Open Access
CC BY-NC-ND 4.0 · Laryngorhinootologie 2023; 102(S 01): S67-S92
DOI: 10.1055/a-1957-3267
Referat

Riechen und Riechstörungen

Artikel in mehreren Sprachen: deutsch | English
T Hummel
1   Interdisziplinäres Zentrum Riechen und Schmecken, HNO Klinik, TU Dresden,
,
N Power Guerra
2   Rudolf-Zenker-Institut für Experimentelle Chirurgie, Medizinische Universität Rostock, Rostock,
,
N Gunder
3   Universitäts-HNO Klinik Dresden, Dresden,
,
A Hähner
1   Interdisziplinäres Zentrum Riechen und Schmecken, HNO Klinik, TU Dresden,
,
S Menzel
1   Interdisziplinäres Zentrum Riechen und Schmecken, HNO Klinik, TU Dresden,
› Institutsangaben
 

Zusammenfasssung

Der Geruchssinn ist wichtig. Das wurde insbesondere v. a. Patient:innen mit infektbedingtem Riechverlust während der SARS-CoV2 Pandemie bewusst. Wir reagieren z. B. auf Körpergerüche unserer Mitmenschen – die Nase bestimmt/wen wir „riechen können“. Der Geruchssinn warnt uns vor Gefahren, die Wahrnehmung von Düften und die Wahrnehmung von Aromen beim Essen bedeuten Lebensqualität. Eine Anosmie muss daher ernst genommen werden. Obwohl sich olfaktorische Rezeptorneurone durch Regenerationsfähigkeit auszeichnen, sind Anosmien mit etwa 5% relativ häufig. Riechstörungen werden nach der Ursache eingeteilt (z. B. Infekte, Schädelhirntraumen, chronische Rhinosinusitis, Alter) mit den sich daraus ergebenden unterschiedlichen Therapieoptionen und Prognosen. Eine gründliche Anamnese ist deshalb bedeutsam. Zur Diagnostik stehen verschiedenste Untersuchungsverfahren zur Verfügung, von orientierenden Kurztests über ausführliche mehrdimensionale Testverfahren bis hin zu elektrophysiologischen und bildgebenden Methoden. Damit sind quantitative Riechstörungen gut erfassbar und nachverfolgbar. Bei qualitativen Riechstörungen wie der Parosmie stehen derzeit allerdings keine objektivierenden Diagnoseverfahren zur Verfügung. Die therapeutischen Möglichkeiten bei Riechstörungen sind begrenzt. Trotzdem stehen mit dem Riechtraining sowie verschiedenen additiven medikamentösen Möglichkeiten wirksame Optionen zur Verfügung. Von großer Bedeutung ist nach wie vor die Beratung und das kompetente Gespräch mit den Patient:innen.


1. Einleitung

Riechen ist wichtig. Das wurde v. a. im Laufe der SARS-CoV2 Pandemie deutlich. Viele Menschen wissen jetzt, wie es ist, ohne Geruchssinn durchs Leben zu gehen.


2. Definitionen

Bei quantitativen Riechstörungen kommt es zu einer Veränderung der Riechintensität (Hyposmie oder Anosmie), wohingegen bei qualitativen Riechstörungen die Qualität von Gerüchen verändert ist (Parosmie) oder eine Geruchswahrnehmung ohne Riechreiz vorliegt (Phantosmie) ([Tab. 1]). Bei Parosmien oder Phantosmien werden typischerweise unangenehme Empfindungen wahrgenommen. Häufig werden qualitative Veränderungen in Kombination mit quantitativen Veränderungen, aber auch als alleinige Riechstörung gefunden, wohingegen quantitative Riechstörungen häufiger isoliert auftreten. Parosmien und Phantosmien können gemeinsam auftreten, Parosmien können auch länger anhaltende Phantosmien auslösen. Bei quantitativen und qualitativen Riechstörungen sind also fließende Übergänge und Zwischenformen möglich [1].

Tab. 1 Einteilung der Riechstörungen

Bezeichnung

Erläuterung

Normosmie

Normales Riechvermögen

Quantitative Riechstörung

Hyposmie (selten auch „Mikrosmie“)

reduzierter Riechvermögen

Anosmie

nicht vorhandenes oder reduziertes Riechvermögen, das im täglichen Leben nicht nützlich ist

Spezifische Anosmie (oder „partielle Anosmie“

reduzierte Fähigkeit, einen bestimmten Duftstoff wahrzunehmen, obwohl das generelle Riechvermögen vorhanden ist (normales physiologisches Merkmal ohne klinische Bedeutung [445])

Hyperosmie

gesteigerte Fähigkeit, Gerüche wahrzunehmen [188]

Qualitative Riechstörung

Parosmie (selten auch „Kakosmie“, „Euosmie“ oder „Troposmie“)

Qualitativ verzerrte Wahrnehmung eines Duftstoffs

Phantosmie

Wahrnehmung von Gerüchen in Abwesenheit einer Duftquelle

Daneben findet sich die Multiple Chemosensorische Sensitivität (MCS; auch bekannt als „Idiopathische Umweltintoleranz“ – „idiopathic environmental intolerance“). MCS ist ein Syndrom, bei dem Betroffene mit einer Vielzahl von Symptomen wie Herzrasen, Ohnmachtsanfällen oder asthmatischen Symptomen auf die Exposition zu verschiedensten Chemikalien bzw. Duftstoffen reagieren. MCS wird als psychosomatische Erkrankung eingestuft und entsprechend behandelt [2] [3].


3. Epidemiologie von Riechstörungen

Die Prävalenz von Riechstörungen in der Allgemeinbevölkerung hat sich seit dem Ausbruch der SARS-CoV2 [COVID19]-Pandemie dynamisch entwickelt. Sowohl bei COVID-19-bezogener als auch bei nicht-COVID19-bezogener Riechstörung variieren die epidemiologischen Schätzungen stark je nach demographischer Stichprobe, Definition der Beeinträchtigung und der Untersuchungsmethode [4].

3.1 Subjektive Angaben

Der National Health Interview Survey (NHIS) von 1994 erfasste chemosensorische Störungen in 42.000 zufällig ausgewählten Haushalten in den USA [5]. Es wurde geschätzt, dass 1,4% der erwachsenen US-Bevölkerung Riechstörungen hätten, die wenigstens drei Monate anhielten. Diese Prävalenz nahm mit dem Alter zu, wobei etwa 40% der Teilnehmer:innen über 65 Jahre von Riechproblemen berichteten [5] Andere Studien wie z. B. die Korea National Health and Nutrition Examination Survey (KNHANES) berichteten 2009, dass eine Riechstörung bei 4,5–6,3% von über 10.000 Teilnehmer:innen vorlag [6] [7]. Der US-amerikanische National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES) schätzte an etwa 3.500 Teilnehmern die Häufigkeit von Riechstörungen mit 10,6 bzw. 23% [8] [9]. Andere Studien kommen zu Schätzungen zwischen 2,4% und 9,4% [10] [11] [12] (aber siehe auch [13]).


3.2 Psychophysische Tests

Die Epidemiologie von Riechstörungen wurde auch mit psychophysischen Tests untersucht, wobei nahezu ausnahmslos Duftidentifikationstests zum Einsatz kommen. An einer Stichprobe von 1.240 rhinologisch gesunden Patient:innen aus Deutschland zeigte sich bei 4,7% eine Anosmie sowie bei 15% eine Hyposmie [14], was durch eine Untersuchung von Vennemann et al. bei 1.312 Erwachsenen (Alter 25 bis 75 Jahre; ebenfalls Deutschland) bzw. durch Brämerson et al. in Schweden bestätigt wurde (Vennemann: Anosmie 3,6%, 18% Hyposmie; Brämerson: 5,8% funktionell anosmisch, 15,3% hyposmisch) [15] [16] [17] (vgl. auch [18]). Übereinstimmend zeigte sich in diesen und weiteren Studien eine Zunahme der Prävalenz von Riechstörungen mit dem Alter (z. B. [19] [20] [21] [22] [23] [24] [25] [26] [27]).

Die OLFACAT-Umfrage an 9.348 Teilnehmern untersuchte die Erkennung und Identifizierung von 4 selbstverabreichten mikroverkapselten Duftstoffen. Hier betrug die Prävalenz von Riechstörungen 19,4 bis 48,8% [28]. In der Beaver Dam Studie betrug bei 2.491 Erwachsenen im Alter von 53–97 Jahren die mittlere Gesamtprävalenz 24,5% und stieg auf 62,5% bei Personen über 80 Jahren [29].

Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse fasste Daten aus 25 Studien mit insgesamt 175.073 Teilnehmern zusammen (Durchschnittsalter 63 Jahre, 56,3% männlich) [30]. Die Gesamtprävalenz von Riechstörungen betrug populationsbezogen 22,2%. Die Prävalenz war deutlich höher, wenn psychophysische Messinstrumente verwendet wurden, im Gegensatz zu subjektiven Berichten (28,8 bzw. 9,5%).



4. Anatomie und Physiologie des Geruchssinns

Ein Mensch kann Millionen von Düften wahrnehmen [31] [32]. Vereinfacht dargestellt, beruht die Erkennung von Duftmolekülen auf der Interaktion mit spezifischen Rezeptoren auf den Riechsinneszellen, der Verschaltung im Riechkolben (Bulbus olfactorius [BO]) und der Projektion auf zentrale olfaktorische Netzwerke [33].

Traditionell wird angenommen, dass das Hauptriechepithel auf die Riechspalte im Dach der Nasenhöhle beschränkt ist. Es ist jedoch nicht ganz klar, welches Ausmaß das olfaktorische Epithel in der Nasenhöhle hat, da insbesondere bei jüngeren Menschen [34] [35] reife und funktionelle olfaktorische sensorische Neurone am Ansatz der mittleren Nasenmuschel gefunden werden konnten [36] [37] [38] [39] [40]. Diese olfaktorischen Neurone besitzen apikal zur Oberfläche hin Zilien, die in den Schleim ragen und mit olfaktorischen Rezeptoren ausgekleidet sind [33]. Die olfaktorischen Rezeptoren sind Transmembranproteine, die durch Bindung eines Duftmoleküls ein spezielles G-gekoppeltes Protein aktivieren. Durch die Untereinheit des G-Proteins wird nach seiner Aktivierung eine Adenylat-Cyclase aktiviert und somit die Konzentration von zyklischem Adenosinmonophosphat (cAMP) in der Zelle erhöht. Die Erhöhung von cAMP führt wiederum zu einer Öffnung von Kationenkänalen, wodurch unter anderem Calcium in das Neuron hineinströmt. Der Kationenfluss bewirkt eine Depolarisierung der Membran und die Initiierung eines Aktionspotentials, welches entlang der Axone zum BO weitergeleitet wird [41] [42].

Durch die Charakterisierung der olfaktorischen Rezeptorgenfamilien konnten etwa 400 aktive olfaktorische Rezeptorgene beim Menschen gezeigt werden [43] [44] [45]. Dabei exprimiert jedes reife olfaktorische Rezeptorneuron (ORN) jeweils nur einen olfaktorischen Rezeptor [46] [47]. Die Wahrnehmung von über Tausenden von Duftmolekülen wird durch eine komplexe kombinatorische Kodierung ermöglicht. Die meisten Duftmoleküle aktivieren mehrere Rezeptoren, und die Rezeptoren wiederum können von vielen unterschiedlichen Duftmolekülen aktiviert werden. Jeder Duftstoff aktiviert dabei eine spezifische Kombination aus olfaktorischen Rezeptoren, die wiederum als Agonisten und Antagonisten wirken können [48] [49] [50] [51]. Dieser kombinatorische Effekt aus der Aktivierung bzw. Inhibierung von olfaktorischen Rezeptoren ermöglicht, dass vergleichsweise wenige Rezeptoren eine sehr große Anzahl an Duftmolekülen erkennen können. Darüberhinaus wurden noch andere Arten von Chemorezeptoren identifiziert, die wahrscheinlich an der menschlichen Chemorezeption beteiligt sind [52] [53] [54].

