Psychiatr Prax 2022; 49(07): 342-344
DOI: 10.1055/a-1875-0106
Editorial

Sicherheit im Krankenhaus durch Sicherheitsdienste?

Hospital Security by Security Officers?
Hermann Spießl
Bezirkskrankenhaus Landshut
› Author Affiliations
 
Zoom Image

Hermann Spießl

Auf einer offenen Station einer Klinik verweigert ein freiwillig zur Aufnahme gekommener Mitte 30-jähriger Patient die Medikation und widersetzt sich der Unterbringung. Der hinzugerufene Sicherheitsdienst fixiert den Patienten, eine Krankenhausmitarbeiterin verabreicht die Medikation. Der Patient verliert das Bewusstsein, es kommt zum Herz-Kreislauf-Stillstand und er muss reanimiert werden. Tage später verstirbt der Patient. Das LKA ermittelt.

Ein nicht einsichts- und steuerungsfähiger Patient mit einer Manie im Rahmen einer bipolaren Störung ist auf einer geschützten Station zunehmend bedrohlich, auch provokant gegen den Sicherheitsdienst, schlägt gegen die Tür, bis diese bricht, und bedroht die Mitarbeiter*innen. Personal und Sicherheitsdienst können ihn nicht begrenzen, sodass ein Polizeieinsatz auf der Station notwendig wird. Acht Polizeibeamt*innen sind schließlich erforderlich, um den Patienten zu fixieren.

Die beiden Beispiele zeigen die negativen Endpunkte auf einer fiktiven Nutzen-Risiko-Skala. Dennoch: Vor dem Hintergrund (tatsächlich oder lediglich dokumentierter?) zunehmender Gewalt in psychiatrischen Kliniken [1] und dem Arbeitsschutzgesetz (§§ 3 und 4 ArbSchG) wird in letzter Zeit immer wieder der Einsatz von externen (privaten) Sicherheitsdiensten diskutiert. Sicherheitsdienste werden meist von Pflegenden gefordert, da sie (vermeintlich) Sicherheit auf Station bringen, insbesondere wenn aggressive, nicht einsichts- und steuerungsfähige Patient*innen auf einer geschützten Station der Allgemeinpsychiatrie oder der Suchtmedizin sind.

Für eine evidenzbasierte Entscheidung bezüglich des Einsatzes eines Sicherheitsdienstes wären Studien dringend erforderlich. Wissenschaftliche Belege oder zumindest publizierte Zahlen für eine erhöhte Sicherheit bzw. weniger Übergriffe auf Station bei Anwesenheit eines Sicherheitsdienstes gibt es meines Wissens nicht. Trotzdem: Manche Klinken haben auf ihren geschützten Akutstationen Sicherheitsdienste über 12–24 Stunden fest installiert oder nachts und an Wochenenden oder anlassbezogen im Einsatz. Der Sicherheitsdienst soll dabei nicht nur eine unmittelbare Gefahr für Mitarbeiter*innen (und andere Patient*innen) abwenden, sondern auch durch die ständige Präsenz „präventiv“ wirken. Mancherorts wird der Einsatz von externen Sicherheitsdiensten als unverzichtbar gesehen. Es gibt allerdings eine Reihe von Gründen, die gegen den Einsatz eines Sicherheitsdienstes sprechen:

  1. Übergriffe können durch einen Sicherheitsdienst häufig nicht verhindert werden. Oft kommt es unvermittelt zu plötzlichen, impulshaften aggressiven Handlungen (z. B. Faustschläge, Fußtritte), die so schnell erfolgen, dass selbst ein auf Station anwesender Sicherheitsdienst zu spät kommt. Aggressive, krankheitsbedingt nicht steuerungs- und einsichtsfähige oder gezielt instrumentelle Aggression einsetzende Patient*innen (explizit beiderlei Geschlechts [2]) können manchmal nur durch eine hohe Personalpräsenz von weiterer Gewalt abgehalten werden, ein bis zwei zusätzliche Sicherheitskräfte helfen oft wenig, in einzelnen Fällen können erst mehrere Polizist*innen die Situation bereinigen.

