Arthritis und Rheuma 2022; 42(04): 251-257
DOI: 10.1055/a-1865-1768
Kinderrheumatologie
Übersichtsartikel

Kinderrheumatologie in Äthiopien

Ehrenamtliche Tätigkeit an einer Universitätsklinik in Addis AbebaPediatric Rheumatology in EthiopiaVoluntary Activity at an University Hospital in Addis Ababa
Elisabeth Weißbarth-Riedel
1   Medizinicum Hamburg
2   Kinderrheumatologie, Zentrum für Geburtshilfe, Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (bis 2018)
› Author Affiliations
 

ZUSAMMENFASSUNG

Im Rahmen einer ehrenamtlichen Tätigkeit in einem tertiären Krankenhaus/Medical School in Addis Abeba konnten Einblicke in das Gesundheitssystem und die ärztliche Ausbildung in Äthiopien und in die Situation von Kindern und Jugendlichen mit rheumatischen Erkrankungen in diesem Land gewonnen werden. Kinder und Jugendliche sind vermutlich mit ähnlicher Frequenz wie in westlichen Ländern von diesen Erkrankungen betroffen, werden aber zu spät oder gar nicht diagnostiziert, was zu irreversiblen Schäden führt. Ursachen hierfür sind neben einer noch nicht flächendeckenden ärztlichen Versorgung eine bisher nicht ausreichende Ausbildung der Ärzte in nicht übertragbaren Krankheiten sowie ein mangelnder Zugang zu diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. Eine Unterstützung der einheimischen Ärzte in der Ausbildung ist daher dringend erforderlich. Ein strukturiertes und den verfügbaren Mitteln angepasstes Diagnostik- und Therapiekonzept sollte in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen angestrebt werden.


#

ABSTRACT

As part of a voluntary activity in a tertiary hospital/medical school in Addis Ababa, insights into the health system and medical training in Ethiopia and into the situation of children and adolescents with rheumatic diseases in this country were gained. Children and adolescents are probably affected by these diseases with a similar frequency as in western countries, but are diagnosed too late or diagnosed not at all, which leads to irreversible damage. The reasons for this are, in addition to medical care that is not yet comprehensive, insufficient training of doctors in non-communicable diseases and a lack of access to diagnostic and therapeutic options. Support for local doctors in training is therefore urgently needed. A structured diagnostic and therapeutic concept adapted to the available resources should be aimed for in cooperation with international organizations.


#

Äthiopien ist eines der ärmsten Länder der Welt und hat mit mehr als 120 Millionen Einwohnern die zweithöchste Bevölkerungszahl Afrikas, 50 % der Bewohner sind unter 18 Jahre alt. Beim sogenannten „Human Development Index“ rangiert Äthiopien auf Platz 174 von 188. Aufgrund der Größe des Landes (3-mal so groß wie Deutschland) und der geologischen Situation (eingeschränkte Verkehrswege, Hochland, Gebirge) haben nicht alle Bewohner Zugang zu sauberem Wasser, entsprechenden Hygienestandards oder medizinischer Versorgung. Hunger und Mangelernährung sind nicht selten. Dies spiegelt sich auch in den 10 häufigsten Todesursachen wider: Infekte der unteren Atemwege, Tuberkulose, Schlaganfall, maligne Erkrankungen, KHK, Geburtskomplikationen, Malaria und Verkehrsunfälle. Bei Kindern sind die allermeisten spezifischen Todesursachen im Alter von 5–14 Jahren durch Infektionskrankheiten und Verletzungen bedingt.

Während sich die bisherigen Verbesserungen des Gesundheitssystems schwerpunktmäßig auf übertragbare Krankheiten konzentrieren, werden die nicht übertragbaren Krankheiten, zu denen auch die Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises gehören, wenig berücksichtigt.

Von 2017 bis 2020 war die Autorin insgesamt 5-mal für 3–4 Wochen an der zweitgrößten Klinik des Landes in Addis Abeba tätig. Es handelt sich um das St. Paul´s Hospital, welches 1969 ursprünglich für die arme und mittellose Bevölkerungsschicht von Haile Selassie mit Hilfe einer deutschen evangelikalen Kirche gegründet wurde. 2007 wurde das angeschlossene Medical College durch das äthiopische Gesundheitsministerium eröffnet, zusammen mit dem britischen Urologen Gordon Williams vom Hammersmith Hospital in London als Gründungsdekan.

