Psychiatr Prax 2022; 49(04): 225-226
DOI: 10.1055/a-1805-2591
Mitteilungen ackpa

Bericht von der ackpa-Jahrestagung und Mitgliederversammlung am 11.03.2022

Karel Frasch
1   Bezirkskrankenhaus Donauwörth, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Donau-Ries Klinik
› Author Affiliations
 

    Die Veranstaltung fand als ZOOM-Meeting statt, gehostet von Michael Berner, Karlsruhe, der zusammen mit Christian Kieser, Potsdam und Bettina Wilms, Querfurt, moderierte. Zu Beginn sprach Christian Kieser zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine, den ackpa aufs Schärfste verurteilt und dessen sofortiges Ende ackpa fordert. Unsere Gedanken sind bei den Menschen in der Ukraine, insbesondere bei den Menschen, die unter psychischen Erkrankungen leiden. Unsere Solidarität geht auch an die vielen Menschen in Russland, die sich mit viel Mut und Zivilcourage gegen das Regime zur Wehr setzen. Er rief zu Hilfen und Unterstützung auf, die geeignet sind, die humanitäre Situation in der Ukraine und der Flüchtlinge zu verbessern.

    Der erste Vortrag wurde gehalten von Christine Knaevelsrud, Psychologische Psychotherapeutin und Professorin für klinisch-psychologische Intervention an der FU Berlin und hatte den komplexen Bereich Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGAs) zum Thema: E-mental Health kommt u. a. in anderen Sprach- und Kulturräumen zum Einsatz, wenn keine ausreichende Hilfe vor Ort verfügbar ist. Derzeit erfolgt beispielsweise die Übersetzung diverser Tools in die ukrainische Sprache. Im Weiteren skizzierte die Referentin das weite Feld internetbasierter Interventionen von einigen vom BfArM zertifizierten DiGAs über Selbsthilfe-Apps, Chatportale und videobasierte Psychotherapiesoftware nebst solcher zum Tracking gesundheitsrelevanter Verhaltensweisen. Umbrella Reviews und Metaanalysen zu derartigen Anwendungen liefern Wirksamkeitsnachweise für Angst- und depressive Störungen. Ein Selection Bias (es handelt sich um eine besonders „digitalaffine“ Population) ist dabei zu berücksichtigen. Untersuchungen „im Feld“ außerhalb interventionseffektverstärkender kontrollierter Forschungskontexte hierzu stehen aus. Die Einbindung derartiger Elemente in eine therapeutische Beziehung („blended care“) bleibt wichtig. Patienten, die unter schwereren psychischen Erkrankungen leiden, scheinen mehr als weniger betroffene Gruppen zu profitieren und Patient*Innen im höheren Lebensalter mehr als Jüngere. DiGAs sind geeignet, Wartezeiten zu überbrücken, einzelne Aspekte der Therapie zu vertiefen, mehr Alltagsbezug herzustellen und letztlich auch, um Patienten zu erreichen, die für konventionelle Behandlungssettings eine geringe Motivation zeigen. Insgesamt imponiert eine auch krankenkassenbezogene Produktvielfalt mit überschaubaren herausragenden Vertretern insbesondere zur (Mit-)Behandlung von depressiven Erkrankungen und Angststörungen, primärer Insomnie und neuerdings auch Alkoholabhängigkeit. Als Qualitätskriterien wurden die Beteiligung von Ärzt*innen und Patient*innen bei der Entwicklung neuer digitaler Gesundheitsanwendungen und die Verzahnung mit der „Haupttherapie“ genannt. Kostentransparenz sei zu fordern und die Referentin betonte, dass weiterer Forschungsbedarf bestehe.