Die Axone der ORN verlaufen basal in Bündeln (olfaktorische Fila) durch die Foramina der Lamina cribrosa zum BO. Der Riechkolben ist das erste Relais im olfaktorischen System und befindet sich unmittelbar oberhalb (dorsal) der Lamina cribrosa und unterhalb (ventral) des orbitofrontalen Kortex. Innerhalb des BO bilden olfaktorische Axone ihre erste Synapse mit bulbären glomerulären Zellen. ORN sind erregende sensorische Neuronen erster Ordnung, die direkt von der Schleimhaut der Riechspalte in das Gehirn reichen. Die ORN sind daher der äußeren Umgebung ausgesetzt, einschließlich Krankheitserregern und Toxinen, die Schädigungen verursachen und letal sein können. Möglicherweise als kompensatorische Schutzreaktion auf solche Schäden, besitzen ORN das Potential zur Neurogenese. Dabei differenzieren sich die ORN aus den Basalzellen des olfaktorischen Epithels [55]. Die Umsatzzeit beim Menschen ist allerdings nicht bekannt [56] [57]. Die olfaktorische Neurogenese wird durch die Glia-ähnlichen olfaktorische Hüllenzellen erleichtert, die sowohl im olfaktorischen Epithel als auch im BO gefunden werden können.

Die Ausgangsneuronen zweiter Ordnung des BO sind die Mitral- und Büschelzellen. Nach der Signalintegration verlängern diese Neuronen ihre Axone entlang des lateralen Riechtrakts in Richtung der Strukturen des primären Riechkortex. Zu diesen Strukturen gehören: der Nucleus olfactorius anterior, der piriforme Kortex, der periamygdaloide Kortex, der vordere kortikale Kern der Amygdala und der rostrale entorhinale Kortex. Die weitere Geruchsverarbeitung findet in „sekundären“ und „tertiären“ Hirnarealen statt, darunter Strukturen wie Hippocampus, Parahippocampus, Insula und orbitofrontaler Kortex [58] [59].

Ein wichtiger weiterer Aspekt bei der Geruchsempfindung ist der Einfluss der somatosensorischen Empfindungen der Nase: Beispielsweise gehören zu diesen Empfindungen das kühlende Gefühl von Menthol oder das Prickeln von CO2 bei kohlensäurehaltigen Getränken. Diese Empfindungen werden in der Nase durch den ersten und zweiten Trigeminusast vermittelt [60] [61]. Trigeminale und olfaktorische Funktionen sind eng miteinander verwoben und voneinander abhängig [62] [63] [64] [65]. Darüber hinaus ist die Trigeminusaktivierung von entscheidender Bedeutung für die Wahrnehmung des nasalen Luftstroms, was zum Beispiel zur Erklärung des Gefühls einer verstopften Nase bei fehlendem anatomischem Korrelat herangezogen wird [66] [67] [68] [69].


5. Ursachen von Riechstörungen

Riechstörungen werden nach dem Ort der Läsion oder nach ihrer Ursache eingeteilt ([Tab. 2]). Allerdings sind die Orte der Läsion bei Riechstörungen nicht eindeutig zuzuordnen. Zum Beispiel kann bei traumatisch bedingten Riechstörungen die Peripherie (Abriss der Fila olfactoria) oder das ZNS geschädigt sein (z. B. Kontusion des Bulbus olfactorius oder des orbitofrontalen Kortex) [70] [71]. Aus diesem Grund wird in der Regel die Einteilung nach der Ursache verwendet.

Ursache

Beginn

Prognose

Parosmien vorhanden

Phantosmien vorhanden

COVID19 bzw. andere Infekte der oberen Atemwege

Plötzlich

Besserung häufig

+++

++ 

Chronische Rhinosinusitis

Allmählich

Sehr gute Behandlungsmöglichkeiten

+

Schädel-Hirn-Trauma

Plötzlich

Besserung möglich

+

++

Neurologische Erkrankungen, wie z. B. M. Parkinson, M. Alzheimer, Myasthenia gravis

Allmählich

Besserung möglich

+

+

Medikamentöse/toxische Ursachen

variabel

Variabel, z. B. nach Absetzen/Entfernung der Noxe gut

+

+

Angeborene Anosmie

keine Therapie möglich

Alter

Allmählich

Besserung möglich

Andere Ursachen, wie z. B. iatrogene Schäden (z. B. sinunasale und Schädelbasischirurgie, Laryngektomie), Tumore, multiple systemische Erkrankungen

variabel

Besserung möglich

+

+

5.1 COVID19-bedingte Riechstörung

Die Prävalenzschätzung COVID19 assoziierter Riechstörungen (COVID19-OD) reicht von 5% bis 88% auf [72]. Ein Grund für diese Variabilität liegt in der Methode, die zur Erhebung einer Riechstörung angewendet wurde. Aufgrund der Infektiosität von SARS-CoV-2 erfolgte insbesondere bei akuten Erkrankungen die Schätzung der Prävalenz anhand von subjektive Angaben und nicht aufgrund psychophysischer Untersuchungen. Anhand subjektiver Angaben variiert die Prävalenz für einen Riechverlust von 39% [73] bis 53% [74]. Hierbei scheint durch die Selbstbewertung der Riechverlust deutlich unterschätzt zu werden, denn unter Einbeziehung validierter Testinstrumente bzw. anhand der psychophysischen Testung der Riechfunktion war die gepoolte Prävalenzschätzung von COVID19-OD mit 87% bzw. 77% deutlich höher als bei der Verwendung nicht validierter Methoden bzw. Erfassung subjektiver Angaben [72] [74].

Im Vergleich mit anderen postviralen Riechstörungen führt COVID19 häufiger bei jüngeren Menschen zum Riechverlust [73] [75] und Frauen scheinen häufiger betroffen zu sein als Männer [75] [76] [77] (aber nicht bei [73] [78]). Bei der Interpretation der interindividuellen Prävalenzunterschiede sollte auf mögliche Selektionsfehler geachtet werden, da die Ermittlung der Prävalenz u. a. an die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen oder an die gezielete Abfrage oder den spontanen Bericht möglicher Beschwerden z. B. in Sprechstunden gekoppelt ist. Borsetto et al. [79] ermittelten in einer in Metaanalyse mit 3563 Patient:innen eine höhere Prävalenz für die Entwicklung eine Riechstörung bei Patient:innen mit einem mild bis moderaten Verlauf mit ca. 67% im Vergleich zu Patient:innen mit einem schweren Verlauf mit 31%. Von Bartheld et al. [73] geben jedoch zu bedenken, dass der Riechverlust bei einem schweren Verlauf von COVID19 möglicherweise weniger bedeutsam oder seltener bemerkt werden könnte.

Zudem besteht ein Zusammenhang der Prävalenz der COVID19-OD zur Virusvariante [80] [81], mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für eine COVID19-OD bei der Alpha-Virusvariante (50%) im Vergleich zur Delta-Variante (44%) oder Omikron-Variante (17%), wobei die Omikron-Variante am seltensten eine COVID19-OD bedingt, wahrscheinlich aufgrund von Mutationen in Bezug zum sog. „Spike“-Glykoprotein [82].

Der Riechverlust stellt zum Teil das einzige Symptom einer COVID19-Infektion dar [83] [84]. Bei einem systematischen Review und einer Metaanalyse mit 3563 Patient:innen trat der Riechverlust bei 20% als erstes oder einziges Symptom auf, bei der Mehrheit der Fälle (54%) folgte er anderen Symptomen und bei 28% trat er gleichzeitig mit anderen Symptomen auf [79] (da es eine Metaanalyse aus mehreren Studien ist, werden in Summe keine 100% erreicht). Zu den weiteren mit COVID19 assoziierten Symptomen gehören Husten, Halsschmerzen, Luftnot, Fieber, Myalgie, Rhinorrhoe und nasale Obstruktion. Zu Beginn der Pandemie traten im Vergleich zu nicht COVID19 assoziierten postviralen Riechstörungen seltener Rhinorrhoe oder nasale Obstruktion auf [85] [86].

Die COVID19-OD beginnt plötzlich, wenige Tage nach der SARS-CoV-2 Infektion. Zu Beginn der COVID19 Pandemie 2020 konnte ein subjektiv berichteter „plötzlicher Geruchsverlust“ mit einer Spezifität von 97%, einer Sensitivität von 65%, einem positiven Vorhersagewert von 63% und einem negativen Vorhersagewert von 97% eine Erkrankung mit COVID19 erfassen, wobei Patient:innen mit verstopfter Nase ausgeschlossen wurden [85]. Bei der späteren Omikron-Variante wurden häufiger eine Nasenatmungsbehinderung und Rhinorrhoe beschrieben bei einem meist intakten Riechvermögen [82].

Zu Beginn der COVID19 Pandemie standen quantitativen Riechstörungen im Sinne von Hyp- und Anosmien im Vordergrund [87]. Die beschriebenen Riechstörungen wirken sich hierbei auf die Einschränkung der Riechschwelle, Diskrimination und Identifikation aus [78]. Im Verlauf wurden vermehrt qualitative Riechstörungen berichtet [88] [89].

Auf Grundlage subjektiver Bewertungen zeigt ein Großteil der COVID19-Riechstörungen eine deutliche Besserung bzw. vollständige Erholung innerhalb von 1–2 Wochen [90] [91]. Boscolo-Rizzo et al. [92] berichteten auf der Grundlage subjektiver Bewertungen und psychophysischer Untersuchungen nach 4 Wochen eine deutliche Besserung der COVID19-Riechstörungen, wobei die Besserungen nach etwa 8 Wochen eine Art Plateau erreichte. Sechs Monate nach der COVID19-Infektion bewerteten 77% der 110 Patient:innen ihre initiale Riechstörungen als vollständig regredient, während 20% eine Besserung und 3% eine Verschlechterung beschrieben. Bei der psychophysischen Testung 6 Monate nach der Infektion wurde bei der Mehrheit (59%) der Patient:innen trotz der subjektiv nicht mehr vorhandenen Riechstörung eine Hyp- oder Anosmie mithilfe eines Dutferkennunsgtests diagnostiziert. Über einen längeren Beobachtungszeitraum von 2 Jahren gaben 88% eine vollständige Regredienz der Beschwerden an [95].

In Abhängigkeit der durchgeführten Riechtestung und aufgrund der bestehenden Selektionsproblematik ergeben sich unterschiedliche Daten zum Verlauf: Bei der psychophysischen Testung variieren die Angaben einer persistierenden Riechstörung von 7% nach 3 Monaten (selbst durchgeführter Riechtest) [93], über 15% nach 3 Monaten bzw. 5% nach 6 Monaten (Sniffin’ Stick Identifikationstest) [94] bis 21% nach 3 bis 6 Monaten (Sniffin’ Sticks: Schwelle, Diskrimination und Identifikation) [78]. Bei der psychophysischen Testung wurde nach im Mittel 7 Monaten bei 77% der 102 Patient:innen eine Hyp- bzw. Anosmie diagnostiziert [96]. Tognetti et al. [97] wiesen auch im weiteren Verlauf 18 Monate nach einer stattgehabten COVID19 Infektion bei 37% von 100 Patient:innen eine persistierende Riechstörung nach, wobei 60% diese subjektiv nicht bemerkten. Auch für einen längeren Beobachtungszeitraum war der Anteil der Patient:innen mit einer psychophysisch nachweisebaren Riechstörung deutlich höher als bei der subjektiven Einschätzung des Riechvermögens. Dies deutet darauf hin, dass die Regeneration nach einer COVID19-OD langsamer erfolgt als dies subjektiv empfunden wird.