  2. Der Einsatz externer Sicherheitsdienste ist rechtlich problematisch. Der Umgang mit Gewalt, soweit diese nicht übermäßig ist, ist (leider) Teil unserer Tätigkeit in der Psychiatrie. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs (nach PsychKG) ist Aufgabe der Beschäftigten und kann nicht an einen externen Sicherheitsdienst delegiert werden. Der Sicherheitsdienst darf keine hoheitlichen Aufgaben übernehmen und keine freiheitsentziehenden Maßnahmen durchführen. Diese dürfen nur von geschulten Mitarbeiter*innen vorgenommen werden, so sieht es auch das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT). Diese Tatsache ist auch haftungsrechtlich relevant. Dies umso mehr, als Mitarbeiter*innen eines Sicherheitsdienstes in der Regel keine hinreichende Ausbildung im Umgang mit psychisch Kranken und in der Anwendung von Zwangsmaßnahmen haben, sodass gerade das Verhalten des Sicherheitsdienstes im Schadensfall von besonderer Relevanz ist.

  3. Der Einsatz von Sicherheitsdiensten ist für das Klima auf den Stationen ungünstig und fördert die Stigmatisierung. Sicherheitsdienste sind ein ungutes Symbol der Macht (der Psychiatrie), diese „Machtdemonstration“ widerspricht dem Prinzip der „Behandlung auf Augenhöhe“. Insbesondere ein äußerlich erkennbarer, uniformierter Sicherheitsdienst macht Angst, es ist ein bedenkliches Signal für Patient*innen, Angehörige und Gesellschaft. Psychiatrische Kliniken – auch deren geschützte Stationen – sollten weder einer JVA noch einer Forensik ähnlich sein; die Patient*innen sind krank und keine Straftäter*innen, die bewacht werden müssen. Sicherheitsdienste tragen somit auch zur Stigmatisierung psychiatrischer Kliniken und ihrer Patient*innen bei.

  4. Die Anwesenheit eines Sicherheitsdienstes könnte die emotionale Anspannung auf Station zusätzlich erhöhen. Eine Aufnahme auf eine geschützte Station allein stellt in der Regel schon eine erhebliche Stresssituation dar. Die Anwesenheit eines Sicherheitsdienstes könnte sich weiter negativ auf die Psychopathologie (z. B. Triggern psychotischen Erlebens) und damit eskalierend auswirken. Das individuelle Erleben muss im Umgang und bei der Deeskalierung berücksichtigt werden, was fachkundiges Personal erfordert, das die Patient*innen kennt – was bei einem externen Sicherheitsdienst nicht gegeben ist. Gerade bei (unfreiwilliger) Aufnahme und in den ersten zwei Wochen – hier kommt es am häufigsten zu Anforderungen eines Sicherheitsdienstes [3] – ist ein empathisch-verstehender Zugang erforderlich, ein restriktiv-autoritäres Auftreten eines Sicherheitsdienstes ist kontraproduktiv.

  5. Die notwendige Verbesserung der Stationsatmosphäre und von Gewalt fördernden Stationsvariablen gelingt nicht durch den Einsatz eines Sicherheitsdienstes. Stress und Gewalt steigen auf Akutstationen bekanntermaßen an, wenn mehrere schwer begrenzbare Patient*innen auf Station sind und wenn die Station überbelegt ist [4] [5]. Neben Patientenvariablen, deren Bedeutung eher überschätzt wird, spielen Stationsvariablen eine wesentliche Rolle beim Auftreten von Aggressionen [6]. Daher sollten organisatorische Maßnahmen getroffen werden, um eine Überbelegung der Akutstationen zu vermeiden, um so eine intensive individuelle Betreuung und eine Reizabschirmung zu ermöglichen. Architektonische Veränderungen könnten dabei unterstützend sein. Grundsätzlich sind kleinere Stationen (max. 18 Betten) anzustreben.

  6. Eine alleinige Personalmehrung durch die Personen des Sicherheitsdienstes ist nicht hinreichend. Die Studienlage bezüglich der (präventiven) Effekte einer quantitativ besseren Personalbesetzung einer Station ist uneinheitlich. „Genügend“ Mitarbeiter*innen im Dienst geben zwar ein Gefühl von mehr Sicherheit, aber die meisten Studien finden keinen Zusammenhang zwischen Personalausstattung und Zahl der aggressiven Übergriffe [4] [7]. Daraus wäre zu folgern, dass auch eine zusätzliche Sicherheitskraft keinen relevanten Effekt auf die Häufigkeit von Aggressionen hat. Eine genügend große Personalpräsenz kann in jeder Klinik rasch bei Auftreten von Aggressionen durch entsprechende Alarmierungsketten bereitgestellt werden.

