Rofo 2022; 194(05): 467-470
DOI: 10.1055/a-1790-7742
Brennpunkt

Sollten Radiologen und Kardiologen mehr zusammenarbeiten?

 

    Kardio-CT und -MRT werden in Leitlinien bei diversen Herzerkrankungen als Diagnostik empfohlen. Bislang haben sie jedoch keinen Eingang gefunden in den Regelleistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Im Gespräch führen ein Kardiologe und ein Radiologe aus, weshalb diese Diagnostik so wichtig ist und warum eine interdisziplinäre Zusammenarbeit hier wünschenswert wäre.


    #
    Zoom Image
    Prof. Stephan Baldus -- Präsident der DGK, Direktor der Kardiologie an der Uniklinik Köln (Quelle: Michael Wodak, Medizin Foto Köln)
    Zoom Image
    Prof. Jörg Barkhausen -- Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft und Direktor der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck (Quelle: DRG)

    Interview geführt von Veronika Schlimpert

    Hinweis: Inzwischen hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) auf Antrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ein Bewertungsverfahren für die „Methode der Computertomografie-Koronarangiografie zur Diagnosestellung von Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf eine chronische koronare Herzkrankheit“ eingeleitet.

    Herr Prof. Baldus, Herr Prof. Barkhausen, die Kardio-MRT und -CT kommen immer häufiger in der Diagnostik von Herzerkrankungen zum Einsatz. Es hapert jedoch weiterhin an der Vergütung. Können Sie erläutern, warum diese Bildgebungsverfahren für die Patientenversorgung so wichtig geworden sind?

    Prof. Stephan Baldus: Die kardiale Schnittbildgebung mittels CT und MRT hat mittlerweile einen zentralen Stellenwert in der kardiovaskulären Medizin und – daran gibt es keinen Zweifel – wird sich in der Zukunft wahrscheinlich zu einem noch zentraleren Werkzeug entwickeln. Die erzielten Fortschritte in der Technologie, aber auch die wachsende Expertise in der Befundinterpretation haben dazu geführt, dass beide Bildgebungsverfahren in der Kardiologie nicht mehr wegzudenken sind. Beide Modalitäten weisen Alleinstellungsmerkmale in der Diagnostik bestimmter Erkrankungen auf. Darüber hinaus sind diese Instrumente in der Lage, prognoserelevante Informationen zu liefern.

    Prof. Jörg Barkhausen: Dem kann ich mich uneingeschränkt anschließen. Vor circa 25 Jahren habe ich begonnen, mich wissenschaftlich und klinisch mit der kardialen CT- und MRT-Diagnostik zu beschäftigen. Wir waren eine kleine Gruppe junger motivierter Radiologinnen und Radiologen. Ich hatte anfangs nicht damit gerechnet, dass wir es schaffen würden, grundlegende Paradigmen in der Diagnostik zu verändern, etwa, dass die Linksherzkatheteruntersuchung in allen Leitlinien als bildgebendes Verfahren der ersten Wahl beim chronischen Koronarsyndrom abgelöst wird. Die Methoden wurden kontinuierlich weiterentwickelt, sie sind viel sensitiver, spezifischer und robuster geworden. Wichtig ist: Beide Verfahren liefern nichtinvasiv Informationen, die keine andere Bildgebungsmethode so bieten kann. Es existieren zahlreiche überzeugende Studienergebnisse zum Nutzen der MRT/CT für die unterschiedlichsten Erkrankungen. Die Methoden sind in allen Leitlinien aufgeführt. Wir brauchen sie deshalb jeden Tag in der Patientenversorgung.

    Baldus: Ich stimme Ihnen prinzipiell zu. Ich möchte aber betonen, dass die diagnostische Qualität des Linksherzkatheters in diesem Kontext keinesfalls verdammt werden darf. Sie bleibt auch 2022 der Goldstandard für die angiografische Beurteilung komplexer Koronarpathologien und die funktionelle Charakterisierung von Stenosen. Und die Leitlinien machen klar, dass es weiterhin Indikationen gibt, die eine unmittelbare invasive Diagnostik rechtfertigen. Ich bin aber auch der Meinung, dass mit der Kardio-CT eine komfortable Diagnostik für Patienten mit chronischem Koronarsyndrom etabliert werden konnte – hieran hat übrigens wesentlich von Kardiologen getriebene Forschung ihren Anteil.