    Im sich anschließenden Vortrag berichtete Karel Frasch über seine mittlerweile fast dreijährige Erfahrung mit Psychologinnen und Psychologen im Bereitschaftsdienst: Einerseits war ein eklatanter Ärztemangel Anlass, andererseits erschien es sinnvoll, für die verbliebenen Ärztinnen und Ärzte die Dienstfrequenzen überschaubar zu gestalten. In einer einzigen Publikation mit unmittelbarem Bezug zum Thema von Jordan et al. (Psychiat Prax 2011; 38 [Suppl. 02]: S51–S57) wurde darauf hingewiesen, dass der Kernbereich ärztlicher Tätigkeit, der nicht delegierbar ist, für unser Fachgebiet bis dato nicht hinreichend klar beschrieben worden ist. Es gilt, den Facharztstandard vorzuhalten. Dabei ist zu bedenken, dass ein Organisationsverschulden des Chefarztes in der Delegation von Tätigkeiten an Ärztinnen und Ärzte bestehen kann, die nicht über ausreichende Qualifikation bzw. Expertise verfügen. Auch aufgrund sprachlicher und kultureller Kompetenzen vieler Psychologinnen und Psychologen sowie deren Fähigkeiten, dem zuständigen Facharzt Anamnese und Befund plausibel darzustellen, sind aus Sicht des Referenten Psychologinnen und Psychologen für den Bereitschaftsdienst unter den unten genannten Rahmenbedingungen geeignet:

    Im Bezirkskrankenhaus Donauwörth (40 voll- und 16 teilstationäre Behandlungsplätze, PIA mit organisatorisch abgetrennter Intensiveinheit für mobile Krisenbehandlung) werden nach Konsentierung mit dem Vorstand der Bezirkskliniken Schwaben und dem Personalrat seit Mai 2019 Psycholog*innen im Bereitschaftsdienst routinemäßig eingesetzt. Bis dato kam es zu keinen nennenswerten Verwerfungen oder Komplikationen. Seitdem haben von mittlerweile über 1000 Diensten rund 45 % aller Bereitschaftsdienste Psychologinnen und Psychologen geleistet. In den Bereitschaftsdiensten ist eine sehr enge Abstimmung mit dem ober-/chefärztlichen Hintergrunddienst gewährleistet. Die Regelung in der entsprechenden Dienstanweisung sieht vor, dass alle Aspekte, die über die bekannte Routine hinausgehen, mit dem Hintergrunddienst zu besprechen sind. Dazu gehören u. a. Anordnungen jedweder Art, Patient*innen, die bisher in der Klinik nicht bekannt sind, konsiliarisch gesehene Patient*innen, Entlasswünsche, Patient*innen, die unabgesprochen die Klinik verlassen haben etc. Hinsichtlich somatischer Bedarfe und Fragestellungen stehen die diensthabenden Ärzt*innen der im gleichen Gebäude befindlichen Klinik für Innere Medizin und die Kolleg*innen der anderen medizinischen Fachdisziplinen des Krankenhauses zur Verfügung. Karel Frasch regt an, dass ackpa-Kliniken sich einem solchen Vorgehen gegenüber bei Bestehen bestimmter infrastruktureller Voraussetzungen, die von einer kleinen Gruppe im weiteren Verlauf erarbeitet werden sollen, öffnen sollten, um dem Ärztemangel zu begegnen. Die durchweg positiven Erfahrungen mit dem „Donauwörther Psychologenmodell“ im Hinblick auf die Behandlungs-/Beziehungsqualität bilden dafür eine gute Diskussionsgrundlage. Eine solche Öffnung könnte geeignet sein, drohende Bettenkürzungen oder gar Klinikschließungen in einigen Regionen zu vermeiden.

    Die anschließende Diskussion fiel kontrovers aus. Ergebnis der Diskussion war, dass sich eine Projektgruppe unter Leitung von Karel Frasch mit diesem wichtigen Thema, insbesondere bezüglich der notwendigen Rahmenbedingungen beschäftigen und den Mitgliedern von ackpa die Ergebnisse vorstellen wird.

