Rofo 2022; 194(05): 570-574
DOI: 10.1055/a-1793-4689
DRG-Mitteilungen

Privatärztlicher Vergütungsanspruch für MRT-Leistungen durch Fachärzte für Orthopädie – Anmerkungen zum Urteil des BayObLG

 

I. Einleitung

In einem aktuellen Urteil vom 18.01.2022 (Az.:1 Z RR 40/20) hat das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) entschieden, dass ein Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie berechtigt ist, Leistungen der Magnetresonanztomografie (MRT) zu erbringen und gegenüber Privatpatienten abzurechnen. Damit wird das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 09.01.2020 (Az.: 5 U 634/18) in der Revisionsinstanz bestätigt, welches diese Auffassung bereits ebenfalls vertreten hatte.


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Zugleich stellt das BayObLG weitergehend fest, dass Fachärzte berechtigt sind, ärztliche Leistungen auch außerhalb der eigenen Fachgebietsgrenzen zu erbringen und nach der GOÄ abzurechnen. Die Entscheidung reduziert fachärztliche Tätigkeiten auf das Niveau der Approbation und stellt damit die Prinzipien der ärztlichen Weiterbildung grundsätzlich in Frage.

In dem konkreten Fall hatte eine private Krankenversicherung auf Honorarrückzahlung für MRT-Leistungen geklagt, die ein Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie erbracht und mit dem Patienten abgerechnet hatte, ohne allerdings die Zusatzbezeichnung „MRT-fachgebunden“ nach der Weiterbildungsordnung (WBO) der Bayerischen Landesärztekammer zu besitzen.

Das BayObLG begründete die Zurückweisung des von der Versicherung erhobenen Rückzahlungsanspruchs insbesondere damit, dass Art. 34 Abs. 1 des Bayerischen Heilberufe-Kammergesetzes (BayHKaG), der die ärztliche Tätigkeit auf die Gebietsbezeichnung einschränkt, kein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB darstellt und daher der Behandlungsvertrag (§ 630a BGB) auch nicht als nichtig anzusehen ist. Das Gericht sah keinen Anlass, sich näher mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie tatsächlich über eine fachliche Qualifikation zur Erbringung und Abrechnung von MRT-Leistungen verfügte, die hinsichtlich der theoretischen und praktischen Anforderungen mit der Zusatzweiterbildung „MRT-fachgebunden“ vergleichbar sind.

Zur Erläuterung der Wortlaut der Vorschriften:

Art. 34 Abs. 1 BayHKaG:

„(1) Wer eine Gebietsbezeichnung führt, darf grundsätzlich nur in dem Gebiet, wer eine Teilgebietsbezeichnung führt, muss auch in dem Teilgebiet tätig sein, dessen Bezeichnung er führt. […]“

§ 134 BGB:

„Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.“

II. Definition der Fachgebietsgrenzen durch die Weiterbildungsordnungen

Der Verfahrensgegenstand des Urteils betraf zwar primär die Abrechnung von MRT-Leistungen durch einen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Die Aussagen des Gerichts sind jedoch grundsätzlicher Natur und haben Einfluss auf das Verhältnis der ärztlichen Fachgebiete zueinander und deren Abgrenzung voneinander. Darüber hinaus kann diese Entscheidung auch Auswirkungen auf andere Bundesländer haben, da der in Art. 34 Abs. 1 BayHKaG normierte Grundsatz der Fachgebietsbeschränkung auch in den Heilberufs- und Kammergesetzen der anderen Bundesländer überwiegend und entsprechend geregelt ist.

Die Begrenzung der Facharzttätigkeit auf das eigene Gebiet ist seit dem sog. Facharztbeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahre 1972 in den Heilberufsgesetzen der Bundesländer als gesetzliche Grundlage für die von den Ärztekammern zu erlassenden Berufs- und Weiterbildungsordnungen geregelt. Das BVerfG sieht das Gebot als verfassungskonform an – insbesondere im Hinblick auf die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG – solange die Facharztbereiche fachlich-medizinisch sachgerecht abgegrenzt sind und der Facharzt in der auf sein Fachgebiet beschränkten Tätigkeit eine ausreichende wirtschaftliche Lebensgrundlage findet. Allerdings fordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass Ausnahmen für eine geringfügige Tätigkeit und Not- und Bereitschaftsdienste bestehen (BVerfG, Beschl. vom 09.05.1972, Az.: 1 BvR 518/62, 1 BvR 308/64; BVerfG, Beschl. vom 01.02.2011, Az.: 1 BvR 2383/10).

