Einleitung
Distale Radiusfrakturen (DRF) sind Ursache der meisten Behandlungsfehlervorwürfe nach
Hand- und Handgelenksverletzungen. So betrafen 48 % aller von 1995 bis 2001 bei der
britischen National Health System Litigation Authority registrierter Behandlungsfehlervorwürfe
nach Hand- und Handgelenksverletzungen distale Radiusfrakturen, gefolgt von Karpaltunnelspaltungen
mit 22 % [1]. Betrachtet man nur jene Fälle mit operativer Behandlung, waren Behandlungsfehlervorwürfe
nach Karpaltunneldekompression führend. Häufigste Ursache für Behandlungsfehlervorwürfe
nach distalen Radiusfrakturen ist die Ausheilung der Fraktur in Fehlstellung [2]. Von 584 von 2007 bis 2011 in Finnland erhobenen Behandlungsfehlervorwürfen nach
distalen Radiusfrakturen wurden 208 (38 %) als berechtigt anerkannt und entschädigt,
dabei lag in 103 Fällen ein Diagnostikfehler, in 87 Fällen ein Indikationsfehler und
in 91 Fällen eine technisch fehlerhafte Behandlung vor [3].
Vor diesem Hintergrund untersucht die vorliegende Arbeit Behandlungsfehlervorwürfe
nach distalen Radiusfrakturen auf ihre Häufigkeit, Ursache und Berechtigung – mit
dem Ziel, die Zahl an Behandlungsfehlervorwürfen nach distalen Radiusfrakturen zukünftig
zu verringern.
Material und Methoden
Aus dem Behandlungsfehlerregister eines öffentlichen überregionalen Krankenhausträgers
wurden anhand des ICD-10 Codes S 52.5 alle Fälle von Behandlungsfehlervorwürfen nach
distaler Radiusfraktur, die im Zeitraum von 2007 bis 2017 abgeschlossen wurden, ermittelt.
Die zugehörigen Patientenunterlagen, inklusive der Röntgenaufnahmen, Gutachten, Stellungnahmen
und abschließenden Bescheiden wurden ausgewertet. Ausgeschlossen wurden verjährte
Fälle, solche mit unvollständigen Unterlagen, wie fehlende relevante Röntgenaufnahmen
sowie Fälle, in denen zwar eine distale Radiusfraktur behandelt worden war, diese
jedoch nicht Gegenstand der Beschwerde war. Ausgeschlossen wurden auch Fälle, die
Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren betrafen.
Folgende Parameter wurden ausgewertet: Alter und Geschlecht der Beschwerdeführer,
Typ der Radiusfraktur nach der AO-Klassifikation, Art der Behandlung, konkreter Behandlungsfehlervorwurf,
beklagte Beschwerden und ob ein Behandlungsfehler anerkannt wurde oder nicht.
Ergebnisse
Insgesamt wurden 14 853 DRF im Studienzeitraum behandelt, davon 6112 stationär und
8741 ambulant. In 44 Fällen resultierten Behandlungsfehlervorwürfe (0,3 % aller behandelter
DRF). 9 Fälle wurden von der Untersuchung ausgeschlossen; 2 aufgrund von Verjährung,
3 aufgrund fehlender Röntgenbilder und 4, da der Behandlungsfehlervorwurf nicht die
distale Radiusfraktur betraf. Somit verblieben 35 Streitfälle, in 11 (31 %) davon
wurde ein Behandlungsfehler anerkannt, was bezogen auf die Gesamtzahl behandelter
DRF 0,07 % ausmacht.
Der Median der Behandlungsdauer betrug 4 Monate (1–24; IQR = 7), der Median der Zeitspanne
zwischen dem Zeitpunkt der Verletzung und der Antragstellung 17 Monate (5–38; IQR = 15)
und der Median der Verfahrensdauer 9 Monate (2–30; IQR = 9).
Das durchschnittliche Patientenalter der Beschwerdeführer lag bei 57 (22–91; SD = 16,2)
Jahren. Die meisten Behandlungsfehlervorwürfe wurden mit 43 % von Patienten der Altersgruppe
zwischen 50 und 59 Jahren vorgetragen und von Frauen (n = 22 = 63 %).
Nach der AO-Klassifikation handelte es sich bei den streitgegenständlichen Frakturen
um 19 (54 %) A-Frakturen (13 A.2- und 6 A.3-Frakturen), 2 B.1- und 14 C-Frakturen
(1 C.1-, 5 C.2- und 8 C.3-Frakturen). 11-mal (31 %) erfolgte eine rein konservative
Behandlung, 13-mal (38 %) primär (prim.) eine konservative und im Verlauf operative
Behandlung und 11-mal (31 %) eine primär operative Behandlung.