    Die im Anschluss angebotene Achtsamkeitsübung in den von Michael Berner zur Verfügung gestellten Breakout-Rooms unter Anleitung von Günther Mild, Chefarzt der Verus-Bonifatius Klinik für Psychosomatik in Bad Salzschlirf, trug nach einer intensiven und diskussionsfreudigen Vormittagssitzung zur Entspannung bei.

    Die Mitgliederversammlung (MV) begann mit der Begrüßung der neuen Kollegen im Kreis von ackpa durch den Sprecher Christian Kieser: Sönke Arlt folgt Hinnerk Becker am Albertinen Krankenhaus Hamburg. Herzlich willkommen geheißen wurden auch Doris Janssen, Emden, im Tandem mit Egbert Held, Norden, José Marie Koussemou, Heidenheim, Daniel Schöttle, Hamburg-Harburg sowie Moritz Wigand, Rendsburg-Eckernförde.

    Im Tätigkeitsbericht des Geschäftsführenden Ausschusses (GA) hob Christian Kieser die gute Kooperation mit den Krankenhausverbänden BDK und LIPPs hervor, die ackpa Online-Konferenzen sollen fortgeführt und als Grundlage für künftige inhaltliche Positionierung von ackpa dienen. Dieses Format kann dazu beitragen, die Mitgliederbeteiligung zu thematischen Aspekten zu fördern und Entscheidungen vorzubereiten. Die MV wählte zwei neue Mitglieder in den GA: Barbara Florange, Dinslaken und Michael Berner, Karlsruhe. Es folgten Hinweise auf wichtige Termine und geplante Tagungen, u. a. die gemeinsame ackpa-BDK-Tagung am 22./23.09.2022 in Potsdam sowie die nächste ackpa-Jahrestagung von 02. bis 04.03.2023.

    Im zweiten Teil der MV berichtete Arno Deister, ehemaliges ackpa-Mitglied und früherer Präsident der DGPPN, über die aktuelle psychiatriepolitische Debatte zur PPP-RL, die sich weiterhin schwierig gestaltet. Zudem berichtete er über den aktuellen Stand zum sog. Plattform-Modell und der EPPIK Studie. Hier sind Ergebnisse Ende des Jahres 2024 zu erwarten.

    Im Weiteren wurde über den Vorschlag der Bundespsychotherapeutenkammer einer „Behandlungsleitung durch Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Einrichtungen der Psychiatrie und Psychosomatik“ diskutiert, der allgemein kritisch gesehen wurde. In der Diskussion wurde deutlich, dass die fachliche Letztverantwortung in einem klinischen Kontext bei der/dem Chef*ärztin angesiedelt ist.

    Richard Serfling, Weimar, thematisierte die Umsetzung der neuen Musterweiterbildungsverordnung im Bundesland Thüringen: Die Dokumentation erfolgt vollständig elektronisch; einige Neuerungen, insbesondere die von einigen Bundesländern daraus abgeleitete Notwendigkeit, für eine volle WB-Befugnis auch im ambulanten Setting die Substitutionsbehandlung durchzuführen, werfen vielfältige Fragen auf, die noch nicht ausreichend geklärt sind. Das hatte zur Folge, dass die Landesärztekammer Thüringen vorübergehend wieder die alte WBO in Kraft gesetzt hat.

    Eine trotz des digitalen Formats gelungene, inhaltlich interessante Tagung und Mitgliederversammlung ging zu Ende verbunden mit der Hoffnung auf persönliche Begegnungen im Rahmen der gemeinsamen ackpa-BDK-Tagung im September in Potsdam.


    #

    Korrespondenzadresse

    PD Dr. med. Karel Frasch
    Ärztlicher Direktor Bezirkskrankenhaus Donauwörth, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Donau-Ries Klinik
    Neudegger Allee 6
    86609 Donauwörth
    Deutschland   

    Publication History

    Article published online:
    06 May 2022

    © 2022. Thieme. All rights reserved.

    Georg Thieme Verlag KG
    Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany