prädiktor für das kardiovaskuläre Langzeitrisiko. In einer systematischen Analyse der Daten von 8001 Teilnehmern dreier Kohortenstudien wurde eine hohe Last an Aufwachreaktionen vor allem bei Frauen mit einer erhöhten kardiovaskulären Mortalität assoziiert [53].


2.7.2 Hypoxämielast

Die Hypoxämielast wird aus der Fläche unter der Entsättigungskurve während eines respiratorischen Ereignisses bezogen auf die Grundsättigung berechnet. Damit werden die Hypoxämien erfasst, die schlafapnoespezifisch sind. In der Datenanalyse von zwei Kohortenstudien (7534 Teilnehmer) zeigte sich bei Männern mit einer hohen Hypoxämielast ein signifikant häufigeres Auftreten einer Herzinsuffizienz [54].


2.7.3 Biomarker

Entsprechend der pathophysiologischen Grundlagen erfolgte die Suche nach Biomarkern für das kardiovaskuläre Risiko durch Analyse von Markern für oxidativen Stress und Entzündung, Adhäsionsmolekülen und endothelialen Proteinen [55]. In einem systematischen Review wurden über 20 verschiedene untersuchte Biomarker identifiziert. Es existieren meist Studien mit geringen Teilnehmern und retrospektivem Design. Die eingeschlossenen kardiovaskulären Erkrankungen sind nicht redundant und reichen von alleinigen Studien zur Hypertonie bis zum Einschluss aller kardiovaskulären Ereignisse. Bei einigen Biomarkern konnten erhöhte Level mit kardiovaskulären Ereignissen bei OSA assoziiert werden: YKL-40 (Glycoprotein)/low-density lipoprotein mit Koronararterienerkrankungen, hochsensitives CRP/Interleukin-1Ra/Interleukin-8/TNF-α mit akuten kardiovaskulären Ereignissen, Zelladhäsionsmolekül (ICAM 1 – intercelluar adhesion molecule) mit akutem Koronarsyndrom und zerebrovasculärer Ischämie, Endoglin/fms-like Tyrosinkinase 1 mit arterieller Hypertonie. Biomarker für oxidativen Stress und Katecholamine waren in den wenigen dazu vorhandenen Studien bei Patienten mit OSA und kardiovaskulären Erkrankungen nicht eindeutig erhöht [56].


2.7.4 Phänotypisierung

In den letzten Jahren wurden Ansätze zur Phänotypisierung der OSA vorgenommen, um neue Kenntnisse in der OSA-Pathogenese und deren Bedeutung für eine zielgerichtete, individualisierte Behandlungsstrategie zu berücksichtigen [57]. Dabei werden vier pathophysiologische Phänomene betrachtet, die im individuellen Fall eine unterschiedliche Wichtung auf die Entstehung, den Schwergrad und damit die Behandlungsindikation einer OSA haben. So werden neben dem engen/kollabilen Atemweg die ineffektive Funktion des oberen Atemwegsdilatators im Schlaf, eine instabile Atemkontrolle (high loop gain) und ein niedriger Schwellenwert für Weckreaktionen betrachtet {58]. Je nach vorhandener Ausprägung der vier Komponenten und dem resultierenden Schwergrad der OSA wurden erste Empfehlungen für eine zielgerichtete Therapie entwickelt, die neben der sicher am häufigsten indizierten PAP-Therapie die anderen Therapieoptionen wie Gewichtsreduktion, Lagetherapie, Unterkieferprotrusionsschiene, chirurgische Maßnahmen, medikamentöse Therapie auch als Ersttherapie oder Kombinationstherapie zuordnen.