Von den 11 rein konservativ behandelten Frakturen wurden 8 geschlossen reponiert,
davon 6 im Unterarmspaltgips (UASG) und 2 im Oberarmspaltgips (OASG) ruhiggestellt.
Von den verbleibenden 3 nicht repositionsbedürftigen Frakturen wurden 2 mittels elastischer
Bandage und 1 mittels dorsaler Unterarmgipslonguette (UAGL) fixiert.
Von den 13 initial konservativ und im Verlauf operierten Fällen wurden 12 geschlossen
reponiert, davon wurden 11 im UASG und 1 im OASG fixiert. In dem 1 verbleibenden Fall
erachtete sich primär eine Reposition nicht als notwendig und die DRF wurde direkt
im UASG fixiert.
Von diesen 13 im Verlauf operierten Fällen wurden 2 von dorsal und 9 von palmar verplattet,
von den palmar verplatteten 3 in Kombination mit einer Spongiosaplastik. Zudem wurden
in der Gruppe der sek. operierten DRF in 2 weiteren Fällen einmal eine Denervierung
und einmal eine Extensor-indicis-Plastik durchgeführt.
In den verbleibenden 11 mittels primärer ORIF behandelten Fällen wurden 2 von dorsal
verplattet in Kombination mit einer Spongiosaplastik, 7 von palmar und 2 mittels Fixateur
externe behandelt.
In 11 Fällen lag zusätzlich ein Abriss des Processus styloideus ulnae vor. Hiervon
wurde in 5 Fällen geschlossen reponiert und 3 im OASG und 2 im UASG fixiert. In 2 Fällen
wurde initial geschlossen reponiert, im UASG fixiert und im Verlauf operiert und in
4 Fällen wurde umgehend operiert.
Von den 24 rein konservativ bzw. initial konservativ behandelten Patienten nannten
23 (92 %) einen verlängerten Behandlungsverlauf als Beschwerdegrund.
Zurückzuführen war dieser laut 19 Patienten (76 %) auf ein Versäumnis einer primär
indizierten Operation, laut 2 weiterer Patienten (8 %) auf ein verspätetes Erkennen
der DRF und entsprechend 2 weiterer Patienten (8 %) auf ein verspätetes Erkennen einer
Ruptur der Extensor-Pollicis-Longus-Sehne (EPL). Ein weiterer Patient (4 %) beklagte,
dass eine verfrühte Gipsabnahme zu einer sekundären Dislokation führte ([
Tab. 1
]).
Tab. 1
Beschwerdegründe bei konservativen Frakturbehandlungen.
|
Beschwerdegrund
|
n
|
(%)
|
unbegründet
|
begründet
|
|
Verzögerung der Behandlungsdauer durch
-
Versäumung einer prim. ORIF
-
verspätetes Erkennen einer DRF
-
verspätetes Erkennen einer EPL-Sehnenruptur
|
23
19
2
2
|
(92)
(76)
(8)
(8)
|
17
13
2
2
|
(74)
(68)
(100)
(100)
|
6
6
-
-
|
(26)
(32)
-
-
|
|
Sek. Dislokation durch verfrühte Gipsabnahme
|
1
|
(4)
|
-
|
-
|
1
|
(100)
|
|
total
|
24
|
(100)
|
17
|
(71)
|
7
|
(29)
|
Gutachterlich wurden bei 7/24 (29 %) der rein bzw. initial konservativ behandelten
Frakturen und bei 3/11 (27 %) der operativ behandelten Frakturen Behandlungsfehler
bestätigt.
In den Fällen der im initialen Röntgen nicht erkannten Frakturen wurde einmal eine
MRT-Empfehlung bei Beschwerdepersistenz von der Patientin nicht wahrgenommen, da sich
die Klinik als rückläufig erwies. Die Fraktur fiel 3 Wochen posttraumatisch bei einer
auswertig durchgeführten nativ radiologischen Kontrolle auf.
Auch im zweiten Fall wurde die DRF erst 4 Wochen posttraumatisch als beginnende knöcherne
Konsolidierung im Röntgen erkannt. In beiden Fällen führte die verspätete Diagnostik
nicht zu einem längeren Heilungsverlauf oder gar schlechteren Ergebnis und wurden
somit als unbegründet bewertet.