    Traditionell liegt die Erbringung dieser Diagnostik ja im „Hoheitsgebiet“ der Radiologen. Ist das noch zeitgemäß, Herr Barkhausen?

    Barkhausen: Das ist eine ganz wichtige Frage. Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, dass qualifizierte Diagnostiker in der Pathologie, Mikrobiologie, Labormedizin und natürlich in der Radiologie die Leistung erbringen, die sie in ihrer Weiterbildung von Grund auf erlernt haben. Patientinnen und Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass Ärzte und Ärztinnen die Leistungen, die sie erbringen und anbieten, wirklich beherrschen.

    Aus der Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachdisziplinen und dem daraus resultierenden Vieraugenprinzip ergeben sich entscheidende Vorteile für die Patienten. Denn Diagnostiker schauen anders auf Bilder, Werte und Befund als die behandelnden Kolleginnen und Kollegen. Ich selbst habe vor vielen Jahren meine Weiterbildung in der Kardiologie begonnen. Damals habe ich viele kardiologische Untersuchungen selbst durchgeführt, um meine eigenen Verdachtsdiagnosen bzw. die meines Chefs zu bestätigen. Als Radiologe schaue ich heute viel unvoreingenommener auf die Bilder. Das ist ein großer Vorteil: Meine Erwartungen haben keinen Einfluss darauf, wie ich die Bilder bewerte. Die diagnostischen Querschnittsfächer sind dadurch ein wichtiges objektives Regulativ, die ohne wirtschaftliche Interessen in Bezug auf die weitere Therapie entscheiden. In einem Gesundheitssystem, das zunehmend auf Qualität, Effizienz und Kostenkontrolle achten muss, sind diese Fächer daher wichtiger denn je. Und ich muss ehrlich sagen: Ich kenne viele Kardiologen, die die Expertise eines erfahrenen Radiologen außerordentlich schätzen gelernt haben.

    Herr Baldus, wie sehen Sie das als Kardiologe?

    Baldus: Ich denke – und da sind wir sicher einer Ansicht- dass bei dieser Diskussion die Qualität der zu erbringenden Leistung und der Patient im Mittelpunkt stehen müssen. Bei der Befundung muss ein offener, konstruktiver Dialog innerhalb der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Faches und über Fächergrenzen hinaus gelten. Die Kardiologie war hier in den letzten Jahren z. B. durch Etablierung der „Heart Teams“ sicher ein Schrittmacher. In diesem Sinne ist es wichtig, einen möglichst intelligenten Weg zu finden, wie wir für die Schnittbild-Diagnostik das Maximum an Expertise beider Facharztgruppen zusammenführen. Radiologen sind fraglos erfahren in der Bedienung der Geräte und Detektion extrakardialer Befunde. Kardiologen schaffen durch den direkten Patientenkontakt, die Erfahrung in der Ultraschallbildgebung, ihre Kenntnis aus der Koronarangiografie und den hämodynamisch invasiven Messungen einen wesentlichen Mehrwert in der Interpretation der CT/MRT-Befunde. Ich glaube nicht, dass sie dadurch unbedingt einem Bias unterlegen sind – im Gegenteil. An der Bündelung von Expertise sollten wir in Deutschland ansetzen. Nur so werden wir andere Herausforderungen meistern, gerade was die wissenschaftliche Entwicklung und Ausbildung in diesen Techniken betrifft. Denn ich sage ganz offen: In beiden Fachbereichen ist noch nicht genug Kompetenz vorhanden, um diese Bildgebungsmodalitäten flächendeckend mit bestmöglicher Qualität anbieten zu können.

    Was wäre eine gute Strategie, um die Expertise beider Fachdisziplinen zusammenzuführen?