Die Klinik hat inzwischen ca. 1000 Betten und betreut ca. 2000 ambulante Patienten täglich mit einem Einzugsgebiet von 5 Millionen Einwohnern. Es gibt 17 Departments, darunter auch eine große Pädiatrie mit einer Notaufnahme, einer Intensivstation, 2 allgemeinpädiatrischen Stationen, einer Neonatologie mit Intensivbereich sowie einer Ambulanz.

Der Aufenthalt der Autorin erfolgte auf Wunsch der Pädiatrischen Klinik und wurde über den Senior Expert Service aus Deutschland organisiert. Der Senior Expert Service ist als Stiftung der Deutschen Wirtschaft für Internationale Zusammenarbeit die führende deutsche Entsendungsorganisation für ehrenamtliche Fach- und Führungskräfte im Ruhestand in meist Entwicklungs- und Schwellenländern. Schwerpunkte der Förderung sind ursprünglich technische und betriebswirtschaftliche Unterstützung, in den letzten Jahren kommt es jedoch immer häufiger auch zu Anfragen im medizinischen Bereich (Ärzte und medizinisches Personal).

Die Tätigkeit der Autorin bezog sich im Rahmen der Lehre auf die Ausbildung von Studenten und angehenden Fachärzten für Pädiatrie bzgl. der Vermittlung von Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises. Dies erfolgte in Form von Vorlesungen, Seminaren und Fallvorstellungen sowie in der Erstellung von Prüfungsfragen nach dem Multiple-Choice-System.

In der Klinik sowie in der Ambulanz nahm sie außerdem beratend an den Visiten bei Patienten mit Verdacht auf rheumatische Erkrankungen teil ([ Abb. 1 ]). Des Weiteren war sie einmal wöchentlich in der kooperierenden ältesten Universitätsklinik von Addis Abeba, dem Black Lion Hospital, beratend in einer dort bereits existierenden kinderrheumatologischen Sprechstunde tätig.

Zoom Image
Abb. 1 Jaccoud-Arthropathie bei einem 13 Jahre alten Mädchen mit SLE, seit 3 Jahren Arthritis mit hämatologischer und nephrologischer Beteiligung (St. Paul´s Hospital).

Höhepunkt der (dortigen) Tätigkeit war für die Autorin die Möglichkeit, ein Symposium über Diagnose und Therapie in der Kinderrheumatologie zu organisieren und zu gestalten, welches im Rahmen des Jahreskongresses der Ethiopic Pediatric Society im Februar 2020 noch vor Beginn der Corona-Pandemie stattfand. Hierzu hatte sie auch – mit Unterstützung des Vereins Afrika aktiv e. V. – als weitere Referentin Frau Prof. Almut Bahlburg aus Greifswald eingeladen.

Gesundheitssystem in Äthiopien

Das staatliche Gesundheitssystem ist 3-gliedrig aufgebaut: Die „Primary Care“ besteht aus sogenannten Gesundheitsposten bzw. einem „Health Center“. Die Primary Care im Gesundheitsposten wird von 2 Gesundheitsarbeitern mit High-School-Abschluss nach einem Jahr medizinischem Training durchgeführt. Ein Gesundheitsposten ist jeweils für 3000 bis 5000 Personen zuständig. Im Health Center gibt es ca. 20 Mitarbeiter, darunter Krankenschwestern und Pfleger, Hebammen, Apothekenhelfer und Laboranten. Danach kommen primäre und allgemeine Krankenhäuser mit jeweils einem Arzt für ca. 35 000 Einwohner. In den größeren Städten und den Universitäten gibt es sogenannte „Spezialisierte“ Krankenhäuser für jeweils 3,5 bis 5 Millionen Einwohner. Die Behandlung in den staatlichen Einrichtungen ist für die Patienten kostenlos, Medikamente und Laboruntersuchungen müssen allerdings bezahlt werden, nur Tuberkulose- und HIV-Therapien sind kostenfrei.

Generell fehlt es an Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern sowie medizinischem Hilfspersonal. Dies führt dazu, dass die Patienten oft erst traditionelle „Heiler“ aufsuchen. Dabei handelt es sich um „spirituelle“ Heiler oder um Kräuter-Heilkundige. Diese traditionelle Medizin ist durch griechische, arabische und jüdische Traditionen beeinflusst. Besonders in den orthodoxen Glaubensgemeinschaften spielt das sogenannte „heilige Wasser“ eine wesentliche Rolle und wird für alle möglichen Leiden eingesetzt [1], [2].


