CC BY-NC-ND 4.0 · Z Geburtshilfe Neonatol 2022; 226(04): 227-232
DOI: 10.1055/a-1711-3281
Übersicht

Prozess zur Implementierung Evidenzbasierter Parenteraler Ernährung in Deutschen Perinatalzentren – Ergebnisse eines Multidisziplinären Netzwerks

Process for the Implementation of Evidence-Based Parenteral Nutrition in German Perinatal Centres – Outcomes of a Multidisciplinary Network
1   Scientific Affairs Department, European Foundation for the Care of Newborn Infants, München, Germany
,
Nadja Haiden
2   Universitätsklinik für Kinder- u. Jugendheilkunde Wien, Medizinische Universität Wien, Wien, Austria
,
Jürgen Babl
3   Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker e.V. , Berlin, Germany
4   Krankenhausapotheke, Universitätsklinikum der Ludwig-Maximilians-Universität, München, Germany
,
Christoph Fusch
5   Klinik für Neugeborene, Kinder und Jugendliche, Klinikum Nürnberg, Nürnberg, Germany
6   Pädiatrischer Beirat, Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Berlin, Germany
7   Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Nürnberg, Germany
,
Johanna Kostenzer
1   Scientific Affairs Department, European Foundation for the Care of Newborn Infants, München, Germany
,
Brar Piening
8   Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Germany
,
Sebastian Schubert
3   Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker e.V. , Berlin, Germany
9   Krankenhausapotheke, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz, Germany
,
1   Scientific Affairs Department, European Foundation for the Care of Newborn Infants, München, Germany
,
Arbeitsgruppe parenterale Ernährung von EFCNI, GNPI, ADKA
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Einleitung Die parenterale Ernährung (PE) ist gewöhnlich bei Frühgeborenen<1500 g Geburtsgewicht und kranken Neugeborenen indiziert und gewährleistet eine Versorgung mit essentiellen Nährstoffen. Da ein hohes Maß Therapiesicherheit erforderlich ist, gibt die europäische Leitlinie Empfehlungen zur sicheren Anwendung. Dieses Projekt zielte darauf ab, die Anwendung der europäischen Leitlinie in deutschen Perinatalzentren zu evaluieren und Barrieren, die die Umsetzung erschweren oder verhindern, abzubilden. Zusätzlich sollten Lösungsansätze zur Überwindung möglicher Barrieren erarbeitet werden.

Methodik und Ergebnisse In einer multidisziplinären Kooperation wurde eine Online-Umfrage durchgeführt, in der PädiaterInnen und KrankenhausapothekerInnen aus Perinatalzentren zur Umsetzung der europäischen Leitlinien befragt wurden. Die Umfrageergebnisse wiesen auf Barrieren entlang des Bereitstellungsprozesses der PE hin, die eine leitliniengerechte Anwendung erschweren. Basierend auf den Ergebnissen erarbeitete das Expertennetzwerk ein interaktives Toolkit mit vereinfachten Leitlinienempfehlungen, leitlinienkonformen Anwendungsratschlägen, Best-Practice-Beispielen, Formularen und Handouts. Es soll zur kritischen Reflexion der Routineprozesse anregen und liefert konkrete Lösungsansätze zur Überwindung der Barrieren in der Praxis.

Schlussfolgerung Die Anwendung der PE bei Früh- und kranken Neugeborenen weicht von den Leitlinienempfehlungen ab. Das erarbeitete Toolkit liefert praxisorientiere Hilfestellungen mit dem Ziel, eine leitliniengerechte Anwendung in Perinatalzentren zu fördern.


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Abstract

Introduction Parenteral nutrition, usually indicated for preterm infants with a birthweight<1500 g and sick newborns, enables the supply with critical nutrients. As a high degree of therapy safety is required, a European guideline provides recommendations for safe therapy procedures. The present project aimed to evaluate the implementation of the European guideline in German perinatal centers and to identify possible barriers that impede its implementation. A further goal was to develop solution approaches to overcome possible barriers.

