Digitalisierung: Ein weiterer Rückschlag
Die zahlreichen Probleme bei der Einführung des e-Rezeptes sind hinlänglich bekannt.
Eine zuletzt für Januar 2022 geplante bundesweite Einführung wurde erneut verschoben
und zwar auf unbestimmte Zeit, wurde 12/2021 kommuniziert. Die kassenärztliche Bundesvereinigung
(KBV) ließ verlauten, dass ein Regelbetrieb noch in weiter Ferne läge. Bis zum Dezember
2021 seien lediglich sehr wenige e-Rezepte ausgestellt worden. Ein laufender Test
in Berlin-Brandenburg sei nicht aussagekräftig. Die Anzahl teilnehmender Ärzte und
Apotheken sei sehr überschaubar und Krankenhäuser seien erst gar nicht involviert
worden.
Nun musste die Digitalisierung einen weiteren Schlag hinnehmen, der eigentlich überfällig
war und von vielen erwartet wurde: Aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken möchte
die Kassenärztliche Vereinigung (KV) von Schleswig-Holstein aus dem e-Rezept aussteigen,
wie im August 2022 veröffentlicht wurde – und das eine Woche vor der geplanten Einführung
in Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein (Quelle: https://www.kvsh.de/praxis/praxisfuehrung/newsletter/erezept-ausstieg-aus-dem-rollout). Konkreter Grund sind Bedenken hinsichtlich des Versands von Daten, hier QR-Codes,
via E-Mail; die mailbasierte Umsetzung des e-Rezeptes sei nämlich untersagt. Die Vorstandvorsitzende
Dr. Monika Schliffke wurde wie folgt zitiert: „Der Nutzen des E-Rezepts liegt für
Arztpraxen im Komfort der bürokratiearmen Erstellung und für Patienten in der Einsparung
mehrfacher Wege, was insbesondere für Menschen in ländlichen Bereichen vorteilhaft
wäre. Beides kann momentan nicht erreicht werden“.
Zudem ist - nach Gutachten der Datenschutzbeauftragten, u.a. Schleswig-Holstein, -
die Ärzteschaft von der Erzeugung/Ausstellung eines Barcodes für ein Rezept bis zur
Einlösung durch die Patienten/Patientinnen in einer Apotheke haftungsrechtlich verantwortlich!
Dies ist neu gegenüber dem bisherigen Papierrezept. Hier endete die ärztliche Haftung
bei der persönlichen Übergabe des Rezeptes an die Patienten/Patientinnen.
Wie es nun weitergeht, ist völlig ungeklärt. Aktuell existieren eigentliche keine
Alternativen zur Fortführung der bisherigen Praxis mit Ausstellung eines Papierrezeptes.
Die Gematik-App, die unabdingbar für die Einführung der digitalen Anwendungen im Gesundheitswesen
ist, kann derzeit kaum benutzt werden, weil wiederum nur wenige Versicherte über eine
hierfür erforderliche NFC-fähige Gesundheitskarte oder ebenfalls erforderliche geeignete
Smartphone-Typen verfügen. Und das sind nur einige der zahlreichen Probleme.
Es ist völlig unverständlich, warum seitens der Politik die Problematik nicht ausreichend
wahrgenommen und aktuell weiter auf einer zeitnahen Einführung der digitalen Anwendungen
unter der Anwendung von Sanktionen beharrt wird. Konsens ist, dass eine Digitalisierung
im Gesundheitswesen überfällig und bei optimaler Nutzung Vorteile für Patienten und
Ärzte bringen könnte. Klar ist aber auch, dass die aktuelle Strategie, welche von
der Politik vorgegeben wurde, einerseits nicht realisierbar ist und andererseits selbst
eine Umsetzung mehr Probleme aufwerfen würde, als Vorteile erwachsen würde. Die ganz
überwiegende Mehrheit der Ärzteschaft, der Ärztevertretungen und der Kassenärztlichen
Vereinigungen glauben seit langem nicht mehr an eine Umsetzung der Digitalisierung
im Gesundheitswesen in der jetzigen Form.