In den 2 Fällen mit EPL-Ruptur wurden Kontrolltermine von den Patienten nicht wahrgenommen,
sodass auch eine Metallentfernung bei Beschwerden trotz Aufklärung nicht erfolgte
und die Rupturen 8 Monate bzw. 3 Jahre posttraumatisch auffielen.
Die sekundäre Dislokation bei frühzeitiger Gipsabnahme wurde als Behandlungsfehler
anerkannt. Bei 4 der 24 rein bzw. anfänglich konservativ behandelten Patienten (17 %)
stuften die Gutachter das klinische Ergebnis als schlechter ein, wie dieses bei korrekter
Behandlung zu erwarten gewesen wäre.
Bei keinem der 11 Behandlungsfehlervorwürfe nach operativer Behandlung einer DRF wurde
die präoperativ schriftlich durchgeführte Aufklärung beanstandet. In 5 Fällen (46 %)
lautete der Vorwurf „sekundäre Dislokation“ bei Schraubenlockerung oder verfrühter
Abnahme eines Fixateur externes. Vier Patienten (36 %) beklagten einen Schraubenüberstand
über die dorsale Kortikalis des Radius bei palmarer Plattenosteosynthese mit Folge
einer EPL-Ruptur. Zwei Patienten (18 %) machten eine intraartikuläre Schraubenfehllage
für eine posttraumatische Arthrose und Krepitationen verantwortlich. Lediglich 3 (27 %)
der 11 Behandlungsfehlervorwürfe wurden als begründet beurteilt, nämlich die verfrühte
Abnahme des Fixateur externes, eine intraartikuläre Schraubenlage und eine sekundäre
Dislokation aufgrund von Schraubenlockerungen. Die EPL-Sehnenrupturen bei Schraubenüberstand
wurden in keinem Fall als Behandlungsfehler gewertet ([
Tab. 2
]).
Tab. 2
Beschwerdegründe bei operativen Frakturbehandlungen.
|
Beschwerdegrund
|
n
|
(%)
|
unbegründet
|
begründet
|
|
EPL-Sehnenruptur durch Schraubenüberstand
|
4
|
(37)
|
4
|
(100)
|
-
|
-
|
|
Sekundäre Dislokation durch Schraubenlockerung
|
3
|
(27)
|
2
|
(66)
|
1
|
(33)
|
|
Sekundäre Dislokation durch verfrühte Abnahme des Fixateurs
|
2
|
(18)
|
1
|
(50)
|
1
|
(50)
|
|
Arthrose durch intraartikuläre Schraubenlage
|
2
|
(18)
|
1
|
(50)
|
1
|
(50)
|
|
total
|
11
|
(100)
|
8
|
(73)
|
3
|
(27)
|
In 4 (11 %) der 35 Fälle wurde von Seiten der Gutachter ein Aufklärungsfehler bestätigt,
3-mal in Form einer nicht erfolgten Aufklärung über eine Behandlungsalternative, einmal
in Form einer fehlenden Risikoaufklärung. Drei Patienten trugen vor, dass sie sich
in Kenntnis darüber, dass eine Operation wahrscheinlich zu einem günstigeren Ergebnis
geführt hätte, für die Operation entschieden hätten, jedoch eine entsprechende auch
schriftlich vorliegende Aufklärung nicht erfolgt war. Ein Patient bemängelte, dass
er über das Risiko einer möglichen Sepsis bei operativer Versorgung der DRF bei bestehender
infizierter Rissquetschwunde nicht aufgeklärt wurde. Infolge der Frakturversorgung
bei infizierter Rissquetschwunde kam es zu einer starken Wundinfektion. In der Folge
waren in diesem Fall mehrere Revisionsoperationen und schließlich eine Teilversteifung
des Handgelenkes erforderlich. Von Seiten des Gutachters wurde es als glaubhaft beurteilt,
dass der Patient bei entsprechender Risikoaufklärung dem Eingriff nicht zugestimmt
hätte.
48 % der 35 Patienten gaben als Langzeitschäden chronische Schmerzen und 51 % dauerhafte
Bewegungseinschränkungen an ([
Abb. 1
]). Unter den 11 rein konservativ behandelten Patienten beklagten 64 % dauerhafte
Schmerzen und 55 % Bewegungseinschränkungen. Gutachterlich wurden Schmerzen und Bewegungseinschränkungen
als Folgen eines Behandlungsfehlers jedoch nur in einem Fall anerkannt. Die 13 primär
konservativ und im Verlauf operierten Patienten klagten zu 100 % über Schmerzen und
zu 77 % über Bewegungseinschränkungen als Folgen der vermeintlichen Fehlbehandlung.
