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DOI: 10.1055/a-1712-1477
Der lange Weg einer Patientin mit Cryopyrinopathie
Die hier vorgestellte Patientin hatte von frühem Kindesalter an verschiedene Beschwerden, die über lange Zeit hinweg keinem bestimmten Krankheitsbild zugeordnet werden konnten. Als Baby im Alter von 5 Wochen kam es zu hohem Fieber. Zur weiteren Abklärung wurde damals eine Liquorpunktion durchgeführt, die einen unauffälligen Befund ergab. Die Ursache für das Fieber blieb ungeklärt. Es traten keine weiteren Fieberschübe auf.
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Vom 2.–12. Lebensjahr hatte sie starke bilaterale Gelenkschmerzen im Bereich von Knien und Hüften, welche auch das Gehen beeinflussten. Deshalb wurde sie immer wieder an der Klinik vorstellig. Von Seiten derer wurde allerdings keine definitive Diagnose gestellt. Auf Naproxen kam es zu einer prompten Besserung. Die Gelenkschmerzepisoden haben sich kurzzeitig spontan gebessert und sind auch in der Frequenz rückläufig geworden. Seit dem späten Teenageralter seien diese wieder vermehrt aufgetreten. Beim Tragen von Stiefeln und Bergschuhen in Kombination mit Bewegung und Reibung traten wiederholt Exantheme an den Füßen und Unterschenkeln auf ([ Abb. 1 ], [ Abb. 2 ]). Diese Problematik trat vor allem als Kind auf. Allerdings gab die Patientin an, dann nie mehr solche Schuhe getragen und auch keine Probleme mehr gehabt zu haben. Lediglich im Alter von 23 Jahren kam es beim Tragen von Stiefeln erneut zu solchen Effloreszenzen.
Ab dem 16. Lebensjahr traten migräneartige Kopfschmerzen auf (ca. 3- bis 4-mal pro Monat und von einer visuellen Aura begleitet). Mit 14 Jahren hat die Patientin erstmals eine leichte Hörminderung bemerkt. Ein Hörtest ergab eine beidseitige Innenohrschwerhörigkeit im Hochtonbereich li > re ([ Abb. 3 ]).
Am linken Ohr ist sie seit ihrem 21. Lebensjahr mit einem Hörgerät versorgt. Seit dem 16. Lebensjahr ist eine Hypothyreose bekannt, die mit Levothyroxin behandelt wird.
Ebenfalls ab dem 16. Lebensjahr traten regelmäßig Episkleritiden ([ Abb. 4 ]) und eine Anisokorie (re > li) auf, die als eine physiologische beschrieben wurde. Im Verlauf kam es außerdem auch öfters zu oralen und vaginalen Aphten ohne infektiöse Genese. Generell war die Patientin von Kindesalter an immer sehr infektanfällig. Sie gab auch an, ständig unter Kopfschmerzen, Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Konzentrationsschwäche zu leiden. Die Kopfschmerzen traten ca. 2–3-mal pro Monat für die Dauer von jeweils 5 bis 7 Tagen auf. Aufgrund des hohen Leidensdrucks nahm die Patientin auch regelmäßig Schmerzmedikation (Dexibuprofen, Paracetamol) ein, die zu einer vorübergehenden Schmerzlinderung führte.
Im Labor zeigten sich ständig erhöhte Entzündungsparameter (CRP: ca. 4–5 mg/l, BSG ca. 50 mm/h), Leukozyten ca. 11–14 × 109/l) und auch erhöhte Serum-Amyloid A- (47,2 mg/l; Grenzwert 6,4 mg/l) und Calprotectin-Werte (max. 7,429 μg/l, Grenzwert 3000). Anhand mehrerer Liquorpunktionen wurde außerdem eine chronische aseptische Meningitis mit geringer Liquorpleozytose nachgewiesen.
Bis zu ihrem 20. Lebensjahr wurden die Symptome lediglich unabhängig voneinander behandelt. Am Landeskrankenhaus Salzburg erfolgte unter der Führung von Prim. Univ.-Prof. Dr. Greil von der Universitätsklinik für Innere Medizin eine detaillierte Durchuntersuchung, um die vielen Symptome auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Dabei blieben alle bildgebenden Verfahren (zerebrales MRT, CT Abdomen) sowie sämtliche Erregerdiagnostik ohne Befund. Eine Liquorpunktion zeigte eine Liquorpleozytose mit 16 Zellen bei normalem Gesamteiweiß. In Zusammenschau der Anamnese und Befunde wurde der Befund V. a. atypisches Cogan-Syndrom gestellt.