Im Grundsatz ist anerkannt, dass die fachlichen Zuständigkeiten einzelner medizinischer Fachgebiete sich überlagern können und daher einer Abgrenzung bedürfen. Der medizinische Fortschritt und die zunehmende Komplexität der Methoden in Forschung und Praxis verstärken die Tendenz der Fachärzte zu einer zunehmenden Spezialisierung und erfordern kontinuierliche Überprüfungen und Anpassungen der Fachgebietsgrenzen. Insbesondere die Etablierung neuer diagnostischer Verfahren führt deshalb zu Abgrenzungsproblemen hinsichtlich der Frage, von welcher Fachgruppe diese Methoden mit der erforderlichen Qualität durchgeführt werden können.

Nach den Regelungen in den Heilberufsgesetzen der Länder dürfen Ärzte, die eine Gebietsbezeichnung führen, grundsätzlich nur in dem Gebiet tätig sein, dessen Bezeichnung sie führen. Die Festlegung der Gebietsdefinitionen und der Gebietsabgrenzungen erfolgt durch die Ärztekammern in den WBO als gesetzliche Aufgabe. Für die Beurteilung, ob Leistungen fachzugehörig oder fachfremd sind, ist darauf abzustellen, welche Inhalte und Ziele der Weiterbildung für das jeweilige Fachgebiet in der WBO genannt werden und in welchen Bereichen eingehende Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten erworben werden müssen. Individuelle Qualifikationen sind für die Zuordnung bestimmter Leistungen zu einem Fachgebiet irrelevant; die Fachzugehörigkeit bemisst sich allein nach der Gebietsdefinition und den allgemein der Fachgruppe zugeordneten Weiterbildungsinhalten, die in der jeweiligen WBO der Landesärztekammern festgelegt werden (vgl. OVG NRW MedR 2011, 740, 741; Spickhoff/Scholz, 3. Aufl. 2018, MWBO § 2 Rn. 5; Narr, Ärztliches Berufsrecht, 2018, 2. Kapitel, VII, 3, RdNr. W 69; Sodan GesR 2013, 641, 645).

Die Abgrenzungsproblematik besteht seit einiger Zeit in Bezug auf das Verfahren der MRT zwischen Radiologen und Orthopäden. Während die Zugehörigkeit dieses Verfahrens der Schnittbilddiagnostik zum Gebiet der Radiologie unstreitig ist, bestehen aufgrund der Vorgaben in den WBO Zweifel daran, dass die Durchführung von MRT-Leistungen auch zum Gebiet des früheren Facharztes für Orthopädie bzw. dem heutigen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie gehört.


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III. Vergütungsanspruch bei fachgebietsfremder Tätigkeit?

In seiner Urteilsbegründung hat das BayObLG die Auffassung vertreten, dass in dem vorliegenden Verfahren weder näher untersucht werden musste, ob MRT-Leistungen für Orthopäden tatsächlich fachgebietsfremd sind, noch ob zu deren ordnungsgemäßer Leistungserbringung und Abrechnung der Nachweis der Zusatzweiterbildung „Magnetresonanztomographie-fachgebunden“ erforderlich ist.

Nach Ansicht des BayObLG, hat auch eine systematische Übertretung der Fachgebietsgrenzen nicht zur Folge, dass der Behandlungsvertrag mit dem Patienten nichtig ist und der Arzt seinen Vergütungsanspruch aus § 630a Abs. 1 BGB verliert. Damit wird Fachärzten erlaubt, zukünftig auch ärztliche Leistungen anderer Fachgebiete zu erbringen. Der Vergütungsanspruch gegenüber dem Patienten nach der GOÄ bliebe selbst dann unberührt, wenn der Arzt über keine entsprechende Qualifikation verfügt.