In einem Review zum kardiovaskulären Risiko wurden alle Studien mit Clusteranalysen zusammengefasst [59]. Aus den vorhandenen Daten wurden 4 OSA-Subtypen (A-D) basierend auf Unterschieden in Alter, Bodymassindex (BMI), Geschlecht, Symptomen und Komorbiditäten sowie 2 OSA-Subtypen (E, F) basierend auf Polysomnografiedaten und PAP-Adhärenz als wesentliche Subtypen zusammengefasst. Subtyp A entspricht dem klassischen OSA-Patienten (männlich, mittelalt, erhöhter BMI, Tagesmüdigkeit, wenige Komorbiditäten). Der Parameter exzessive Tagesmüdigkeit war in dieser Gruppe am stärksten mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert. Subtyp B schließt alte, übergewichtige Patienten überwiegend männlichen Geschlechts mit milden bis moderaten Symptomen, vermehrten Komorbiditäten und schwerer OSA mit einer hohen Hypoxämielast ein. In dieser Gruppe ist die Prävalenz von Bluthochdruck, Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen zwar erhöht, das Risiko für das neue Auftreten von Herzinfarkt und Schlaganfall aber nicht eindeutig erhöht. Als Ursache wird der o.g. präventive Effekt der OSA für kardiovaskuläre Ereignisse diskutiert. Der Subtyp C umfasst überwiegend Frauen mittleren Alters mit moderatem Übergewicht und Insomniesymptomen (Ein- und Durchschlafstörungen, nicht erholsamer Schlaf) sowie einer moderaten bis schweren OSA. Die Prävalenz für kardiovaskuläre Erkrankungen liegt bei diesem Subtyp zwischen Subtyp A und B. Das Risiko für einen Schlaganfall ist geringer als in den anderen OSA-Subtypen. Der Subtyp D beinhaltet jüngere männliche Patienten mit Widerstandssyndrom der oberen Atemwege (Schnarchen, plötzliches Erwachen mit Atemnot) ohne wesentliche Tagesmüdigkeit und Komorbiditäten. Diese haben eine schlechte PAP-Adhärenz, das kardiovaskuläre Risiko ist unbekannt. Die beiden Subtypen E und F unterscheiden sich hinsichtlich der Hypoxämie. Subtyp E gruppiert Patienten mit besonders schwergradiger OSA (AHI 66–84/h) und ausgeprägten Hypoxämieparametern. Dieser Subtyp hat ein erhöhtes Risiko für ein nichtfatales oder fatales kardiovaskuläres Ereignis. Subtyp F umfasst Patienten mit einer schweren OSA (AHI 34–68/h) und wenig hypoxämischen Ereignissen mit geringerer PAP-Adhärenz und geringerem kardiovaskulärem Risiko.



2.8 Zusammenfassung

Zusammenfassend ist die obstruktive Schlafapnoe ein eindeutiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. Die OSA ist bei kardiovaskulär erkrankten Patienten mit schwer einstellbarer arterieller Hypertonie, koronarer Herzerkrankung, Herzrhythmusstörungen oder Herzinsuffizienz sehr häufig und mit einer schlechteren Prognose assoziiert. Die Therapie der OSA kann die Behandlung von kardiovaskulären Erkrankungen aufgrund ihrer Effekte auf den arteriellen Blutdruck und die Lebensqualität bei ausgewählten Patienten sinnvoll ergänzen. Deshalb ist eine integrative kardiologische und schlafmedizinische Versorgung dieser Patienten sehr wichtig. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie hat die Wichtigkeit der Komorbidität schlafbezogene Atemstörung bei kardiovaskulären Erkrankungen in ihrem Positionspapier zur Schlafmedizin in der Kardiologie und mit der Initiierung eines Curriculums Schlafmedizin zur Erlangung der Zusatzqualifikation Kardiovaskuläre Schlafmedizin deutlich gemacht.

Ziel laufender und zukünftiger wissenschaftlicher Entwicklungen ist die Erstellung individualisierter Therapiekonzepte. Die Voraussetzungen für die Abschätzung des individuellen kardiovaskulären Risikos werden durch die Nutzung der künstlichen Intelligenz in der Auswertung der großen biologischen und messtechnischen Datenmengen und deren Korrelation immer besser. Damit können Studien zu Effekten verschiedener Therapien auf das kardiovaskuläre Risiko in verschiedenen Patientengruppen bezüglich Alter, Geschlecht und Komorbiditäten mit einer größeren Evidenz durchgeführt werden.



3. Obstruktives Schlafapnoesyndrom und Kognition

Der Begriff „Kognition“ (vom lateinischen cognitio für „Erkenntnis“) ist ein Sammelbegriff für Prozesse und Strukturen, die sich auf die Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen beziehen. Die wichtigsten kognitiven Funktionen sind Aufmerksamkeit, Gedächtnis und die exekutiven Funktionen ([Abb. 2]) [60] [61] [62] [63]

Unter kognitive Störungen werden Beeinträchtigungen der Informationsverarbeitung im Gehirn zusammengefasst. Kognitive Störungen beeinflussen Alltagsaktivitäten, berufliche Leistungsfähigkeit und beeinträchtigen die Lebensqualität.