    Barkhausen: Ich stimme Herrn Baldus uneingeschränkt zu, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei Indikationsstellung und Bewertung radiologischer Leistungen ein echter Mehrwert ist. Tumorboards sind meiner Ansicht nach ein sehr gutes Beispiel für eine solche Kooperation. Typischerweise demonstrieren und bewerten Radiologinnen und Radiologen dort die Bildbefunde und diskutieren sie gemeinsam mit Chirurgen, Onkologen oder auch Strahlentherapeuten, um die für den Patienten optimale Therapie auszuwählen. Wenn dort Chirurgen die Bilder vorstellten, würden wahrscheinlich deutlich mehr Patienten als operabel eingestuft. Ob das für das Ergebnis so gut ist, weiß ich nicht. Darum sind unabhängige Diagnostiker eine echte Bereicherung. Solche Boards sind meiner Ansicht nach ein gutes Modell für die kardiale Bildgebung. In meiner Zeit an der Uni Essen gab es ein solches Board für herzkranke Patienten, an dem Herzchirurgen, Kardiologen und Radiologen beteiligt waren. Das war das Highlight der Woche, weil wir alle voneinander extrem viel gelernt haben. Am meisten haben davon am Ende die Patienten profitiert.

    Baldus: Ich möchte den Mehrwert eines interdisziplinären Vorgehens in der Medizin unterstreichen. Doch ist die Situation in der Kardiologie ein wenig anders als in der Onkologie. Dass die Kardiologen insgesamt viel selbstständiger in der Therapie sind, ist sicher für die Patienten kein Nachteil. Die meisten herzkranken Patientinnen und Patienten werden ambulant und sehr erfolgreich von einem niedergelassenen Kardiologen betreut. Meiner Erfahrung nach wünschen sich niedergelassene Kardiologen, die eine solche Schnittbildgebung anfordern, auch eine dezidierte Handlungsempfehlung. Dann wird es Vorteile haben, wenn ein mit der Technik vertrauter Kardiologe die Befunde mit bewertet, und zwar unter Beachtung der klinischen Parameter und der genannten zusätzlichen Diagnostik. Das kann ein qualifizierter niedergelassener Kardiologe selbst sein oder ein im Zentrum hierfür Ausgebildeter. Ich möchte daher ein Plädoyer dafür aussprechen, die Kardiologen in die Leistungserbringung einzubinden – und zwar in einer Art und Weise, dass daraus eine Handlungsempfehlung abgeleitet werden kann und nicht nur eine reine Befundbeschreibung. Das wird die Stärke einer Mitbeteiligung der Kardiologie sein.

    Gibt es denn in der Praxis schon Erfahrungen mit einer kooperativen Leistungserbringung durch Kardiologen und Radiologen?

    Barkhausen: Es gibt große Zentren, in denen Radiologen und Kardiologen zusammenarbeiten. Im ambulanten Bereich sind sie aber eher die Ausnahme. Sonst sind mir nur die Selektivverträge bekannt, die es in Schleswig-Holstein, wo ich arbeite, meines Wissens nicht gibt. Daher kann ich zur praktischen Umsetzung wenig sagen. Ich glaube aber, dass die Selektivverträge einen großen Nachteil haben: Sie sind selektiv und damit können nicht alle qualifizierten Ärztinnen und Ärzte an der Versorgung teilnehmen und so profitieren nicht alle Patienten. Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, die kardiale Bildgebung als Regelleistung in der gesetzlichen Krankenversicherung zu verankern – da sind Herr Baldus und ich sicher einer Meinung.

    Baldus: Das sehe ich genauso – wir wollen für unsere Patienten eine Zugänglichkeit zu dieser Diagnostik unabhängig vom Versichertenstatus. Aber wir stehen in der Verantwortung, eine breite Implementierung dieser Verfahren auf eine Art und Weise zu erreichen, dass eine hohe Qualität gewährleistet ist.

    Kardio-CT und -MRT sollten Ihrer Ansicht nach Regelleistung werden. Welche Vorteile hätte das für herzkranke Patienten?

    Baldus: Für die Patienten ist es sicher ein Segen, wenn wir die Schwelle für die Erreichbarkeit der Techniken senken können. Es gibt ja solche Bestrebungen in Deutschland. Denn wenn wir ein niederschwelliges Angebot ermöglichen, kann das dazu führen, dass weniger Patienten einer invasiven Diagnostik zugeführt werden müssen. Der Linksherzkatheter wird – wie ich schon ausgeführt habe – ein zentrales Diagnostikinstrument bleiben. Aber mit der CT haben wir das Potenzial, einigen Patienten eine invasive Diagnostik zu ersparen.

