Rofo 2022; 194(04): 441-444
DOI: 10.1055/a-1752-7099
Radiologie und Recht

Die rechtfertigende Indikation nach dem geänderten Strahlenschutzrecht

 

I. Einführung

Die Stellung der rechtfertigenden Indikation ist für den Radiologen bei der Abwägung des Einsatzes ionisierender Strahlung am Menschen eine tagtägliche Tätigkeit. Rechtliche Fehler bei der Stellung der rechtfertigenden Indikation bieten zunehmend ein erhebliches Risiko, das nicht im Strahlenschutzrecht liegt, sondern im Honorarrecht. Verstöße gegen rechtliche Vorgaben können zu einem Abrechnungsbetrug führen, selbst wenn jede Gefährdung eines Patienten ausgeschlossen ist. Besonders durch die letzten Änderungen im Strahlenschutzgesetz hat sich die Gefahr deutlich erhöht, dass Leistungen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung aus formalen Gründen nicht mehr abrechnungsfähig sind. Mögliche Ursachen können sein, dass gerade schlicht viel zu tun war oder die Uhrzeiten der Röntgengeräte von der Uhrzeit des Praxissystems abwichen. Es kann bei der Leistungserbringung schnell der täuschende Schein entstehen, der Radiologie sei nicht gesetzestreu verfahren. Das Stellen einer rechtfertigenden Indikation steht seit dem 05.06.2021 unter strengeren Anforderungen und dabei besonders die Dokumentation, die nach dem Strahlenschutzgesetz zusätzlich die Angabe des Zeitpunkts der Indikationsstellung beinhaltet.


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II. Rückblick: Urteil des Landgerichts Saarbrücken

Ansatz für die neue Fassung des Strahlenschutzgesetzes (StrlSchG) vom 05.06.2021 war die durch das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 19.11.2019, Az. 2 KLs 5/18 ausgelöste Debatte des Bundestages zur Konkretisierung der Anforderungen an die rechtfertigende Indikation bei Anwendung von ionisierten Strahlen. Das Urteil hatten wir in dem RöFo-Beitrag Radiologie & Recht September 2020, Seite 890–893 genauer besprochen.

Die Radiologen hatten Leistungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet, die mangels Stellung einer rechtfertigenden Indikation vor der Behandlung nicht abrechnungsfähig waren. Ausgangspunkt für diese Annahme ist die Präambel 34 Ziffer 1 EBM, nach der Leistungen nur abrechnungsfähig sind, wenn ihre Durchführung unter Maßgabe der Strahlenschutzverordnung und anderen Regelungen gem. § 126 SGB V i. V. m. § 92 Abs. 1 SGB V erfolgt.

Die Radiologen hatten nach Auffassung des Landesgerichts Saarbrücken gegen § 23 Abs. 1 RöV verstoßen, da der erste Kontakt zwischen Facharzt und Patient erst nach der Röntgenuntersuchung stattgefunden haben sollte. Der Untersuchungsablauf war nach dem Landgericht verkürzt wie folgt abgelaufen.

Patienten vereinbarten telefonisch einen Termin unter Abfrage der Art der Untersuchung (CT/Röntgen) und des zu untersuchenden Körperteils. Am Untersuchungstag legten die Patienten den Überweisungsschein des überweisenden Arztes vor und erhielten von den Mitarbeitern einen Fragebogen „Computertomographie“ oder „Röntgen“, sowie ein Schreiben mit Angaben zur Untersuchungsdurchführung, Risiken und mögliche Nebenwirkungen der geplanten CT-Untersuchung, gegebenenfalls auch der kontrastverstärkten CT-Untersuchung. Am Ende des Fragebogens wurde durch Unterschrift der Patienten ihr Einverständnis für die geplante Untersuchung bestätigt und erklärt, dass derzeit keine weiteren Fragen bestanden. In der Regel waren diese Fragebögen von den Ärzten blanko vorunterschrieben worden. Nach Rückgabe der Fragebögen und des Aufklärungsbogens an die Anmeldung der Praxis wurde eine Patientenakte angelegt. Überweisungsschein, Fragebogen und etwaige bereits aus der Vergangenheit vorhandene Befundberichte wurden anschließend in den Untersuchungsbereich verbracht. Im Anschluss an die Untersuchung wurde der Patient in das Arztzimmer gebracht, wo die Radiologen zum ersten Mal mit dem jeweiligen Behandlungsvorgang in Berührung gekommen sind.