#

Medizinische Ausbildung in Äthiopien

In den vergangenen 10 Jahren stieg die Zahl der medizinischen Fakultäten (sog. Medical Schools) von 18 auf 32, mehr als 5000 Medizinstudenten können nun pro Jahr ihre Ausbildung abschließen. Damit wurde das Ziel der WHO von mindestens 10 Ärzten pro 100 000 Einwohnern in Ländern mit niedrigem Einkommen seit 2019 erreicht. Dieses führte jedoch zu Engpässen in der Infrastruktur und bei den Ressourcen der Fakultäten – mit der Folge einer verminderten Qualität der medizinischen Ausbildung. Der Deutsche Akademische Austauschdienst hat durch die Förderung einiger medizinischer Fakultäten im Land geholfen, konnte jedoch die Lücke nicht schließen. Insbesondere der Mangel an erfahrenen Dozenten für die speziellen klinischen Bereiche macht sich bemerkbar und selbst E-Learning-Programme leiden unter dem Mangel von Tablets für die Studierenden und dem lückenhaften Internetzugang im ganzen Land. Daher dürfte die Qualität der medizinischen Ausbildung ohne weitere Unterstützung von außen mangelhaft bleiben.

Der Lehrplan für die medizinische Ausbildung in Äthiopien ist gut strukturiert: Das Studium umfasst 2 Jahre vorklinische und 3 Jahre klinische Studien, die hauptsächlich die Bereiche Innere Medizin, Chirurgie, Pädiatrie und Gynäkologie/Geburtshilfe beinhalten; dem folgt dann ein Praktikumsjahr in diesen Hauptdisziplinen. Nach jedem klinischen Jahr müssen die Studenten eine Prüfung mit schriftlichen, mündlichen und praktischen Tests ablegen. Die Studienleistungen werden kontinuierlich von Tutoren analysiert und mit den Studenten besprochen – eine effiziente Methode, um deren Fortschritt zu überprüfen.

Die Grundstruktur der klinischen Ausbildung besteht aus Vorlesungen, Seminaren mit Präsentationen durch die Studenten und aus regelmäßigen praktischen Unterrichtseinheiten in kleinen Gruppen. Die Unterrichtssprache hierbei ist Englisch, ebenso die Kommunikation der Ärzte und des medizinischen Personals untereinander an den Krankenhäusern.

Eine Facharztausbildung ist für einige Fachrichtungen an spezialisierten Krankenhäusern möglich. Voraussetzung hierzu ist nach dem Studium eine 2-jährige allgemeinmedizinische Tätigkeit meist in unterversorgten ländlichen Regionen. In der Kinderklinik des St. Paul`s Hospitals wurden Kinderärzte in einer jeweils 3-jährigen Ausbildung (Residency) als Fachärzte für Pädiatrie ausgebildet.


#

Epidemiologie

Epidemiologische Daten für das Vorkommen rheumatischer Erkrankungen liegen in Äthiopien weder für das Kindes- noch das Erwachsenenalter vor. In der Literatur findet sich für das Subsahara-Afrika bereits seit den 1950er-Jahren eine Zusammenstellung von McGill et al. [3], [4], es wird über eine steigende Frequenz in Ost-/Zentral- und Südafrika berichtet. Auch die „juvenile chronische Arthritis“ sei nicht selten, rheumatisches Fieber sehr häufig, genaue Zahlen gibt es jedoch nicht. Bei den Angaben über rheumatische Erkrankungen müssen immer auch differenzialdiagnostisch eine Vielzahl von tropentypischen infektiösen Ursachen berücksichtigt werden wie Tuberkulose, Lepra, Brucellose, Infektionen durch Meningokokken, Alphaviren (z. B. Chikungunya), parasitäre Erkrankungen (Malaria), Knochen- und Gelenkinfektionen, Rachitis und Hämoglobinopathien. Eine Rachitis tritt überraschend häufig bei Kindern auf, bedingt durch Kalziummangel in der Ernährung und wenig Sonnenexposition (traditionell wird Sonne gemieden, dazu kommt die dunklere Hautfarbe). Die Diagnosestellung ist immer auch von den Kenntnissen des primär behandelnden Arztes abhängig.