Als solche wurden diese jedoch nur in 38 respektive 31 % eingestuft. Keiner der 11
primär operierten Patienten äußerte dauerhafte Schmerzen und nur 2 beklagten dauerhafte
Bewegungseinschränkungen (18 %). In beiden Fällen wurde gutachterlich zugunsten der
Patienten entschieden. In 4 Fällen kam es in der Folge zur Entwicklung eines CRPS,
hiervon handelte es sich bei 3 Fällen um rein konservativ behandelte DRF und in einem
Fall um eine erst im späteren Verlauf operierte DRF. Alle 4 Fälle wurden als schicksalhafte
Folgen einer möglichen Komplikation gewertet und entsprechend nicht als Behandlungsfehler
gesehen.
Abb. 1 Vorgeworfene Folgen vermeintlicher Behandlungsfehler und deren Häufigkeit.
Es wurde differenziert zwischen der Behandlung der Streitfälle in Form außergerichtlicher
Verfahren, Schlichtungsverfahren oder Gerichtsverfahren. In 15 Fällen (43 %) wurden
Schadensersatzleistungen gezahlt. Dies entspricht 0,11 % der insgesamt behandelten
DRF in der gesamten Steiermark. In 11 Fällen (31 %) waren Behandlungsfehler nachweisbar,
was 0,07 % der in der Steiermark behandelten DRF entspricht ([
Tab. 3
]). In den 4 übrigen Fällen wurde den Patienten aufgrund unterschiedlicher medizinischer
Ansichten der Streitbeteiligten mit der Folge eines unsicheren Verfahrensausgangs
nach einer Risikoeinschätzung eine Ablöse angeboten, da so höhere Prozesskosten und
weitere Gutachten vermieden werden konnten und sich dies aus ökonomischer Sicht günstiger
darstellte. In den verbleibenden 20 Fällen (57 %) kam es zu keiner Schadensersatzleistung.
Tab. 3
Gewährung von Schadensersatzleistungen.
|
Rechtsweg
|
n
|
(%)
|
unbegründet
|
begründet
|
|
außergerichtliches Verfahren
|
4
|
(11)
|
2
|
(50)
|
2
|
(50)
|
|
Schlichtungsverfahren
|
24
|
(69)
|
8
|
(33)
|
16
|
(66)
|
|
Gerichtsverfahren
|
7
|
(20)
|
5
|
(71)
|
2
|
(29)
|
|
total
|
35
|
(100)
|
15
|
(43)
|
20
|
(57)
|
Diskussion
Vorab als Limitation der Studie festzuhalten ist die hohe Dunkelziffer dieses Themas,
denn bei Weitem nicht jede medizinisch mangelhafte Behandlung führt zu einer Beschwerde
und nicht jede Beschwerde beruht auf einer fehlerhaften Behandlung. Es ist davon auszugehen,
dass eine Vielzahl von Behandlungsfehlern untergeht, da mutmaßlich ein Großteil der
Patienten Spätfolgen toleriert und den Weg der Beschwerde nicht in Erwägung zieht.
Die meisten DRF ereignen sich in einer bimodalen Altersverteilung entweder infolge
von Hochrasanztraumata in jungen Jahren, wie bei Verkehrs- oder Sportunfällen, oder
im Alter meist infolge von Bagatelltraumata [1].
Konkret bestätigt eine Studie mit insgesamt 155 353 untersuchten DRF in der Zeit von
2007 bis 2014, dass der größte Anteil (26 %) der DRF im Alter von 50–59 Jahren auftritt
[2]. Dazu passt vorliegend, dass knapp die Hälfte (43 %) der Beschwerden von Patienten
im Alter von 50–59 Jahren eingereicht wurden. Mosenthal und Mitarb. beschrieben zudem,
dass die Osteoporoserate und eine geringe Knochendichte in derselben Altersspanne
am höchsten ist und dass die Differenz zwischen der prozentualen Wahrscheinlichkeit
als Mann oder als Frau eine DRF zu erleiden genau in dieser Altersspanne postmenopausal
bedingt hinsichtlich der weiblichen Beteiligung am größten ist [2].
Lutz und Mitarb. stellten fest, dass 92 % aller Komplikationen nach behandelter DRF
ein Patientenkollektiv älter als 65 Jahre und weiblich betreffen [3]. Diesen Ergebnissen entspricht, dass vorliegend 63 % der Beschwerdeführer weiblich
sind.