Abgesehen von den Fällen, in denen der Radiologe vor der Untersuchung mit dem Patienten sprach, der Überweiser den Kontakt gesucht hatte, Notfälle zu versorgen oder offene Fragen bei der Untersuchung zu beantworten waren oder der Überweisungsschein vom Patienten im Vorfeld der Untersuchung gefaxt oder auf sonstigem Wege in die Praxis gebracht wurde, lag nach Ansicht des Landgerichtes keine rechtfertigende Indikation vor. Die Leistungen waren in der Folge nach Präambel 34 Ziffer 1 EBM nicht abrechnungsfähig. Da die Radiologen dennoch die Leistungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abrechneten, machten sie sich nach Ansicht des Landgerichts wegen (Abrechnungs-)Betruges strafbar.


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III. Neuerung des § 85 StrlSchG

Ausgelöst durch den oben genannten Fall entstand letztlich beim Gesetzgeber das Bedürfnis nach einer Konkretisierung der Regelung zum Strahlenschutz. Die in dem Urteil herangezogene Regelung der RöV existiert nicht mehr, ist jedoch durch § 119 Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) ersetzt und entspricht sich weitgehend.

Grundlage für die Strahlenschutzgesetze und -verordnungen ist die EU-Richtline aus 2013 2013/59/Euratom. Auf Basis dessen wurde zunächst am 27.06.2017 das Strahlenschutzgesetz erlassen. Es erfolgten einige kleinere Änderungen im Zeitraum bis Mitte 2021. Mit der letzten Änderung vom 20.05.2021 geht nun einher, dass gem. § 85 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StrlSchG zusätzlich zur Dokumentation der rechtfertigenden Indikation auch deren Zeitpunkt festgehalten werden muss.

Zwischen den Regelungen der EU-Richtlinie 2013/59/Euratom und dem nationalen Recht bestehen Unterschiede. Gem. Art 55 Abs. 2b 2013/59/Euratom ist die rechtfertigende Indikation im Voraus der Behandlung zu stellen. Eine allgemeine Dokumentationspflicht ergibt sich nicht direkt, sondern kann allenfalls aus Art 58b 2013/59/Euratom abgeleitet werden, da „Angaben zur Patientenexposition Teil des Berichts über das medizinisch-radiologische Verfahren sind“. Nur in einigen speziellen Fällen soll eine Dokumentation erfolgen, bei „jedem medizinisch-radiologische Verfahren, das bei einer asymptomatischen Einzelperson zur Früherkennung einer Krankheit angewendet wird, Teil einer Reihenuntersuchung ist oder eine von der anwendenden Fachkraft nach Beratung mit der überweisenden Person erstellte spezielle dokumentierte Rechtfertigung für diese Person erfordert“ (Art 55 Abs. 2 h 1. HS 2013/59/Euratom). Zudem sind nach Art 55 Abs. 2 d und 57 Abs. 1c 2013/59/Euratom ausdrücklich die anwendende Fachkraft und die überweisende Person verantwortlich. Im Unterschied dazu ist auf nationaler Ebene allein die anwendende Fachkraft verantwortlich.

Auf nationaler Ebene gehen die Regelungen weiter und eine Dokumentationspflicht besteht grundsätzlich und nun zusätzlich für den Zeitpunkt der Indikationsstellung. Eine erste Änderung in der neuen Fassung des § 85 StrlSchG ist die korrekte und durchgängige Bezugnahme auf die Person des Strahlenschutzverantwortlichen und nicht des Strahlenschutzbeauftragten oder des Anwenders.

Die wichtigste Änderung ist die eingeführte Dokumentationspflicht, die nun auch den Zeitpunkt der Indikationsstellung umfasst. So führt der Bundesrat als Begründung an, dass sich