Über die gesetzlichen Krankenkassen Deutschlands erfolgte eine Analyse des Diagnoseschlüssels „post-akut COVID19 Syndrom“ (Long-COVID) für das 2. Quartal 2021 zur Erfassung der Symptome in einer Fall- und einer Kontroll-Gruppe, welche sich v. a. auf die Wild-Typ- und Alpha-Variante beziehen. Eine Riech- und/ oder Schmeckstörung wurde bei 3,2% der etwa 160.000 Long-COVID Patient:innen und bei 0,2% der 320.000 Kontrollpatient:innen beschrieben [13]. Die Angabe einer Riech- und Schmeckstörung ist damit zwar deutlich höher innerhalb der Long-COVID Gruppe, sie müsste jedoch unter Einbeziehung der allgemeinen Prävalenz einer messbaren Riechstörung mit 20% bzw. 5% Anosmien eigentlich deutlich höher sein [15]. Zusammenfassend besteht bei der Ermittlung der Prävalenz der C19OD die Problematik, dass initial aufgrund der Infektiosität die Patient:innen mit Ruhestörungen psychophysisch nicht getestet werden können und vielen Patient:innen im Verlauf ihre Riechstörung nicht bewusst ist.

Parosmien traten im Verlauf bei 64% der Patient:innen auf, wobei diese hauptsächlich innerhalb des ersten Monats nach COVID19 begannen. Für die Patient:innen mit einer Parosmie konnte mittels psychophysischer Testung eine bessere Riechfunktion bestimmt werden, bei insgesamt schlechterer Bewertung ihrer Lebensqualität [89]. Parosmien werden daher als möglicher prognostisch günstiger Parameter für eine Verbesserung der Riechfunktion diskutiert, da dies auch für nicht-COVID19 bedingte postinfektiöse Riechstörungen nachweisbar war [98] [99].

Trotz der mehr als zwei Jahre andauernden SARS-CoV2-Pandemie ist die Pathogenese des Riechverlustes noch nicht vollständig geklärt. Nach aktuellem Kenntnisstand bindet der einzelsträngige RNA-Virus SARS-CoV-2 an das Angiotensin-Converting-Enzym 2 (ACE2) auf menschlichen Stützzellen der Riechschleimhaut, vermittelt durch die Transmembrane Protease Serin Subtyp 2 (TMPRSS2). Hierdurch werden ORN indirekt geschädigt, was bei Untergang der ORN aber eine dauerhafte Schädigung nach sich ziehen kann [100] [101]. Als einer der Schädigungsmechanismen wird die Herunterregulation der olfaktorischen Signalgene der ORN vermutet [102]. Weiterhin besteht eine entzündliche Veränderung mit einer Invasion von Leukozyten in die Riechschleimhaut [103] [104]. Zusätzlich wird eine zentrale Komponente der Riechstörung diskutiert [105], die hauptsächlich durch mikrovaskuläre Störungen erklärt wird [106] und nicht wie initial vermutet an einen Virusnachweis im Gehirn gekoppelt ist, der bisher bei Hamstern [103], aber nicht beim Menschen gelang [106].


5.2 Nicht-COVID19-bedingte postinfektiöse Riechstörung (postvirale Riechstörungen)

Neben SARS-CoV-2 sind Infektionen der oberen Atemwege mit anderen Viren (z. B. Parainfluenza, HIV) eine häufige Ursache für Riechstörungen [107] [108]. Riechstörungen können auch durch Bakterien, Pilze oder z. B. Mikrofilarien ausgelöst werden [109] [110] [111]. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, typischerweise in einem Alter jenseits des 50. Lebensjahrs [112]. Letzteres kann auf die altersbedingt verminderte Regenerationsfähigkeit des olfaktorischen Systems und die Akkumulation früherer Läsionen zurückzuführen sein [113]. Der Beginn ist plötzlich, und obwohl viele Patient:innen eine ungewöhnlich schwere Infektion beschreiben, sind sich einige des auslösenden Infektes nicht bewusst bzw. der Riechverlust fällt erst Wochen nach dem Infekt auf. Oft treten im Laufe der Regeneration Parosmien auf [114]. Der postinfektiöse Riechverlust bessert sich häufiger als das bei anderen Ursachen der Fall ist [108]. Reden und Kollegen zeigten eine Verbesserung der psychophysischen Testergebnisse von etwa einem Drittel von 262 Patienten mit postviralen Riechstörungen (Dauer ≥ 18 Monate) über einen Beobachtungszeitraum von 14 Monaten [115], wobei sich höhere [116] oder niedrigere Schätzungen in der Literatur finden [117] [118]. Wichtig bei der Interpretation der Studien ist, wie lange der Riechverlust bei Studieneintritt bereits bestanden hatte – je länger der Riechverlust, desto geringer die Aussicht auf Erholung.

Den postinfektiösen Riechstörungen liegen pathophysiologisch entweder eine Schädigung der Riechschleimhaut oder der zentralnervösen Verarbeitungsstationen zugrunde [119] [120]. Histologische Untersuchungen bei Patient:innen mit postinfektiösen Riechstörungen zeigen eine neuroepitheliale Remodellierung und einen Ersatz der Riechzellen durch respiratorisches Epithel oder gelegentlich metaplastisches Plattenepithel [112] [121]. Die Anzahl der ORN ist reduziert, sie sind inhomogen verteilt und ihre Morphologie kann verändert sein (z. B. Volumenabnahme, Verringerung oder Verkürzung der Dendriten) [112]. Darüber hinaus sind die OB-Volumina im verlauf reduziert [122].


5.3 Riechstörungen als Folge einer sinunasalen Erkrankung

Die Rhinosinusitis ist neben dem Alter die Hauptursache für einen Riechverlust [110] [123]. Dies kann entweder eine akute (weniger als 12 Wochen andauernde, mit vollständigem Verschwinden der Symptome) oder eine chronische Rhinosinusitis sein, die 12 Wochen oder länger andauert. Es gibt eine Vielzahl phänotypischer Subtypen, wobei Patient:innen mit chronischer Rhinosinusitis mit nasaler Polyposis (CRSwNP) am stärksten von einem Geruchsverlust betroffen sind, gefolgt von Patient:innen mit chronischer Rhinosinusitis ohne Polypen (CRSsNP), der nicht-allergischen Rhinitis, der atrophischen Rhinitis und der allergischen Rhinitis [124]. Nach dem European Position Paper on Rhinosinusitis and Nasal Polyps sowie den American Academy of Otolaryngology-Head and Neck Surgery Guidelines wie auch den AWMF-Leitlinien zur Rhinosinusitis ist die Riechstörung ein Kardinalsymptom der Erkrankung [125] [126] [127]. Die Prävalenz der CRS liegt in der europäischen Allgemeinbevölkerung bei 11% [11].

Riechstörungen durch chronische Rhinosinusitis werden durch eine Kombination von Faktoren verursacht. Dazu gehört der gestörte Zugang von Duftstoffen zu den Riechrezeptoren wegen der Nasenatmungsbehinderung, dem Schleimhautödem, der erhöhten Schleimsekretion und der polypösen Raumforderung, sowie die entzündungsbedingte Störung der Bindung von Duftstoffen an die Rezeptoren [128] [129], der strukturelle Umbau des Riechepithels [112] und schließlich der funktionelle und/oder strukturelle Umbau des BO sowie des primären und sekundären olfaktorischen Kortex [130] [131] [132] [133]. Riechstörungen im Zusammenhang mit sinunasalen Erkrankungen treten allmählich im Lauf von Monaten und Jahren auf und schwanken im Laufe der Zeit [134] [135]. Sie bessern sich selten ohne Behandlung, Parosmien treten eher nicht auf [114] [136] [137].


5.4 Posttraumatische Riechstörungen

Schädelhirntraumen sind eine Hauptursache für dauerhafte Riechstörungen. Ihnen liegen verschiedene Mechanismen zugrunde, u. a. Septumfrakturen mit mechanischer Verlegung der Atemwege, direkte neuroepitheliale Verletzungen, Ödeme oder Veränderungen der Schleimeigenschaften [138], Abscherung der Fila olfactoria beim Durchtritt durch die Lamina cribrosa [70] [139] (s. aber auch [140]), zerebrale Kontusionen, sowie intrazerebrale Blutungen mit nachfolgender Gliose [141] [142] [143].

Der traumatisch bedingte Riechverlust tritt in der Regel plötzlich auf, wird aber oft erst Wochen und Monate nach dem Unfall bemerkt, zum Beispiel bei Rückkehr in die häusliche Umgebung nach einem längeren Krankenhaus- oder Reha-Aufenthalt. Dieses verzögerte Auftreten der Riechstörung könnte auch eine verzögert auftretende zentralnervöse Schädigung widerspiegeln. Je schwerer das Schädelhirntrauma ist, desto wahrscheinlicher ist der Riechverlust [142]. Aber auch sehr leichte Traumen können zum Riechverlust führen [144]. Bei posttraumatischen Riechstörungen finden sich vergleichsweise oft Phantosmien, seltener Parosmien [114] [145] [146]. Die Regenerationsquoten bei posttraumatisch bedingten Riechstörungen sind deutlich geringer als bei postinfektiösen Riechstörungen. Trotzdem kommt es im Laufe der Zeit in etwa 30% der Fälle zu einer Genesung, abhängig von der Schwere der Verletzung [108] [115] [147] [148] [149] [150].


5.5 Riechstörungen im Zusammenhang mit neurologischen Erkrankungen

Riechstörungen sind ein Begleitsymptom vieler neurologischer Erkrankungen, wobei insbesondere die neurodegenerativen Erkrankungen mit olfaktorischen Störungen assoziiert sind. Sie finden sich bei über 90% der Patient:innen mit idiopathischem Parkinson-Syndrom (IPS) [151] und werden als supportives diagnostisches Kriterium in der klinischen IPS-Diagnose angesehen [152]. Vor dem Hintergrund, dass die olfaktorischen Störungen den motorischen Symptomen mitunter über zehn Jahre vorausgehen [153] [154], weist die Mehrzahl der IPS-Patient:innen zum Diagnosezeitpunkt bereits eine ausgeprägte Hyposmie bzw. eine Anosmie auf. Daher muss zumindest bei einigen Patient:innen mit idiopathischem Riechverlust und weiteren Risikofaktoren (z. B. positive Familienanamnese) ein beginnendes IPS in Betracht gezogen und neurologisch abgeklärt werden [153]. In geringerem Maße treten Riechstörungen bei atypischen Parkinson-Syndromen auf, während z. B. Restless-Legs-Syndrom oder einem essentiellen Tremor ein fast uneingeschränktes Riechvermögen aufweisen [155]. Schwerwiegende Riechstörungen finden sich ebenfalls bei der Lewy-Body-Demenz, der frontotemporalen Demenz und der Alzheimer-Demenz (AD) [155]. Die Riechstörung ist bei der AD ebenfalls ein Frühsymptom der Erkrankung und bereits bei Patient:innen mit leichten kognitiven Störungen nachzuweisen, wobei Einschränkungen in der Riechidentifikation einen aussagekräftigen Prädiktor für die Konversion zur Demenz darstellen [156]. Olfaktorische Defizite unterschiedlicher Ausprägung werden ebenfalls bei der Huntingtonschen Erkrankung, bei Heredoataxien und Motoneuronerkrankungen [155] sowie bei Myasthenia gravis beobachtet [157]. Patient:innen mit Multipler Sklerose [158], viele nicht-degenerative Krankheitsbilder, wie z. B. Temporallappenepilepsie [159], akute depressive Episoden [160] und Schizophrenie [161] weisen ebenfalls oft Riechstörungen auf.