Methods and results A multidisciplinary cooperation conducted an online survey questioning the current implementation procedures of the European guideline among pediatricians and hospital pharmacists. Results show barriers in the provisioning process of parenteral nutrition that hinder a guideline-compliant implementation in practice. Based on results of this survey, an expert network developed an interactive toolkit with simplified guideline recommendations, guideline-compliant advice for practice, best-practice examples, forms, and handouts. It seeks to encourage critical reflection of routine processes and provides concrete solutions to overcome barriers in practice.

Conclusion The current procedures related to parenteral nutrition deviate from guideline recommendations. The developed toolkit provides practice-oriented support aiming to enhance the guideline-compliant implementation of parenteral nutrition in perinatal centers.


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Einleitung und Ziele

Eine parenterale Ernährung bei Frühgeborenen und kranken Neugeborenen hat zum Ziel, die Versorgung mit kritischen Nährstoffen zu gewährleisten und ein altersentsprechendes Gedeihen sowie eine normale neurologische Entwicklung zu ermöglichen [1]. Die parenterale Ernährung enthält Makro- und Mikronährstoffe (Glukose, Lipide, Aminosäuren, Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente), die je nach Alter in variierender Konzentration zugeführt werden [2] [3] [4] [5]. Sie wird in der Regel bei Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht<1500 g angewandt, da bei ihnen eine ausschließlich enterale Nahrungszufuhr aufgrund der Unreife des Gastrointestinaltrakts stark eingeschränkt ist beziehungsweise der erhöhte Nährstoffbedarf allein durch die enterale Zufuhr nicht gedeckt werden kann [1] [3] [5]. Aber auch schwerwiegende Erkrankungen wie eine nekrotisierende Enterokolitis, eine Sepsis oder eine gastrointestinale Fehlbildung können eine parenterale Ernährung bei Termingeborenen erfordern [3] [5] [6].

Die parenterale Ernährung ist mit gewissen Risiken verbunden, die weitgehend minimiert werden müssen, um die bestmögliche Patientensicherheit zu gewährleisten. Sowohl europäische als auch nationale Leitlinien geben unter Berücksichtigung von klinischen, anwendungsbezogenen, ernährungswissenschaftlichen und pharmazeutischen Aspekten Empfehlungen zum gesamten Bereitstellungsprozess der parenteralen Ernährung [3] [7]. Eine wissenschaftliche Arbeit beschrieb allerdings, dass diese Leitlinien in fünf europäischen Ländern häufig nicht eingehalten wurden [8], während weitere von Behandlungsfehlern berichteten [9].

Im Rahmen eines Projektes der European Foundation for the Care of Newborn Infants (EFCNI), der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin e. V. (GNPI) und des Bundesverbandes Deutscher Krankenhausapotheker e.V. (ADKA) haben sich ExpertInnen aus dem deutschsprachigen Raum zu einem multidisziplinären Netzwerk zusammengeschlossen und sich diesem Thema gewidmet. Sie haben sich zum Ziel gesetzt,

  1. Informationen über die Anwendung der parenteralen Ernährung in deutschen Perinatalzentren zu erhalten und mögliche Barrieren entlang des Bereitstellungsprozesses aufzuzeigen, und

  2. die klinische Anwendung evidenzbasierter Leitlinien zu fördern sowie Hilfestellung und Unterstützung für den praktischen Einsatz zur Verfügung zu stellen.

Das Netzwerk wurde federführend von EFCNI, GNPI und ADKA angeleitet und von dem Bundesverband „Das frühgeborene Kind“ e.V. und dem Berufsverband Kinderkrankenpflege Deutschland e.V. sowie über 21 ExpertInnen aus unterschiedlichen Bereichen der neonatologischen Patientenversorgung unterstützt.


