CC BY-NC-ND 4.0 · Gesundheitswesen 2023; 85(04): 339-345
DOI: 10.1055/a-1791-0479
Übersichtsarbeit

Qualitätsindikatoren für Videosprechstunden in der hausärztlichen Versorgung – ein Scoping Review

Quality Indicators for Video Consultations in Primary Care – a Scoping Review
Pia Traulsen
1   Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein – Campus Lübeck, Lübeck, Germany
,
Jost Steinhäuser
1   Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein – Campus Lübeck, Lübeck, Germany
,
Alexander Waschkau
1   Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein – Campus Lübeck, Lübeck, Germany
› Institutsangaben
 

Zusammenfassung

Ziel der Studie Seit 2018 ist das Fernbehandlungsverbot gelockert. Die SARS-CoV-2 Pandemie sorgte für einen erheblichen Implementierungsschub von Videosprechstunden als Teil der Telemedizin in der hausärztlichen Versorgung. Die Frage, wie die Qualität dieser Versorgungsform abgebildet werden kann, ist bisher unbeantwortet. Daher war es Ziel dieses Reviews erste Kriterien, zur Erhebung der Qualität von Videosprechstunden in der hausärztlichen Versorgung, zu identifizieren.

Methoden Im Rahmen des Reviews wurde eine Literaturrecherche in den Datenbanken PubMed, Web of Science, Google Scholar, Open Grey und Google durchgeführt. Gesucht wurde nach Literatur zu Qualitätskriterien oder -indikatoren für Videosprechstunden. Es wurde deutsch- und englischsprachige Literatur eingeschlossen, eine zeitliche Limitierung gab es nicht.

Ergebnisse Durch die Literaturrecherche konnten 14 Publikationen für das Review eingeschlossen werden. Aus den dort beschriebenen Qualitätskriterien wurden 13 mögliche Qualitätsindikatoren abgeleitet. Sieben davon für die Strukturqualität, zwei für Prozess- und vier Indikatoren für die Ergebnisqualität. Unter anderem wurde der Umstieg auf Face-to-Face Behandlung, bei den Fällen, für die es erforderlich ist, die Qualifikation des Personals sowie der Zugang zu dieser Art der Versorgung als mögliche Indikatoren identifiziert.

Schlussfolgerung Die in dieser Arbeit vorgeschlagenen Qualitätsindikatoren ermöglichen durch ihre Messbarkeit eine strukturierte Evaluation der Qualität von Videosprechstunden in der hausärztlichen Versorgung. Eine Weiterentwicklung dieser Indikatoren, um Schwellenwerte für die angegebenen Ziele zu definieren, erscheint sinnvoll.


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Abstract

Aim The German ban on remote treatment was relaxed in 2018. The SARS-CoV-2 pandemic ultimately ensured a surge in the implementation of video consultations as part of telemedicine in primary care. However, the question of how the quality of this form of care is represented is currently unanswered. The aim of this review was to identify criteria for assessing the quality of video consultations in primary care.

Methods As part of this review, a literature search was carried out in the databases PubMed, Web of Science, Google Scholar, Open Gray and Google. We searched for literature on quality criteria or quality indicators for telemedicine. German and English-language literature was included, there was no limit on publication date.

Results A total of 14 publications were included in the review. Out of the quality criteria identified, 13 quality indicators were derived. Of these, seven were for structural quality, two for process quality and four indicators for outcome quality. For instance, the switch to face-to-face treatment for those cases for which it was required, staff qualifications and access to this type of care were identified as possible indicators.

Conclusion The quality indicators proposed in this article enable a structured evaluation of the quality of video consultations in primary care through their measurability. Further development of these indicators in order to define threshold values for the stated goals appears to be warranted.


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Einleitung

Telemedizin bezeichnet Versorgungskonzepte bei denen Beratung, Diagnostik, Therapie oder Rehabilitation über eine räumliche Distanz hinweg erbracht werden [1]. Seit Jahrzehnten ist Telemedizin eine ergänzende Option für die Gesundheitsversorgung in Deutschland [2]. Vor der SARS-CoV-2 Pandemie waren vor allem die technische Machbarkeit von telemedizinischen Anwendungen, Fragen zur Zulässigkeit von Fernbehandlung sowie die Vergütung zentrale Diskussionspunkte [3]. Videosprechstunden sind eine der neueren Varianten, die die Telemedizin ermöglicht.