Bei vielen Synucleinopathien, wie z. B. dem IPS, und bei der AD wurden neuropathologische Veränderungen mit typischen Proteinablagerungen in der Riechschleimhaut, OB und Tractus olfactorius sowie im primären und sekundären olfaktorischen Kortex beschrieben [162]. Die diagnostische Verwertbarkeit dieser neuropathologischen Veränderungen ist bisher unklar, da z. B. in vivo Biopsien des olfaktorischen Epithels immunhistochemisch keine signifikanten Unterschiede zwischen IPS und Patient:innen mit Riechstörungen anderer Ursache aufweisen [163].


5.6 Riechstörungen im Zusammenhang mit dem Alter

Der altersbedingte Riechverlust ist die häufigste Ursache für eine Riechstörung. Etwa 50% der 65- bis 80-Jährigen und 62–80% der über 80-Jährigen sind hyposmisch [164]. Der Riechverlust im Alter wird als positiver Prädiktor für die 5-Jahres-Mortalität angesehen [165] [166] und erweist sich dabei als stärkerer Risikofaktor im Vergleich zu den meisten chronischen Erkrankungen [165]. Für die Einschränkung der Riechfunktion ergibt sich ein deutlicherer Zusammenhang mit der Mortalität als für eine Einschränkung des Hör- oder Sehvermögen [166] und eine ausgeprägte Assoziation mit neurodegenerativen Erkrankungen [167].

Die möglichen Ursachen für Riechstörungen mit zunehmendem Alter sind vielfältig, wobei der Ersatz des olfaktorischen durch respiratorisches Epithel bei reduzierter Regenerationsfähigkeit der ORN, eine zunehmende Fibrose der Foramina der Lamina cribrosa und ein Volumenverlust der BO als typische und möglicherweise ursächliche Veränderungen betrachtet werden [34] [168].


5.7 Idiopathische Riechstörungen

Eine idiopathische Riechstörung liegt dann vor, wenn eine gründliche Diagnostik keine klare Ursache ergibt. Bis zu 16% der Patient:innen, die in speziellen Zentren untersucht werden, fallen in diese Kategorie [169]. Die Diagnose einer „idiopathischen Riechstörung“ ist aufwendig und schwierig, da einige der Fälle z. B. auf asymptomatische Infektionen der oberen Atemwege, auf eine altersbedingte Riechstörung oder eine ehe symptomarme CRS zurückzuführen sein könnten [170] [171].


5.8 Medikamentös bzw. toxisch bedingte Riechstörungen

Bei chronischer Exposition zu Toxinen kann es zu Riechstörungen kommen. Ursachen können Schwermetalle sein, wie Cadmium und Mangan, Pestizide, Herbizide und Lösungsmittel. Auch Chemotherapeutika und andere Medikamente können zu Riechstörungen führen, vermittelt über periphere, neuroepitheliale oder zentrale Läsionen [172].


5.9 Angeborene Riechstörungen

Mit einer Häufigkeit von etwa 1:8000 finden sich angeborene Anosmien, häufig als isolierte congenitale Anosmie, seltener im Rahmen einer genetischen Störung (z. B. Kallmann-Syndrom -hypogonadotroper Hypogonadismus; Turner-Syndrom [173]; Bardet-Biedl-Syndrom [174]). Typischerweise wird die Diagnose im Alter zwischen 12 und 16 Jahren gestellt. Kennzeichnend für congenitale Anosmien sind die hypoplastischen/aplastischen BO und der abgeflachte Sulcus olfactorius (<8 mm) [112] [175] [176] [177] [178]. Allerdings wurden auch Fälle von congenitaler Anosmie bei ausgebildetem BO bei Mutation des CNGA2-Gens berichtet [179]. Andersherum erscheint auch ein normaler Riechsinn bei fehlendem oder sehr stark verkleinertem Riechkolben denkbar [180] [181]. Bei V.a. Kallmann Syndrom oder anderen syndromalen Konstellationen sollten sich die Patient:innen einer genetischen, endokrinologischen und pädiatrischen Untersuchung unterziehen.


5.10 Andere Ursachen von Riechstörungen

Riechstörungen können durch eine Reihe verschiedenster Erkrankungen verursacht werden, z. B. durch intranasale oder intrakranielle Neoplasmen, Nasenoperationen (z. B. Septumplastik [182]), endokrine Erkrankungen (z. B. M. Addison, Hypothyreose, Diabetes mellitus), Bluthochdruck, Vitamin-B12-Mangel, Funktionsstörungen als Komplikation einer Operation (z. B. Operationen im Bereich der vorderen Schädelbasis) [109] [183] [184] oder Nasenoperationen und Tracheotomien z. B. bei Laryngektomie, die den nasalen Luftfluss verändern [185], psychiatrische Erkrankungen [186] [187], Migräne [188] [189], Strahlentherapie [190] oder Alkoholabhängigkeit [191] [192].

Die Rolle von Rauchen/Nikotin beim Riechverlust ist umstritten [193] [194] [195]. Mehrere Studien haben eine dosisabhängige, negative Wirkung des Rauchens auf die Riechfunktion gezeigt [16] [196] [197]. Den Veränderungen könnte eine erhöhte Apoptose von ORN [198] und/oder der Ersatz des olfaktorischen Epithels durch Plattenepithelmetaplasie [199] zugrunde liegen.



6. Qualitative Riechstörungen

Parosmie und Phantosmie sind Formen der qualitativen Riechstörung: Parosmie ist die verzerrte, verdrehte Wahrnehmung einer Geruchsqualität in Gegenwart eines Duftes; Phantosmie ist die Riechwahrnehmung ohne dass ein Duft vorhanden wäre.

6.1 Parosmie

Als Parosmie gilt eine Duftwahrnehmung, wenn die subjektiven Erwartungen und die tatsächliche Erfahrung einer Duftqualität nicht übereinstimmen. Im Allgemeinen sind Parosmien unangenehm („verbrannt, fäkal, faulig, modrig“), obwohl auch im Prinzip angenehme Verzerrungen („Euosmie“) beschrieben wurden [200] [201]. Parosmie wurden bei 4–10% der Allgemeinbevölkerung und bei 7–56% der Patient:innen mit Riechstörung berichtet [87] [202] [203] [204] [205]. Der hohe Grad der Varianz erklärt sich durch die Art der Feststellung einer Parosmie und durch die Unterschiede in den untersuchten Populationen und weist auch auf die Subjektivtät der Symptomatik und ihrer Darstellung hin.

Parosmien treten am häufigsten bei Patient:innen mit postviralen Riechstörungen auf, aber auch bei Riechstörungen anderer Ursache [205] [206]. Parosmien stellen sich in der Regel mit einem Intervall von Wochen oder Monaten nach Beginn der Riechstörung ein [87] [88] [97] [206], im Zusammenhang mit einer Erholung der Riechfunktion. Parosmien treten sowohl bei Hyposmie und funktioneller Anosmie aber auch bei Normosmie auf [205]. Zudem treten sie eher bei jüngeren Frauen auf und stellen möglicherweise ein positives prognostisches Zeichen dar [98] [99] [206] (aber siehe auch [205]). Die psychosozialen Auswirkungen von Parosmien können gravierend sein [206] [207] [208] [209].

Zur Entstehung von Parosmien gibt es verschiedene Hypothesen. Die „Fehlverdrahtungs“-Hypothese der Parosmie [210] geht davon aus, dass Parosmien auf einer falschen oder unvollständigen Kodierung von Düften beruhen, dem wieder verschiedene Mechanismen zugrunde liegen können: 1. – falsche Zuordnung von Axonen der ORN zu den Glomeruli im BO; 2. –Wechsel in der Rezeptorexpression der ORN; und 3. – unvollständige ORN-Populationsregeneration, die zu Änderungen bzw. Lücken in der Mustergenerierung führt [102] [139] [145] [146] [211] [212] [213] [214] [215]. Die „zentrale“ Hypothese geht von zentralnervösen Fehlverarbeitungen bzw. Fehlversschaltungen aus beruhend auf folgenden Beobachtungen: 1. – kleine OB bei Patient:innen mit Parosmie; 2. – reduziertes Volumen der Substantia grisea im olfaktorischen Kortex; und 3. – veränderte Aktivierungsmuster in der zerebralen Duftverarbeitung [122] [216] [217] [218] [219].

Parosmien werden durch bestimmte Duftgruppen, wie z. B. Pyrazine, Thiole oder Furane eher ausgelöst als durch andere [220]. Typischerweise sind die Schwellen für die Wahrnehmung dieser Duftstoffe niedrig. Als auslösende Düfte werden häufig genannt Kaffee, Schokolade, Fleisch, Zwiebel, Knoblauch, Ei und Minze/Zahnpasta [221] [222].

Die Diagnose einer Parosmie beruht auf subjektiven Angaben der Patient:innen [223]. Kurze Fragebögen helfen bei der Diagnostik [224], ähnlich wie die Einteilung nach Häufigkeit und Intensität der parosmischen Wahrnehmungen sowie der Beeinträchtigung durch die Parosmie [225]. Psychophysische Instrumente wurden vorgeschlagen (Sniffin Sticks Parosmia Test – „SSParoT“; [226]), bedürfen aber wahrscheinlich weiterer Modifikation [227].


6.2 Phantosmie

Phantosmien sind Geruchswahrnehmungen ohne Geruchsquelle, sie werden typischerweise als unangenehm beschrieben („verbrannt/rauchig, verrottet, fäkal, chemisch“) [228] [229]. Phantosmien erleben etwa 1–31% der Allgemeinbevölkerung [14] [202] [230] und bis zu 16% der Patient:innen mit Riechstörungen [204] [205] [206] [229], oft zusammen mit Parosmien [204]. Patient:innen mit einer Phantosmie sind häufig funktionell anosmisch (43%) [205], sie sind eher mittleren Alters und haben häufig eine posttraumatische Riechstörung. Pahntosmien kommen aber auch bei Patient:innen mit anderen Ursachen von Riechstörungen vor [205] [206]. Geruchshalluzinationen werden auch bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen berichtet, zum Beispiel bei Temporallappenepilepsie oder als Auren bei Migräne [231] [232].

Hypothesen zur Entstehung von Phantosmien beziehen sich auf (1) epileptiforme, also ungeordnete Aktivität z. B. im Bereich des BO, orbitofrontalen Kortex oder Gyrus rectus [233] [234] [235] [236] [237] oder der Riechschleimhaut [139] [206] [238] [239]. Phantosmien treten auch bei neurologischen oder psychiatrischen Krankheitsbildern auf [240].