Die hohe diagnostische Fehlerquote bei der Behandlung von DRF bestätigt eine finnische
Fallanalyse von Sandelin und Mitarb. von insgesamt 208 Streitfällen mit insgesamt
50 %. Darüber hinaus wurden in 53/208 Fällen (25 %) bei korrekter Diagnosestellung
unbefriedigende Frakturstellungen akzeptiert [4]. Doch auch zahlreiche andere Autoren heben dieses Manko der ärztlichen Praxis hervor
[5], [6], insbesondere Singh und Graber deklarierten Mängel bei der Diagnosestellung als
einer der häufigsten und die Patientensicherheit am stärksten negativ beeinflussende
Faktoren [7]. Tatsächlich wurden in der aktuellen Studie auch in 8 Streitfällen (23 %) die Behandlungsfehler
laut Gutachten damit begründet, dass die Frakturstellungen von den als akzeptabel
geltenden radiologischen Vorgaben abwichen und dies irrtümlicherweise aufgrund Versäumnisses
einer OP-Indikation keine chirurgische Korrektur zur Folge hatte.
Die Häufigkeit an radiologischen Mängeln der Diagnosestellung belegt eine Notwendigkeit
einer Qualitätskontrolle in der Beschreibung von DRF, z. B. in Form von interdisziplinären
Radiologiebesprechungen und Fortbildungen.
Zudem sollte die Behandlung der DRF den Assistenten oder besser Fachärzten in handchirurgischer
Weiterbildung überlassen bleiben und nicht durch allgemeinchirurgisch ausgebildete
Ärzte erfolgen [8]. In der aktuellen Studie erfolgte die Behandlung stets durch Unfallchirurgen. Eine
Aussage über den Ausbildungsstatus des Arztes konnte retrospektiv nicht getroffen
werden. Auch im Rahmen der eingereichten Beschwerden wurden keine Vorwürfe seitens
der Patienten über den Ausbildungsstatus artikuliert.
Die operativen Behandlungsoptionen der DRF wurde in den letzten Jahrzehnten in der
Literatur kontrovers diskutiert [9]. Auch wenn die winkelstabile palmare Plattenosteosynthese mittlerweile als Goldstandard
gilt, birgt sie zahlreiche Komplikationsrisiken, wie EPL-Sehnenrupturen, Nervenläsionen,
Infektionen oder sekundäre Blutungen [2].
Die Inzidenz der EPL-Ruptur liegt bereits bei nicht-dislozierten Frakturen im Rahmen
der konservativen Behandlungen bei bis zu 5 % [10]. Bei einer palmaren Plattenosteosynthese steigt das Risiko einer Ruptur auf bis
zu 8,6 % [11]. Dieser Umstand ist zum Teil auch darauf zurückzuführen, dass operationsbedürftige
DRF in der Regel stärker disloziert sind als konservativ behandelbare. Doch abgesehen
davon stellt auch die Schwierigkeit des Erkennens einer möglichen Schraubenfehllage
mittels intraoperativer Durchleuchtung einen Grund für die höhere Inzidenz dar [12]. Der in 4/11 operierten Streitfällen (37 %) in unserer Studie am häufigsten genannte
Kritikpunkt einer EPL-Ruptur wurde aus gutachterlicher Sicht als ungerechtfertigt
bewertet.
Die Literatur zeigt bei palmarer Plattenosteosynthese eine Inzidenz für sekundäre
Dislokationen von 2,3 % [13]. Das Risiko einer Schraubenlockerung als Komplikation einer operativ behandelten
DRF wird in der Literatur nur spärlich benannt. Lediglich Foo und Mitarb. nahmen hierzu
Stellung und betonten jedoch, dass die Wahrscheinlichkeit einer Lockerung weniger
auf das Implantat selbst, sondern mehr auf die Komplexität der Fraktur, die Methode
der Osteosynthese und die postoperative Compliance der Patienten zurückzuführen sei
[14].
Die Komplikationsrate einer intraartikulären Schraubenlage wird in der Literatur mit
max. 3 % beschrieben [15]. Auch bei der Streitfallanalyse von Sandelin und Mitarb. betrafen von 208 Beschwerden
nur 7 (0,03 %) diesen Kritikpunkt. Präventiv wären aus unserer Sicht postoperative
CT-Aufnahmen oder die 20° laterale Schrägaufnahme geeignet, welche jedoch gemäß hiesiger
Gutachten offensichtlich nicht verpflichtend sind und diese Maßnahme auch in der Literatur
lediglich als optional angegeben wird. Unabhängig davon sind intraartikuläre Schraubenlagen
jedoch nicht ausschließlich iatrogen bedingt, sondern können auch Folge sekundärer
Dislokationen aufgrund schlechter Knochenqualität sein [15].