    Welcher Voraussetzungen bedarf es, damit eine Implementierung in die Breite gelingen kann?

    Barkhausen: Also zunächst sollte man festhalten, dass die CT und MRT hochkomplexe bildgebende Verfahren sind. Indikationsstellung, Planung, Durchführung und Befundung sind sicher nichts, was man in einem Wochenendkurs oder nebenbei erlernen kann. Darum ist eine fundierte Ausbildung sehr wichtig. Die Weiterbildung im Gebiet der Radiologie ist eine exzellente und aus meiner Sicht die beste Möglichkeit, die erforderlichen Qualifikationen zu erwerben, aber da bin ich vielleicht ein wenig voreingenommen. Darüber hinaus ermöglichen die Weiterbildungsordnungen zumindest bei der MRT alternative Wege, um diese Qualifikationen zu erwerben. Wichtig ist mir nur, dass die dort definierten Anforderungen und Qualitätsstandards wirklich eingehalten werden, um die Qualität zu sichern. Vielleicht kann man die Situation mit der im Fußball vergleichen. Spielt die Nationalmannschaft schlecht, sind schätzungsweise 80 Millionen Deutsche der Meinung, dass sie der bessere Bundestrainer gewesen wären. Aber keiner von ihnen hat eine Trainerlizenz oder weiß, wie komplex der Job wirklich ist.

    Baldus: Wobei – bei aller Freude über die große Zahl an Kardiologen in Deutschland – das Verhältnis zwischen kardiologischen und radiologischen Fachvertretern ein solches Übermaß sicher nicht erreicht ... aber Spaß beiseite: Die Kompetenzen und Ausbildungswege in der Kardiologie sind qualitativ hochwertig, sie sind vor allem spezifisch ausgelegt für die Zertifizierung einer kardialen Bildgebung und nicht in einem Wochenendkurs zu erwerben. Ich halte es für richtig, dass die MRT Bestandteil der Weiterbildungsverordnung in der inneren Medizin und Kardiologie geworden ist. Und ich stimme Herrn Barkhausen zu, dass die Technik richtig erlernt werden muss. Ich bin fest davon überzeugt, dass das nur über Quantität und Spezialisierung gelingt. Und ich bin der Meinung, dass diese Spezialisierung genauso innerhalb der Radiologie stattfinden muss, um die Qualität sicherzustellen.

    Gibt es denn Aspekte, in denen sich CT und MRT unterscheiden?

    Baldus: Die MRT-Diagnostik ist besonders anspruchsvoll, weil sie bei komplexeren Krankheitsbildern zum Einsatz kommt, z. B. bei Patientinnen und Patienten mit Speichererkrankungen, entzündlichen Herzmuskelerkrankungen und Kardiomyopathien, zur Ischämiediagnostik oder in der Diagnostik von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern. Ein Beispiel: Im Management von EMAH-Patienten ist es sehr hilfreich, wenn nicht zwingend, dass darin ausgebildete Kardiologen in die Befundung integriert sind. In Deutschland gibt es eine Reihe an Zentren, die in der Vergangenheit maßgeblich gerade wissenschaftlich dafür gesorgt haben, dass die MRT den Stellenwert bekommt, den sie inzwischen in der Diagnostik komplexer Erkrankungen erreicht hat. In diesen Zentren haben auch Kardiologinnen und Kardiologen die Weiterentwicklung der MRT-Diagnostik in die Hand genommen. Den Verantwortlichen haben wir also viel zu verdanken. Die Kunst ist es jetzt, die Expertise zu erhalten und den Nachwuchs qualitativ hochwertig und organspezifisch auszubilden.