Die Behandlung erfolgt – sofern eine ärztliche Vorstellung möglich ist – primär durch den Allgemeinarzt, nur in Ausnahmefällen und soweit verfügbar durch einen Kinderarzt oder Orthopäden. Daten zur Prävalenz liegen nur für Erwachsene in Südafrika und Nigeria vor. Dabei wird die Prävalenz für die rheumatoide Arthritis mit 0,9 % angegeben [4]. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die publizierten Studien in der Regel nur kleine Teilnehmerzahlen aufweisen und eine urbane Bevölkerung repräsentieren, welche sich von der Landbevölkerung deutlich unterscheidet. Eine kleinere retrospektive Analyse einer Kinderklinik aus Nigeria über 57 Patienten mit rheumatischen Erkrankungen beschreibt bei 50 % der Patienten die Diagnose JIA, während in einer ebenfalls Klinik-basierten Analyse aus Kenia von 26 pädiatrischen Patienten nur akut-entzündliche Arthropathien und entzündliche Systemerkrankungen diagnostiziert wurden, aber keine Fälle mit chronischen Arthritiden [5], [6].

Spondylarthritiden treten selten auf, was z. T. als Folge des Fehlens von HLA-B27 bei Afrikanern subsaharischer Herkunft und durch ein unterschiedliches genetisches Risikoprofil interpretiert wird. Bei Nordafrikanern tritt das HLA-B27 mit einer Prävalenz von 3–5 % auf gegenüber von 8 % in Patienten mit europäischer Herkunft [7]. In einigen Gebieten kommt es trotz einer höheren Prävalenz von HLA-B27 nicht zu den entsprechenden Krankheitsbildern. Eine Erklärung hierfür wäre das mögliche Fehlen eines entsprechenden Triggers in der Umgebung oder schützende genetische Faktoren. In anderen Ländern kommt es im Zusammenhang mit HIV-Infektionen häufiger zu Spondylarthritiden. Da Äthiopien ein Vielvölkerstaat mit über 80 verschiedenen Ethnien ist, lassen sich aus den Daten anderer afrikanischer Länder keine belastbaren Vorhersagen bezüglich der Prävalenz für Äthiopien ableiten.

Systemischer Lupus Erythematodes (SLE)

Bezüglich Daten zum SLE zeigt sich in den letzten Jahren eine zunehmende Prävalenz von Erkrankungen in Subsahara-Afrika. Dem liegt vermutlich eine bessere Diagnosestellung zugrunde. Ein systematischer Review und eine Metaanalyse von einer gepoolten Population von über 28000 Individuen in Krankenhäusern ergab für Subsahara-Afrika eine Prävalenz von 1,7 % [8].

Häufig wird die Erkrankung jedoch im Rahmen von Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose und HIV nicht diagnostiziert. Die Lupus-Erkrankung wird z. T. erst im Rahmen einer Nierenbeteiligung festgestellt und hat eine hohe Frühmortalität bis zu 30 %. Erschwerend bei der Diagnosestellung ist der medizinische Kenntnisstand bei der primär aufgesuchten medizinischen Institution und das Fehlen von an die vorhandenen Ressourcen angepassten Diagnosekriterien. So sind serologische Parameter oft nicht verfügbar oder für die Patienten zu teuer.

Therapiemöglichkeiten

Auch bei korrekter Diagnosestellung gibt es nur eingeschränkte Therapiemöglichkeiten. Generell verfügbar sind NSAR, in erster Linie Ibuprofen. Dieses wird auch verordnet und ist von den Patienten bezahlbar. Häufig wird es jedoch – vermutlich aus Unkenntnis – zu niedrig dosiert und auch nur 1–2x täglich eingenommen. Aus der Gruppe der NSAR mit günstigerer Halbwertszeit ist Meloxicam vorhanden und wird auch eingesetzt, jedoch ist es für die Patienten deutlich teurer. Steroide werden großzügig und auch längerfristig eingesetzt, z. T. ohne Kontrollen und supportive Maßnahmen.

Das am häufigsten verwendete DMARD ist Methotrexat, welches fast nur oral gegeben wird, z. T. auch in höheren Dosierungen bis 25 mg/m², subkutan anwendbare Präparationen sind nicht verfügbar. Intravenöse Präparate sind onkologischen Patienten vorbehalten und an den staatlichen Kliniken nicht für Rheumapatienten zu bekommen. Eine Folsäuresubstitution wird durchgeführt.