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Methodik und Ergebnisse

Im Rahmen des Projektes wandten wir eine zweistufige Vorgehensweise an, um die genannten Ziele zu erreichen, welche in [Abb. 1] und [Abb. 2] schematisch dargestellt und nachfolgend beschrieben wird.

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Abb. 1 Projektablauf.
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Abb. 2 Ausarbeitung der Lösungsansätze und Darstellung im Toolkit.

Online-Befragung und Barrierenanalyse

In einer ersten Arbeitssitzung diskutierten und entwarfen wir eine Online-Umfrage ([Abb. 1]), mit der Hürden in der Bereitstellung und Anwendung der parenteralen Ernährung sowie mögliche Barrieren hinsichtlich der Umsetzung von Leitlinienempfehlungen erfasst wurden. Die Umfrage wurde an 186 PädiaterInnen (PÄD), einschließlich NeonatologInnen, in deutschen Perinatalzentren der Versorgungsstufe I und II, und 372 KrankenhausapothekerInnen (KHA) via E-Mail verschickt. Insgesamt wurden 196 gültige Antworten in die Auswertung inkludiert. Methodische Details und Ergebnisse der Barrierenanalyse wurden als Originalarbeit veröffentlicht und sind nachfolgend narrativ zusammengefasst [10]:

  • 77% der PÄD und 48% der KHA gaben an, die europäische Leitlinie anzuwenden. Gründe für ein Abweichen von Empfehlungen waren unter anderem besondere „klinische Fälle“ (PÄD: 92%, KHA: 63%), sowie die fehlende Verfügbarkeit der parenteralen Ernährung am Wochenende (PÄD: 4%, KHA: 10%).

  • Die Herstellung der parenteralen Ernährung geschah z.T. unter suboptimalen Hygienebedingungen; am Wochenende nahm die Häufigkeit der Herstellung auf Station von 5% auf 14% und am Krankenbett von 0% auf 3% zu.

  • Etwa die Hälfte der Befragten verwendeten individualisierte parenterale Ernährung, die andere Hälfte standardisierte parenterale Ernährung. Demgegenüber empfiehlt die europäische Leitlinie weitgehend die Verwendung von standardisierten Lösungen [11], um die Fehleranfälligkeit und das Kontaminationsrisiko, über die im Zusammenhang mit der Verwendung von individualisierten Lösungen berichtet wurden, zu reduzieren.

  • Die Adhärenz mit den Zufuhrempfehlungen für Makronährstoffe war sehr gut, allerdings wurden die Zufuhrempfehlungen für Lipide von 22% der PÄD nur „teils/teils“ oder „sehr selten“ eingehalten.

  • Die Kontrolle einiger Serumparameter zur Überwachung der parenteralen Ernährung war unzureichend, weshalb eine umfassende Beurteilung einer adäquaten Nährstoffzufuhr z.T. nicht durchgeführt werden konnte.

  • Elektronische Verordnungsprogramme standen nur einem Drittel der Befragten zur Verfügung.

  • Die Berechnung der Infusionszusammensetzung und der Laufrate wurde zum Teil mit dem Taschenrechner oder per Kopfrechnung durchgeführt, was verglichen mit elektronischen Berechnungen fehleranfälliger ist [12]. Laut 10% der Befragten fanden keine Kontrollberechnungen statt.

  • Die Verordnung wurde zum Teil handschriftlich erstellt und an die Apotheken übergeben (3%) oder per Fax übermittelt (19%), was die Lesbarkeit beeinträchtigen, Abstimmungsprozesse erfordern oder zu Fehlern in der Herstellung führen kann.

  • 10% der Befragten gaben an, keine Patientenidentitätskontrolle vor Applikation durchzuführen.

  • Teilweise wurde die Verwendung von unzulänglichen Desinfektionsmitteln und Hautantiseptika angegeben (z. B. Verwendung von Alkohol als Hautantiseptikum (9%)).

  • Eltern wurden überwiegend mündlich (78%) aufgeklärt, während sich das Netzwerk dafür ausspricht, die Aufklärung individuell an die Situation der Eltern anzupassen und auch eine schriftliche Aufklärung anzubieten [10].