Die Patientin wurde anschließend an der neurologischen Abteilung einer Universitätsklinik zur weiteren Abklärung aufgenommen. Dabei zeigte sich ein klinisch-neurologisch regelrechter Befund. Aufgrund der erhobenen Befunde erfüllte die Patientin nicht die Kriterien eines atypischen Cogan-Syndroms. Unter der Annahme einer Systemerkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis wurde eine Hochdosis-Kortisontherapie an 3 aufeinanderfolgenden Tagen eingeleitet, die in weiterer Folge nach dem Reduktionsschema oral ausgeschlichen wurde. In den ersten Tagen bemerkte die Patientin eine deutliche Besserung der Symptomatik. In weiterer Folge traten jedoch wieder Beschwerden auf. Zusätzlich bemerkte sie eine erhöhte Infektanfälligkeit.
In der Zusammenschau der Befunde wurde vom Vater der Patientin nach Rücksprache mit einem Kollegen der Verdacht auf ein Muckle-Wells-Syndrom (MWS) geäußert und dann bei der molekulargenetischen Analyse eine heterozygote A439T Missense-Mutation auf Exon 3 des NLRP3-Gens nachgewiesen. Zusätzlich wurde eine T > G-Mutation (c.398–229 T > G) in Intron 2 (der „flanking region“ von Exon 3) entdeckt. Diese wurde in Infevers schon bei Patienten mit MWS beschrieben. Allerdings wurde sie nicht als funktionell wichtig gelistet [1].
Da sowohl Familienanamnese als auch die Genetik bei den Verwandten negativ ist, ist von einer De-novo-Mutation auszugehen. Die Diagnose eines MWS kann die Gelenkbeschwerden, chronischen Kopfschmerzen, wiederholten Episkleritiden, Innenohrschwerhörigkeit, chronische Müdigkeit und Abgeschlagenheit, Aphten und die gelegentlich auftretenden Hauterscheinungen gut erklären. Eine klinisch symptomatische aseptische Meningitis ist eigentlich ein typisches Merkmal des CINCA-Syndroms, allerdings wurde die Zellzahlerhöhung im Liquor auch bei Patienten mit MWS beobachtet [2].
Die Patientin stellte sich daraufhin auf Eigeninitiative in der Rheumatologischen Ambulanz des Departments für Kinder- und Jugendheilkunde vor, um das weitere Prozedere und die Therapie zu besprechen.
Eine Therapie mit dem IL-1-Rezeptor-Antagonisten Anakinra (Kineret) wurde eingeleitet und nach einem Jahr auf Wunsch der Patientin auf den monoklonalen Antikörper Canakinumab (Ilaris) umgestellt. Daraufhin kam es zu einer deutlichen Besserung der Symptomatik, einer Normalisierung der Laborbefunde und einer Stagnierung der Innenohrschwerhörigkeit.
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Interessenkonflikt
Der korrespondierende Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Das Einverständnis der Patientin zur Publikation des Fallberichts liegt vor.
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Literatur
- 1 Touitou I. Infevers: an online database for autoinflammatory mutations; 2001–2016 [updated 29.10.2014; cited 2016 July 4th]. Copyright]. Available from http://fmf.igh.cnrs.fr/ISSAID/infevers/
- 2 Rynne M, Maclean C, Bybee A. et al Hearing improvement in a patient with variant Muckle-Wells syndrome in response to interleukin 1 receptor antagonism. Ann Rheum Dis 2006; 65 (04) 533-534
Korrespondenzadresse
Publication History
Article published online:
25 February 2022
© 2022. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Touitou I. Infevers: an online database for autoinflammatory mutations; 2001–2016 [updated 29.10.2014; cited 2016 July 4th]. Copyright]. Available from http://fmf.igh.cnrs.fr/ISSAID/infevers/
- 2 Rynne M, Maclean C, Bybee A. et al Hearing improvement in a patient with variant Muckle-Wells syndrome in response to interleukin 1 receptor antagonism. Ann Rheum Dis 2006; 65 (04) 533-534