Seit 2017 können Videosprechstunden in der ambulanten Versorgung abgerechnet werden und sind seit 2019 nicht mehr an Diagnosen oder reine Kontrolltermine gebunden [4]. 2018 wurde das Fernbehandlungsverbot gelockert [5] [6]. Im Mai 2020 nutzten ca. 50% der niedergelassenen Ärzte*innen Videosprechstunden. Hiervon gaben 84,3% an, vor der Pandemie keine Videosprechstunde genutzt zu haben [4]. Die SARS-CoV-2 Pandemie wirkte somit als „Katalysator für Telemedizin“ und führte (notgedrungen) zu rasant gesteigerter Akzeptanz und Nutzung dieser Technologien [4] [5] [7].

Eine Sorge im Zusammenhang mit Telemedizin ist der Verlust von Qualität durch den mangelnden physischen Kontakt zu Patient*innen [8] [9]. Zur Einschätzung der Qualität von medizinischer Versorgung, sollte sie evaluierbar sein [6]. Die hausärztliche Versorgung ist ein „Kern des Gesundheitswesens“ [10] in der gut 90% aller Beratungsanlässe abschließend geklärt werden können [11]. Deshalb sollte insbesondere für diesen Bereich Kenntnisse telemedizinischer Anwendungen existieren. Aktuell existieren keine Qualitätsindikatoren für Videosprechstunden im ambulanten Sektor. Zur Abbildung hat sich das Qualitätsmodell von Donabedian mit der Aufteilung in Struktur-, Prozess-, und Ergebnisqualität bewährt [12].

Ziel dieser Arbeit ist es, vorhandene Kriterien für die hausärztliche Versorgung mit Videosprechstunden aus der Literatur herauszuarbeiten und daraus messbare Qualitätsindikatoren abzuleiten.


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Methodik

Suchstrategie

Zwei der Autor*innen (PT, Master of Science im Bereich Versorgungsforschung und Implementierungswissenschaft im Gesundheitswesen, AW, Psychologe, mit mehrjähriger Forschungserfahrung in der Implementierungsforschung) führten im März 2021 eine digitale Literaturrecherche zu Publikationen durch, die sich mit der Qualität von Telemedizin beschäftigten. Das Review wurde im Vorfeld nicht angemeldet. Die Vorgaben des PRISMA Extension for Scoping Reviews (PRISMA-ScR) wurden angewandt [13].

Es wurde in den Datenbanken PubMed, Web of Science und Google Scholar gesucht.

Dafür wurden die Begriffe Telemedizin, Telekonsultation, telemedicine, teleconsultation, telehealth, eHealth, Qualitätskriterien, Qualitätsindikatoren, quality criteria und quality indicators in unterschiedlichen Kombinationen verwendet. Die PubMed-Suchstrategie wird in [Abb. 1] dargestellt.

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Abb. 1 Suchstrategie PubMed.

Zusätzlich wurde in der „grauen Literatur“ mit Hilfe der Suchmaschine „Open Grey“ (www.opengrey.eu) und ergänzend frei in der Suchmaschine Google gesucht, um ebenfalls Publikationen einzuschließen, die nicht in den gängigen Datenbanken publiziert wurden.

Begrifflichkeiten zur Allgemeinmedizin wurden nicht verwendet, um möglichst viele Ergebnisse mit Bezug zu Qualität von Telemedizin zu identifizieren. Ebenfalls wurde weiterführende Literatur aus den gefundenen Arbeiten gesichtet und Spezialisten aus dem Gebiet kontaktiert.


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Ein- und Ausschlusskriterien

Eingeschlossen wurde ausschließlich Literatur, die auf Deutsch oder Englisch zur Verfügung stand. Eine Einschränkung des Erscheinungsdatums oder der Publikationsformen gab es nicht. Ausgeschlossen wurden Publikationen, ohne Bezug zur ambulanten Versorgung. Neben dem Titel- und Abstractsscreening wurden initial Volltexte gelesen, sofern keine Abstracts vorhanden waren. Aus der eingeschlossenen Literatur filterten zwei unabhängig voneinander arbeitenden Forschende (PT, AW) Qualitätskriterien heraus, die für Telemedizin anwendbar erschienen und wurden in einem Konsensusgespräch mit einem dritten Forschenden (JS, Facharzt für Allgemeinmedizin mit umfangreichen Vorerfahrungen mit eHealth-Projekten) diskutiert.