  7. Qualifizierte Mitarbeiter*innen sind hilfreicher als ein Sicherheitsdienst. Mehr als die Zahl der Mitarbeiter*innen ist deren Qualifikation wichtig. Eine Ausbildung und kontinuierliche Fortbildung bezüglich Deeskalationstechniken und der sicheren Anwendung von Zwangsmaßnahmen inkl. des Erlernens von Abwehrtechniken wird empfohlen [8]. Am besten erfolgt dies mit dem gesamten Stationsteam, da ein „eingespieltes“ Team auch Klarheit und Selbstwirksamkeit ausstrahlt und in der gemeinsamen Durchführung der Interventionen sicher ist, auch beim Einsatz von Medikamenten bei Gefahr im Verzug bzw. im Rahmen eines rechtfertigenden Notstands. Begleitet von einer qualifizierten strukturierten Risikoeinschätzung (z. B. mittels der Broset Violence Checklist), einer Dokumentation der Aggression (z. B. mittels der SOAS-R) und eingebettet in ein gewaltpräventives Konzept wie Safewards kann evidenzbasiert eine Reduktion von aggressivem Verhalten auch ohne Sicherheitsdienste erreicht werden.

  8. Die Anwesenheit eines Sicherheitsdienstes macht Polizeieinsätze nicht entbehrlich. Es verbleibt immer ein Restrisiko und Deeskalationsmaßnahmen können insbesondere bei Patient*innen mit einer Vorgeschichte von gewalttätigem Verhalten versagen, sodass Polizeieinsätze bei erhöhter Gefahrenlage als Ultima Ratio weiter – in etwa 10 % der Aggressionen [6] – erforderlich sind. Nach einem Anruf unter 110 ist die Polizei meist innerhalb von 5 Minuten in der Klinik, wenn erforderlich mit mehreren Streifenwägen. Die Polizei – im Gegensatz zu einem Sicherheitsdienst – kann den Patient*innen aber auch das Gefühl von Sicherheit und Rechtmäßigkeit der Maßnahme geben. Die Polizei hat zudem ein anderes „Image“ als ein Sicherheitsdienst.

  9. Eine konsequente Haltung gegenüber gewalttätigen Patient*innen ist mit und ohne Sicherheitsdienst erforderlich. Psychiatrie ist kein rechtsfreier Raum und es ist – gerade bei der heutigen Auffassung von Autonomie – auch ethisch vertretbar [8], dass – nach individueller Abwägung – ein erheblicher tätlicher Angriff durch die Klinikleitung zur Anzeige gebracht wird. Dies hat auch die Konsequenz, dass bei sich wiederholendem aggressiven Verhalten dann konkret die Frage der Unterbringung nach § 63 StGB geprüft werden kann und so wiederholt schwer gewalttätige Patient*innen einer längerfristigen (und oft hilfreichen) Behandlung in einer forensischen Klinik zugeführt werden können.

  10. Die Finanzierung eines Sicherheitsdienstes muss aus dem knappen Budget des Krankenhauses erfolgen. Die Kosten für einen kontinuierlichen Sicherheitsdienst erreichen im Jahr schnell sechsstellige Summen. Die entsprechenden Pflegesätze dienen aber der Bereitstellung des „PsychPV-Personals“ und der Deckung der Sachkosten – und sind in der Regel bei Umsetzung einer 100 %-Personalbesetzung ausgeschöpft. Die Kosten für den Sicherheitsdienst müssten anders(wo?) eingespart werden.