Die politischen Entscheidungsträger müssen verstehen, dass die Digitalisierung nicht
mit der Brechstange ohne ausreichende Beteiligung der Fachorganisationen durchgesetzt
werden kann und darf. Um zukünftig digitale Lösungen im Gesundheitswesen zur Verbesserung
der Patientenversorgung und Entlastung der Ärzte einsetzen zu können, bedarf es einer
grundlegenden Neuausrichtung oder gar eines Neuanfanges. Diese kann nur gelingen,
wenn von Anfang an diejenigen, die mit den digitalen Anwendungen umgehen müssen, insbesondere
Ärzteschaft und Patienten, stark eingebunden werden und Entscheidungen nicht nur von
Politik und praxisfernen medizinischen Institutionen und der Digitalisierungsindustrie
getroffen werden.
Die Politik ist am Zug. Die Ärzteschaft steht sicherlich bereit, um über neue Wege
auf dem Weg zur Digitalisierung im Gesundheitswesen zu diskutieren. In der jetzigen
Form ist diese in eine Sackgasse geraten, aus der wohl kein Weg mehr hinausführt.
Finanzstabilizierungsgesetzes aus dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und ärztlicher
Protest
Da ein Defizit von ca. 30 Milliarden Euro durch die Pandemiekosten und weitere Kosten
im GKV-Bereich, z.B. bis 500 Mio. Euro für die Anschaffung neuer Konnektoren in der
immer noch nicht funktionierenden IT-Infrastruktur, entstanden ist, werden Einsparungen
in ALLEN Bereichen, auch der ärztlichen Versorgung, schnellstens angestrebt. Als erstes
soll die Neupatientenregelung im ärztlichen Versorgungsbereich gekippt werden. Nach
und nach sind weitere Leistungseinschränkungen im ärztlichen Versorgungsbereich geplant,
die noch nicht konkret vom BMG genannt wurden. Das geplante Finanzstabilizierungsgesetz
wird der Anfang für weitere Streichlisten von Seiten des BMG und ggf. des GKV-Spitzenverbandes
werden. Dies führte der Vorsitzende der KBV Dr. Gassen nach entsprechender persönlicher
Rücksprache mit den politischen Trägern aus. Die 132i-Verträge nach SGB V sind nicht
betroffen. Inwieweit der Punktewert für Alle ärztlichen Leistungen nach unten angepasst
werden muss, ist noch nicht absehbar. Leistungskürzungen sind bereits jetzt eingetreten,
wie in vielen ärztlichen Bereichen von den Berufsverbänden dokumentiert und ausgeführt.
Die Auswirkungen sind insbesondere den Patienten/Patientinnen noch nicht bewusst.
Der BDDH unterstützt die KBV in Ihrem Vorgehen, u.a. die Freiberuflichkeit und die
Vergütungssicherheit der Ärzte/Ärztinnen gemeinsam abzusichern. Hierbei werden zahlreiche
konkrete Maßnahmen von der KBV bereits vorbereitet.
Gemeinsam mit der SpiFa (Spitzenverband der Fachärzte Deutschlands e.V. in Klinik
und Praxis) und der konzertierten Aktion aller Berufsverbände unter dem Dach der KBV
soll sich in einer ersten „Protest-Phase“ an die Politikerinnen und Politiker in dem
jeweiligen Wahlkreis gewendet werden. Diese sollen über die Auswirkungen dieser ersten
Sparmaßnahmen aufgeklärt werden. Die Kontaktdaten für die Abgeordneten des jeweiligen
Wahlkreises sind auf der Homepage des Deutschen Bundestages zu finden (https://www.bundestag.de/abgeordnete).
Im Nachgang zu den zahlreichen außerordentlichen Sitzungen der KBV wurde nun auch
ein online-Brief u.a. von der KBV und weiteren Berufsverbänden zur Verfügung gestellt
(https://www.kbv.de/html/offener-brief-bmg.php). Der Protest soll nicht nur über die Vorstände der Berufsverbände und die KBV erfolgen,
sondern auch Allen Mitgliedern ALLER Berufsverbände und der SpiFa ermöglicht werden.
Die „Protest-Phase“ ist bereits mit zahlreichen aktuellen geplanten Aktionen angelaufen
(https://www.kbv.de).
Die Politik, insbesondere das BMG unter Führung von Professor Lauterbach, ist aktuell
von der „Kassenlage“ getrieben und nimmt die Leistungserbringer stark in die Pflicht.
Für den Vorstand der Deutschen Hämostaseologen
Priv.-Doz. Dr. med. Jürgen Koscielny, Vorsitzender
Priv.-Doz. Dr. med. Christoph Sucker, Beisitzer des Vorstandes