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Erstellung von Qualitätsindikatoren

Qualitätsindikatoren sind Kriterien, mit denen die Qualität, hier von Videosprechstunden, mess- und vergleichbar gemacht wird. Für die identifizierten Qualitätskriterien wurden Ziele und Berechnungsmöglichkeiten festgelegt, um diese als Qualitätsindikatoren für hausärztliche Videokonsultationen formulieren zu können. Dabei wurde sich an bundesweit bekannten Manualen orientiert [14] [15]. Es wurden Soll-Werte (Nenner) definiert, welche mit den Ist-Werten (Zähler) verglichen werden. Dieses Vorgehen soll dazu beitragen, Diskrepanzen zwischen Soll- und Ist-Wert aufzudecken, damit Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität eingeleitet werden können [14]. Abschließend wurden die Qualitätsindikatoren, angelehnt an Donabedian, in drei Bereiche gegliedert: Struktur-, Prozess-, und Ergebnisqualität [12].


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Ergebnisse

Identifizierte Literatur

Die Recherche in PubMed ergab 81 Treffer und in Web of Science 59 Treffer. Diese wurden nach Titel und Abstract gescreent. Es wurden 107 Publikationen ausgeschlossen, da diese keinen Bezug zur Telemedizin hatten, nicht das ambulante Setting behandeln, Qualitätsindikatoren nicht betrachten oder weder in englischer noch deutscher Sprache vorhanden waren. Die händische Suche ergab zusätzlich sieben geeignete Publikationen (s. [Abb. 2]). Insgesamt wurden 14 Publikationen eingeschlossen, diese werden in [Tab. 1] dargestellt.

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Abb. 2 Flowchart für Literaturauswahl.

Tab. 1 Literatur über Qualitätskriterien der Telemedizin.

Referenz (Jahr); Art

Titel

Inhalt

Baumel et al. (2017); Systematisches Review [16]

A Systematic Review and Taxonomy of Published Quality Criteria Related to the Evaluation of User-Facing eHealth Programs

Kriterien in Bezug auf die Evaluation von eHealth-Programmen werden identifiziert und allgemeine Übereinstimmungen werden dargestellt.

Beckers & Stellmacher (2021); Review [17]

Qualitätssicherung in der Telemedizin

Bereitet den Stand und die Optionen des Qualitätsmanagements für die Qualität der Telemedizin auf und diskutiert diese.

BMG (2020); [18]

Kriterienkatalog zur Unterstützung der gezielten Planung, Durchführung und Evaluation von telemedizinischen Projekten

Kriterienkatalog wurde entwickelt, um bei telemedizinischen Projekten aussagekräftige Einzeldimensionen zu erfassen.

Hrynyschyn et al. (2020); Systematisches Review [19]

Telekonsultation bei vaskulären und diabetisch bedingten chronischen Wunden

Aktueller Forschungsstand für Telekonsultation bei chronischen Wunden wird untersucht.

Hubert et al. (2016); Übersichtsartikel [20]

Telemedizin beim akuten Schlaganfall

Darstellung der telemedizinischen Versorgung von akuten Schlaganfällen in Deutschland.

Kidholm et al. (2012); Kriterienkatalog [21]

A model for assessment of telemedicine applications: MAST

Das Modell MAST wird vorgestellt. Dabei wird nicht nur Methodik und Zielsetzung beschrieben, auch auf die Zusammenhänge mit anderen Modellen wird eingegangen.

Klein et al. (2016); Reviews [22]

Internetbasierte Interventionen in der Behandlung psychischer Störungen

Kriterien werden präsentiert, an denen überprüft werden kann, welche Interventionen sich für die Behandlung psychischer Störungen eignen.

LeRouge et al. (2002); Review, Beobachtung und Experteninterviews [23]

Quality attributes in telemedicine video conferencing

Es wird ein Qualitätsmodell für Eigenschaften von telemedizinischen Videokonferenzen vorgeschlagen.