Rechtlich scheitert nach Ansicht des Gerichts der Rückforderungsanspruch der privaten Krankenversicherung daran, dass Art. 34 Abs. 1 BayHKAG kein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB ist, so dass der Behandlungsvertrag nach § 630a BGB nicht als nichtig anzusehen ist.

Die Entscheidung ist insoweit überraschend, als in der Rechtsprechung und in der Literatur bisher die Auffassung vertreten worden ist, dass ein Anspruch auf Zahlung des ärztlichen Honorars für die Durchführung von Leistungen bei einer fachgebietsfremden Tätigkeit aus dem Behandlungsvertrag nach § 630a Abs. 1 BGB nicht besteht. Die in den Heilberufsgesetzen der Länder enthaltene Beschränkung ärztlicher Tätigkeit auf das eigene Fachgebiet stelle ein gesetzliches Verbot dar, das zur Nichtigkeit einer Vereinbarung über die Erbringung einer dem Arzt hiernach nicht gestatteten Leistung führe. Auch im Rahmen einer Privatbehandlung ist der Arzt daher, von begründeten Ausnahmefällen wie etwa Notfallbehandlungen abgesehen, an die Grenzen seines medizinischen Fachgebietes gebunden (LG Mannheim, MedR 2008, 93; OLG Celle, MedR 2008, 378; Kern/Rehborn in: Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl. 2019, § 74 Rn. 26; Miebach in: Uleer/Miebach/Patt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, 3. Aufl. 2006, GOÄ § 1 Rn. 13).

Das BVerfG hatte hierzu einschränkend festgestellt, dass eine geringfügige fachgebietsübergreifende Tätigkeit nicht zu beanstanden sei, solange der Anteil fachfremder Leistungen an den erbrachten Gesamtleistungen des Arztes unter 5 % liege und sich damit „noch im geringfügigen Bereich“ bewege (BVerfG, Beschluss vom 01.02.2011, Az.: 1 BvR 2383/10).


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IV. Fachgebietsfremde Tätigkeit und anerkannter medizinischer Standard

Da die Vorschriften über die Einhaltung der Fachgebietsgrenzen auch die Sicherung der Qualität der fachärztlichen Tätigkeit bezwecken, können ärztliche Leistungen nur dann den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechen, wenn sie – abgesehen von den beschriebenen Ausnahmen – primär innerhalb des eigenen Fachgebietes erbracht werden.

Das Vertrauen in den Arzt wird ganz zentral durch seine Kompetenzen und Fähigkeiten sowie gewissenhaftes Handeln begründet. Daher schuldet der Arzt gemäß § 630a Abs. 2 BGB mit Abschluss des Behandlungsvertrages die Ausführung der gebotenen medizinischen Maßnahmen nach „den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards“, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist. Durch Übernahme dieser Verpflichtung in § 2 Abs. 3 der Berufsordnungen der Ärztekammern wird diese zivilrechtliche auch zu einer öffentlich-rechtlichen Pflicht des Arztes (Scholz, in Spickhoff, Medizinrecht, 350, MBO-Ä 1997, 2018, § 2 Rn. 12).

In dem die Berufsordnung herausstellt, dass die gewissenhafte Berufsausübung die notwendige fachliche Qualifikation (Facharztstandard) erfordert, soll verdeutlicht werden, dass Ärzte, die ohne hinreichende Qualifikation und unter Verzicht auf ihre eigentliche Facharztanerkennung ärztliche Leistungen durchführen und dabei ggf. gesundheitliche Schäden verursachen, berufswidrig handeln. Das BVerfG hat hierzu entschieden, dass eine systematische Überschreitung der in den Gebietsdefinitionen beschriebenen zulässigen ärztlichen Tätigkeiten zu einem Berufsverstoß führt (BVerfG, Beschl. Vom 09.01.1984, Az.: 1 BvR 1219/83).

Zudem stellt das BVerfG fest, dass ein Arzt in jedem Einzelfall zu prüfen hat, ob er aufgrund seiner Fähigkeiten und der sonstigen Umstände – wie etwa der Praxisausstattung – in der Lage ist, seinen Patienten nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu behandeln („Übernahmeverschulden“) (BVerfG, Beschluss vom 01.02.2011, Az.: 1 BvR 2383/10).