Der Zusammenhang zwischen OSA und kognitiven Beeinträchtigungen wurde in vielen Studien mit eindeutiger Evidenz nachgewiesen [64] [65] [66]. Die kognitiven Beeinträchtigungen zeigen sich im Vergleich zu Kontrollgruppen im Wesentlichen in den Bereichen der Aufmerksamkeit, der exekutiven Funktionen und des Gedächtnisses. In Kohortenstudien und Metaanalysen zeigte sich zudem ein erhöhtes Risiko bei OSA-Patienten für die Entstehung einer milden kognitiven Beeinträchtigung, einer Demenz oder einer Alzheimererkrankung [64] [67] [68] [69]. 40% der Demenzerkrankungen sind auf beeinflussbare Risikofaktoren zurückzuführen, von denen ein Risikofaktor eine unbehandelte OSA ist [70] [71] [72].

3.1 Pathophysiologie

Entscheidende Faktoren für kognitive und Verhaltensänderungen bei der obstruktiven Schlafapnoe sind die Apnoe- und Hypopnoe-induzierten intermittierenden Hypoxämien und die Schlaffragmentierung ([Abb. 3]). Hauptsächlich durch die intermittierenden Hypoxämien kommt es zu reversiblen und irreversiblen inflammatorischen Veränderungen von Hirngefäßen, Hirnstrukturen und Neurotransmittersystemen [73] [74] [75]. Untersuchungen zum Hirnstoffwechsel und zum strukturellen Aufbau zeigten bei OSA-Patienten Veränderungen in der Integrität und im Aufbau der weißen Substanz [76] [77] [78] [79], im Hippocampus [80] [81] sowie eine Abnahme der Kortikalisdicke [82] [83] [84]. Die meisten Untersuchungen erfolgten mittels bildgebender Verfahren [85] [86] [87] [88]. Diese zeigen zwei teilweise gegensätzliche Effekte. Die Atrophie der grauen Substanz, höhere Hyperintensität der weißen Substanz, geringere fraktionierte Anisotropie der weißen Substanz und höhere Wasserdiffusivitäten weisen auf zelluläre, teilweise irreversible Schäden hin. Dagegen sind eine Hypertrophie der grauen Substanz und eingeschränkte Diffusivität der weißen Substanz eher auf reversible Folgen wie intrazelluläre Ödeme, reaktive Gliose oder kompensatorische strukturelle Veränderungen zurückzuführen [89] [90]

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Abb. 2 Übersicht über die kognitiven Funktionen.
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Abb. 3 Pathophysiologische Zusammenhänge zwischen obstruktiver Schlafapnoe (OSA) und kognitiven Dysfunktionen.

Der Nachweis der morphologischen Störungen vor allem im präfrontalen Kortes korreliert mit den bei OSA-Patienten am meisten auftretenden Störungen der exekutiven Funktionen [63]. Das Gedächtnis unterliegt einem breiteren Spektrum von Einflussfaktoren mit Aktivierung verschiedener Hirnregionen, so dass die Zusammenhänge nicht so eindeutig nachweisbar sind. Korrelationen zeigen sich bei den schlafbezogenen Gedächtnisleistungen wie dem räumlichen Gedächtnis und der Konsolidierung von Gedächtnisinhalten [64]. Sprachliche und psychomotorische Fähigkeiten sind bei OSA-Patienten gegenüber Kontrollgruppen unverändert [66] [91]. Die Schlaffragmentierung hat einen zusätzlichen verstärkenden Effekt auf die hypoxämiebedingten kognitiven Veränderungen. Die genauen Mechanismen sind noch unklar. Diskutiert wird eine höhere Vulnerabilität gegenüber hypoxämischen Ereignissen durch Änderungen der Neurotransmitterhomöostase [60] [74] [92].

Eine Korrelation zum OSA-Schweregrad konnte bei Aufmerksamkeit und Vigilanz nachgewiesen werden, keine Korrelation fand sich dagegen bei exekutiven Funktionen, Sprache, Gedächtnis und psychomotorische Funktionen [60] [65] [91] [93] [94]. Die Feinmotorik scheint auf hypoxämische Schädigung empfindlicher zu sein [73]. Die Defizite der exekutiven Funktionen korrelieren schlecht mit der selbsteingeschätzten oder gemessenen Tagesmüdigkeit [94].