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Ergebnisdiskussion, Lösungsansätze und Toolkit

Diese Ergebnisse haben wir innerhalb des Netzwerks in zwei digitalen Arbeitssitzungen diskutiert und in drei Bereiche zusammengefasst ([Abb. 2]):

  1. Strukturelle und organisatorische Barrieren

  2. Barrieren in der klinischen Anwendung

  3. Wissen um Leitlinien und Schulungen

Ziel war es, zu diesen Barrieren-Clustern gezielte Lösungsvorschläge zu erarbeiten ([Abb. 1]), die zum einen auf den aktuellen Leitlinien basieren beziehungsweise deren klinische Implementierung fördern und die zum anderen in der Praxis für neonatologisches Klinikpersonal und in Krankenhausapotheken umsetzbar sind. Aus den Barrieren-Clustern haben wir fünf Anwendungsbereiche definiert und dafür konkrete Lösungsansätze entwickelt ([Abb. 2]). Diese Lösungsansätze wurden in einem interaktiven, digitalen Werkzeugkasten für den Klinikalltag bereitgestellt und bilden das „Herz“ des Toolkits [13]. Als Lösungen werden leitlinienbasierte Informationen, Ratschläge, Links und Best-Practice-Ansätze in 19 Unterkapiteln zur Verfügung gestellt. Zusätzlich helfen Erfahrungsberichte aus einzelnen Kliniken und individuelle Expertenaussagen, welche besonders praktische Aspekte hervorheben, der Zielgruppe bei der Überwindung der Barrieren. Daneben stellt das Toolkit im Anhang praktische Checklisten, Vorlagen, Handouts und Literaturempfehlungen zur Verfügung [13]. Weitere Details zu den Inhalten sind in [Abb. 2] und [Abb. 3] zusammengefasst.

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Abb. 3 Infobox mit Projektdetails und Informationen zum Toolkit.

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Ein ausgewähltes Beispiel

Anhand eines ausgewählten Beispiels werden nachfolgend die Projektabläufe und entsprechende Ergebnisse genauer beschrieben. Eine detaillierte Zusammenfassung zu den einzelnen Arbeitsprozessen ist in [Tab. 1] dargestellt.

Tab. 1 Zusammenfassung der Arbeitsschritte und entsprechender Ergebnisse anhand des Beispiels „Standardisierte vs. individualisierte parenterale Ernährung“.

Ein ausgewähltes Beispiel: Standardisierte vs. individualisierte parenterale Ernährung

Leitlinienempfehlung [11]

  • Standardisierte Lösungen sollen gegenüber individualisierten Lösungen bei der Mehrheit aller Neugeborenen, inklusive sehr unreifer Frühgeborenen, angewendet werden.

  • Individualisierte Lösungen sollen verwendet werden, wenn der Nährstoffbedarf über standardisierte Lösungen nicht abgedeckt werden kann (z. B. bei sehr kranken und instabilen Neugeborenen mit speziellem Nährstoffbedarf).

1. Stufe: Projektabläufe bzgl. Online-Umfrage und Barrierenanalyse (vgl. [Abb. 1] )

Arbeitsschritte

Ergebnis

1.

Arbeitssitzung 1

  • Besprechung der Leitlinienempfehlung

  • Erarbeitung einer entsprechenden Frage zu Abfrage der Empfehlung in der Online-Umfrage

Abfrage: „Welche Lösung wird für>60% der Patienten bevorzugt verwendet?“ mit mehreren Auswahlmöglichkeiten (keine Mehrfachantworten)

2.

Online-Umfrage

  • Durchführung der Online-Umfrage und Datenerhebung

Ergebnisse [10]:

Parenterale Lösungen (>60% der Patienten)

n=145

Standardlösung, industriell

5%

Standardlösung, Apotheke

47%

Individuell, Apotheke

40%

Individuell, Station

5%

Sonstiges

3%

3.

