Schlüsselwörter
Palliativversorgung - Hospizkultur - Heimbewohner - Angehörige - Altenpflege - stationäre
Langzeitpflege
Keywords
palliative care - hospice culture - nursing home residents - relatives - geriatric
care - long-term care
Hintergrund
Angesichts der Alterung der Bevölkerung gewinnt die Versorgung älterer Menschen in
der letzten Lebensphase weltweit an Bedeutung [1]
[2]. Damit verbunden wird eine Zunahme an palliativem Versorgungsbedarf erwartet. Nach
Schätzungen würden unter den über 60-Jährigen zwischen 78–97 % der in Deutschland
sterbenden Menschen von palliativer Versorgung profitieren [3]. Palliativversorgung ist eng mit der Hospizbewegung verknüpft, die in Europa durch
die Pionierarbeit von Cicely Saunders begründet wurde [4]. Entsprechend der Standards und Richtlinien für Hospiz- und Palliativversorgung
in Europa der EAPC [5] zeichnet sich die Palliativversorgung ausgehend von einem patientenzentrierten und
familienorientierten Ansatz durch eine ganzheitliche Beachtung der Wünsche und Bedürfnisse
der Sterbenden und ihrer Angehörigen als „Unit of Care“ aus, mit dem Ziel die Lebensqualität
bis zum Schluss aufrechtzuerhalten [5]. Zu zentralen Aspekten von Hospizkultur und Palliativversorgung zählen das Erkennen
und Lindern von Schmerzen, weiterer körperlicher Symptome, psychosozialer Sorgen und
spiritueller Fragen der Menschen am Lebensende ebenso wie die interdisziplinäre Zusammenarbeit
mit Hausärzt*innen, Seelsorger*innen und Mitarbeiter*innen der spezialisierten ambulanten
Palliativversorgung (SAPV) und das Einbeziehen von befähigten Ehrenamtlichen in die
Sterbebegleitung [6]. Weitere wesentliche Säulen von Hospizkultur und Palliativversorgung sind die Begleitung
und Unterstützung der Angehörigen und die Achtung der Autonomie mit dem Ermitteln
und Einhalten von Versorgungswünschen [6].
Die Versorgung am Lebensende wird in Deutschland zu einem nicht unerheblichen Anteil
durch Altenpflegeeinrichtungen getragen. In Niedersachsen leben derzeit an die 112 000
Menschen in Altenpflegeeinrichtungen [7]. Dabei stehen diese Einrichtungen vor vielfältigen Herausforderungen: Die Bewohner*innen
sind multimorbide mit einer Vielzahl chronisch progredienter Erkrankungen [8] und verweilen im Schnitt immer kürzer in den Einrichtungen. So sank beispielsweise
in den von Techtmann untersuchten 32 Altenpflegeeinrichtungen eines diakonischen Trägerverbands
in Nordrhein-Westfalen die Verweildauer im Zeitraum von 2007–2014 von durchschnittlich
32 auf 27 Monate [9].
Damit gewinnen Altenpflegeeinrichtungen als Sterbeorte immer größere Bedeutung. In
der Region Hannover hat sich der prozentuale Anteil des Sterbeorts Pflegeeinrichtung
pro Jahr von 2007 (n = 3750) bis 2017 (n = 4329) von 15 % auf 27 % erhöht [10]. Dies bedeutet für Mitarbeiter*innen von Altenpflegeeinrichtungen nicht nur eine
höhere Pflegeintensität, sondern auch eine Zunahme der Sterbebegleitungen im Jahr
[11].
Um den Herausforderungen der Begleitung sterbender Bewohner*innen gerecht zu werden,
erfolgte die Entwicklung von Palliative-Care-Konzepten und diverse Modellvorhaben
zur Integration palliativer Versorgungskonzepte in Altenpflegeeinrichtungen und speziell
für Menschen mit Demenz wurden eingeleitet [12]. Die Implementierung von Hospizkultur in Altenpflegeeinrichtungen ist ungeachtet
dessen herausfordernd. Oft gestaltet sich bereits das rechtzeitige Erkennen sich anbahnender
Palliativsituationen schwierig [13].
National wie international wurden diverse Initiativen zur Etablierung von Hospizkultur
in Einrichtungen der stationären Altenhilfe eingeleitet [12]
[14]. Insbesondere freigemeinnützige Träger von stationären Einrichtungen der Altenhilfe
haben Modellprojekte zur Förderung von Hospizkultur und Palliativversorgung durchgeführt
(siehe für einen Überblick [12], S. 36ff). So hat auch das Diakonische Werk evangelischer Kirchen in Niedersachsen
(DWiN) als Trägerverband zahlreicher Einrichtungen der stationären Altenhilfe seit
2006 eine breitangelegte Initiative zur Stärkung der Hospizkultur und Palliativkompetenz
in ihren Einrichtungen gestartet. Diese beinhaltete neben den Diakonischen Leitlinien zu Palliative Care, Sterbebegleitung und Abschiedskultur
[15] auch praxisnahe Schulungsangebote für Mitarbeiter*innen aller Bereiche, welche auf
dem im Rahmen eines Förderprogramms der Bertelsmann-Stiftung entwickelten und von
der DGP zertifizierten Basis-Curriculum „Palliative Praxis“ basiert [16].
