Psychiatr Prax 2022; 49(05): 285
DOI: 10.1055/a-1813-8602
Mitteilungen BDK

Interkulturelle Öffnung ist alternativlos und dringend

 

    Krieg in der Ukraine: die Zahl der Geflüchteten steigt

    Der Arbeitskreis Migration der BDK sieht schnellen Handlungsbedarf, Strukturen der interkulturellen Öffnung in den psychiatrischen Kliniken zu verankern. Der Krieg in der Ukraine hat es deutlich gemacht: Das psychiatrische Versorgungssystem wird immer wieder mit unerwarteten Herausforderungen konfrontiert. Waren es 2015 und 2016 vorwiegend junge Männer, die ohne Familienanhang nach Deutschland kamen, so sind es jetzt vor allem junge Frauen – mit oder ohne Kinder – und ältere Menschen, die Schutz in Deutschland suchen. Die Zahl der Traumatisierten ist hoch, die Ungewissheit, wie es zurückgebliebenen Familienangehörigen im Kriegsgebiet ergeht, steigert die Vulnerabilität. Gerade auf die knappen Kapazitäten kinder- und jugendpsychiatrischer Kliniken kommen ungeahnte Herausforderungen zu. Das betrifft aber auch die Kliniken der Erwachsenenpsychiatrie.

    Migrationsbeauftragte können helfen

    Im Gegensatz zu 2015 werden viele Menschen privat untergebracht. Das ist einerseits gut und hilfreich für die Integration, da neben der Wohnung meist auch Hilfe und Unterstützung bei der Klärung behördlicher und persönlicher Angelegenheiten sowie bei Schulbesuch und Arbeitssuche verbunden ist. Die hochgradig belasteten amtlichen Hilfsstrukturen werden so entlastet. Andererseits wird bei privater Unterbringung der Zugang zu psychiatrischer Hilfe erschwert, denn die Wege zur Inanspruchnahme sind oft intransparent und für Privatpersonen nur schwer zu durchschauen. Deswegen ist es Aufgabe der Kliniken, ihre Hilfsangebote offen und aktiv zu kommunizieren und mit den zuständigen Stellen in den Gemeinden, meist den Sozialdiensten eng zu kooperieren. Für diese Aufgabe eignen sich Migrations-/Integrationsbeauftragte in besonderem Maße und erleichtern für alle Beteiligte den Zugang zu benötigten Therapien, sei es ambulant oder stationär.

    Es geht nicht ohne professionelle Dolmetscherdienste

    Nur wenige Kliniken haben Strukturen aufgebaut, um plötzlich auftretenden Anforderungen – aktuell nach Sprachmittlung in Ukrainisch – gerecht werden zu können. Russisch ist oftmals bei Traumatisierungen nicht die passende sprachliche Alternative, obwohl diesbezüglich in vielen Kliniken – allerdings für Sprachmittlung ungeschulte – Mitarbeiter zur Verfügung stünden. Auf einen funktionierenden Dolmetscherdienst zurückgreifen zu können, ist bei solchen Herausforderungen eine unschätzbare Hilfe. Die Vitos-Kliniken in Hessen haben die Sprachmittlung beispielsweise nach einem Drei-Säulen-Modell ausgerichtet: Geschulte hausinterne Dolmetschende stehen neben Gemeindedolmetscherdiensten oder vertraglich gebundenen Dolmetscherbüros zur Verfügung, Videodolmetschen ist die dritte – leicht erreichbare Alternative. Aber auch LWL und LVR in NRW, die Charité in Berlin oder Kliniken in und um Hannover sowie Hamburg haben eigene Organisationsformen für die Sprachmittlung entwickelt. Auch wenn diese Aufzählung nicht vollständig sein mag, gibt es bei der Mehrzahl der Kliniken Handlungsbedarf.

    Für den 10. und 11. November 2022 ist in Berlin eine Tagung geplant, die sich explizit dem Thema der Sprachmittlung widmet und einen Passus des Koalitionsvertrages aufgreift, der eine Finanzierung der Sprachmittlung im Gesundheitswesen umsetzen will. Bislang ist Sprachmittlung in Krankenhäusern und Arztpraxen nicht finanziert und die Kosten müssen aus Eigenmitteln getragen werden. Ein unhaltbarer Zustand, der die Misere der Sprachmittlung im Gesundheitswesen mitverschuldet hat. Die BDK ist Mitveranstalter dieser Tagung und somit an der Initiative beteiligt, Sprachmittlung endlich zu finanzieren und in der Regelversorgung verfügbar zu machen. Die Organisation von Sprachmittlung wird erleichtert, wenn mit Migrations-/Integrationsbeauftragten kompetente Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Es bedarf aber auch der Schulung der Mitarbeiter, wie die Regeln bei der Sprachmittlung einzusetzen sind, um wirklich zu einem professionellen Ergebnis zu Kommen.

    Fort- und Weiterbildung in interkultureller Kompetenz

    Das Personal trägt die Verantwortung für die Behandlungsabläufe und ist auf regelmäßige Fort- und Weiterbildung angewiesen. Sei es hausinterne Fortbildung oder Angebote bei Akademien der Träger – hier besteht Handlungsbedarf, ebenso wie bei Supervision durch Gruppenleiter mit transkultureller Erfahrung.

    Ausblick:

    Der Arbeitskreis Migration arbeitet in seinen regelmäßigen Treffen und dem Austausch mit dem Vorstand an Empfehlungen zur Umsetzung verschiedener Maßnahmen. Dies wird Prof. Dr. Hans-Jörg Assion ab 2023 als neu gewählter Sprecher des AK gemeinsam mit den Mitgliedern auch in Zukunft vertreten.

    Eckhardt Koch, Marburg und Hans-Jörg Assion, Dortmund


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    Korrespondenzadresse

    Prof. Dr. Eckhardt Koch
    Sprecher des AK Migration
    Wilhelm-Roser-Straße 33a
    35037 Marburg
    Deutschland   

    Publication History

    Article published online:
    07 July 2022

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