Barrierenanalyse

  • Analyse der speziellen Frage

  • Ergebnisdiskussion in Arbeitsgruppe

  • Diskussion und Identifizierung der Barriere

  • 52% aller Befragten verwenden standardisierte Lösungen [10]

  • 45% aller Befragten verwenden individualisierte Lösungen [10]

Barriere:

Leitlinienempfehlung wird von>45% aller Befragten nicht eingehalten → Fehleranfälligkeit erhöht

2. Stufe: Projektabläufe bzgl. Ergebnisdiskussion und Lösungsansätze (vgl. [Abb. 1] )

Arbeitsschritte

Ergebnis

1.

Arbeitssitzung 2 & 3

  • Umfassende Diskussion der Barrierenanalyse

  • Identifizierung von Barrieren-Clustern (vgl. [Abb. 2])

  • Definition von Lösungsbereichen (vgl. [Abb. 2])

  • Eingruppierung der jeweiligen Barrieren in zutreffende Cluster

  • Festlegung der Lösungsbereiche zur Ausarbeitung der Toolkit-Inhalte

  • Eingruppierung in Cluster „Barrieren in der klinischen Anwendung“

  • Überlappung mit weiteren Clustern

  • Eingruppierung überwiegend in Lösungsbereich „Verordnung und Herstellung“

  • Weitere Inhalte in Lösungsbereich strukturelle und organisatorische Standards

2.

Ausarbeitung von Lösungsvorschlägen

  • Ausarbeitung der Toolkit-Inhalte in kleineren Arbeitsgruppen

  • Überprüfung, Review und Korrektur des gesamten Expertennetzwerks

Inhalte Toolkit:

  • Überblick über die Leitlinienempfehlung, vereinfacht dargestellt, Übersetzung ins Deutsche

  • Vor- und Nachteile beider Lösungsarten, Möglichkeiten und Grenzen als Hilfe zur Entscheidungsfindung für die angemessenen Lösung

  • Beschreibung von Maßnahmen wie mit standardisierten Lösungen eine Versorgung nach individuellem Bedarf ermöglicht werden kann, Verweis auf ein Best-Practice-Beispiel aus Australien

  • Ideen und Beispiele warum die Verwendung von standardisierten Lösungen die Bereitstellung am Wochenende häufig vereinfacht

3.

Toolkit [13]

  • Grafische Ausarbeitung der erarbeiteten Inhalte

  • Verlinkungen und Querverweise

  • Listen und Handouts im Anhang

  • Vier Kapitel zur Thematik mit weiterführenden Links, Verlinkungen, Erfahrungsberichten und Best-Practice-Beispielen

Wie die Online-Umfrage zeigte, wird individualisierte parenterale Ernährung beinahe so häufig wie standardisierte parenterale Ernährung verwendet, obwohl die europäische Leitlinie die Verwendung von standardisierten Nährstofflösungen zur Reduzierung der Fehleranfälligkeit empfiehlt [11]. Dieses Ergebnis wiesen wir dem Cluster 2) „Barrieren in der klinischen Anwendung“ zu und diskutierten Überlappungen mit den beiden übrigen Clustern. Konkrete Lösungen werden nun vor allem in dem Bereich Verordnung und Herstellung durch folgende Inhalte geliefert:

  • Informationen über die Vor- und Nachteile, Möglichkeiten und Grenzen beider Lösungsarten zur Entscheidungsfindung, wann welche parenterale Ernährung verwendet werden sollte

  • Überblick über die zugrundeliegende Leitlinienempfehlung

  • Aufzeigen von Lösungsansätzen wie mit standardisierten Lösungen eine Versorgung nach individuellem Bedarf ermöglicht werden kann und Verweis auf ein Best-Practice-Beispiel aus Australien [14]

