ZUSAMMENFASSUNG
Hintergrund Chronisch suizidale Patienten fordern unser Versorgungssystem immer wieder heraus,
wobei Betroffene selbst einen hohen Leidensdruck beklagen und oft keine spezifische
Behandlung erhalten. Der Begriff „chronische Suizidalität“ ist aber unscharf definiert
und es ist unklar, welche Implikationen sich z. B. bei der Beurteilung der Suizidalität
oder der Behandlung ableiten lassen.
Methode Chronische Suizidalität wird anhand der vorhandenen Literatur aus verschiedenen Perspektiven
beleuchtet: Psychologische Mechanismen und Hintergründe, Neurobiologie, Therapie sowie
die klinische Einschätzung des Suizidrisikos.
Ergebnisse Es gibt keine belastbaren Hinweise, dass psychologische Funktionen bei akuter und
chronischer Suizidalität prinzipiell verschieden sind. Der Begriff „chronisch“ zeigt
aber möglicherweise zusätzlich auf, dass bei einem Betroffenen psychobiologische Verstärkermechanismen
zur Aufrechterhaltung, bzw. Wiederkehren der Symptomatik beitragen. Die dialektisch-behaviorale
Therapie sowie die Akzeptanz-Commitment-Therapie haben sich bei der Behandlung chronisch
suizidaler Symptomatik wirksam gezeigt, sind aber noch zu wenig diagnoseübergreifend
im Einsatz, bzw. wissenschaftlich überprüft. Für die Einschätzung des Schweregrades
der Suizidalität soll der Begriff „chronisch“ nicht verwendet werden.
Diskussion Die vorliegende Übersicht versucht, die unterschiedlichen Aspekte zur chronischen
Suizidalität zu beleuchten, erhebt aber nicht den Anspruch umfassend zu sein und ist
aufgrund einer begrenzten Zahl spezifischer Studien unvollständig. Auch vor dem Hintergrund
der hohen individuellen Krankheitslast und der Grenzen im aktuellen Versorgungsangebot
besteht deutlicher Forschungsbedarf, um spezifische antisuizidale Interventionen Patienten
mit chronischer Suizidalität zugänglich zu machen.
ABSTRACT
Background While suffering from a high burden of disease and seldom receiving specific treatment,
chronically suicidal patients challenge health care providers. Nevertheless, the definition
of “chronic suicidality” is fuzzy according to current literature, and it is unclear
what it implicates with respect to suicide risk and treatment.
Methods Different perspectives of chronic suicidality are presented including psychological
mechanisms and motives, neurobiology, therapy, and the assessment of suicide risk.
Results Data do not assume that acute and chronic suicidality differ with respect to psychological
functions. Nevertheless, “chronic“ implies potential reinforcement mechanisms that
are responsible for the development and maintenance of suicidal symptomatology. The
Dialectic Behavioral Therapy and Acceptance Commitment Therapy have shown to reduce
suicidality in chronic suicidal patients while they are not yet sufficiently
applied and validated across diagnoses. The term “chronic” may not be used to stratify
patient’s suicide risk.
Discussion While different aspects of chronic suicidality are highlighted, several others are
not. Further, there is a lack of clinical studies that are urgently needed to improve
availability of effective anti-suicidal interventions and reduce the individual burden
of disease.
Schlüsselwörter
Chronische Suizidalität - Borderline-Persönlichkeitsstörung - Verstärker - Verhaltensanalyse
- DBT
Key words
Chronic suicidality - borderline personality disorder - reinforcement - behavioral
analysis - DBT