Lu et al. (2020); Review [24]

Research on Teleconsultation service quality based on multi-granularity linguistic information: the perspective of regional doctors

Es wird eine Methode zur Bewertung der Servicequalität von Telekonsultationen vorgeschlagen.

Ramaswamy et al. (2020); Retrospective Cohort Study [25]

Patient Satisfaction With Telemedicine During the COVID-19 Pandemic: Retrospective Cohort Study

Es wird untersucht, ob sich die Patient*innenzufriedenheit zwischen Video- und persönlichen Untersuchungen unterscheidet.

Simon (2016); Systematisches Review [26]

Qualität und eHealth

Entwicklung eines Frameworks zur Systematisierung der Qualitätsmerkmale von eHealth.

Strotbaum & Beckers (2020); Review [27]

Qualitätsbewertung von gesundheitsbezogenen Apps

Stand der Qualitätsbewertung von Gesundheits-Apps wird aufgezeigt, sowie Empfehlungen für Wissenschaft und Praxis für einen zielgerichteten Einsatz der Apps gegeben.

Szecsenyi et al. (2018); Handbuch [28]

Praktisches Handbuch zur Qualitätsentwicklung in der Telemedizin

Dient als Leitfaden für telemedizinische Projekte und Konzepte.

Wechsler et al. (2017); Meinungsartikel [29]

Telemedicine quality and outcomes in stroke

Bietet einen aktuellen Überblick über Telestroke und schlägt Maßnahmen zur Qualitätsüberwachung vor.


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Qualitätsindikatoren

Es konnten insgesamt 13 Qualitätsindikatoren für Telemedizin abgeleitet werden. Für jeden Qualitätsindikator wurde ein Ziel und die jeweilige mögliche Berechnung mit einem Fokus auf Videosprechstunden vorgeschlagen. Die Indikatoren, ihre Ziele und mögliche Berechnungen sind in [Tab. 2] dargestellt.

Tab. 2 Qualitätsindikatoren.

Bezeichnung

Ziel

Mögliche Berechnung

Strukturqualität

 Technische Qualifikation des Personals [17] [18] [20] [22] [23] [26] [28]

Anteil der Mitarbeitenden, welche in den letzten 12 Monaten min. eine Fortbildung/Schulung zum Thema Technik in der Telemedizin besucht haben.

Zähler: Anzahl der Mitarbeitenden, welche in den letzten 12 Monaten min. eine Fortbildung/Schulung zum Thema Technik von Videosprechstunden besucht haben

Nenner: Anzahl aller Mitarbeitenden

 Kommunikationskompetenz des Personals [17] [18] [20] [22] [23] [26] [28]

Anteil der Mitarbeitenden, welche in den letzten 12 Monaten min. eine Fortbildung/Schulung zum Thema Kommunikation in der Telemedizin besucht haben.

Zähler: Anzahl der Mitarbeitenden, welche in den letzten 12 Monaten min. eine Fortbildung/Schulung zum Thema Kommunikation bei Videosprechstunden besucht haben.

Nenner: Anzahl aller Mitarbeitenden.

 Supportstelle für Nutzer*innen [23] [27] [28]

Anteil der Nutzer*innen, welche Support gebraucht haben, um Telemedizin zu verwenden und diesen auch erhalten haben.

Zähler: Anzahl der Nutzer*innen, die Support um Videosprechstunden durchzuführen, erhalten haben.

Nenner: Anzahl der Nutzer*innen, die Support um Videosprechstunden durchzuführen, gebraucht haben.

 Informationsmaterial für Patient*innen [26] [27] [28]

Anteil der Patient*innen, die sich über Telemedizin informieren wollten und dies auch tun konnten.

Zähler: Anzahl Patient*innen, welche sich über Videosprechstunden informieren konnten.

Nenner: Anzahl Patient*innen, welche sich über Videosprechstunden informieren wollten.

 Stabiler Breitbandzugang [17] [18] [20] [23] [24]

Anteil der Nutzer*innen, welche eine Bandbreite von min. 50 Mbit/s [30] besitzen.