Auffallend für die Autorin war, dass im Vergleich zu deutschen Patienten selten über Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Aversionen gegen das Medikament berichtet wurde. Hier könnten eventuell genetische Ursachen oder auch Ernährungsgewohnheiten (Chili-gewürztes Essen) eine Rolle spielen. Die empfohlenen Laborkontrollen werden nur unregelmäßig durchgeführt, da sie von den Patienten selbst bezahlt werden müssen.

Chloroquin ist in Äthiopien für die Malariatherapie verfügbar, wird aber als DMARD in der Kinderrheumatologie nur selten eingesetzt. Es bestehen Bedenken hinsichtlich der Nebenwirkungen, welche vermutlich durch die höheren Dosierungen in der Malariatherapie befürchtet werden. Hydroxychloroquin ist nicht verfügbar.

Sulfasalazin ist vorhanden und wird überwiegend von Gastroenterologen bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen eingesetzt, selten bei rheumatischen Erkrankungen.

Cyclophosphamid wird bei onkologischen Patienten, aber auch in der Lupustherapie eingesetzt, vereinzelt auch MMF, sofern es von den Patienten finanziert werden kann.

Bezüglich der supportiven Therapien wie Kalzium und Vitamin-D-Prophylaxe besteht wenig Hintergrundwissen von ärztlicher Seite als auch geringe Akzeptanz seitens der Patienten bedingt durch die zu tragenden Kosten. Zum Teil ist es möglich, mit entsprechender Ernährungsberatung und Empfehlung zur Sonnenexposition die Mangelsituationen zu verbessern.

Physiotherapeutische Behandlungen sind – bis auf wenige Ausnahmen meist an privaten Krankenhäusern – nicht vorhanden und dann auch nicht entsprechend qualifiziert. Eine Hilfsmittelversorgung, z. B. mit einem Rollstuhl, ist nur über Spenden in der Regel durch kirchliche Organisationen möglich.

Im Rahmen des o. g. kinderrheumatologischen Workshops auf dem Jahreskongress der Ethiopic Pediatric Society 2020 hat Dr. Tilahun Seifu, Assistent Professor der Pädiatrie aus dem Black Lion Hospital, eine retrospektive Analyse der im Zeitraum vom September 2018 bis September 2019 behandelten Patienten mit rheumatischen Erkrankungen vorgestellt [9].

Es wurden insgesamt 52 Patienten erfasst (n = 33 weiblich, n = 19 männlich). Die Mehrzahl der Patienten kam aus Addis Abeba (n = 21) und den umliegenden ländlichen Regionen Oromia und Amhara (n = 17), aus weiter entfernten, insbesondere ländlichen Provinzen kamen nur wenige Patienten (n = 12). Die Altersspanne der Patienten reichte von 2–14 Jahren, mit einem mittleren Alter bei Krankheitsbeginn von 5,5 Jahren. Die meisten Patienten hatten eine Basisdiagnostik mit Differenzialblutbild, Blutsenkung, C-reaktivem Protein (in der Regel nur qualitativ), Rheumafaktor und antinukleären Antikörpern (nicht quantitativ) erhalten. Bei 41 (79 %) der Patienten war eine initiale Röntgendiagnostik betroffener Gelenke erfolgt. Hier zeigte sich bei fast allen Patienten eine periartikuläre Osteoporose, karpale und zervikale Fusionen sowie Erosionen, was auf eine bereits länger dauernde Krankheitsaktivität hinweist. Von den Dermatomyositis-Patienten hatten 2 eine Muskelbiopsie erhalten.

Komorbiditäten waren kardiale Erkrankungen, Hepatitis, septische Arthritis, hämatologische Erkrankungen wie Anämien, Nierenerkrankungen, neurologische Erkrankungen wie Hemiparese oder Endokrinopathien wie Hypothyreose.

Die Behandlung erfolgte je nach Verfügbarkeit mit DMARDs, Steroiden und Methotrexat. Am Ende des Beobachtungszeitraumes befanden sich 36 (72 %) der JIA-Patienten in klinischer Remission, 11 von 17 (65 %) Patienten mit polyartikulärer RF-negativer Polyarthritis wiesen einen irreversiblen Schaden im Bereich betroffener Gelenke auf ([ Abb. 2 ]), von den 7 Patienten mit RF-positiver JIA wiesen 5 (71 %) einen irreversiblen Gelenkschaden auf.