    Barkhausen: Das Bestreben unterstütze ich uneingeschränkt. Gerade im Management von angeborenen Herzfehlern profitiert man enorm von der entsprechenden Expertise in der Kardiologie und in diesem Falle der Kinderherzchirurgie bzw. Herzchirurgie. Solche Fälle sollten interdisziplinär besprochen werden. Auch die von Ihnen angesprochene Spezialisierung halte ich für richtig. Die Deutsche Röntgengesellschaft hat deshalb vor 10 Jahren eine Qualifizierungsoffensive gestartet und ein sehr erfolgreiches Zertifizierungssystem aufgebaut, das sowohl während der Ausbildung als auch anschließend eine kontinuierliche Fortbildung in diesem Bereich ermöglicht. Wir haben heute in Deutschland über 70 Zentren und fast 1300 zertifizierte Radiologinnen und Radiologen mit dem Schwerpunkt der qualitätsgesicherten kardialen Bildgebung. Das ist meiner Ansicht nach ein schöner Erfolg.

    Baldus: Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie hat vergleichbare Anstrengungen unternommen und Qualifizierungs- und Zertifizierungskurse etabliert, deren Standards sicher den radiologischen nicht nachstehen. Ich denke, das Fundament ist damit gelegt. Wir müssen nur aufpassen, dass wir in Deutschland die Schnittbildgebung im großen Maßstab mit der Qualität anbieten, wie es unser Anspruch sein sollte. Dabei kann es nicht unser Ansinnen sein, die Zentren, die bereits große Expertise und eine kontinuierliche Ausbildungsleistung vorweisen und wissenschaftliche Schrittmacher des Bereichs sind, durch Kooperationszwänge einzuschränken. Das wäre kontraproduktiv. Andererseits gibt es viele Kolleginnen und Kollegen in beiden Fachgebieten, die nach entsprechender Qualifizierung diese Bildgebung gerne anwenden würden. Meine Vision ist, dass wir für diese Kollegen Modelle entwickeln, damit sie die Diagnostik interdisziplinär anbieten können.

    Lassen Sie uns am Ende einen Blick in die Zukunft werfen. Ein spannendes Thema hier ist die künstliche Intelligenz. Was denken Sie, wird die KI die kardiale Bildgebung verändern?

    Barkhausen: Ich bin absolut überzeugt davon, dass die KI die Medizin und auch die Bildgebung verändern wird. Was die Herzdiagnostik betrifft, sehe ich kurz- bis mittelfristig das größte Potenzial für einen Einsatz der KI in der Bilderstellung und nicht unbedingt in der Befundung. KI-Algorithmen können die Bildrekonstruktion verbessern und die Bildgebung beschleunigen. Die Bilder werden besser, robuster und schneller verfügbar. Ein solcher Einsatz wird relativ rasch kommen. Der Arzt, der die Befunde auswertet, wird aber nicht überflüssig werden. Da bin ich mir sicher. Die KI wird zunächst bei einfacheren Untersuchungen Eingang in die klinische Diagnostik finden – bei Untersuchungen, die nur binäre Entscheidungen erfordern. Ein gutes Beispiel ist die Mammografie: Tumor oder kein Tumor. Bei der Kardio-MRT sind die Entscheidungsprozesse deutlich komplexer. Der Untersucher muss ggf. während der Messung überlegen, ob z. B. weitere Schichten benötigt werden. Dass ein Algorithmus zeitnah eine solche Diagnostik vollständig autonom übernehmen kann, wage ich zu bezweifeln.

    Baldus: Ich bin optimistisch, dass KI diesen Bereich weiterentwickeln, wenn nicht sogar revolutionieren wird. Wie lange das dauern wird, fällt mir schwer zu prognostizieren. Klar ist aber, dass der Befund und die Therapiestrategie mit dem Patienten besprochen werden müssen – und dieses persönliche Gespräch wird KI nicht ersetzen.

    Vielen Dank für das Gespräch!


    #

    Publication History

    Article published online:
    28 March 2022

    © 2022. Thieme. All rights reserved.

    Georg Thieme Verlag KG
    Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


    Zoom Image
    Prof. Stephan Baldus -- Präsident der DGK, Direktor der Kardiologie an der Uniklinik Köln (Quelle: Michael Wodak, Medizin Foto Köln)
    Zoom Image
    Prof. Jörg Barkhausen -- Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft und Direktor der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck (Quelle: DRG)