„aus der Vollzugspraxis [...] die Notwendigkeit ergeben hat, den Strahlenschutzverantwortlichen dazu zu verpflichten, dafür zu sorgen, dass die rechtfertigende Indikation zeitnah und einschließlich des Zeitpunkts der Indikationsstellung dokumentiert wird. Es kann nicht im Interesse eines geordneten Verfahrens liegen, wenn rechtfertigende Indikationen mit großem zeitlichem Abstand zur Indikationsstellung und zu den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls dokumentiert werden, womöglich summarisch und pauschal i. S. einer lästigen Buchhaltung am Ende von Abrechnungsquartalen. Es kann auch nicht ausreichen, wenn die anwendenden Ärzt*innen sich pauschal darauf berufen können, die erforderliche rechtfertigende Indikation vor jeder Anwendung am Menschen (jedenfalls gedanklich) gestellt zu haben. Das Instrument der rechtfertigenden Indikation beinhaltet die Feststellung, dass der Nutzen der einzelnen Anwendung gegenüber dem Strahlenrisiko überwiegt, darauf gestützt die Entscheidung, dass und auf welche Weise die Anwendung durchzuführen ist (§ 83 StrlSchG). Für eine sinnhafte Ausfüllung dieses zentralen Schutzinstruments bei der Anwendung am Menschen ist es unerlässlich, dass Willensbildung und Entscheidung der anwendenden Ärzt*innen in jedem Einzelfall zeitnah nach Stellen der Indikation auch dokumentiert werden, wenn die jeweiligen Besonderheiten des Falls/der Patient*innen noch präsent sind. Insbesondere in strittigen Fällen besteht sonst auch die Gefahr von Manipulationen an der Indikationsstellung ex post.“
(Bundesrat-Drucksache 24/1/21 vom 29.01.2021)

Auf die durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) gegen den Änderungsvorschlag erhobenen Einwände, die Exposition und Dosis könnten erst später dokumentiert werden und die Verpflichtung unverzüglich zu dokumentieren könne ohnehin die Aufzeichnung im Nachhinein nicht verhindern, wird vom Bundesrat eingewandt, sie würden nicht überzeugen, da die Pflicht zur unverzüglichen, also ohne schuldhaftes Zögern vorzunehmende Dokumentation den diesbezüglich frühesten Zeitpunkt berücksichtige. Exposition und Dosis wären somit unverzüglich nach Erhebung zu dokumentieren. Zudem mache die Möglichkeit, gegen eine Verpflichtung zu verstoßen, sie nicht schon per se obsolet. Diese Problematik ergäbe sich auch hinsichtlich weiterer im StrlSchG festgeschriebenen Verpflichtungen.


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IV. Praxisbezug und Probleme

Unverändert ist die individuelle Stellung der rechtfertigenden Indikation zum Zweck des Schutzes von Menschen bei Verfahren mit ionisierenden Strahlungen erhalten geblieben. Dem Schutz ist es immanent, dass immer eine konkrete Abwägung des Falles stattfinden muss, ob andere Untersuchungsverfahren mit vergleichbarem gesundheitlichem Nutzen zur Verfügung stehen, die mit keiner oder geringerer Strahlenexposition verbunden sind. Diese Abwägung ist ein wesentliches und respektables Anliegen im Strahlenschutz. Aus der neuen Fassung des StrlSchG und der erweiterten Dokumentationspflicht aus § 85 StrlSchG ergeben sich nunmehr verschiedene Probleme in der praktischen Anwendung.

§ 85 Abs. 1 StrlSchG lautet in Auszügen, die Neuerungen sind unterstrichen:

„Der Strahlenschutzverantwortliche hat dafür zu sorgen, dass über die Anwendung ionisierender Strahlung oder radioaktiver Stoffe am Menschen unverzüglich Aufzeichnungen angefertigt werden. Die Aufzeichnungen müssen Folgendes enthalten:
1. Angaben zur rechtfertigenden Indikation und den Zeitpunkt der Indikationsstellung,
2. […]
3. Angaben zur Exposition […],
4. den erhobenen Befund einer Untersuchung […]“