Zoom Image
Abb. 2 Männlicher Patient im Schulalter mit länger bestehender polyartikulärer JIA.

Die Zeit von Krankheitsbeginn bis zur Diagnosestellung dauerte für die JIA-Patienten 2–3 Jahre ([ Tab. 1 ]).

Tab. 1

Ansprechen auf Therapien, Gelenkschäden bei den untersuchten JIA-Patienten ohne SJIA, Outpatients Black-Lion Hospital.

Oligoarthritis (n = 10)

Polyarthritis RF-neg. (n = 17)

Polyarthritis RF-pos. (n = 7)

Geschlecht

weiblich

männlich

6

4

12

5

4

3

Therapieeffekt

gebessert

kein Effekt

7

3

11

6

2

5

Gelenkschaden

ja

nein

0

10

11

6

5

2

Mit Vorsicht zu beurteilen ist die Zahl der RF-positiv diagnostizierten polyartikulären Patienten. In dieser Gruppe finden sich auch 3 männliche Patienten. Es ist bekannt, dass in Kollektiven mit vielen Infektionen (z. T. auch subklinisch verlaufend) eine unspezifische Erhöhung des Rheumafaktors und auch antinukleärer Antikörper auftreten können. Da die Diagnostik in der Regel nur einmal bei Diagnosestellung durchgeführt wurde, ist eine unspezifische Erhöhung im Rahmen von Infektionen somit nicht auszuschließen ([ Tab. 2 ]).

Tab. 2

Symptome und Laborparameter der JIA-Patienten in Outpatients Black-Lion Hospital.

Symptome

Systemische JIA (%)

Polyartikuläre JIA (%)

Oligoartikuläre JIA (%)

Fieber

100

33

20

Ausschlag

50

4

10

BSG↑

83

79

70

ANA +

17

17

40

RF +

33

29

10

Arthritis

100

100

100

Rö pathol.

67

75

70

Extraartik.

100

42

70

Augen betr.

33

8

20

Infektion

50

12

30

Auffällig ist auch, dass sich in der Patientengruppe mit SJIA (n = 6) 2 Patienten mit Augenbeteiligung ohne nähere Angaben hierzu und 3 Patienten mit einer nicht näher bezeichneten Infektion befinden. Hierbei könnten durchaus auch Patienten mit fieberhaftem Verlauf einer initial reaktiven bzw. juvenilen Spondylarthritis erfasst worden sein, zumal eine Differenzierung der betroffenen Gelenke und Angaben zu Insertionstendopathien fehlen. Außerdem sind in dieser Patientengruppe auch ältere Patienten bis 10 Jahre erfasst worden und nicht nur Patienten im typischen Manifestationsalter der SJIA. Untersuchungen auf HLA-B27 wurden in dem analysierten Kollektiv nicht durchgeführt.

Die Autorin selbst hat im Rahmen ihrer Konsultationen lediglich einen Patienten mit einem für eine juvenile Spondylarthritis typischen Befund gesehen. Es handelte sich dabei um einen 11 Jahre alten männlichen Patienten, der seit einem Jahr Schmerzen beim Laufen und in beiden Handgelenken angab. Er wies bei der klinischen Untersuchung außerdem einen Druckschmerz über den Iliosakralgelenken bds., eine Bewegungseinschränkung beider Handgelenke, eine schmerzhafte Außenrotation der Hüftgelenke sowie einen Druckschmerz über dem Trochanter major rechts auf. Außerdem bestanden schmerzhafte Bewegungseinschränkungen in beiden Sprunggelenken und ein knöchern vergrößerter und druckschmerzhafter Tarsus bds. im Sinne einer Tarsitis. Das verfügbare Labor war unauffällig und zeigte keine Entzündungsparameter.