Die Diagnose einer Phantosmie basiert auf den Angaben der Patient:innen und kann durch strukturierte Fragebögen gestützt werden [224]. Eine Graduierung der Phantosmien anhand der Häufigkeit des Auftretens, der Intensität und dem Grad der Beeinträchtigung wurde in Analogie zur Beurteilung der Parosmie vorgeschlagen [225]. Phantosmien bessern sich häufig spontan innerhalb von 6–12 Monaten [241] (siehe aber auch Pellegrino et al. [206]) und deuten eher nicht auf eine günstige Prognose hin [98] [99] [205].



7. Klinische Untersuchung

Die klinische Beurteilung von Patient:innen mit Riechstörungen ist wichtig, v. a. hinsichtlich der Diagnosestellung, was die Voraussetzung der prognostischen Beratung und der Therapie ist [242] [243].

7.1 Anamnese, klinische Untersuchung

Die Anamneseerhebung sollte u. a. folgende Fragen beinhalten: Spezifische Beeinträchtigung des orthonasalen Riechens, des retronasalen Riechens (Feingeschmack) oder des Schmeckens (gustatorische Wahrnehmung); Vorliegen von Parosmie oder Phantosmie; prozentuale Einschätzung des gegenwärtigen Riech- und Schmeckvermögens sowie der Nasenatmung; Dauer der Riechstörung und Art des Beginns (allmählich, plötzlich) sowie begleitende/vorangegangene Ereignisse (Infekt, Trauma, Medikation); Schwankungen in der Riechwahrnehmung; frühere Erkrankungen insbesondere sinunasale Erkrankungen und Voroperationen im HNO-Bereich; berufliche Betroffenheit (z. B. Koch – ca. 450.000 in Deutschland!); Gefahrenanamnese durch fehlende Wahrnehmung von Warngerüchen; Einnahme von Medikamenten; Raucherstatus; neurodegenerative Erkrankungen (z. B. IPS) bei Verwandten ersten Grades.

Die Untersuchung sollte eine vollständige HNO-Untersuchung umfassen einschließlich anteriorer Rhinoskopie, sowie nasaler Endoskopie mit Einsicht und Beurteilung der Riechspalte, am besten nach Anwendung eines abschwellenden Nasensprays [244] [245]). Eine vollständige olfaktorische Untersuchung der Patient:innen sollte auch ein Screening der Schmeckfunktion enthalten [246].


7.2 Riechprüfung

Untersuchungen des Riechvermögens lassen sich in drei Gruppen unterteilen: 1. Subjektive Patient:innenberichte, 2. Psychophysische Tests; 3. Elektrophysiologische Messungen und bildgebende Verfahren [242].


7.3 Subjektive Patient:innen-Berichte

Subjektive Angaben können mit visuellen Analogskalen, Fragebögen oder mit anderen patient:innenorientierten Messverfahren durchgeführt werden. Beispielsweise ist der SNOT-22 ein Fragebogen v. a. zur CRS, der die allgemeine Belastung bewertet, aber nur eine Frage zum Riechvermögen enthält [247]. Daneben gibt es spezifischere Fragebögen hinscihtlich des Riechsinnes wie der „Questionnaire of Olfactory Disorders (QOD)“, der besser zwischen Patient:innen mit normalem und reduziertem Riechvermögen unterscheidet als einfache Fragen, wie sie z. B. im SNOT-22 verwendet werden [207] [248] [249]. Eine aktuelle Übersicht über olfaktorische Fragebögen und Skalen findet sich bei [171]. Subjektive Angaben zum Riechvermögen sind allerdings tendenziell unzuverlässig [19] [250] [251] [252] [253].


7.4 Psychophysische Tests

Psychophysische Tests liefern eine zuverlässigere Beurteilung der Riechfunktion als subjektive Berichte, hängen aber natürlich auch von der Mitarbeit und den Wünschen und Erwartungen des Untersuchten und auch des Untersuchenden ab. Grob kann zwischen Tests unterschieden werden, bei denen Riechschwellen untersucht werden und Tests, bei denen Riechleistungen anhand von deutlich überschwelligen Duftkonzentrationen getestet werden. Am häufigsten werden orthonasale Riechtests eingesetzt.

Die Riechschwelle ist die niedrigste Konzentration eines Duftstoffs, die jemand wahrnehmen kann. Als Annäherung an die Schwelle wird klinisch häufig die Konzentration gemessen, bei der 50% der Reize erkannt werden. Die Riechschwelle erfordert keine Identifizierung des Duftreizes, sondern die Wahrnehmung von „etwas“, normalerweise im Vergleich zu einem geruchlosen Reiz. Testergebnisse aus Schwellenuntersuchungen sind daher in der Regel weniger von kognitiven Faktoren abhängig als zum Beispiel Ergebnisse aus Duftidentifizierungs- und Duftunterscheidungstests [254].

Bei überschwelligen Tests werden Düfte in Konzentrationen angeboten, die bei normalen Riechvermögen sicher erkannt werden. Bei Duftidentifikationstests werden Düfte verwendet, die bekannt sein sollten, was allerdings von den subjektiven Erfahrungen und auch mit den sprachlichen Fähigkeiten des Untersuchten zu tun hat. Der Duft „Wintergreen“ ist zum Beispiel in England gut bekannt, in Deutschland eher nicht. Das bedeutet auch, dass Duftidentifikationstests regional verschieden sein müssen bzw. nur bedingt bei Menschen aus einem anderen Kulturkreis angewendet werden können. Die spontane Erkennung von Düften gelingt i.d.R. nur wenigen, deswegen werden Düfte typischerweise zusammen mit einer Liste von Duftbegriffen angeboten, aus denen derjenige ausgewählt werden muss, der am ehesten auf den Duft zutrifft [255]. Dufterkennungstests beruhen auf der Erkennung von 3 bis 40 Düften. Je mehr Düfte getestet werden, desto zuverlässiger und reproduzierbarer werden die Ergebnisse und desto besser kann zwischen Anosmie, Hyposmie und Normosmie unterschieden werden [256].

Bei Tests zur Diskrimination von Düften werden 2 oder 3 Düfte angeboten. Die Aufgabe der Untersuchten ist es, denjenigen Duft herauszufinden, welcher von den anderen zwei Düften verschieden ist („Forced Choice“). Diese Aufgabe ist im Grundsatz unabhängig von verbalen Fähigkeiten.

Warum werden die Tests im Forced-Choice-Verfahren durchgeführt? Forced-Choice-Verfahren sind notwendig, um zu verhindern, dass sich Patient:innen für die Option „keine Geruchswahrnehmung“ entscheiden. Diese Option würde wahrscheinlich von vielen Patient:innen gewählt werden, unabhängig davon, ob tatsächlich etwas wahrgenommen wurde oder nicht. Nur wenn diese Patient:innen durch Forced-Choice-Aufgaben aufgefordert werden, sich auf die Düfte zu fokussieren, schöpfen sie ihre tatsächlichen Wahrnehmungsfähigkeiten aus – und erreichen nicht selten Ergebnisse, die für die Patient:innen selbst überraschend sind. Daneben wird die Durchführung des Tests durch das Forced Choice Verfahren vereinheitlicht.

Ist die Erfassung mehrerer psychophysischer Komponenten des Geruchssinns, z. B. Schwelle, Unterscheidung und Identifikation sinnvoll oder nicht? Doty et al. berichteten, dass verschiedene psychophysische Tests eine gemeinsame Varianzquelle messen, was bedeutet, dass Riechverlust und Verbesserung des Riechvermögens durch die Geruchsidentifikationsleistung alleine effektiv bewertet werden kann [257]. Diese Meinung ist allerdings nicht unwidersprochen – Jones-Gotman und Zatorre zeigten nach selektiven zerebralen Exzisionen eine Verminderung der Geruchsidentifikation, aber nicht der Schwellenwerte [258] (vgl. Hornung et al. [259]). Whitcroft et al. zeigten, dass das Muster der psychophysischen Testergebnisse bei Patienten mit Riechverlust unterschiedlicher Genese die zugrunde liegende Krankheitsätiologie widerspiegelt [114]. In dieser Studie hatten Patienten mit sinunasalen Riechstörungen herabgesetzte Riechschwellen, wohingegen bei Patient:innen mit Parkinson-Krankheit vor allem Geruchsunterscheidung und -identifikation beeinträchtigt waren (s.a. [260]).

Diese und andere Studien weisen darauf hin, dass die Riechschwelle eher peripher bedingte Änderungen des Riechvermögens anzeigt, z. B. aufgrund einer sinunasalen Erkrankung, während überschwellige Tests (Unterscheidung und Identifizierung von Düften) vorzugsweise zentrale oder kognitive Ursachen von Riechstörungen erfassen (s.a. [71]).

Die Ergebnisse von verschiedenen Riechtests werden auch zusammengefasst, um eine höhere Genauigkeit und Reproduzierbarkeit zu erreichen. Zum Beispiel werden beim Connecticut Chemosensory Clinical Research Center Test (CCCRCT) die Riechschwelle und Duftidentifikation zusammengefasst [261]. Beim Sniffin‘ Sticks Test wird der „SDI“-Wert aus der Summe der Ergebnisse für die Riechschwelle (S), Diskriminaton (D) und Identifikation (I) gebildet.

Zur Untersuchung des Riechvermögens gibt es viele Testverfahren, allerdings sind bei weitem nicht alle hinsichtlich ihrer Reliabilität und Validität gründlich untersucht. Beispielsweise ist der University of Pennsylvania Smell Identification Test (UPSIT) ein reliabler, valider Geruchsidentifikationstest, der auf der Mikroverkapselung von Düften basiert, die durch Reiben freigesetzt werden. Er ist für die Verwendung in verschiedenen Ländern adaptiert [262] [263] [264] [265]. Die Riechtestung mit dem UPSIT erfordert keine Überwachung [266] [267] [268]. Ein anderer, weit verbreiterter psychophysischer Test sind die „Sniffin’ Sticks“, der sich aus drei Teile zusammensetzt (s. o.) [269]. Der Test beruht auf filzstiftartigen Duftspendern, ist wiederverwendbar und wird typischerweise von einem Untersucher durchgeführt, kann aber in Teilen auch vom Patient:innen alleine durchgeführt werden. Auch für die Sniffin Sticks wurden Reliabilität und Validität geprüft, es existieren auch Untersuchungen dazu, welche Änderungen bei den Riechtestergebnisse klinisch bedeutsam sind (minimalen klinisch bedeutsamen Unterschied: [270]).

Darüber hinaus gibt es Tests, die auf Veränderungen des Atemverhaltens während der Geruchswahrnehmung beruhen [271]. Diese Techniken lassen eine sehr präzise Beurteilung der Riechfähigkeit zu (z. B. [272]), sie sind aber nicht weit verbreitet.

Einen Sonderfall der Riechtestung stellt die Untersuchung von Kindern dar. Hier wurden spezielle Riechtests entwickelt, die an die relativ eingeschränkten verbalen Fähigkeiten der Kinder und ihre begrenzten Erfahrungen mit Gerüchen angepasst sind. Psychophysische Riechtests sind bei Kindern mehr oder weniger zuverlässig ab dem 4. Lebensjahr möglich [273] [274].

[Tab. 3] enthält eine Liste von psychophysischen Tests, die im klinischen Umfeld verwendet wurden.