Im Arzthaftungsrecht ist Maßstab für die erforderliche Expertenqualität ohnehin derjenige des jeweiligen Fachgebietes, der sich vor allem aus Leitlinien und sonstigen Empfehlungen der medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften ableiten lässt.


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V. Auswirkungen des Urteils auf das Weiterbildungsrecht

Die ärztliche Weiterbildung hat sich von einer „Schilderordnung“ zu einem differenzierten Qualitätssicherungsprogramm gewandelt, durch die der Erwerb einer strukturellen Qualität für ärztliche Tätigkeiten gesichert werden soll. Hierdurch wird der Kern der vermittelten eingehenden Kenntnisse und der bescheinigten Erfahrungen und Fertigkeiten begrenzt. Das Urteil des BayObLG wirft die Frage auf, welchen Sinn es ergibt, eine Facharztweiterbildung in einem Umfang von drei bis sechs Jahren vorzuschreiben, wenn ohne entsprechende Kenntnisse jede ärztliche Tätigkeit nach Erhalt der Approbation ausgeübt werden könnte. Die Qualität ärztlicher Tätigkeit kann jedoch nicht (allein) durch die Approbation sichergestellt werden, weil das ihr zugrundeliegende Studium nur Grundkenntnisse vermittelt.

Die mangelnde Qualifikation des Arztes zur Erbringung der Leistungen zeigt sich gerade in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall. Die Bundesärztekammer stellt in ihren Leitlinien für die Magnetresonanztomografie fest, dass diese derzeit das modernste, aber zugleich technisch aufwendigste Schnittbildverfahren in der Radiologie darstellt. Die Qualitätssicherung in der MRT hat eine besondere Bedeutung, da wegen der Vielzahl veränderbarer und voneinander abhängiger Messparameter die Fehlermöglichkeiten durch Artefakte und inadäquate Durchführung der Untersuchung erheblich größer sind als bei allen anderen bildgebenden Verfahren. Während die MRT im Fachgebiet Radiologie integraler Bestanteil der Weiterbildung zum Facharzt ist, können andere Fachgebiete die Methode im Rahmen der Zusatzweiterbildung über einen Zeitraum von 24 Monaten erlernen und müssen einen Umfang von 1500 Untersuchungen nachweisen.

Der Facharzt für Orthopädie hatte in dem vorliegenden Verfahren weder eine Zusatz-Weiterbildung, noch eine vergleichbare Ausbildung abgeschlossen. Angesichts des in Deutschland bestehenden flächendeckenden Angebots von MRT-Leistungen auf höchstem Qualitätsniveau durch Fachärzte für Radiologie stellt sich die Frage, warum Patienten für Untersuchungen eine Vergütung nach der GOÄ zahlen und das Risiko von Fehlbefundungen durch Ärzte hinnehmen sollen, die keinerlei Kenntnisse in dem Verfahren haben. Soweit fachgebietsfremde Tätigkeiten als zulässig angesehen werden, muss der Qualifizierung und Qualitätssicherung eine besondere Bedeutung zugemessen werden. Dies hat das Gericht völlig außer Acht gelassen und nicht einmal ansatzweise geprüft.


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VI. Auswirkungen mangelnder Qualifikation auf den Behandlungsvertrag

Soweit man der Auffassung des BayObLG folgt und annimmt, dass die Vorschriften in den Heilberufsgesetzen der Länder über das Gebot zur Einhaltung der Fachgebietsgrenzen kein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB enthalten, so dass von der Wirksamkeit des Behandlungsvertrages auszugehen ist, wäre seitens des Gerichts trotzdem zu prüfen gewesen, ob aus einem Behandlungsvertrag über die Erbringung fachgebietsfremder Leistungen ein Vergütungsanspruch für den Arzt erwachsen kann.