Aus dem Wortlaut ergibt sich keine Verpflichtung zur sofortigen Aufzeichnung, da das Wort „unverzüglich“ im üblichen rechtlichen Sprachgebrauch lediglich ein Handeln „ohne schuldhaftes Zögern“ voraussetzt. Sind zunächst andere vorrangigere Handlungen in der Praxis vorzunehmen, so ist keine sofortige Dokumentation vorzunehmen. Solange die rechtfertigende Indikation vor der Behandlung stattgefunden hat, kann deren Dokumentation innerhalb eines Zeitraumes „ohne schuldhaftes Zögern“, also auch erst nachträglich erfolgen. Zumal die vollständigen gesetzlich geforderten Aufzeichnungen die Angaben zur Exposition und den erhobenen Befund umfassen und diese Informationen erst nach der Untersuchung vorliegen können. Da die Aufzeichnungen mehr als den Zeitpunkt der Stellung der rechtfertigenden Indikation enthalten müssen und die Aufzeichnungen als Gesamtheit unverzüglich anzufertigen sind, erfüllen die Aufzeichnungen die Anforderungen des Strahlenschutzrechtes nicht, selbst wenn eine sofortige Dokumentation des Zeitpunktes der Stellung der rechtfertigenden Indikation erfolgt wäre und der Befund aber erst in acht Wochen vorliegen würde. Daher muss zwar der Zeitpunkt der Stellung der rechtfertigenden Indikation dokumentiert werden, aber anders als die Stellung der rechtfertigenden Indikation muss die Dokumentation der Stellung der rechtfertigenden Indikation nicht vor der Untersuchung erfolgen. Der Bundesrat begründet die Änderung selbst nur damit, dass die Dokumentation der rechtfertigenden Indikation zeitnah erfolgen soll.

Es gibt keine klaren Vorgaben, welche Zeitspanne „ohne schuldhaftes Zögern“ erfasst. In zivilrechtlichen Fällen sind regelmäßig bis zu zwei Wochen als vertretbar angesehen worden. In dem konkreten Kontext von Röntgenuntersuchungen oder generell medizinischen Untersuchungen erscheint die Annahme dieses langen Zeitraums allerdings unangemessen und fehleranfällig. § 630f BGB regelt die Verpflichtung zur Dokumentation der Behandlung und dort heißt es in Absatz 1 Satz 1, dass „zum Zwecke der Dokumentation in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung“ eine Patientenakte zu führen ist. Zwar nimmt der Bundesrat in seiner Begründung keinen Bezug auf das Bürgerliche Gesetzbuch und rechtliche Begriffe weichen je nach Rechtsgebiet voneinander ab, aber ein pragmatischer Ansatz wäre immerhin das „unverzüglich“ als im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zu verstehen.

Bei einer Dokumentation der rechtfertigen Indikation per Software erfolgt der Zeiteintrag durch den Zeitstempel des Eintrages in der digitalen Patientenakte. Sofern die Praxissoftware die rechtfertigende Indikation nicht dokumentiert oder nicht mit einem Zeiteintrag versieht, kann es zu Schwierigkeiten kommen. Nach § 85 Abs. 1 S. 3 StrlSchG sind die Aufzeichnungen gegen unbefugten Zugriff und unbefugte Änderung zu sichern. Änderungen sind daher nur dahingehend möglich, dass ein weiterer Eintrag erfolgt, der einen früheren Eintrag korrigiert, ohne diesen früheren Eintrag zu löschen. Eine Abweichung in der Systemzeit und unzutreffender Zeitstempel wird daher regelmäßig nicht oder zumindest nicht ohne Weiteres durch den Anwender zu beheben sein und daher bestehen bleiben. Trauen Ermittlungsbehörden dann der Technik einschließlich der Software und nicht dem Beschuldigten, besteht der täuschende Anschein, es läge ein Fehler im Hinblick auf die Anfertigung der Aufzeichnung vor oder die Stellung der rechtfertigenden Indikation wäre zu einem anderen Zeitpunkt erfolgt.

Ein weiteres Problem ergibt sich in der Praxis, weil verschiedene Geräte verschiedene Systemzeiten anzeigen können und bei der manuellen Erfassung des Zeitpunktes der Stellung der rechtfertigenden Indikation die auf der Armbanduhr angezeigte Uhrzeit von der Standardzeit abweicht. Dies kann zu dem Fall führen, dass die rechtfertigende Indikation zwar korrekt vor der Behandlung gestellt wurde, das CT jedoch einen anderen Zeitpunkt, der vor dem Zeitpunkt der Stellung der rechtfertigen Indikation liegt, angibt. Das Zeiterfassungsproblem besteht daher nicht nur in Bezug auf die Standardzeit, sondern auch relativ zwischen den verschiedenen Computersystemen einer Radiologie und ggf. dem Kooperationspartner. Besonders bei vielen relativ kurzfristigen Behandlungsabfolgen, wie beim konventionellen Röntgen, könnte dies im Ergebnis – unberechtigt – dazu führen, dass der Schein erweckt wird, die rechtfertigende Indikation wäre nicht ordnungsgemäß vor der Untersuchung gestellt worden.