In Metaanalysen und systematischen Reviews ließen sich die Zusammenhänge zwischen OSA und einzelnen kognitiven Defiziten besser in kleineren, schlafmedizinisch betreuten Kohorten und kontrollierten Fallstudien nachweisen als in großen epidemiologischen Studien [71] [95] [96]. Große epidemiologische Studien erfassen oft nur die anamnestische Angabe einer OSA ohne Schweregrad oder Nutzungseffizienz der Therapie. Kleinere, schlafmedizinisch betreute Studien zeigen eine bessere diagnostische Darstellung des Schweregrades der OSA und einen kontrollierten Nachweis der Therapienutzung. Einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Entstehung von kognitiven Störungen haben auch protektive oder vulnerable Faktoren, die in den epidemiologischen Studien seltener erfasst werden.

Es werden verschiedene Einflussfaktoren im Hinblick auf Vulnerabilität und Protektion der Entstehung von kognitiven Störungen diskutiert. Wichtige Risikofaktoren sind neben dem Alter, Geschlecht und Menopause sowie Begleiterkrankungen wie Übergewicht, Hypertonie und Depression. Wichtige protektive Faktoren sind die kognitive Reserve und körperliche Aktivität.


3.2 Risikofaktoren für kognitive Defizite bei OSA

3.2.1 Alter

OSA und fortgeschrittenes Alter (>65. LJ) beeinträchtigen unabhängig voneinander die kognitiven Funktionen. Die Kombination von unbehandelter OSA und fortgeschrittenem Alter hat einen additiven Effekt bezüglich der kognitiven Beeinträchtigungen [97] [98]. Bei älteren Patienten mit unbehandelter OSA treten Erkrankungen wie die milde kognitive Beeinträchtigung und Demenz eher auf und die Symptomatik bei manifester kognitiver Erkrankung verstärkt sich [70] [99] [100]. Entscheidende Faktoren sind die Anzahl und das Ausmaß der intermittierenden Hypoxämien [101]. Während gering- und mittelgradige Schweregrade weniger Korrelationen zeigen, finden sich bei älteren Patienten und hochgradiger OSA signifikante Verschlechterungen der exekutiven Funktionen, des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit [68] [102] [103]. In einem systematischen Review mit 68 Studien konnte gezeigt werden, dass bei jungen und mittelalten Patienten (30.-60. LJ) Aufmerksamkeit, exekutive Funktionen und Gedächtnis beeinträchtigt waren, während dies bei älteren Patienten (>60. LJ) nicht so deutlich nachweisbar war [68]. Als Ursache wird der zunehmende Einfluss von Begleiterkrankungen wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Hypertonie und neurodegenerativen Erkrankungen diskutiert, die im höheren Lebensalter die Unterschiede der kognitiven Beeinträchtigungen zwischen Patienten mit und ohne OSA reduzieren.


3.2.2 Geschlecht

Die Prävalenz für Demenz ist bei Frauen bis zu 29% höher als bei Männern, bis zu 2/3 der Alzheimerpatienten sind weiblich. Diskutierte Einflussfaktoren sind die längere Lebenserwartung und hormonelle Unterschiede (z. B. Fettverteilung pharyngeal, Körperstamm). Unterschiede zeigen sich in der Symptomatik und in der Ausbildung von Folgeerkrankungen. Männer beklagen die OSA-typischen Symptome wie Schnarchen, Atempausen, Tagesmüdigkeit. Bei Frauen sind die Symptome unspezifischer wie Kopfschmerzen, Erschöpfung, Depression, Ängstlichkeit und Schlafstörungen [101]. Nur wenige Studien zeigen Unterschiede zwischen OSA und Kognition in Abhängigkeit vom Geschlecht, da in den meisten Studien zu OSA das männliche Geschlecht dominiert. Frauen mit OSA entwickelten eher eine Demenz als Männer [104]. Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen bezüglich Symptomatik und Effekt auf die kognitiven Leistungen gleichen sich nach der Menopause und im höheren Lebensalter zunehmend an [71] [99] [105].



3.3 Protektive Faktoren für kognitive Defizite bei OSA

3.3.1 Kognitive Reserve

Unter kognitiver Reserve versteht man die Fähigkeit, Leistung durch unterschiedliche Rekrutierung von Gehirnnetzwerken und Verwendung alternativer kognitiver Strategien zu optimieren oder zu maximieren [106]. Morphologisch zeigen sich mehr Synapsen, eine höhere Anzahl von redundanten neuronalen Netzwerken und effizientere Abläufe bei gleicher Synapsenzahl. Ausbildungsstand, Intelligenzgrad und berufliche Tätigkeit sind Marker für die kognitive Reserve [107].