Da der Arzt nach § 630a Abs. 2 BGB eine Behandlung nach den allgemein anerkannten fachlichen Standards zu gewährleisten hat, ist er für den Fall einer fachgebietsfremden Tätigkeit für die Tatsache, dass er das Verfahren oder die Methode beherrscht, beweispflichtig. Beschreibt die WBO besondere Kompetenzen und verlangt für deren Erwerb mehrjährige ganztägige Weiterbildungen (§ 4 Abs. 5 WBO), handelt der Arzt gemäß § 2 Abs. 3 Berufsordnung berufs- und damit auch vertragswidrig, wenn er spezielle Tätigkeiten ohne vorherigen geregelten oder ungeregelten Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten ausübt (vgl. Scholz, in: Spickhoff, 3. Aufl. 2018, MWBO § 2 Rn. 6). Verfügt der Arzt über keine ausreichenden fachlichen Kenntnisse über die von ihm erbrachten Leistungen, z. B. durch den Abschluss einer Zusatz-Weiterbildung oder einer vergleichbaren Ausbildung, kommt zudem eine anfängliche Unmöglichkeit und damit ein Leistungshindernis nach § 311a BGB in Betracht. Ein Vergütungsausschluss kann sich in diesem Fall auch aus § 1 Abs. 2 GOÄ ergeben, da danach nur Leistungen, „die den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechen“, zu vergüten sind (vgl. LG Mannheim MedR 2008, 93, 95; Kiesecker, MedR 2008, 95, 96). Insofern sind die Ausführungen in dem Urteil des BayObLG kritisch zu hinterfragen.


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VII. Erbringung fachgebietsfremder Leistungen und Arzthaftungsrecht

Im Arzthaftungsrecht ist der Maßstab für die erforderliche Expertenqualität ohnehin derjenige des jeweiligen Fachgebietes. Ärzte, die außerhalb ihres Fachgebietes tätig werden, haben nicht den Facharztstandard der eigenen Fachrichtung, sondern den Standard des Fachgebietes zu garantieren, zu dessen Fachgebiet die Untersuchungs- und Behandlungsmethode gehört. Die Einhaltung dieses Facharztstandards wird bei fachgebietsfremder Tätigkeit nicht vermutet, sondern muss von dem Arzt nachgewiesen werden. Eine fehlerhafte Befundung führt unter Umständen zu einem Diagnosefehler und zieht haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich. Bei fehlenden medizinischen Kenntnissen über eine qualitätsgesicherte Befundung sind Fehlbefunde zudem als strafbare fahrlässige Körperverletzung zu bewerten, wenn der Arzt trotz fehlender Kenntnisse die Interpretation der Untersuchungsergebnisse vorgenommen hat und zu einem unzutreffenden Befund gelangt ist (z. B. Übersehen eines Karzinoms).


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VIII. Verbot der fachgebietsfremden Tätigkeit im Vertragsarztrecht

In der vertragsärztlichen Versorgung bestehen zahlreiche Qualitätssicherungsinstrumente, die sicherstellen sollen, dass medizinische Leistungen für die Versicherten nach den allgemein anerkannten fachlichen Standards und wirtschaftlich erbracht werden. Einerseits sehen die Qualitätssicherungsvereinbarungen nach § 135 Abs. 2 SGB V eine generelle Bindung an die fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen des jeweiligen Fachgebietes nach den WBO vor. Die Qualifizierung bestimmter ärztlicher Leistungen als fachgebietsfremd hat nach Ansicht des Bundessozialgerichts (BSG) zudem das Verbot zur Folge, die Leistungen vertragsärztlich zu erbringen und abzurechnen (vgl. BSG, Urt. vom 15.07.2020, Az.: B 6 KA 19/19 R). Das gesetzgeberische Ziel des Verbots der Erbringung fachgebietsfremder Tätigkeiten, nämlich die fachkompetente Aufteilung fachärztlicher Zuständigkeiten mit Übersichtlichkeit für die anderen Ärzte und die Patienten sowie damit zugleich des Gesundheitsschutzes ist nach Ansicht des BVerfG von vernünftigen Gründen des Gemeinwohls gedeckt und daher mit der verfassungsrechtlich garantierten Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Aus diesem Grund ist in der vertragsärztlichen Versorgung die Erbringung von MRT-Leistungen nach der Kernspintomographie-Vereinbarung ausschließlich Radiologen vorbehalten. Sowohl das BSG als auch das BVerfG haben in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass der Ausschluss von der Abrechenbarkeit kernspintomografischer Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung sowohl für Fachärzte für Orthopädie als auch für Kardiologen rechtlich zulässig ist. (vgl. BVerfG, MedR 2004, 608 ff.; BVerfG, MedR 2012, 181 ff.; BVerfG, MedR 2019, 134). Diese Rechtsauffassung wurde von BSG und BVerfG auch nach Einführung der Zusatz-Weiterbildung „Magnet-Resonanz-Tomographie – fachgebunden –“ in der MWBO bestätigt, da die Inhalte der Facharztausbildung zum Orthopäden und Kardiologen von den Inhalten der Facharztausbildung zum Radiologen weiterhin grundlegend abweichen (BSG, MedR 2015, 55 ff.; BVerfG, MedR 2019, 134).