#
#
#

Ausblick

Der vorliegende Einblick in ein Patientenkollektiv aus einem tertiären Krankenhaus in Äthiopien zeigt die Probleme, die sich hier für junge Patienten mit rheumatischen Erkrankungen ergeben. Aufgrund der bisher nicht flächendeckenden ärztlichen Versorgung und der mangelnden Kenntnis über nicht übertragbare Krankheiten, wozu auch die rheumatischen Erkrankungen gehören, kommt es zu Verzögerungen von 2–3 Jahren bis zur Diagnosestellung, sofern diese überhaupt erfolgt. Damit ist in der Regel das „Window of Opportunity“ für die meisten rheumatischen Erkrankungen verpasst und eine wirksame Therapie zur Vermeidung von Spätschäden nicht mehr möglich. Für die Zukunft der erkrankten Kinder und Jugendlichen bedeutet das in einem Entwicklungsland wie Äthiopien meist Ausschluss von entsprechender Schulbildung: Die Schulwege sind oft weit und müssen zu Fuß zurückgelegt werden, staatliche Unterstützung betroffener Familien gibt es nicht, gelegentlich werden Kinder von Geschwistern oder Angehörigen kilometerweit getragen. Ohne Schulbildung ist eine weitere berufliche Qualifikation nicht möglich und auch unqualifizierte Erwerbstätigkeiten lassen sich mit der Erkrankung dann nicht vereinbaren, sodass diese Kinder und Jugendlichen oft als Bettler auf der Straße enden, sofern sie nicht von der Familie versorgt werden können.

Eine kürzlich von der Pediatric Rheumatology International Trials Organisation (PRINTO) durchgeführte multinationale Consensus-Konferenz [10] bzgl. JIA in „less resourced countries“ ergab, dass Kinder mit JIA in diesen Ländern eine höhere Rate an aktiver Erkrankung und bleibenden Gelenkschäden aufweisen als in den entwickelten Nationen. Empfehlungen für das Management für diese Länder wurden mit Unterstützung der International League of Arthritis and Rheumatism (ILAR) auf Basis dieser Studie entwickelt. Ohne eine entsprechende Ausbildung und ein Training von einheimischen Spezialisten ist jedoch ein Umsetzen dieser Ziele nicht möglich. Wir sollten es daher auch als unsere Aufgabe sehen, eine strukturierte qualifizierte Ausbildung der einheimischen Ärzte mit zu unterstützen.

Während der Aufenthalte der Autorin in Äthiopien hatte der Ministerpräsident des Landes, Abiy Ahmed, den Friedensnobelpreis erhalten. Kurz nach ihrem letzten Aufenthalt in 2020 brach im Norden des Landes ein Bürgerkrieg aus, welcher von der Regierung blutig niedergeschlagen wurde. Inwieweit hier eine dauerhafte Beruhigung eintreten wird, ist trotz offiziellem Waffenstillstand seit Ende März dieses Jahres noch unklar. Durch diese Ereignisse sowie durch die parallel aufgetretene Corona-Pandemie dürfte sich die hoffnungsvolle Situation im medizinischen Bereich zunächst wieder verschlechtert haben.

Es ist daher zu hoffen, dass mit Beruhigung der politischen Situation in Äthiopien wieder Schulungen durch internationale Kinderrheumatologen möglich sind bzw. junge Ärzte aus Äthiopien in westlichen Ländern entsprechend ausgebildet werden können.


#
#

Interessenkonflikt

Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Schirripa P. Gesundheitssystem. In: Uhlig S, Appleyard AB, Hahn W, Kaplan S, Hrsg. Äthiopien Geschichte, Kultur, Herausforderungen. Wiesbaden: Harrassowitz 2018: 288-290
  • 2 Burchard G. Medizinische Lage und Krankheiten. In: Uhlig S, Appleyard AB, Hahn W, Kaplan S, Hrsg. Äthiopien Geschichte, Kultur, Herausforderungen. Wiesbaden: Harrassowitz 2018: 291-294
  • 3 McGill PE, Oyoo GO. Rheumatic disorders in Sub-saharan Africa. East Afr Med J 2002; 79 (04) 214-216
  • 4 Adelowo O, Mody GM, Tikly M. et al Rheumatic diseases in Africa. Nat Rev Rheumatol 2021; 17 (06) 363-374
  • 5 Olaosebikan BH, Adelowo OO, Animashaun BA, Akintayo RO. Spectrum of paediatric rheumatic diseases in Nigeria. Pediatr Rheumatol Online J 2017; 15 (01) 7 DOI: 10.1186/s12969-017-0139-3. PMID: 28143550; PMCID: PMC5282742
  • 6 Migowa A, Colmegna I, Hitchon C. et al The spectrum of rheumatic in-patient diagnoses at a pediatric hospital in Kenya. Pediatr Rheumatol Online J 2017; 15 (01) 4 DOI: 10.1186/s12969-016-0131-3. PMID: 28088248; PMCID: PMC5237484
  • 7 Reveille JD, Ball EJ, Khan MA. HLA-B27 and genetic predisposing factors in spondyloarthropathies. Curr Opin Rheumatol 2001; 13 (04) 265-272
  • 8 Essouma M, Nkeck JR, Endomba FT. et al Systemic lupus erythematosus in Native sub-Saharan Africans: A systematic review and meta-analysis. J Autoimmun 2020; 106: 102348 DOI: 10.1016/j.jaut.2019.102348. Epub 2019 Oct 23. PMID: 31668352
  • 9 Tilahun S.. Pattern, clinical features and treatment outcomes of pediatric rheumatological diseases. Symposium on Early Diagnosis and Therapy of Rheumatic Children in Ethiopia. Ethiopian Pediatric Society Congress 2020, Addis Ababa
  • 10 Scott C, Chan M, Slamang W. et al Juvenile arthritis management in less resourced countries (JAMLess): consensus recommendations from the Cradle of Humankind. Clin Rheumatol 2019; 38 (02) 563-575