  • Im Bereich strukturelle und organisatorische Standards: Ratschläge, wie die Versorgung mit parenteraler Ernährung am Wochenende gewährleistet werden kann und warum die Verwendung von standardisierten Lösungen gemäß der Leitlinie die Bereitstellung häufig vereinfacht [11]


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#

Stärken und Grenzen

Aus den Projektergebnissen geht hervor, dass Hürden und Barrieren in der Umsetzung der europäischen Leitlinie bei der Anwendung der parenteralen Ernährung bei Früh- und kranken Neugeborenen existieren [10], die sich auf die Qualität und Sicherheit dieser Therapieform auswirken können. Mit dem beschriebenen Toolkit erarbeiteten wir als interdisziplinäres und multiprofessionelles Expertennetzwerk Lösungen für die Praxis, die auf Leitlinienempfehlungen basieren und um persönliche Erfahrungen ergänzt wurden. Damit steht ein anwendungsorientierter Werkzeugkasten zur Verfügung, der mit Beispielen, Ratschlägen und Vorlagen auf neonatologischen Intensivstationen und Krankenhausapotheken zur Reflexion und ggf. Anpassung der Routineprozesse anregen soll. Allerdings wurde der verwendete Fragebogen zur Erfassung der Barrieren nicht validiert. Es bleibt ungeklärt, inwiefern die vorliegende Stichprobe die Situation an Perinatalzentren in Deutschland flächendeckend widerspiegelt. Die Erarbeitung der Lösungsansätze fand nicht systematisch statt, weshalb die Ratschläge aus dem Toolkit nicht mit evidenzbasierten Leitlinienempfehlungen gleichzusetzen sind. Dennoch liefert es praxisorientierte Lösungsvorschläge zur Überwindung der Barrieren. Weiterhin sollte ein stetiger Erfahrungsaustausch zu praxisnahen Implementierungsmaßnahmen sowie wissenschaftliche Arbeiten zur Implementierung einer leitliniengerechten parenteralen Ernährung in der Neonatologie gefördert und verfolgt werden.


#

Schlussfolgerung

  • Die parenterale Ernährung bei Früh- und kranken Neugeborenen ist eine kritische Therapieform, die ein hohes Maß an Therapiesicherheit erfordert

  • Eine Online-Umfrage weist auf Hürden und Barrieren in der Umsetzung der europäischen Leitlinie bei der klinischen Anwendung in deutschen Perinatalzentren hin

  • Ein multidisziplinäres Expertennetzwerk stellt praktische Lösungsansätze in einem digitalen Toolkit zur Verfügung


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Interessenkonflikt

EFCNI erhielt einen Educational Grant von Baxter zur Projektdurchführung. Es bestehen keine weiteren Interessenskonflikte.

Danksagung

Wir bedanken uns recht herzlich bei allen Personen, die sich an der Umfrage beteiligten sowie unseren Kooperationspartnern für die wertvolle Unterstützung. Bei der Firma Baxter bedanken wir uns für die Unterstützung in Form des Educational Grants.

* Die Liste der Autorengruppe ist online unter https://doi.org/10.1055/a-1711-3281 verfügbar.


Zusätzliches Material

  • Literatur

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  • 14 The Australasian Neonatal Parenteral Nutrition Consensus Group. Bolisetty S, Osborn D. et al. Standardised neonatal parenteral nutrition formulations – an Australasian group consensus 2012. BMC Pediatr 2014; 14: 48 DOI: 10.1186/1471-2431-14-48.

Korrespondenzadresse

Silke Mader
European Foundation for the Care of Newborn Infants
Scientific Affairs Department
Hofmannstrasse 7a
81379 München
Deutschland   

Publication History

Received: 01 December 2021

Accepted after revision: 21 January 2022

Article published online:
01 March 2022

© 2022. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

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Abb. 1 Projektablauf.
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Abb. 2 Ausarbeitung der Lösungsansätze und Darstellung im Toolkit.
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Abb. 3 Infobox mit Projektdetails und Informationen zum Toolkit.