Des Weiteren bestehen für bestimmte Fachgebiete, wie Radiologie und Nuklearmedizin und für bestimmte Methoden, wie z. B. Herzkatherleistungen, Überweisungsvorbehalte, ohne deren Einhaltung der Versicherte die Leistungen nicht in Anspruch nehmen kann (vgl. § 13 Abs. 4 und 5 BMV-Ä). Zudem können bestimmte medizinisch-technische Leistungen, die eine hohe fachliche Qualifikation erfordern, nur durch diejenigen Fachgebiete erbracht und abgerechnet werden, zu deren „Kernbereich“ die Leistung gehört. Dieses Qualitätssicherungsinstrumentarium führt nach der Rechtsprechung des BSG auch deshalb zu einer Qualitätsverbesserung, weil durch das „Mehraugenprinzip“ die medizinischen Ergebnisse mehrfach validiert und die medizinische Indikation aufgrund der Trennung zwischen Therapie und Diagnostik einer objektiven Entscheidung zugeführt wird (BSG, MedR 2001, 535 ff.; BSG, GesR 2007, 209 ff.).


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IX. Schlussfolgerungen für die Abgrenzung der Fachgebiete

Eine völlige Aufweichung der Fachgebietsgrenzen, wie sie durch das BayObLG ermöglicht wird, führt dazu, dass die bisher bestehenden wirtschaftlichen „Schutzzäune“ der Fachgebiete, auch in den Organfächern, eingerissen werden. Die Bejahung eines Vergütungsanspruchs für fachgebietsfremde Leistungen, ohne dass die Qualifikation des Arztes im Einzelfall tatsächlich geprüft worden ist, führt zu einem gesundheitspolitisch nicht vertretbaren Qualitätsverlust der fachärztlichen Tätigkeit. Wäre diese Auffassung richtig, könnten Fachärzte auch systematisch außerhalb ihres Fachgebietes ärztliche Leistungen anderer Fachgebiete, Schwerpunkte und Zusatzbezeichnungen erbringen, obwohl sie die nach der WBO vorgeschriebenen Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in theoretischer und praktischer Hinsicht nicht erlernt haben. Auch andere Facharztgruppen müssen daher befürchten, dass medizinische Leistungen, die zu ihrem Fachgebiet gehören und für deren qualitätsgesicherte Erbringung sie eine langjährige und ganztägige Facharztweiterbildung absolviert haben, nun von anderen Ärzten beansprucht werden, die keine oder keine gleichwertige Ausbildung absolviert haben.

In den diagnostischen Fachgebieten, wie z. B. der Radiologie, der Nuklearmedizin und der Labormedizin führt die Rechtsprechung dazu, dass die Organfächer die benötigte Diagnostik demnächst eigenständig durchführen und damit weder die medizinische Indikation, noch die Qualität der ärztlichen Leistung einer weiteren Meinungsbildung unterliegt. Damit besteht die Gefahr einer unkontrollierten Mengenausweitung und eines gleichzeitigen Qualitätsverlustes. Auch in der Privaten Krankenversicherung (PKV) werden die Versicherungsbeiträge jedoch zur Hälfte vom Arbeitgeber getragen, so dass die Lohnnebenkosten steigen werden. Zudem haben die Beihilfestellen des Bundes und der Länder, die sich hinsichtlich der Leistungsansprüche der Beamten an dem Leistungskatalog und der Vergütung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) orientieren, ein Interesse daran, dass medizinische Leistungen nur bei entsprechender Indikation sowie qualitätsgesichert und kostengünstig erbracht werden. Sollte sich die Auffassung des BayObLG durchsetzen, ist in allen ärztlichen Bereichen eine Kostenexplosion bei gleichzeitig abnehmender Qualifikation und Qualität zu befürchten.