Was kann man als Resümee ziehen? Absolute Sicherheit gibt es nicht, auch nicht durch die ständige Präsenz eines Sicherheitsdienstes. Ausreichendes und qualifiziertes Personal bleibt das A und O in der Prävention und im Umgang mit Gewalt in der psychiatrischen Klinik. Es bedarf fortlaufend der Risikoeinschätzung und Dokumentation aggressiven Verhaltens, der Nachbesprechung aller kritischen Situationen, der Überprüfung und Anpassung des gewaltpräventiven Konzeptes sowie der kontinuierlichen Fortbildung, ebenso wie der Gestaltung der Umgebungsbedingungen und verschiedener organisatorischer Maßnahmen der Klinikleitung sowie auch der Nachsorge für Mitarbeiter*innen nach Patientenübergriffen. Die Umsetzung der Empfehlungen der S3-Leitlinie „Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens“ [8] [9] im klinischen Alltag ist essenziell. All dies zusammen verbessert die Behandlung, vermindert Aggressionen und macht Stationen sicherer – auch ohne externe Sicherheitsdienste.


#

Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Eisele F, Flammer E, Steinert T. Incidents of aggression in German psychiatric hospitals: Is there an increase?. PLoS ONE 2021; 16: e0245090
  • 2 Ketelsen R, Fernando S, Driessen M. Geschlechtsspezifische Unterschiede aggressiven Verhaltens und der Anwendung von Zwangsmaßnahmen bei stationär psychiatrischen Patienten und Patientinnen. Psychiat Prax 2022; 49: 121-127
  • 3 Lawrence R, Perez-Coste M, Arkow S. et al. Use of security officers on inpatient psychiatry units. Psychiatr Serv 2018; 69: 777-783
  • 4 Ng B, Kumar S, Ranclaud M. et al. Ward crowding and incidents of violence on an acute psychiatric inpatient unit. Psychiatr Serv 2001; 52: 521-525
  • 5 Virtanen M, Vahtera J, Batty G. et al. Overcrowding in psychiatric wards and physical assaults on staff: data-linked longitudinal study. Br J Psychiatry 2011; 198: 149-155
  • 6 Pelto-Piri V, Warg LE, Kjellin L. Violence and aggression in psychiatric inpatient care in Sweden: a critical incident technique analysis of staff descriptions. BMC Health Services Research 2020; 20: 362
  • 7 Staggs V. Deviations in monthly staffing and injurious assaults against staff and patients on psychiatric units. Research Nurs Health 2016; 39: 347-352
  • 8 DGPPN. Hrsg. S3-Leitlinie Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen. Berlin: Springer; 2019
  • 9 Steinert T, Hirsch S. Implementierung der S3-Leitlinie Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen. Psychiat Prax 2019; 46: 294-296

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Hermann Spießl
Bezirkskrankenhaus Landshut
Prof.-Buchner-Straße 22
84034 Landshut
Deutschland   

Publication History

Article published online:
05 October 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

  • 1 Eisele F, Flammer E, Steinert T. Incidents of aggression in German psychiatric hospitals: Is there an increase?. PLoS ONE 2021; 16: e0245090
  • 2 Ketelsen R, Fernando S, Driessen M. Geschlechtsspezifische Unterschiede aggressiven Verhaltens und der Anwendung von Zwangsmaßnahmen bei stationär psychiatrischen Patienten und Patientinnen. Psychiat Prax 2022; 49: 121-127
  • 3 Lawrence R, Perez-Coste M, Arkow S. et al. Use of security officers on inpatient psychiatry units. Psychiatr Serv 2018; 69: 777-783
  • 4 Ng B, Kumar S, Ranclaud M. et al. Ward crowding and incidents of violence on an acute psychiatric inpatient unit. Psychiatr Serv 2001; 52: 521-525
  • 5 Virtanen M, Vahtera J, Batty G. et al. Overcrowding in psychiatric wards and physical assaults on staff: data-linked longitudinal study. Br J Psychiatry 2011; 198: 149-155
  • 6 Pelto-Piri V, Warg LE, Kjellin L. Violence and aggression in psychiatric inpatient care in Sweden: a critical incident technique analysis of staff descriptions. BMC Health Services Research 2020; 20: 362
  • 7 Staggs V. Deviations in monthly staffing and injurious assaults against staff and patients on psychiatric units. Research Nurs Health 2016; 39: 347-352
  • 8 DGPPN. Hrsg. S3-Leitlinie Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen. Berlin: Springer; 2019
  • 9 Steinert T, Hirsch S. Implementierung der S3-Leitlinie Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen. Psychiat Prax 2019; 46: 294-296

Zoom Image