Zudem hat der Strahlenschutzverantwortliche die zuvor genannten Aufzeichnungen nicht selbst vorzunehmen; jedenfalls dann nicht, wenn der Strahlenschutzverantwortliche nicht zugleich untersuchender Radiologe ist. Das ist vor dem Hintergrund, dass der Strahlenschutzverantwortliche auch eine juristische Person, also eine Gesellschaft wie ein Krankenhaus oder eine MVZ GmbH sein kann, die durch eine Person ohne medizinische Kenntnisse vertreten werden kann, konsequent. Es führt aber zu weiteren Abgrenzungsschwierigkeiten. Denn auf der einen Seite kann der Strahlenschutzverantwortliche dafür sorgen, dass unverzüglich Aufzeichnungen angefertigt werden; mit anderen Worten hat der Strahlenschutzverantwortliche die Organisation zu schaffen oder aufrechtzuerhalten, also alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, damit die Aufzeichnungen durch die untersuchenden Radiologen unverzüglich angefertigt werden können. Gleichwohl kann es auf der anderen Seite dazu kommen, dass der jeweilige Behandler die Aufzeichnungen im Einzelfall dennoch nicht unverzüglich anfertigt. Dies wäre dann kein grundsätzlicher Verstoß gegen die Vorgabe des Strahlenschutzgesetzes. In diesen Einzelfällen liegt dann auch kein Verstoß gegen die Abrechnungsbestimmungen des einheitlichen Bewertungsmaßstabes vor.


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V. Fazit

Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, sind die nationalen Regelungen deutlich weitreichender und mit engeren Voraussetzungen verbunden, als dies nach der EU-Richtlinie vorgegeben ist. Zudem ist die neue Formulierung so unscharf, dass sie einer Auslegung bedarf. Auslegungen sind mit einer Rechtsunsicherheit für den Anwender verbunden, wenn es keine Konkretisierungen durch die Gerichtsbarkeiten gibt. Bei neuen Gesetzen oder Änderungen von Gesetzen fehlen häufig, wie dies hier der Fall ist, gerichtliche Entscheidungen, die den Radiologen helfen, die notwendigen Regelungen des Strahlenschutzes einhalten zu können. Das macht es für den Anwender von ionisierenden Strahlungen schwierig. Die Folgen von Verstößen können gravierend sein, wie aus der Entscheidung des Landgerichtes Saarbrücken hervorgeht.

Auch wenn bei den Strafgerichten der Grundsatz in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten – gilt, so ist man nicht davor geschützt, dass ein Gericht die Behauptung von abweichenden Systemzeiten als Schutzbehauptung abtut, weil sich nach Jahren objektiv kaum mehr ermitteln lässt, wie sich die verschiedenen Systemzeiten zu einander verhielten. Außerdem findet dieser Grundsatz im Sozialrecht keine Anwendung und dort müsste der Radiologe im Regressverfahren nachweisen müsste, dass die Stellung der rechtfertigenden Indikation vor der Untersuchung erfolgt ist.

Vor diesem Hintergrund erscheint es ratsam, vorsichtshalber mehr zu kontrollieren, ob ordnungsgemäß im Sinne des neuen Strahlenschutzgesetzes verfahren und die Dokumentationspflicht einschließlich der relevanten Zeitpunkte beachtet wird. Zur Vermeidung von Risiken sollte die Umsetzung der Dokumentation möglichst zeitnah erfolgen. Festzuhalten ist dabei die Uhrzeit der Stellung der rechtfertigenden Indikation. Erfolgt die Dokumentation nicht softwaregestützt, bleibt kaum eine andere Wahl, als die Uhrzeit sofort an einer geeigneten Stelle zu notieren. Dokumentiert werden sollte grundsätzlich in bestimmten z. B. wöchentlichen Standardprozeduren, ob die Systemzeiten abweichen oder nicht und welche Abweichung besteht. Die Änderung des Strahlenschutzgesetzes verursacht im Ergebnis mehr Aufwand für die Radiologen und bringt mehr Unsicherheit.

René T. Steinhäuser
Rechtsanwalt

Tilmann Kirsch
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
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Article published online:
28 March 2022

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