Zähler: Anzahl der Nutzer*innen, welche eine Bandbreite von min. 50 Mbit/s besitzen.

Nenner: Anzahl aller Nutzer*innen.

 Technische Ausstattung [17] [18] [20] [23] [24]

Anteil der Nutzer*innen, welche eine Kamera mit min. 7 Megapixel [31] besitzen.

Zähler: Anzahl der Nutzer*innen, welche eine Kamera mit min. 7 Megapixel besitzen.

Nenner: Anzahl aller Nutzer*innen.

 Updates der Software [27]

Regelmäßiges Updaten der Software.

Zähler: Anzahl der durchgeführten Updates in den letzten 12 Monaten.

Nenner: Anzahl der verfügbaren Updates der letzten 12 Monate.

 Zugang zur Versorgung [17] [24]

Anteil der Patient*innen, die sich ein telemedizinisches Gespräch mit ihrem*ihrer Hausarzt*ärztin gewünscht haben und eines innerhalb von 24 Stunden1 erhalten haben.

Zähler: Anzahl der Patient*innen, die eine Videosprechstunde mit ihrem*ihrer Hausarzt*ärztin innerhalb von 24 Stunden geführt haben.

Nenner: Anzahl der Patient*innen, die sich eine Videosprechstunde mit ihrem*ihrer Hausarzt*ärztin wünschen.

 Einwilligungserklärung der Patient*innen [17]

Anteil der Patient*innen, bei denen eine Einwilligungserklärung nach Aufklärung zur Nutzung von Telemedizin vorliegt [20]

Zähler: Anzahl der Patient*innen, bei denen eine Einwilligungserklärung zur Nutzung von Videosprechstunden vorliegt.

Nenner: Anzahl aller Patient*innen die Videosprechstunden nutzen.

 Kostensenkung [17] [19] [21] [26] [28]

Anteil der medizinisch nicht indizierten Überweisungen wird gesenkt.

Zähler: Anzahl der Patient*innen die mit einer Überweisung zu anderen Fachärzt*innen gehen.

Nenner: Anzahl aller Patient*innen die zu anderen Fachärzt*innen gehen.

 Reduktion Krankenhauseinweisung [17] [19] [21] [26] [28]

Anteil der ambulant-sensitiven Krankenhausfälle2 wird gesenkt.

Zähler: Anzahl ambulant-sensitiver Krankenhauseinweisungen

Nenner: Anzahl aller Krankenhauseinweisungen

 Sichere Diagnosestellung [17] [29]

Umstieg auf Face-to-Face-Behandlung, wenn dies erforderlich ist.

Zähler: Anzahl der Behandlungen, bei denen auf eine Face-to-Face-Behandlung umgestellt werden musste.

Nenner: Anzahl aller Videosprechstunden.

 Patient*innenzufriedenheit [25]

Zufriedenheit der Patient*innen mit der Videosprechstunde.

Zähler: Anzahl der zufriedenen Patient*innen mit einer Videosprechstunde.

Nenner: Anzahl aller Patient*innen mit einer Videosprechstunde.

1 In Anlehnung an die Terminvergabestelle 116117; 2 Krankenhausfälle, welche durch eine bessere ambulante Versorgung vermieden werden könnten.


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Diskussion

Ziel dieses Beitrags war es, vorhandene Kriterien für Videosprechstunden aus der Literatur herauszuarbeiten und daraus messbare Qualitätsindikatoren für diesen Teil der hausärztlichen Telemedizin abzuleiten.

Bereits existierende Indikatoren, welche die Qualität vergleichbar machen könnten, wurden in diesem Review nicht gefunden. Der Kriterienkatalog zur Bewertung von telemedizinischen Projekten des Bundesministeriums für Gesundheit enthält keine Berechnungsmöglichkeiten oder Schwellenwerte und verbleibt auf der allgemeinen Ebene mit Nennung von Themen wie „Festlegung von Qualitätssicherung“. Zwar werden „Patientenrelevanten Endpunkten“ genannt aber nicht definiert [18]. Empfehlungen für Qualitätskriterien in der Literatur waren häufig auf spezifische Projekte ausgelegt und somit nicht auf bereits implementierte telemedizinische Lösungen verallgemeinerbar [18] [28]. Ebenfalls konnten keine RCTs identifiziert werden, die klinische Outcomes messen. Aufgrund der übersichtlich vorhandenen Literatur wurden jegliche Formen an Publikationen, auch Meinungsartikel, eingeschlossen.