In Studien konnte nachgewiesen werden, dass hochintelligente OSA-Patienten (IQ>90) unabhängig von OSA-Schweregrad und Tagesmüdigkeit weniger Aufmerksamkeitsdefizite als normalintelligente OSA-Patienten zeigen [64] [108]. Als Ursache wird die kognitive Reserve der hochintelligenten Patienten angesehen, die dadurch eine höhere Toleranz gegenüber neurodegenerativen Hirnveränderungen haben.


3.3.2 Körperliche Aktivität

Körperliche Aktivität ist einer der deutlichsten präventiven Faktoren für die Entwicklung der Alzheimer-Krankheit. Trainingsprogramme führen bei inaktiven, älteren Patienten zu einer Verbesserung der kognitiven Funktionen durch Einfluss auf die Neuroplastizität und die Reduktion von Blutdruck, Gewicht und Entzündungsparametern. Bei OSA-Patienten addieren sich die negativen Effekte durch einen Kreislauf aus Tagesmüdigkeit, Fatigue und Reduktion der körperlichen Aktivität sowie Gewichtszunahme [109].

Die Risikofaktoren und protektiven Einflussfaktoren müssen bei zukünftigen Studien besser berücksichtigt und bei der Interpretation vor allem von Metaanalysen und epidemiologischen Studien beachtet werden.



3.4 Therapieeffekte auf kognitive Störungen

Die meisten Untersuchungen existieren zur PAP-Therapie. Einige wenige Untersuchungen weisen Therapieeffekte bei Unterkieferprotrusionsschienen und chirurgischen Maßnahmen nach.

3.4.1 PAP-Therapie

Die Ergebnisse der Studien zum Effekt einer PAP-Therapie sind durch die Inhomogenität der Daten, Nutzung unterschiedlicher Testinstrumente und oft fehlender Erfassung der PAP-Nutzung inkonstant [110] [111].

In einer Metaanalyse von 13 randomisierten Studien (554 Patienten) konnten Effekte auf die Aufmerksamkeit nachgewiesen werden [112]. Bei älteren Patienten zeigten sich in einer Metaanalyse (5 randomisierte Studien, 680 Patienten) eine leichte Verbesserung der kognitiven Funktionen [113]. In beiden Analysen kam es zu einer signifikanten Verbesserung der Tagesmüdigkeit unter der PAP-Therapie. Eine der wenigen Studien zu Langzeiteffekten untersuchte den PAP-Effekt im Abstand von 10 Jahren (126 Patienten) bei schwergradiger OSA und erbrachte eine Verbesserung der Gedächtnisfunktion, der Aufmerksamkeit und der exekutiven Funktionen [113]. Auch bei gering- und mittelgradiger OSA zeigen sich Therapieeffekte, die allerdings geringer ausgeprägt sind und häufiger zu einer geringeren Therapieadhärenz oder zum Therapieabbruch führen [114]. Entscheidend für den Therapieeffekt ist die Nutzungsdauer und -adhärenz [115] [116]. Therapieeffekte wurden nach einer Mindestnutzungszeit ab 3 Monate nachgewiesen, bei einer kürzeren Nutzungszeit zeigten sich keine positiven Effekte [64] [92] [117]. Einige kognitive Funktionen wie visuell-konstruktive Fähigkeiten, exekutive Funktionen und Gedächtnis sprechen schlechter auf eine PAP-Therapie an als Aufmerksamkeit und Vigilanz [73] [102] [118] [119] [120].

Die morphologisch nachweisbaren Veränderungen sind teilweise durch eine erfolgreiche PAP-Therapie reversibel [66] [121] [122] [123]. Die irreversiblen morphologischen Hirnveränderungen werden mit einer residuellen Tagesschläfrigkeit trotz ausreichender Therapie in Verbindung gebracht [64] [78] [124].