Zur Vermeidung intraartikulärer Schraubenlagen und Schraubenüberständen könnte eine
intraoperative Überprüfung mittels 3D-Fluoroskopie und Skyline view herangezogen werden
[16], [17]. Auch wäre hiermit das postoperative Ergebnis dreidimensional dokumentiert, sodass
eine fragliche sekundäre Dislokation leichter festzustellen und von einem möglichen
Behandlungsfehler abzugrenzen wäre. Demgegenüber stehen jedoch die erhöhte Strahlenbelastung
für die Patienten, der hohe Aufwand sowie die derzeit geringe Verfügbarkeit, wodurch
eine routinemäßige Anwendung derzeit nicht gerechtfertigt erscheint. Auch eine Sehnen-
oder Nervenläsion könnte hierdurch nicht erfasst werden. Letztendlich wird eine postoperative
CT-Aufnahme für Unklarheiten der nativ radiologischen Bildgebung vorbehalten bleiben,
sollte in jenen Fällen jedoch großzügig den Patienten angeraten werden. Inwieweit
intraoperative 3D-Fluorokopie in Zukunft angewendet wird, ist noch nicht absehbar.
Eine mangelhafte anatomische Rekonstruktion gilt mit bis zu 17 % aller Komplikationen
als die häufigste Komplikation einer DRF [18]. Vorliegend kritisierten 20/35 Patienten (60 %) eine Ausheilung der Fraktur in Fehlstellung.
In 18/35 Streitfällen (51 %) bestand der Vorwurf der Patienten weiterhin darin, dass
die bestehenden Spätfolgen, insbesondere die Bewegungseinschränkungen auf die Fehlstellung
zurückzuführen wären. Es besteht der Verdacht, dass diese Unabhängigkeit der anatomischen
Rekonstruktion von der klinischen Symptomatik dem medizinischen Laien nicht bewusst
ist, denn die Relevanz der anatomischen Wiederherstellung für ein gutes funktionelles
Ergebnis wird zumindest bei älteren Patienten für fragwürdig gehalten. Einige Studien
beweisen, dass die anatomische Wiederherstellung der DRF im Alter, zumindest bei extraartikulären
Frakturen, als nicht so stark mit dem funktionellen Ergebnis assoziiert gilt wie in
jungen Jahren. Insbesondere Lutz und Mitarb. beschäftigten sich ausschließlich mit
dem funktionellen Ergebnis behandelter DRF der älter als 65-Jährigen und legten dar,
dass die funktionellen Ergebnisse der konservativen und operativen Behandlung identisch
sind [3]. Dies führt dazu, dass die korrekte Behandlungsmethode der DRF zumindest bei extraartikulären
Frakturen im Alter nicht eindeutig geklärt ist.
In der bisherigen Literatur hat sich in Bezug auf das funktionelle Ergebnisse eine
Rekonstruktion der radiologischen Parameter mittels Operation im Vergleich zur geschlossenen,
konservativen Reposition als verlässlicher etabliert. Lutz und Mitarb. zeigten jedoch,
dass die Komplikationsrate bei operativer Behandlung höher ist als bei konservativer
Behandlung. Dies sei sowohl auf die sich anhäufenden Komorbiditäten als auch auf allgemeine
Operationsrisiken im Alter zurückzuführen [3]. Entscheidend für die Notwendigkeit einer Operation ist demnach nicht die radiologische
Fehlstellung, sondern primär, zumindest bei älteren Patienten, der Grad der klinischen
Funktionsbeeinträchtigung und auch diese muss abgewogen werden gegen die Schwere eines
offenen Eingriffs. Die eingetretenen Spätfolgen der hiesigen Beschwerdeführerinnen/-führer
sind somit nicht unbedingt in direktem Zusammenhang mit der anatomischen Stellung
der DRF zu sehen. Dies bestätigend konnte vorliegend auch zwischen Frakturen mit/ohne
Processus-styloideus-ulnae-Beteiligung und einer höheren Beschwerderate kein Zusammenhang
festgestellt werden.
Die am häufigsten genannten Spätfolgen in hiesiger Fallanalyse als auch bei Sandelin
und Mitarb. sind Schmerzen und Bewegungseinschränkungen (67 % bzw. 62 %) von insgesamt
584 analysierten Streitfällen [4]. Beide Faktoren sind jedoch stark einzelfallabhängig: Zum einen durch die Art der
Therapie und die Dauer der Ruhigstellung und zum anderen durch die Compliance hinsichtlich
physio- und ergotherapeutischer Mobilisation. Funktionelle Spätfolgen sind daher ohne
jegliche Informationen zu Mobilisationsbeginn, -dauer und -qualität schlecht übertragbar,
denn hierdurch wird das funktionelle Ergebnis nachgewiesen enorm verbessert [19].