Um eine adäquate Nutzung von Videosprechstunden sicherstellen zu können, werden bei der Strukturqualität neben den technischen Gegebenheiten, auch die Kompetenzen der Nutzer*innen adressiert. Sowohl Schulungen für das medizinische Personal, als auch Informationsmaterial für Patient*innen wurden berücksichtigt [16] [17] [18] [20] [22] [23] [26] [28]. Ein Informationsbedarf zum Thema Digitalisierung konnte sowohl bei Studierenden der Humanmedizin, bei Ärzt*innen in Weiterbildung und bei praktizierenden Ärzt*innen identifiziert werden [32] [33]. Die Indikatoren stabiler Breitbandzugang und technische Ausstattung stellen sicher, dass eine ausreichende Qualität der Kommunikationsinfrastruktur vorhanden ist [17] [18] [20] [23] [24]. Auf diese Faktoren hat die einzelne Praxis nur bedingt Einfluss, da hier auch die regionalen Gegebenheiten, der generelle Zugang zu Breitbandinternetverbindungen sowie die ausreichende Netzabdeckung, vor allem auch im ländlichen Raum, zu berücksichtigen sind. Entsprechend zeigt ein aktuelles Ranking der verfügbaren mobilen Breitbandgeschwindigkeit Deutschland im Februar 2021 auf Platz 26 der Welt, bei der Geschwindigkeit im festen Breitbandnetz auf Platz 35 [34]. Die Kontinuität, die die Videosprechstunde in der hausärztlichen Versorgung bieten kann, hat das Potential mortalitätssenkend zu sein [35]. Daher wurden Indikatoren wie die Reduktion Krankenhauseinweisungen und Kostensenkung aufgenommen [17] [19] [21] [26] [28]. Weiterführenden Studien sollten weitere Aspekte der Kostensenkung beachten. Zum Beispiel könnte untersucht werden, ob die Option einer Videosprechstunden zu einer effizienteren Terminvergabe in den hausärztlichen Praxen führen und somit Ressourcen sparen könnten. Für die telemedizinische Konsultation gilt, dass, um den Facharztstandard sicher zu stellen, alle Untersuchungen durchgeführt werden müssen, die man bei einer Face-to-Face Konsultation auch durchführen würde. Sollte eine indizierte Untersuchung nicht durchführbar sein, so ist in diesen Fällen eine Videokonsultation ungeeignet. Daher wurde der Indikator sichere Diagnosestellung aufgenommen [17] [29]. Dieser erhebt, wie oft auf eine Face-to-Face Behandlung umgestellt werden muss und könnte so einem Benchmark dienen. Bei einer nicht-Umstellung muss allerdings mit rechtlichen Konsequenzen gerechnet werden. Um die Patient*innenperspektive zu berücksichtigen, wurde der Indikator Zufriedenheit Patient*innen aufgenommen. Diese könnte über ein bestehendes Instrument, beispielsweise den EUROPEP-Fragebogen, ermittelt werden [36] [37]. Die Erstellung eines Fragebogens zur Patient*innenzufriedenheit spezifisch für die Anwendung von Videosprechstunden im hausärztlichen Kontext wäre ebenfalls denkbar. Grundlage dafür könnten internationale Fragebögen, wie zum Beispiel der Fragebogen von Polinski et al. sein [38].

Die hier vorgeschlagenen Qualitätsindikatoren könnten die Möglichkeit bieten, erste Aspekte der Qualität von Videosprechstunden in hausärztlichen Praxen zu messen und zu vergleichen. Zudem könnten Anwender*innen telemedizinischer Anwendungen mit Hilfe dieser Indikatoren an der Qualitätsoptimierung auf Praxisebene arbeiten.