Die PAP-Therapie hat eine präventive Wirkung auf das Auftreten und die Symptomatik von milder kognitiver Beeinträchtigung, Demenz und Alzheimer-Krankheit [65] [120] [125] [126] [127]. Metanalysen zur PAP-Therapie und Depression konnte eine allgemeine Verbesserung der depressiven Symptome nachweisen, allerdings lag eine erhebliche Heterogenität bezüglich Studiendesign und Outcome vor [116] [128] [129] [130]. Die größten Verbesserungen konnten erreicht werden, wenn die initiale Belastung durch Depression zu Studienbeginn deutlich war [129] [131].


3.4.2 Nicht-PAP-Therapie

Es gibt wenige Untersuchungen zu Kognition und anderen OSA-Therapieverfahren. Eine Therapie mit einer Unterkieferprotrusionsschiene (UKPS) über 6 Monate verbesserte die Aufmerksamkeit und zeigte keinen Effekt auf das Arbeitsgedächtnis [132]. Unter der Therapie mit UKPS konnte eine Verbesserung depressiver Symptome erreicht werden [129]. Eine Studie mit 32 Teilnehmern zeigte einen positiven Effekt einer Uvulopalatopharyngoplastik auf die Aufmerksamkeit 3–6 Monate postoperativ [133].



3.5 OSA und neurokognitive Erkrankungen

3.5.1 Milde kognitive Beeinträchtigung (syn. mild cognitive impairment, MCI)

Als leichte kognitive Beeinträchtigung wird eine Denkleistung bezeichnet, die deutlich unter der nach Alter und Bildung des Betroffenen erwartbaren Performance liegt. Im Gegensatz zur Demenz treten jedoch nur minimale Alltagsbeeinträchtigungen auf. Die MCI wird als Vorstufe verschiedener Demenzformen betrachtet. OSA ist in bis zu einem Viertel der Fälle assoziiert mit einer milden kognitiven Beeinträchtigung [64] [101] [120]. Die Manifestation einer milden kognitiven Beeinträchtigung trat in einer Langzeitstudie bei Patienten mit einer unbehandelten OSA um 10 Jahre (72,6 versus 83,6) eher auf als bei Patienten mit einer behandelten OSA [134].


3.5.2 Alzheimer-Krankheit

Die Alzheimer-Krankheit ist mit einem Anteil von bis zu 80% die häufigste Demenzform. Studien zur Alzheimer-Krankheit deuten auf eine wechselseitige Beziehung zwischen OSA und Alzheimer-Krankheit hin [67]. Beide Krankheiten sind in der älteren Bevölkerung weit verbreitet und treten häufig nebeneinander auf [97]. Eine Meta-Analyse ergab, dass bei Alzheimer-Patienten im Vergleich zu altersgleichen Kontrollpersonen eine OSA fünfmal häufiger auftrat [135]. Die unmittelbaren negativen Auswirkungen der OSA auf die Kognition, insbesondere auf die Exekutivfunktion und die Aufmerksamkeit, kann zu einer Verschlimmerung des klinischen Bildes und zum schnelleren Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit beitragen. Durch eine Kombination von Mechanismen (Störung der Schlafarchitektur, intermittierende Hypoxie und hämodynamische Veränderungen, Auswirkungen der vaskulären Begleiterkrankungen) stellt die OSA einen kumulativen prädisponierenden Faktor für die Entwicklung der Alzheimer-Krankheit dar. Im Gegensatz zu anderen prädisponierenden Faktoren wie genetische Disposition, Alter und zerebrale Traumen kann die OSA diagnostiziert und therapiert werden. Die Behandlung der OSA hat eine präventive Wirkung auf die präklinische Alzheimer-Krankheit ebenso wie auf die Verlangsamung des kognitiven Abbaus bei klinischer Alzheimer-Krankheit [68] [70] [125] [127].


3.5.3 Depression

OSA-Patienten haben eine doppelt so hohe Prävalenz für Depression [136] [137]. Vor allem die Schlaffragmentierung führt zu einer Veränderung in den Hirnregionen, in denen die emotionale Modulation stattfindet [93]. Depressive und OSA-Symptome wie Fatigue und Konzentrationsverlust überschneiden sich. Eine unbehandelte OSA kann zur Verschlechterung der depressiven Symptome führen und depressive Symptome wirken sich negativ auf die Therapieeinsicht und -adhärenz bei OSA aus [138] [139]. In der Allgemeinbevölkerung und in Studienpopulationen ohne OSA ist die Prävalenz der Depression bei Männern niedriger als bei Frauen [140]. Liegt jedoch eine OSA vor, ist dieser Unterschied nicht mehr so deutlich [93]. Bei Männern mit OSA korreliert der Schweregrad depressiver Symptome deutlich mit dem Schweregrad der OSA. Frauen hatten nur dann ein höheres Risiko für klinisch signifikante depressive Symptome, wenn der AHI im moderaten Bereich liegt [141]. Die Behandlung der OSA verbessert vor allem die krankheitsüberschneidenden Symptome wie Müdigkeit und Antriebslosigkeit [129].



3.6 Bestimmung des individuellen kognitiven Risikos

3.6.1 Humorale Biomarker

Biomarker für neurodegenerative Erkrankungen wurden als Prädiktoren für morphologische Veränderungen durch OSA diskutiert und in wenigen Studien untersucht. Zu diesen gehören phosphoryliertes Tau-Protein (p-Tau), β-Amyloid und neurofilament light chain (NFL). Erste Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen OSA-Schwergerad und p-Tau- [86] [142] sowie β-Amyloid- Erhöhung im Liquor [68] [86] [143] und im Plasma [144].


3.6.2 Elektrophysiologische Biomarker

Das ereigniskorrelierte Potential P300 im EEG ist ein bekannter Prädiktor für kognitive Prozesse. Änderungen der Amplitude und Latenz von P300 sind assoziiert mit Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsveränderungen. Eine Studie an 55 Patienten mit schwergradiger OSA mit einer hohen Hypoxämielast konnte im Vergleich zu Normalpersonen eine Korrelation zur Amplitude der P300-Potentiale nachweisen [145].


3.6.3 Genetische Prädiktoren

Der Nachweis des Apolipoprotein E4 Allels (syn. ApoE-4-Allel) auf dem Chromosom 19 ist ein genetischer Risikofaktor für die Alzheimererkrankung. Diese genetische Variante findet sich in 20–25% aller Alzheimerpatienten und in bis zu 50% bei Alzheimerpatienten mit einem späten Krankheitsbeginn. Tierexperimentelle Untersuchungen an Mäusen mit dem ApoE-4-Allel weisen auf eine erhöhte Vulnerabilität für kognitive Defizite durch intermittierende Hypoxämien und Schlafunterbrechungen hin [146]. Die genetische Variante des ApoE-4-Allels wird als „Vulnerabilitätsfaktor“ für die Entwicklung von kognitiven Defiziten und schlafbezogenen Atemstörungen bei älteren Patienten diskutiert [98].



3.7 Zusammenfassung

Zusammenfassend ist die obstruktive Schlafapnoe ein Risikofaktor für kognitive Defizite und assoziierte Erkrankungen. Die OSA ist bei Patienten mit milder kognitiver Beeinträchtigung, Alzheimer-Krankheit und Depression häufig und mit einer schlechteren Prognose assoziiert. Die Therapie der OSA kann die kognitiven Beeinträchtigungen reduzieren. Bei neurokognitiven Erkrankungen stellt die OSA-Therapie eine additive Behandlung zur Verbesserung der Symptomatik und der Lebensqualität bei ausgewählten Patienten dar.

Für eine Verbesserung der Evidenz hinsichtlich der kognitiven Effekte der OSA und der Entwicklung von individualisierten Therapieempfehlungen müssen vor allem Langzeitstudien unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Bildungsniveau, körperlicher Aktivität, Dauer der unbehandelten OSA verbunden mit genormten Untersuchungsmethoden der kognitiven Funktionen und der OSA sowie genauer Erfassung der Adhärenz von OSA-Therapiemaßnahmen erfolgen.




Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Priv.-Doz. Dr. Gerlind Schneider
HNO-Klinik des Universitätsklinikums Jena
Am Klinikum 1
07747 Jena
Deutschland

Publication History

Article published online:
02 May 2023

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Abb. 1 Pathophysiologische Zusammenhänge zwischen obstruktiver Schlafapnoe (OSA) und kardiovaskulären Erkrankungen.
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Abb. 2 Übersicht über die kognitiven Funktionen.
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Abb. 3 Pathophysiologische Zusammenhänge zwischen obstruktiver Schlafapnoe (OSA) und kognitiven Dysfunktionen.
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Fig. 1 Pathophysiological correlation between obstructive sleep apnea (OSA) and cardiovascular diseases.
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Table 1 Overview of cognitive functions.
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Fig. 2 Pathophysiological correlations between obstructive sleep apnea (OSA) and cognitive dysfunctions.