Rofo 2022; 194(05): 554-555
DOI: 10.1055/a-1793-4800
DRG-Mitteilungen

Nachhaltiges Gesundheitssystem: Wir müssen jetzt handeln!

 

Der Gesundheitssektor trägt massiv dazu bei, die Belastungsgrenzen unserer Ökosysteme zu überschreiten. Wie kann man das ändern? Wie schaffen es Gesundheitseinrichtungen, sich zu reformieren und sich dabei am Pariser Klimaschutzabkommen, dem European Green Deal und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2021 zu orientieren? In ihrem Gastbeitrag für unsere redaktionelle Reihe #NachhaltigeRadiologie machen Dr. Anne Hübner, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei KLUG Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e. V. und Dr. Christian M. Schulz, Geschäftsführer von KLUG, dazu Vorschläge.


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Gesundheit gibt es nur in einer gesunden Umwelt und in gesunden Ökosystemen. Dass wir aktuell weit von einer gesunden Welt entfernt sind, zeigt sich in zahlreichen Bereichen der Medizin [1]: In Deutschland nehmen Allergien und Zoonosen stark zu, das Risiko für Pandemien steigt, Hitzewellen fordern Tausende Tote und, so Modellierungsstudien, etwa 100.000 Menschen sterben jedes Jahr zu früh aufgrund von Luftverschmutzung. Hinzu kommen Krankheitslasten, die teils auch durch unseren Lebensstil bedingt sind und der zahlreiche sogenannte nicht-übertragbare Krankheiten zur Folge hat, etwa Adipositas, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die zunehmende Krankheitslast ist auch eine Konsequenz dessen, dass wir die Grenzen unserer ökologischen Systeme erreicht und vielfach überschritten haben [2] [3]. Zum Überschreiten dieser Grenzen trägt auch der Gesundheitssektor massiv bei: So ist der Gesundheitsbereich für etwa fünf Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich (in Deutschland ca. 0,71 t/Einwohner). Genaue Zahlen fehlen bislang allerdings, denn es mangelt an etablierten Instrumenten und Anreizen zu ihrer Erhebung. Aktuellen Schätzungen nach entstehen etwa ein Drittel dieser Emissionen direkt im Umfeld der Gesundheitseinrichtungen, zwei Drittel sind dem sogenannten Scope III zuzuordnen [4].

Was bedeutet das für die Art und Weise, wie wir Medizin machen? Zunächst sollten wir bedenken, dass die Kosten zur Einhaltung des 1,5 ̊-Zieles des Pariser Klimaschutzabkommens weitaus niedriger sind als die Kosten dafür, sich bei Überschreitung dieses Ziels an die grundlegend verändernde Natur anzupassen [5], was auch für den Gesundheitssektor gilt: Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien zum Beispiel bei den Investitionen ist aufgrund niedrigerer Energie- und Klimaanpassungskosten gesamtwirtschaftlich und medizinisch sinnvoll und geht mit niedrigeren Betriebskosten einher. Daher müssen Investitionen im Gesundheitssektor an ambitionierte Nachhaltigkeitskriterien gekoppelt werden (zum Beispiel klimaneutrales Bauen [6], kreislaufwirtschaftliche Produktion). Da die Investitionskosten über die Länder getragen werden, die Betriebskosten aber über die Krankenkassen (duale Krankenhausfinanzierung), bestehen derzeit wenige Anreize für die Länder, die höheren Investitionskosten zu übernehmen. Weitere Fehlanreize ergeben sich aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot in den Sozialgesetzbüchern und der Notwendigkeit, ausgeglichene Bilanzen oder sogar Gewinne zu erzielen. Beides soll eigentlich helfen, dass Gesundheitseinrichtungen effizient arbeiten und Prozesse verschlankt werden. Gleichzeitig führt es aber dazu, dass Umweltkosten in alle Teile der Welt oder auf zukünftige Generationen ausgelagert werden.

Auf der Einnahmenseite können die Gesundheitseinrichtungen meist nur über die Fallzahlen Steigerungen erzielen. Es gilt also, möglichst viele Patientinnen und Patienten in möglichst kurzer Zeit zu behandeln. Dadurch wird einerseits eine Spezialisierung und damit Professionalisierung, andererseits aber auch eine Überversorgung (und damit der Ressourcenverbrauch) begünstigt. Auf der Ausgabenseite gelingen Kostenreduktionen indem Personalkosten gespart und im Einkauf die billigsten Produkte bevorzugt werden. Je besser einem Hersteller gelingt, Kosten für Umweltschäden oder Mitarbeitergesundheit zu externalisieren, desto billiger kann er das Produkt anbieten. Aufgrund des ökonomischen Drucks im Gesundheitssystems gibt es also einen inhärenten Anreiz, Nachhaltigkeit zu vermeiden. Einwegartikel haben in diesem Zuge eine explosionsartige Verbreitung im Gesundheitswesen gefunden. Dadurch wird die Wertschöpfung aus den Krankenhäusern hin zu den Herstellern verlagert und der Ressourcenverbrauch steigt weiter an.

Hier gilt es, einen an Therapiezielen und Nachhaltigkeitskriterien orientierten Einsatz von Material und Instrumenten auf Basis hygienischer Konzepte zu ermöglichen, deren Evidenz unabhängig von industrieller Einflussnahme belegt werden muss. Einkäufer müssen argumentieren, dass das nachhaltigste Produkt am Ende das wirtschaftlichste ist. Wie das geht zeigt ZUKE green, ein Netzwerk für nachhaltige Beschaffung im Gesundheitswesen (https://www.zukunft-krankenhaus-einkauf.de/zuke-green/. Das KLIKgreen-Projekt hat gezeigt, dass Emissionsreduktionen auch mit Betriebskosteneinsparungen einhergehen können [7].

Um eine schnelle Reduktion der Emissionen zu erreichen, müssen sowohl die Leistungsvergütung als auch die Bereitstellung von Investitionsmitteln an das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen geknüpft werden. Der dafür notwendige Reformprozess muss dabei die Lebensfähigkeit des Gesundheitssystems, das Wohl der Patientinnen und Patienten sowie die sachgerechte Patientenversorgung immer im Blick haben. Damit eine Transformation zu klimagerechter, ressourcenschonender sowie resilienter Gesundheitsversorgung auch in Deutschland gelingen kann, braucht es Handlungswillen aus dem Gesundheitssektor selbst. Positionierungen von ärztlichen Fachgesellschaften, Bundesärztekammer, Landesgesundheitsministerien und Pflegeverbänden aus den letzten Jahren zeigen deutlich, dass das Bewusstsein über die Dringlichkeit zu handeln enorm gewachsen ist. Dies bestätigen insbesondere die Beschlüsse des 125. Deutschen Ärztetages [8]. Die größte Herausforderung besteht nun darin, vom Wissen endlich ins Handeln zu kommen, das heißt die Umsetzungskompetenz im Gesundheitssektor zu fördern und darauf hinzuwirken, vorhandene Ressourcen für Klimaschutzmaßnahmen zu mobilisieren. Aufgrund der Dringlichkeit der planetaren Krisen muss der Transformationsprozess tiefgreifend und grundsätzlich stattfinden und damit alle Aspekte von Planetary Health einbeziehen. Dafür müssen in den Gesundheitseinrichtungen Entscheiderinnen und Entscheider die Relevanz verstehen, alle für sie relevanten Handlungsfelder und der Klimaanpassung (Adaptation) kennen und in der Lage sein, geeignete Ansätze für ein Gelingen der Transformation umzusetzen.


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Publication History

Article published online:
04 May 2022

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