Tab. 3 Auswahl häufig gebrauchter psychophysischer Riechtests

Psychophysischer Test

Erfasste Riechfunktion

Ausführliche orthonasale Riechttests

“Sniffin’ Sticks” (Originalversion) [269]

Schwelle, Diskrimination, Identifikation

Connecticut Chemosensory Clinical Research Center Test [261]

Schwelle, Identifikation

T & T Olfaktometer [446]

Schwelle, Identifikation

University of Pennsylvania Smell Identification Test [262]

Identifikation

Barcelona Smell Test (BAST-24) [447]

Duftwahrnehmung, Identifikation, Riechgedächtnis

Orthonasale Kurztests

Riechdisketten [448]

Identifikation

Pocket Smell Test [282]

Identifikation

“Sniffin’ Sticks” (3, 5 oder 12 Duftproben) [281] [283] [449]

Identifikation

Brief Smell Identification Test (B-SIT; 12-item Cross-Cultural Smell Identification Test) [280]

Identifikation

Retronasale Tests

Candy Smell Test (23 Proben) [290]

Identifikation

Schmeckpulver (20 Proben) [289]

Identifikation

Bei der Verwendung von psychophysischen Tests zur Definition von Riechstörungen und der Änderung des Riechvermögens sind Normwerte bedeutsam. Die Hyposmie wird von der Normosmie anhand des 10. Perzentils der Testergebnisse junger, gesunder Probanden getrennt [262] [269]. Im Gegensatz dazu wird die Anosmie auf der Grundlage der empirischen Verteilung der Riechtestwerte von Anosmikern definiert [275].

In einer klinischen Umgebung werden psychophysische Tests normalerweise ohne die vorausgehende Anwendung eines abschwellenden Nasensprays birhinal durchgeführt [250] [276]. Verschiedene Arbeiten zeigen allerdings, dass lateralisierte Riechtests sowohl diagnostischen als auch prognostischen Nutzen haben [277] [278] [279].


7.5 Psychophysische Kurztests

In der klinischen Routine werden häufig Screeningtests zur kursorischen Untersuchung des Riechvermögens verwendet, z. B. bei der präoperativen Beurteilung des Riechvermögens ([Tab. 3]). Dabei kommen in der Regel Duftidentifikationstests zum Einsatz [280] [281], die teilweise nur auf 3 oder 5 Düften beruhen [282] [283]. Sie sind leicht verständlich und benötigen wenig Zeit ([Tab. 3]). Allerdings ist mit ihnen die Dokumentation von Veränderungen wegen ihrer geringen Auflösung nur schwer möglich. Werden beim Screening Auffälligkeiten festgestellt, sollten sie mit einem validen, vollständigen Riechtest weiter aufgeklärt werden.

Daneben wurden in den letzten Jahren auch Tests eingeführt, die im heimischen Umfeld, anhand von häuslichen Düften durchgeführt werden können [284] [285] [286] [287]. Ob diese Tests eine weite Verbreitung finden, bleibt abzuwarten.


7.6 Retronasale Riechtests

Der Feingeschmack, das retronasale Riechen hängt von der Riechfunktion ab. Schmecken, also gustatorische Sensitivität und retronasales Riechen werden häufig nicht getrennt, d. h., viele Patient:innen beklagen den Verlust des „Schmeckens“ obwohl in Wirklichkeit das retronasale Riechen betroffen ist [209]. Neben diesen Verwechslungen kommt es auch nicht selten vor, dass Patient:innen angeben, dass das orthonasale Riechen stark beeinträchtigt wäre, das retronasale Riechen aber intakt [288]. Solche Dissoziationen finden sich z. B. bei protrahiertem Riechverlust, z. B. bei sinunasalen Reichstörungen oder bei altersabhängigem Riechverlust. Zur klinischen Überprüfung stehen einfache retronasale Dufterkennungstests zur Verfügung [289] [290] [291].


7.7 Elektrophysiologische Untersuchungen und funktionelle Bildgebung

Elektrophysiologische Untersuchungen umfassen die Ableitung von duftinduzierten Veränderungen im Elektroenzephalogramm (EEG), also die olfaktorisch ereigniskorrelierten Potentiale und auch die Veränderungen im reizabhängigen EEG [292] [293]. Sie sind weniger stark als psychophysische Messungen von den Erwartungen und der Mitarbeit der Patient:innen abhängig. Wegen der Notwendigkeit der präzisen Reizdarbietung sind computergesteuerte Olfaktometer eine technische Voraussetzung, was die Verbreitung der Methode einschränkt [294].

Die funktionelle Bildgebung ermöglicht die Darstellung der Gehirnaktivität als Reaktion auf Duftreize und umfasst Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und die funktionelle Magnetresonanztomographie (FMRT). Beide Techniken basieren letztlich auf duftinduzierten Änderungen des zerebralen Blutflusses [295]. Die Verwendung radioaktiver Isotope macht die PET weniger attraktiv, und die olfaktorische FMRT hat eine geringe Reliabilität, was den klinischen Wert in der individuellen Diagnostik erheblich einschränkt [296].


7.8 Untersuchungen der Nase und des Gehirns mithilfe von MRT

Mithilfe der MRT können die Nase und ihre Nebenhöhlen, der BO sowie primärer und sekundärer olfaktorischer Kortex beurteilt und intrakranielle Raumforderungen ausgeschlossen werden. Bei traumatisch bedingten Riechstörungen kann der Grad des Riechverlustes anhand des Hirnläsionsmusters vorhergesagt werden kann [141]. Die Darstellung und Vermessung von Bulbus und Sulcus olfactorius sind in der Diagnostik von congenitalen Anosmien bedeutsam [177] [178], und das BO-Volumen beinhaltet prognostische Information bei Patient:innen mit Riechverlust [292].



8. Behandlung quantitativer Riechstörungen

Riechstörungen werden entsprechend ihrer Ursache behandelt. Zur Behandlung von Riechstörungen in Zusammenhang mit einer CRS steht die topische oder systemische Anwendung von Steroiden im Vordergrund, neben Behandlungsmöglichkeiten u. a. durch Operationen oder mit monoklonalen Antikörpern [297] [298] [299]. Zur Behandlung der CRS gibt es präzise und umfangreiche Leitlinien, auf die hier verwiesen werden soll [125] [126] [127] [300] [301] [302] [303] [304] [305] [306]. Dagegen sind die Therapiemöglichkeiten bei Riechstörungen anderer Ursache zwar beschränkt [164] [307] [308], allerdings gibt es auch hier verschiedene Optionen.

8.1 Beratung bei Riechstörungen

Die Beratung bei Riechstörungen ist v. a. hinsichtlich der Vermeidung von Gefahren wichtig, u. a., was den Umgang mi Lebensmitteln angeht oder die Anbringung von Rauchmeldern und Gaswarngeräten. Detaillierte Informationen dazu gibt es von der Arbeitsgemeinschaft Olfaktologie und Gustologie der Deutschen HNO Gesellschaft, https://rebrand.ly/nvru0xc


8.2 Systemische Kortikosteroide

Mehrere Untersuchungen haben sich mit der Verwendung von systemischen Kortikosteroiden zur Behandlung von postviralen Riechstörungen befasst und kamen hier zu negativen [309] [310] aber auch positiven Ergebnissen (z. B. [311] [312] [313] [314] [315]). In einigen dieser Studien fehlte allerdings die Kontrollgruppe, z. B. bei Ikeda et al. und auch bei Fukazawa. Da gerade bei Patient:innen mit postviralen Riechstörungen die Spontanheilung häufig ist, erscheinen diese Untersuchungen schwer interpretierbar. Die Arbeiten von Vaira et al. und Le Bon et al. wurden jeweils an kleinen Gruppen (n<10 pro Behandlungsarm) durchgeführt.

Mehrere Untersuchungen zeigten bei posttraumatischen Riechstörungen eine Besserung unter Anwendung von systemischen Steroiden, allerdings ohne begleitende Untersuchung einer Kontrollgruppe [316] [317] [318]. Obwohl die Spontanheilungsrate bei posttraumatischem Riechverlust geringer ist als bei postviralen Riechstörungen, schränkt dies immer noch die Interpretation der Ergebnisse ein. Jiang et al. [319] berichteten, dass im Vergleich zu einer unbehandelten Kontrollgruppe orales Prednisolon an sich nicht zu einer signifikanten Besserung führte.


8.3 Topische Kortikosteroide

Topische Steroide wurden zur Entzündungsreduktion in verschiedenen Studien verwendet, allerdings oft bei Gruppen mit verschiedenen Ursachen der Riechstörung und als normales Nasenspray, wobei das eingesprühte Spray die Riechspalte wahrscheinlich kaum erreicht [320] [321] [322].

Eine doppelblinde, randomisierte, kontrollierte Studie von Blomqvist et al. zeigten bei Patient:innen mit Riechstörung unterschiedlicher Ursache keinen signifikanten Unterschied in der Riechschwelle nach 6-monatiger Behandlung mit intranasalem Fluticason-Spray, Placebo-Spray oder keiner Behandlung (n=20, n=10 bzw. n=10) [323]. Auch Heilmann et al. [324] fanden in einer retrospektiven Überprüfung ebenfalls keinen Effekt einer Behandlung mit Mometason-Nasenspray. Hingegen bestand bei Fleiner et al. [325] eine signifikante Verbesserung in einer Gruppe von Patient:innen mit Riechstörungen, die mit topischem Steroiden und Riechtraining (s.u.) behandelt wurden. Auch Kim et al. [326] zeigten bei der kombinierten Anwendung von systemischen und topischen Steroiden im Vergleich zur alleinigen Anwendung von topischen Steroiden eine Verbesserung an einer relativ großen Gruppe von Patient:innen (insgesamt 491) mit verschiedenen Ursachen von Riechstörungen.

Bezüglich der COVID19-OD zeigten Hintschich und Kollegen [327] in einer kontrollierten Studie keinen Vorteil hinsichtlich des SDI-Wertes für die Behandlung von Mometason-Nasenspray (Applikation zur Riechspalte mit extra langem Applikator) zusammen mit Riechtraining gegenüber der alleinigen Behandlung mit Riechtraining. Ebenfalls bei Patient:innen mit COVID19-OD führten Kasiri und Kollegen eine doppelt verblindete, randomisierte, kontrollierte Studie durch, in der intranasales Mometasonfuroat-Spray/Riechtraining (n=39) mit intranasalem Natriumchlorid/Riechtraining (n=38) verglichen wurde [328]. Nach einer 4-wöchigen Behandlung gab es zwischen den Gruppen keinen statistisch signifikanten Unterschied in der Veränderung des Geruchsidentifikationstestwertes. Auch in einer weiteren randomisierten und kontrollierten Studie an 100 Patient:innen mit einer COVID19-OD, von denen 50 mit Riechtraining und 50 mit Riechtraining und einem intranasalen Mometason-Spray behandelt wurden [329], bestand kein signifikanter Unterscheid zwischen beiden Gruppen. Allerdings bewerteten die Teilnehmenden ihr Riechvermögen lediglich mithilfe von visuellen Analogskalen. Im Ggeensatz zu den vorangegangen Studien konnte im Rahmen einer randomisierten und kontrollierten Studie [330] zum Vergleich von Riechtraining und intranasaler Spülung mit Budesonid (n=66) mit Riechtraining und intranasaler NaCl-Spülung (n=67) bei Patient:innen mit Riechstörungen unterschiedlicher Ursache nach 6 Monaten eine stärkere klinische Verbesserung der Geruchsidentifikationswerte für Patient:innen in der Budesonid-Gruppe (44%) im Vergleich zur NaCl-Gruppe (27%) gezeigt werden.

Insgesamt ist die Evidenz bezüglich positiver Effekte bei Verwendung von Kortikosteroiden bei nicht-sinunasal bedingten Riechstörung gering [331] – teilweise aufgrund der fehlenden, qualitativ hochwertigen Studien. Trotz dieser Datenlage werden systemische und topische Steroide häufig zur Behandlung nicht-sinunasaler Riechstörungen eingesetzt [123] [332].


8.4 Phosphodiesterase-Inhibitoren

Phosphodiesterase-Inhibitoren wie Theophyllin sollen die Riechfunktion verbessern, indem sie den Abbau von intrazellulärem cAMP verhindern bzw. die IL-10-Sekretion reduzieren [333] [334].

In einer prospektiven Studie, in der die Sniffin’ Sticks-Ergebnisse vor und nach der Verabreichung von Pentoxifyllin untersucht wurden [130], zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Riechschwellenwerte. Allerdings wurden normosmische und hyposmische Patient:innen in diese Studie eingeschlossen. Henkin et al. verwendeten ein unverblindetes, kontrolliertes Studiendesign, um die Wirkung von oralem Theophyllin auf die Riechfunktion bei hyposmischen Patient:innen zu untersuchen [335]. Die Studie zeigte eine Besserung der Riechfunktion bei Dosissteigerung des Theophyllins im Laufe der Zeit, wobei die Spontanerholung aber nicht berücksichtigt wurde. Bei einer nicht-kontrollierten Untersuchung der Wirkung von topischem Theophyllin [336] an 10 Patient:innen zeigte sich nach 4-wöchiger Behandlung eine subjektive Besserung bei 8/10 Patient:innen. Im Gegensatz dazu zeigten Lee et al. anhand einer doppelt verblindeten, placebokontrollierten, randomisierten Studie an einer kleinen Gruppe von Patient:innen mit postviralen Riechstörungen (n≤12) [337] keine Verbesserung der Dufterkennung (UPSIT) für die Anwendung von Theophyllin, aber eine Verbesserung in der geruchsbezogenen Lebensqualität. Insgesamt scheint die Wirksamkeit von Phosphodiesterase-Inhibitoren bei Riechstörungen derzeit nicht beurteilbar [338] [339] [340].


8.5 Intranasale Calciumpuffer

Freies Calcium in der Nasenschleimschicht spielt eine Rolle bei der Hemmung der negativen Rückkopplung bei der intrazellulären olfaktorischen Signalkaskade [341]. Es wurde daher vermutet, dass die Sequestrierung von freiem Calcium unter Verwendung von Pufferlösungen wie Natriumcitrat zu einer Verstärkung des olfaktorischen Signals und einer daraus folgenden Verbesserung der Riechfunktion führen kann.

Panagiotopoulos et al. berichteten über deutlich verbesserte Duftidentifikationswerte bei hyposmischen Patient:innen mit mehrheitlich postviralen Riechstörungen, die mit intranasalem Natriumcitrat behandelt wurden [342]. In einer Reihe von Untersuchungen wurden ebenfalls kurzfristige Effekte von Na-Citrat auf das Riechvermögen gefunden [343] [344] [345], allerdings gab es bei einer zweiwöchigen monorhinalen Anwendung von Na-Citrat keine signifikante Verbesserung der Riechtestergebnisse (Sniffin Sticks) auf der behandelten Seite. Daneben gab es allerdings eine signifikante Verringerung (82%) des Anteils der Patient:innen, die über Phantosmie berichteten.

Eine Serie neuerer, verblindeter Untersuchungen von Abdelazim et al. [346] [347] [348] zu Na-Glukonat, Na-Pyrophosphat und Na-Nitrilotriacetat zeigte eine deutliche Verbesserung des Riechvermögens bei Patient:innen mit einer postviralen Riechstörung beobachtet. Eine Bestätigung dieser Ergebnisse zum Beispiel in einer mulitzentrischen Studie wäre sicherlich wünschenswert.


8.6 Vitamin A

Vitamin A umfasst eine Familie fettlöslicher Retinoide, deren Oxidation zur Produktion der biologisch aktiven Retinsäure, die als Transkriptionsregulator bedeutsam bei der Gewebeentwicklung und -regeneration ist [349] [350]. Mehrere Untersuchungen deuten auf die Rolle der Retinsäure bei der Riechfunktion hin [351] [352]. Im Speziellen kontrolliert Retinsäure die Differenzierung der olfaktorischen Vorläuferzellen [353] [354] [355].

Beim Menschen berichteten Duncan und Briggs, dass hohe Dosierungen (bis zu 150.000 IE/Tag) systemischen Vitamins A bei 48 von 54 Patient:innen das Riechvermögen verbesserte [356]. In einer nicht-kontrollierten Studie wurde eine signifikante Verbesserung der Geruchsidentifikationswerte (Sniffin Sticks) nach Gabe von Isoretinoin gezeigt [357]. In einer doppelblinden, placebokontrollierten, randomisierte Studie bei Patient:innen mit postviralen (n=19) und posttraumtischen Riechstörungen (n=33) mit 10.000 IE/Tag systemischem Vitamin A (n=26) oder Placebo (n=26) für 3 Monate wurden allerdings keine signifikanten Effekte gefunden [358], möglicherweise aufgrund einer zu geringen Dosis.

In einer retrospektiven Analyse der Behandlung von Patient:innen mit postviralen und posttraumatischen Riechstörungen zeigte sich nach topischer Anwendung von intranasalem Vitamin A (10.000 IE/Tag; 8 Wochen, 12 Wochen Riechtraining, n=124) eine signifikante Besserung (Riechtraining + Vitamin A vs. Riechtraining) [359] (siehe auch [360]).


8.7 Riechtraining

Eine wiederholte Exposition zu Duftstoffen, z. B. zu Androstenon, kann die olfaktorische Empfindlichkeit gegenüber diesem Geruch verbessern [361]. Dieses Prinzip liegt dem Riechtraining zugrunde, bei dem Patient:innen über einen Zeitraum von etwa 3 Monaten versuchen, durch regelmäßig wiederholtes und bewusstes Schnüffeln einer Reihe von Duftstoffen, ihren Geruchssinn zu verbessern [362].

Der genaue Mechanismus, der einer Verbesserung des Riechvermögens nach Riechtraining zugrunde liegen könnte, ist unbekannt. Wahrscheinlich spielt hier Plastizität sowohl des peripheren [363] [364] [365] [366] als auch des zentralnervösen olfaktorischen Systems eine Rolle, auf Ebene des BO [367], des primären und sekundären olfaktorischen Kortex [368] sowie der gesteigerten intrazerebralen Vernetzung [369].

Der mögliche Nutzen eines solchen Trainings wurde erstmals bei einer Gruppe von 40 Patient:innen mit Riechverlust aufgrund von postviralen, posttraumatischen und idiopathischen Riechstörungen untersucht [370]. Die Patient:innen führten zweimal täglich ein Riechtraining mit 4 Riechstoffen durch: Phenylethylalkohol (Rose), Eukalyptol (Eukalyptus), Citronellal (Zitrone) und Eugenol (Nelke). Die Trainingsgruppe (n=40) verbesserte nach 12 Wochen ihre psychophysischen Testergebnissen (Sniffin’ Sticks) signifikant, während dies bei der Nicht-Trainingsgruppe (n=16) nicht der Fall war. Dieses Ergebnis wurde seither wiederholt bestätigt, allerdings selten in kontrollierten Studien [371] [372].

Eine randomisierte, kontrollierte, multizentrische Studie [373] an 144 Patient:innen zeigte, dass ein Riechtraining mit hohen Duftkonzentrationen zu einer größeren Verbesserung führte als ein Riechtraining mit sehr niedrigen, kaum wahrnehmbaren Duftkonzentrationen [373], was darauf hinweist, dass das Riechtraining tatsächlich nicht mit dem Schnüffeln, sondern mit der olfaktorischen Stimulation zusammenhängt. Weiterhin konnte aufgezeigt werden, dass der therapeutische Effekt bei zeitnahem Beginn nach dem Riechverlust am größten war. Zudem wurde eine stärkere Verbesserung der Riechfunktion nach der Durchführung eines Riechtrainings über einen längeren Zeitraum von 9 Monate nachgewiesen [374] (unter Verwendung von 3 mal 4 verschiedenen Gerüchen, bei Tausch der 4 Düfte alle 3 Monate – sogenanntes „modifiziertes Riechtraining“). Eine kürzlich durchgeführte systematische Überprüfung und Metaanalyse des Riechtrainings speziell für postvirale Riechstörungen zeigte, dass Patient:innen durch das Riechtraining eher eine klinisch relevante Verbesserung erreichten als die Kontrollgruppe [375] [376].

In Bezug auf den posttraumatischen Riechverlust sind die Ergebnisse des Riechtrainings heterogener. Konstantinidis und Kollegen zeigten nach der Durchführung eines Riechtrainings eine klinisch signifikante Verbesserung bei 33% von 38 Patient:innen gegenüber 13% von 15 Kontrollen [377]. Langdon und Kollegen [378] führten eine prospektive randomisierte kontrollierte Studie mit 42 Patient:innen mit posttraumatischer Riechstörung durch. Verglichen mit der Kontrollgruppe zeigte sich nach 12 Wochen eine signifikante Verbesserung der n-Butanol-Schwellenwerte. Es gab aber keine statistisch signifikanten Verbesserungen bei einem Duftidentifikationstest (BAST-24) oder den Selbstangaben der Teilnehmenden. Jiang und Kollegen berichteten über zwei Studien, die sich mit der Wirkung von Riechtraining auf Patient:innen mit posttraumatischer Riechstörung befassten. Allerdings waren in beiden Studien die Patient:innen jeweils mit Prednisolon und Zink vorbehandelt worden. Nach 6 Monaten Riechtraining zeigten sich signifikante Effekte auf der Ebene von Riechschwellen, nicht aber bei einem Riechidentifikationstest (UPSIT-TC) [379] [380].

Im Allgemeinen sprechen Patient:innen mit postviralen Riechstörungen besser auf das Riechtraining an als Patient:innen mit posttraumatischen Riechstörungen. Dies kann auf die insgesamt relativ schlechtere Prognose bei Patient:innen mit posttraumatischen Riechstörungen zurückzuführen sein.

Ein Nutzen des Riechtrainings wurde u. a. auch bei Patient:innen mit neurodegenerativen Erkrankungen nachgewiesen [381]. Nur wenige Studien haben sich jedoch mit der Wirkung des Trainings bei Patient:innen mit sinunasalen Erkrankungen befasst [325] (Übersichten bei [372] [382] [383]).


8.8 Chirurgische Therapieoptionen

Chirurgische Eingriffe sind weitgehend der Behandlung von Patient:innen mit CRSwNP vorbehalten. Ähnlich wie bei der Behandlung mit Steroiden existieren umfangreiche Richtlinien für die Anwendung der Operation bei solchen Patient:innen. Es liegen verschiedene Übersichtsarbeiten zur operativen Therapie bei Patient:innen mit sinunasalen Riechstörungen vor [306] [384]. Eine Metaanalyse zur Änderung des Riechvermögens bei funktioneller endoskopischer Nasennebenhöhlenchirurgie (FESS) kam zu dem Schluss, dass eine solche Operation für CRS „fast alle“ subjektiven und psychophysischen Parameter verbessert [385] (siehe aber auch [386]). Darüber hinaus wurden Änderungen im Volumen olfaktorisch bedeutsamer Hirnstrukturen im Zusammenhang mit einer verbesserten Riechfunktion nach FESS gezeigt [133] [387].