Stellungnahmen zu Spätfolgen eines komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS), in
welchen einer zeitnahen anatomischen Rekonstruktion primär eine Schmerztherapie vorgezogen
wurde, sind nach aktuellen Angaben in der Literatur entgegen der gutachterlichen Sicht
als gerechtfertigt anzusehen. Gestützt wird dies durch Warwick’s Erkenntnis, dass
Patienten, welche insgesamt mit der Behandlung zufriedener waren nur mit einer 6 %igen
Prävalenz ein CRPS entwickelten und im Gegensatz dazu nicht vollends zufriedengestellte
Patienten zu 62 % betroffen waren [20]. Dies verdeutlicht den psychologischen Faktor der Entwicklung dieses Syndroms. Schmerzen
allgemein, im Speziellen das CRPS, beeinflussen zudem Bewegungsumfang und Kraft negativ.
Ein rechtzeitiges Erkennen und eine multidisziplinäre Herangehensweise, insbesondere
eine psychosomatische Intervention, Schmerzmanagement und Physio- sowie Ergotherapie
sind von höchster Bedeutung hinsichtlich eines guten funktionellen Ergebnis [21].
Bei 11 % der Streitfälle wurde die Aufklärung gutachterlich als unzureichend/fehlerhaft
deklariert. Bzgl. der Streitfälle der operierten Patienten lässt sich vermuten, dass
sich ein Großteil der Beschwerden bei ausführlicher und individuell angepasster Aufklärung
über mögliche Komplikationen erübrigt hätte.
Die zwischenmenschliche Beziehung sowie die Kommunikation üben einen entscheidenden
Einfluss auf die Zufriedenheit der Patienten aus [22]. Zum einen spielt die Art und Weise der Kommunikation eine wesentliche Rolle, was
Empathie, respektvollen Umgang, Menschlichkeit, Zugang, insbesondere Wartezeiten und
Termineinhaltungen sowie Erreichbarkeiten betrifft. Diese Kriterien sind für die Compliance
des Patienten und in der Folge auch für das Ergebnis von großer Bedeutung [23]. Auf der anderen Seite zählt auch das inhaltlich Kommunizierte, um die Erwartungen
der Patienten und auch die der Ärzte vor der Behandlung möglichst aneinander anzupassen.
Missverständnisse sollten durch bessere Kommunikation vermieden werden. McKay und
Mitarb. stellten eine Dissonanz zwischen den im Nachhinein von ärztlicher Seite berichteten
eingetretenen Komplikationen einer Behandlung und der Auffassung von Patientenseite
fest. Ärzte bewerteten Komplikationen mehr aus diagnostischer Sichtweise, präziser
in deren Differenzierung und mehr in der Anzahl, Patienten waren eher auf Symptome
fokussiert und konnten wenige Komplikationen auch eher nur vage beschreiben. Auch
waren Patienten weniger in der Lage früh eingetretene und bereits regrediente Komplikationen
im 6-Monats-Nachuntersuchungszeitraum zu benennen als Ärzte. Ebenfalls konnten Patienten
nicht differenzieren zwischen eingetretener Komplikation und unvollständiger Funktionsrückkehr
[24]. Dies bestätigt den Handlungsbedarf auf zwischenmenschlicher Kommunikationsebene,
bei der Sorgfalt der Aufklärungen und der Patientenführung.
Hinsichtlich der Aufklärungsproblematik hat es sich bewährt auch bei konservativen
Behandlungen einen Aufklärungsbogen unterschreiben zu lassen, wohlwissend, dass bei
jeglicher Änderung der klinischen Situation erneut eine unterzeichnungspflichtige
Dokumentation über Fortsetzung oder Adaptierung der Behandlung erfolgen muss. Bei
konservativen Routinetherapieverfahren, wie Gipsbehandlungen, war dies bisher nicht
üblich aufgrund des dadurch erhöhten bürokratischen Aufwands und der Belastung des
Alltagsbetriebs. Trotzdem wird dies mittlerweile in Praxen und Kliniken bereits umgesetzt.
Es ist jedoch fraglich, ob dies nicht außer Verhältnis steht zu den mit den Beschwerden
verbundenen Kosten und dauerhaften physischen und psychischen Belastungen der Patienten.