Die inhaltlichen und fachlichen Anforderungen an die fachärztliche Tätigkeit würden auf das Niveau der Approbation reduziert und damit die fachärztliche Weiterbildung grundsätzlich in Frage stellen. Zudem würde die privatärztliche Leistungserbringung in qualitativer Hinsicht deutlich hinter die Qualitätsanforderungen in der GKV zurückfallen, in der die Anforderungen an die Leistungserbringung durch die Qualitätssicherungsvereinbarungen und die evidenzbasierte Medizin eng an den Facharztstandard gebunden sind. Dieses Qualitätsdefizit wäre aus Gründen des Verbraucherschutzes nicht mehr vertretbar, da für diese fachgebietsfremden Leistungen nach der GOÄ sogar höhere Honorare gegenüber den Patienten in Rechnung gestellt werden könnten, als für fachgebietskonforme Leistungen nach dem EBM in der vertragsärztlichen Versorgung.

Das Urteil des BayOblG ist nicht mehr revisibel, da es in Bayern statt des Bundesgerichtshofs über das Rechtsmittel der Revision entscheidet, wenn im Wesentlichen bayerische Landesnormen (hier das BayHKAG) entscheidungserheblich sind. Bei dem OLG Frankfurt ist gegenwärtig ein weiteres Verfahren mit derselben Fragestellung anhängig. In einem möglichen Revisionsverfahren würde der BGH entscheiden, da eine Sonderzuständigkeit zu einem Obersten Landesgericht nur in Bayern existiert.


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X. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf

Sollte sich die Rechtsprechung des BayObLG durchsetzen und durch den BGH bestätigt werden, ist der Gesetzgeber aufgerufen, entsprechende Qualitätsvorgaben für die privatärztliche Abrechnung stärker zu normieren. Bereits heute bestehen für die Durchführung ärztlicher Tätigkeiten in der GOÄ gesetzliche Regelungen, die zeigen, dass eine solche Entwicklung wirksam verhindert werden könnte. Deutlich wird dies im Bereich der wahlärztlichen Leistungen im Krankenhaus für das Speziallabor. Im Gegensatz zu den Untersuchungen des Routinelabors (Kapitel GOÄ M II), die auch aus einer Laborgemeinschaft bezogen werden können, müssen Untersuchungen des „Facharztspektrums“ (Kapitel GOÄ M III/M IV) entweder an einen Laborarzt überwiesen oder höchstpersönlich erbracht werden. Wenn ein Wahlarzt selbst Laborleistungen gegenüber seinen Privatpatienten abrechnen will, muss er nach der GOÄ zwingend über die Fachkunde „Labor“ verfügen und gegenüber der zuständigen Ärztekammer anzeigen, dass er Laborleistungen des Kapitels GOÄ M III/M IV erbringen will. Ebenso schreibt die GOÄ in § 4 Abs. 2 GOÄ verbindlich vor, dass bei wahlärztlichen Leistungen der ständige ärztliche Vertreter Facharzt desselben Gebietes sein muss.

In ähnlicher Form könnte in den Heilberufsgesetzen der Länder oder in der GOÄ ein Qualifikationsvorbehalt eingeführt werden, der die Erbringung ärztlicher Leistungen außerhalb des Fachgebietes von dem Nachweis einer Fachkunde abhängig macht, die der Ärztekammer nachzuweisen ist. Damit würde auch für privatärztliche Leistungen eine verbindliche Qualifikationsanforderung auf der Grundlage der Weiterbildungsordnung eingeführt, wie dies in der GKV nach § 135 Abs. 2 S. 1 SGB V schon immer der Fall ist.

Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht

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Article published online:
11 May 2022

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