Qualitätsindikatoren für Videosprechstunden auf der Metaebene

Neben der auf hausärztlicher Ebene beeinflussbaren Indikatoren gibt es auch solche, die nicht durch die einzelnen Anwender beinflussbar sind. Beispiele dafür sind die Interoperabilität der Systeme auf Soft- und Hardwareebene [17] [23] [26] sowie die Kosten- bzw. Investitionsebene. Der Aspekt der Kosten sollte sich zum Beispiel in der Vergütung von telemedizinischen Leistungen widerspiegeln. Die Evaluation der Kosteneffizienz von Telemedizin in hausärztlichen Praxen sollte daher ein zukünftiger Forschungsgegenstand sein, insbesondere da zum Beispiel die Preise für Hardware über die Zeit sinken [26] [39]. Auch die Kriterien des Datenschutzes können nicht von der einzelnen Praxis beeinflusst werden. Softwareanbieter sollten für jede in der hausärztlichen Praxis verwendete Anwendung eine verschlüsselte Verbindung vorhalten, um die Patient*innendaten nicht zu gefährden [22] [26].


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Ausblick

Die Entwicklung von evidenzbasierten Qualitätsindikatoren, auf Basis der RAND UCLA Appropriateness Methode [40], könnte eine sinnvolle Weiterführung dieser Arbeit darstellen, gefolgt von einer Validierung der Indikatoren. Die RAND UCLA Appropriateness Methode ist eine Methode um zu ermitteln, welche Leistungen angemessen sind, um sowohl eine Unter- als auch Überversorgung zu vermeiden [40]. Zukünftige Schritte sollten Indikatoren der Mikroebene – in dieser Arbeit die hausärztliche Versorgung in einer Praxis – mit solchen für die Metaebene verbinden, um so die Qualität über Sektorengrenzen hinweg betrachten zu können. Um die Liste der Qualitätskriterien noch Bedarfsgerechter gestalten zu können, sollten ergänzend Interviews mit Expert*innen aus dem hausärztlichen Setting geführt werden. Des Weiteren sollten zukünftige Arbeiten auch forensische Aspekte adressieren.


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Stärken und Schwächen

Diese Arbeit basiert auf einer durch Sprachauswahl und verwendeten Datenbanken limitierten Suche. Dadurch wurden evtl. nicht alle relevanten Publikationen zum Thema Qualitätskriterien von Videosprechstunden identifiziert.

Die hier vorgeschlagenen Qualitätsindikatoren wurden nach aktuellen Standards entwickelt. Die Indikatoren wurden in einer Konsensgruppe gebildet, es gibt klar definierte Ziele und die Messgrößen sind messbar [14]. Die initiale Konsensgruppe bestand aus drei Personen. Im nächsten Schritt sollte diese Gruppe vergrößert werden und verschiedene Professionen und Akteure einschließen. Diese Gruppe sollte die Bewertung der Indikatoren durch ein etabliertes Instrument, wie zum Beispiel QUALIFY [41], durchführen.

Ebenso sind in diesem Review keine Schwellenwerte für die Qualitätsindikatoren genannt worden. Diese müssen in weiteren Untersuchungen evaluiert und validiert werden.

Als Stärke dieser Arbeit kann der erste strukturierte Ansatz zur Erstellung von notwendigen Qualitätsindikatoren für Videosprechstunden gewertet werden. Inwieweit die identifizierten Indikatoren auch für andere telemedizinische Anwendungsformen (z. B. Telefon) anzuwenden sind, sollte Gegenstand weiterer Studien sein.

Fazit

Die Versorgung durch Videosprechstunden in den hausärztlichen Praxen unter dem Aspekt einer guten und sicheren Versorgung von Patient*innen bedarf einer kontinuierlichen Evaluation ihrer Qualität. Diese Arbeit stellt einen ersten Vorschlag dar, wie und welche Qualitätsindikatoren zur Evaluation entwickelt werden können.


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Förderung

Diese Forschung wurde mit Mitteln des Instituts für Allgemeinmedizin der Universität zu Lübeck durchgeführt. Das Institut erhielt hierfür keine spezifischen Zuschüsse von öffentlichen, kommerziellen oder gemeinnützigen Fördereinrichtungen.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Pia Traulsen
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein – Campus Lübeck
Institut für Allgemeinmedizin, Ratzeburger Allee 160
23538 Lübeck
Germany   

Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
09. Juni 2022

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Abb. 1 Suchstrategie PubMed.
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Abb. 2 Flowchart für Literaturauswahl.