Der Nutzen operativer Behandlungsstrategien bei nicht-sinunasalen Riechstörungen ist weniger gut etabliert. Schriever et al. zeigten, dass eine Septumplastik keine wesentlichen bzw. geringfügige Auswirkungen auf den Geruchssinn hatte [388], im Gegensatz zu anderen Studien [252] [389] [390]. Berichte über positive Auswirkungen eines operativen Vorgehens finden sich auch für die Septorhinoplastik [391] [392] [393] [394] [395]. Daneben berichteten Jankowski & Bodino [396] über einen positiven Effekt der Dilatation der Riechspalte.


8.9 Plättchenreiches Plasma

Plättchenreiches Plasma (PRP) ist ein autologes Konzentrat aus plättchenreichem Plasmaprotein, das aus Vollblut hergestellt wird. Während der Hämostase setzen aktivierte Blutplättchen eine Vielzahl von Wachstumsfaktoren und Zytokinen frei. Diese Faktoren fördern Angiogenese, Zellproliferation und Zelldifferenzierung, was letztendlich zur Regeneration von Läsionen beiträgt [397] [398]. Hinsichtlich des Riechvermögens zeigte intranasales PRP in einem Maus-Anosmiemodell eine Besserung in olfaktorischen Verhaltenstests [399]. Bei Patient:innen mit sinunasalen Riechstörungen berichteten Mavrogeni et al. [400] über positive Ergebnisse nach wiederholter intranasaler Injektion von PRP. Auch Yan et al. zeigten eine signifikant verbesserte Riechleistung (Sniffin Sticks) 3 Monate nach einer einzigen intranasalen PRP-Injektion [401]. Bei behandlungsresistenten Patient:innen mit Anosmie konnte nach der Behandlung mit PRP-getränkten Schwämmen eine Besserung im Riechtest nachgewiesen werden (B-SIT) [402].


8.10 Omega-3-Fettsäuren

Omega-3-Fettsäuren umfassen eine Gruppe mehrfach ungesättigter Fettsäuren, die Schlüsselsubstrate des Fettstoffwechsels sind. Drei Arten von Omega-3 sind für den Menschen wichtig: α-Linolensäure (ALS – eine essentielle Fettsäure, die nur über die Nahrung erhältlich ist), Eicosapentaensäure (EPS) und Docosahexaensäure (DHS). So weisen Tiere mit Omega-3-Mangel schlechtere Ergebnisse bei Geruchsunterscheidungsaufgaben auf [403]. Es wird angenommen, dass dies auf reduzierte DHS-Spiegel im Gehirn und insbesondere im BO zurückzuführen ist. Omega3-reiche Ernährung ist beim Menschen mit einem guten Ergebnis in Dufterkennungstests assoziiert [404] [405].

Yan et al. zeigten in einer randomisierten, kontrollierten Studie bei Patient:innen nach endoskopischen sellären oder parasellären Tumorresektionen eine signifikant bessere Erholung des Riechvermögens im Vergleich zu einer Kontrollgruppe [406]. Eine nicht verblindete, prospektive Studie von Hernandez et al. [407] an Patient:innen mit postviralen Riechstörungen deutete ebenfalls auf einen positiven Effekt hinsichtlich der Erholung des Riechvermögens im Vergleich zu einer Kontrollgruppe hin.


8.11 Andere Behandlungsmöglichkeiten

Zusätzlich zu den oben genannten wurden zahlreiche andere Behandlungen vorgeschlagen, zum Beispiel Phenytoyl-Ethanolamid plus Luetolin [408], Akupunktur [409], Lavendelsirup [410], Famotidin [411], Blockierung des Ganglion stellatum [412], Toki-shakuyaku-san – eine Mischung aus pflanzlichen Arzneimitteln [413] [414] oder B-Vitamine [415].



9. Behandlung qualitativer Riechstörungen

9.1 Phantosmie

Eine Phantosmie im Zusammenhang mit neurologischen Erkrankungen tritt selten auf. Im Rahmen der Behandlung der Ausgangserkrankung verschwindet sie häufig. Dementsprechend wurde – im Rahmen von Fallberichten – der erfolgreiche Einsatz von Topiramat, Verapamil, Nortriptylin und Gabapentin bei Patient:innen mit Migräne beschrieben [416] [417]. Natriumvalproat und Phenytoin wurden auch erfolgreich in zwei Fällen von idiopathischer Phantosmie eingesetzt [418]. Morrissey et al. berichteten über eine erfolgreiche Behandlung mit Haloperidol bei Patient:innen mit idiopathischer Phantosmie [239].

Topische Applikation von NaCl-Lösung auf die Riechschleimhaut kann zu einer vorübergehenden Linderung führen [223]. Leopold und Hornung zeigten eine vorübergehende Besserung bei 6 Patient:innen mit idiopathischer oder postviraler Phantosmie nach Lokalanästhesie der Regio olfactoria (topische Anwendung von Kokain) [419]. Zunächst führte die Behandlung bei allen 6 Patient:innen zu einer Anosmie; bei 4 Patient:innen kehrte die Phantosmie gleichzeitig mit dem Riechvermögen zurück, und bei zweien kam es zu einem verzögerten Auftreten der Phantosmie nach Rückkehr des Riechens. Wie oben beschrieben, gab es nach Anwendung von intranasalem Natriumcitrat für 2 Wochen eine signifikante Abnahme postviraler Phantosmien [345]. Darüber hinaus gab es auch eine Abnahme parosmischer Beschwerden, was allerdings keine statistische Signifikanz erreichte.

Bei stark belastender, langdauernder Phantosmie wurde die operative Entfernung des Riechepithels [223] [239] [420] oder des BO [236] [237] bei wenigen, ausgewählten Patient:innen mit Erfolg als Ultima ratio angewendet.


9.2 Parosmie

Aufgrund der typischen Assoziation von Parosmien mit quantitativen Riechstörungen werden sie häufig nicht separat, sondern zusammen mit der quantitativen Riechstörung behandelt [324] [345] [421] [422].

Eine chirurgische Behandlung von langanhaltender Parosmie wurde von Liu et al. beschrieben – durch Bildung von Schleimhautadhäsionen wird der Luftfluss zur Riechspalte vermindert, was zumindest bei einem einzelnen Fall mit einseitiger Parosmie zur Besserung über wenigstens zwei Jahre führte [423].

Problematisch in der Behandlung der Parosmie und Phantosmie ist allerdings die schlechte Quantifizierbarkeit und Objektivierbarkeit der Beschwerden, was letztlich die Kontrolle eines Behandlungsversuchs deutlich erschwert.



10. Mögliche neuartige Therapieansätze

10.1 Geruchsimplantate

Beim Riechen werden chemische Reize in elektrische Signale umgewandelt, welche im Gehirn in komplexen Prozessen zu Riecheindrücken verarbeitet werden. In Analogie zum Cochleaimplantat, welches zur (Wieder-)Herstellung des Hörvermögens bei der angeborenen oder erworbenen hochgradigen Schwerhörigkeit zum Einsatz kommt [424], wird an der Entwicklung von Implantaten zur Wiederherstellung der Riechfunktion gearbeitet.

Beim Menschen fanden erste Versuche zur elektrischen Stimulation im Bereich der Riechschleimhaut bereits 1886 statt [425]. Geruchseindrücke konnten durch elektrische Reize von manchen Autoren ausgelöst werden [426] [427], von anderen nicht [428] [429]. Eine Aktivierung im Bereich des primären olfaktorischen Kortex durch die elektrische Stimulation wurde mittels FMRT nachgewiesen [429]. Darüber hinaus konnten durch elektrische Reizung des BO Geruchsempfindungen erzeugt werden [233] [430]. Bei Untersuchung an Patient:innen mit Epilepsie oder IPS konnten Riechempfindungen nach elektrischer Stimulation durch Tiefenelektroden ausgelöst werden [234] [235] [431] [432] [433] [434] [435].

Diese Untersuchungen zeigen, dass eine Aktivierung des olfaktorischen Systems durch elektrische Reizung möglich ist und damit Riecheindrücke ausgelöst werden können. Allerdings sind die Ansprüche an ein Riechimplantat immens. Es müssen eine Vielzahl von Düften detektiert und geruchsspezifische elektrische Signale zur Weiterleitung generiert werden. Ein erstes Patent meldeten Constanzo und Coelho bereits 2016 an. Umfangreiche Projekte zur Entwicklung eines Riechimplantats werden derzeit durchgeführt, wie zum Beispiel das EU-geförderte ROSE Projekt (restoring odorant detection and recognition in smell deficits) [436].


10.2 Riechtransplantate

Die Transplantation von Riechepithel oder olfaktorischen Stammzellen stellt einen Therapieansatz dar, um geschädigtes Riechepithel direkt wiederherzustellen. Erste Transplantationen von Riechschleimhaut fanden bereits 1983 durch Morrison und Graziadei an Ratten statt. Nach Verpflanzung von Riechschleimhaut in den BO, den vierten Ventrikel oder den parietalen Kortex von Ratten/Mäusen konnte eine Regeneration der ORN gezeigt werden [437] [438] [439], bei einer Überlebensrate von 83–85%.

An Mäusen konnte sowohl durch intravenöse als auch lokale Transplantation von markierten Knochenmarksstammzellen gezeigt werden, dass diese in die Riechschleimhaut migrieren und sich dort teilweise in ORN differenzieren [440] [441]. Eine Verbesserung der Riechfunktion wurde mit elektrophysiologischen Untersuchungen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe gezeigt [442]. Kurtenbach et al. transplantierten gewebespezifische Stammzellen aus dem Riechepithel in Mausversuchen und konnten in histologischen Untersuchungen die Ausbildung von ORN im Riechepithel mit Axonaussprossung in den BO darstellen. Darüber hinaus wurde anhand von Verhaltenstest und elektrophysiologischen Messungen eine wiederhergestellte Riechfunktion im Vergleich mit der Kontrollgruppe nachgewiesen [443].

Sowohl die Transplantation von Stammzellen als auch Riechepithel stellen vielversprechende Therapieoptionen dar, jedoch gehen die Studien bisher nicht über Tierversuche hinaus. Weiterhin sollte man bedenken, dass eine Stammzelltransplantation mit einer Chemo- und/oder Strahlentherapie, sowie einer Immunsuppression einhergeht, was wiederum ein erhöhtes Risiko für Morbidität und Mortalität darstellt [444].



11. Schlussfolgerungen

Obwohl man ohne Geruchssinn offenbar gut durchs Leben kommen kann, ist das Riechen u. a. bedeutsam für die Gefahrenerkennung, unser Sozialleben und für den Feingeschmack beim Essen und Trinken. Ohne Geruchssinn ist die Lebensqualität bei vielen, aber nicht allen Menschen erheblich eingeschränkt. Insofern verdienen Patient:innen mit Riechstörungen Aufmerksamkeit und Zuwendung. Die Methoden zur Diagnostik sind weitgehend standardisiert und für die verschiedensten Fragestellungen kommerziell verfügbar. Die Möglichkeiten zur Therapie von Riechstörungen sind im Gegensatz zu den detaillierten diagnostischen Möglichkeiten dagegen begrenzt, was aber keineswegs heißt, dass es keine Optionen gibt!



Interessenkonflikt

T Hummel: Seit 2019 arbeitete ich zusammen mit folgenden Firmen: Smell and Taste Lab, Geneva, Switzerland; Takasago, Paris, France; aspuraclip, Berlin, Germany; Baia Foods, Madrid, Spain; Burghart, Holm, Germany; Primavera, Kempten, Germany. Alle anderen Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Dr. med. Thomas Hummel
Interdisziplinäres Zentrum Riechen und Schmecken, HNO Klinik, TU Dresden
Fetscherstrasse 74
01307 Dresden
Deutschland   

Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
02. Mai 2023

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