Korrespondenzadresse

Dr. med. Elisabeth Weißbarth-Riedel
Medizinicum
Stephansplatz 3
20354 Hamburg
Deutschland   

Publication History

Article published online:
07 September 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

  • 1 Schirripa P. Gesundheitssystem. In: Uhlig S, Appleyard AB, Hahn W, Kaplan S, Hrsg. Äthiopien Geschichte, Kultur, Herausforderungen. Wiesbaden: Harrassowitz 2018: 288-290
  • 2 Burchard G. Medizinische Lage und Krankheiten. In: Uhlig S, Appleyard AB, Hahn W, Kaplan S, Hrsg. Äthiopien Geschichte, Kultur, Herausforderungen. Wiesbaden: Harrassowitz 2018: 291-294
  • 3 McGill PE, Oyoo GO. Rheumatic disorders in Sub-saharan Africa. East Afr Med J 2002; 79 (04) 214-216
  • 4 Adelowo O, Mody GM, Tikly M. et al Rheumatic diseases in Africa. Nat Rev Rheumatol 2021; 17 (06) 363-374
  • 5 Olaosebikan BH, Adelowo OO, Animashaun BA, Akintayo RO. Spectrum of paediatric rheumatic diseases in Nigeria. Pediatr Rheumatol Online J 2017; 15 (01) 7 DOI: 10.1186/s12969-017-0139-3. PMID: 28143550; PMCID: PMC5282742
  • 6 Migowa A, Colmegna I, Hitchon C. et al The spectrum of rheumatic in-patient diagnoses at a pediatric hospital in Kenya. Pediatr Rheumatol Online J 2017; 15 (01) 4 DOI: 10.1186/s12969-016-0131-3. PMID: 28088248; PMCID: PMC5237484
  • 7 Reveille JD, Ball EJ, Khan MA. HLA-B27 and genetic predisposing factors in spondyloarthropathies. Curr Opin Rheumatol 2001; 13 (04) 265-272
  • 8 Essouma M, Nkeck JR, Endomba FT. et al Systemic lupus erythematosus in Native sub-Saharan Africans: A systematic review and meta-analysis. J Autoimmun 2020; 106: 102348 DOI: 10.1016/j.jaut.2019.102348. Epub 2019 Oct 23. PMID: 31668352
  • 9 Tilahun S.. Pattern, clinical features and treatment outcomes of pediatric rheumatological diseases. Symposium on Early Diagnosis and Therapy of Rheumatic Children in Ethiopia. Ethiopian Pediatric Society Congress 2020, Addis Ababa
  • 10 Scott C, Chan M, Slamang W. et al Juvenile arthritis management in less resourced countries (JAMLess): consensus recommendations from the Cradle of Humankind. Clin Rheumatol 2019; 38 (02) 563-575

Zoom Image
Abb. 1 Jaccoud-Arthropathie bei einem 13 Jahre alten Mädchen mit SLE, seit 3 Jahren Arthritis mit hämatologischer und nephrologischer Beteiligung (St. Paul´s Hospital).
Zoom Image
Abb. 2 Männlicher Patient im Schulalter mit länger bestehender polyartikulärer JIA.