Ahmad und Mitarb. beschäftigten sich in ihrer Studie ausschließlich mit Aufklärungsbögen
für die DRF-Therapie und verdeutlichten die Notwendigkeit ihrer Überarbeitung für
eine laiengerechte Sprache [25]. Auch wenn die Tragweite der Dokumentation scheinbar in der heutigen Zeit kein Geheimnis
mehr zu sein scheint, lässt ihre Durchsetzung noch stets zu wünschen übrig. Schriftlich
Fixiertes räumt Zweifel aus dem Weg, muss nicht erneut hinterfragt werden, reduziert
die Notwendigkeit der Gutachtenerstellung und folglich der Kosten. Doch auch eine
korrekte Dokumentation ist nur so lange vor ihrer Anfechtung gefeit wie die Kommunikation
und die Zusammenarbeit mit dem Patienten funktioniert. U. a. wird die Beziehung zwischen
Arzt und Patienten unterschwellig von nicht ausreichend zur Verfügung stehenden Personalressourcen
beeinflusst. Über Zeitmangel beim Patientenkontakt und Misskommunikation entstehen
mangelndes Vertrauen, verminderte Compliance, Beschwerden und Klagen. Bis zu einer
Lösung dieses Problems muss dies über eine noch ernster genommene Beachtung der rechtlichen
Aufklärungs- und Dokumentationspflichten kompensiert werden.
Die Begutachtung ärztlichen Fehlverhaltens ist stets im Hinblick auf den ganzheitlichen
Ansatz im Rahmen der Krankenbetreuung zu hinterfragen. Nach dieser Sichtweise kann
sich unter der Berücksichtigung der individuellen Anamnese und der Komorbiditäten
eines Patienten ein Übergehen der für eine Operation sprechenden Instabilitätskriterien
als gerechtfertigt erweisen. Die Umsetzung dessen wird jedoch erschwert durch die
hohe Erwartungshaltung der Patienten. Schon der ehemalige Präsident der Ärztekammer
Nordrhein und der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, machte die
heutige Rechtspflege und Mittelknappheit für eine stark verändernde Arzt-Patienten-Beziehung
verantwortlich. Er beschrieb Ärzte mehr als Getriebene im Sinne von Dienstleistern
im Gegensatz zu selbstständigen Akteuren [26]. In ständiger Wachsamkeit und Absicherung gegen das dichte Geflecht aus Rechtsnormen
wird die ärztliche Praxis fremdgesteuert und Ärzte mutieren anstelle der ursprünglichen
Heiler zu Mängelverwaltern und Schadens-Beseitigern [26]. Diesen Wandel widerspiegelnd herrscht auch innerhalb der hiesigen Gutachten ein
strenger Faktenbezug bei der Beurteilung der Lege-artis-Behandlung. Vorschriften und
Pflichten, wie vorliegende Instabilitätskriterien bei der Indikationsstellung einer
Operation, sowie hohe Erwartungshaltungen der Patienten dominierten über ärztlichem
Ermessensspielraum und ließen nur noch bedingt ein Handeln nach eigenem Erfahrungsschatz
zu.
Erstmalig wurden auf der Basis medizinischer Gutachten Vorwürfe sowie tatsächlich
eingetretene Behandlungsfehler einer DRF dargestellt und diese mit ihren jeweiligen
Ursachen und Folgen für den Patienten explizit von allgemein möglichen Behandlungskomplikationen
abgegrenzt. Wir konnten aufzeigen, dass sich unter medizinischen, gesellschaftspolitischen
und finanziellen Aspekten eine weitere Investition in die Behandlungen distaler Radiusfrakturen
sowie eine interdisziplinäre Konsensbildung zwischen Recht und Medizin dem Patientenwohl
zuliebe als unumgänglich offenbart.
Anhand unserer Ergebnisse wird auch bei konservativer Frakturbehandlung die Notwendigkeit
einer ausführlichen, individuell an die Lebenssituation, das Aktivitätsniveau und
die daraus resultierenden Ansprüche an die Behandlung mit ihren Risiken und dem zu
erwartenden Ergebnis (radiologisch und/versus funktionell) angepasste Aufklärung des
Patienten deutlich.
Ein gut über alle Behandlungsoptionen und deren Bedingungen (wie Ruhigstellungsdauer,
Arbeitsunfähigkeit etc.) sowie über Vor- und Nachteile informierter Patient, der sich
nach Bedenkzeit zusammen mit seinem behandelnden Arzt für eine Behandlungsform entscheidet,
wird nach vorheriger schriftlicher Aufklärung weniger geneigt sein zu klagen.