PiD - Psychotherapie im Dialog 2023; 24(01): 109
DOI: 10.1055/a-1817-9099
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Gruppen-Reise-Therapie: Und wenn nicht, warum doch?

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(Quelle: Herbert Wittmann)

„Also so geht das nicht“, meldet Herr M. sich zu Wort: „Sie müssen jetzt auch mal auf uns eingehen!“ Schauplatz des Dramas: ein Bus voller muttersprachlich deutscher Menschen in der Mittelmeerregion. Vierter Tag einer Rundreise, die im Programm neben Besichtigungen von Ausgrabungsstätten und Resten altchristlicher und muslimischer Kultur auch Möglichkeiten zum „Einkauf reizender Mitbringsel für die Daheimgebliebenen“ vorsieht.

Es entwickelt sich, was wir nur zu gut kennen: Teile der Gruppe solidarisieren sich offen mit dem Beschwerdeführer, einige (vor allem weibliche) Gäste mit dem Reiseführer, der ja gar nicht anders könne, andere versuchen zu beschwichtigen, weil sie im Urlaub seien, und „keine schlechte Stimmung haben wollten“… Selbstverständlich gibt es auch diejenigen, die still bleiben und ihre Sympathien dennoch ausrichten. Deutlich wird dies an Kontaktaufnahmen während des anschließenden Rundgangs durch eine Klosteranlage: Es formieren sich ausgesprochene und unausgesprochene Subsysteme, die sich untereinander ihrer Zugehörigkeit versichern. Sätze wie „Wer bezahlt den hier eigentlich?“ und Worte wie „Respekt“ sind zu hören.

Vergessen die Nebensache, dass diese Reise, realistisch betrachtet, ohne „Produktplatzierungen“ vermutlich das Doppelte vom entrichteten Reisepreis kosten würde. Gerade dies steht aber im Zentrum des Ärgers von Herrn M.: Er will keinen Teppich kaufen, keinen Schmuck für seine Frau, und eine Lederjacke hat er auch schon. Überhaupt, würde er im persönlichen Gespräch einräumen, habe er diese Reise nur seiner Frau zuliebe gebucht. Schließlich könne man(n) ihr ja nicht alle Wünsche abschlagen. Und nun muss er warten: auf ein älteres Ehepaar, das noch Zeit für den Erwerb eines Colliers benötigt und vor allem für die unvermeidbaren Preisverhandlungen. „Nicht zu fassen…“ findet er und erwartet vom Reiseleiter, dass er endlich die Gruppe zur Weiterfahrt aufruft – womit wir wieder am Anfang der Geschichte angelangt wären.

Vermutlich stünden die meisten der hier Mitreisenden einer Gruppentherapie eher skeptisch gegenüber. Es sei unklar, was das bringen solle, sich mit anderen über die eigenen Schwierigkeiten auszutauschen, wird ins Feld geführt. Und dennoch verbringen genau diese Menschen freiwillig Urlaubstage in Gruppen von anderen Menschen und tun genau das: inszenieren Altes, lernen manchmal Neues – und bringen am Ende Teppiche, Lederjacken und Ohrringe mit…

Dr. Bettina Wilms, Querfurt



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Article published online:
20 February 2023

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