Dieser Beitrag widmet sich der Forschungsfrage: Wie werden derzeit zentrale Aspekte
von Hospizkultur in der Versorgung am Lebensende in Altenpflegeeinrichtungen von Angehörigen
verstorbener Bewohner*innen wahrgenommen und rückblickend bewertet?
Die Angehörigenperspektive spielt dabei in doppelter Hinsicht eine wesentliche Rolle.
Zum einen schließt palliative Versorgung auch die Bedürfnisse der Angehörigen als
Teil der „unit of care“ ein [17], welche die Patient*innen und deren Angehörige als „Versorgungseinheit“ betrachtet.
Zum anderen ist die Wahrnehmung palliativer Versorgung durch Angehörige ein Qualitätsindikator
und wird in der Literatur häufig retrospektiv zur Beurteilung von Versorgungsprozessen
am Lebensende herangezogen [18].
Material und Methoden
Studiendesign
Die erlebte Palliativkompetenz und Hospizkultur in Altenpflegeeinrichtungen wurde
aus Angehörigensicht durch eine standardisierte schriftliche Befragung ermittelt.
Zudem wurden allgemeine Strukturdaten der Einrichtungen wie z. B. die Einrichtungsgröße
und die Versorgungsregion erhoben (Erhebungszeitraum März bis Mai 2020).
Die vorliegende Studie ist Teil des Projektes „Implementierung von Palliativkompetenz
und Hospizkultur in Altenpflegeeinrichtungen der Diakonie in Niedersachsen“ (ImPAct).
Diese wissenschaftliche, trägerunabhängige Begleitforschung ermittelt retrospektiv
den erreichten Entwicklungsstand von Hospizkultur und Palliativkompetenz in Altenpflegeeinrichtungen
des DWiN als landesweiten Trägerverband (Förderung der wissenschaftlichen Begleitforschung
durch die Forschungsstelle Pflegeversicherung des GKV-Spitzenverbandes im Rahmen des
Förderschwerpunktes Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung nach
§ 8 Abs. 3 SGB XI). Sowohl der Träger als auch der Förderer haben keinen Einfluss
auf die Datenerhebung, Auswertung und Interpretation genommen, ebenso wenig waren
sie an der Erstellung des Manuskripts beteiligt. Ein positives Votum der Ethikkommission
der Medizinischen Hochschule Hannover liegt vor (Nr. 8739_BO_S_2019).
Zielgruppe
In die anonyme Befragung sollten alle Angehörigen der in Einrichtungen des DWiN im
Jahr 2019 verstorbenen Bewohner*innen im Erwachsenenalter einbezogen werden, deren
Kontaktdaten in der Pflegedokumentation der Altenpflegeeinrichtungen hinterlegt waren
und die als primäre Bezugspersonen regelmäßig Kontakt zu ihnen hatten. Ausschlusskriterien
waren kein Kontakt zu den Verstorbenen in den letzten vier Lebenswochen und unzureichende
Deutschkenntnisse für die Beteiligung an einer schriftlichen Befragung.
Der Fragebogen
Der standardisierte Fragebogen „Palliativkompetenz und Hospizkultur in Altenpflegeeinrichtungen
– für Angehörige verstorbener Bewohner und Bewohnerinnen“ basiert in wesentlichen
Teilen auf dem „EPACS – Establishment of Hospice and Palliative Care Services-Fragebogen“
[19]. Der hier verwendete modifizierte 6-seitige Fragebogen erfasst neben soziodemografischen
Daten der hinterbliebenen Angehörigen und verstorbenen Bewohner*innen fünf Kernbereiche
palliativer Versorgung:
-
Qualität der Versorgung beteiligter Akteure
-
Management von Schmerzen und anderen Symptomen
-
Begleitung durch SAPV-Teams und Hospizdienste
-
Achtung der Autonomie am Lebensende
-
Begleitung und Unterstützung der Angehörigen
Die Angehörigen gaben, jeweils bezogen auf die letzten vier Lebenswochen der/des Verstorbenen,
den Grad ihrer Zustimmung zu bestimmten Aussagen anhand einer 5-stufigen Ratingskala
(1 = „triff nicht zu“ bis 5 = „trifft voll zu“) an. Ergänzt wurden diese durch die
Kategorien „weiß ich nicht/kann ich nicht beurteilen“ und „Problem bestand nicht/war
nicht gewünscht“. Weitere Fragen bezogen sich unter anderem auf den Sterbeort und
die generelle Zufriedenheit mit der pflegerischen und hausärztlichen Versorgung (5-stufige
Ratingskala 1 = „gar nicht“ bis 5 = „sehr“).
Datenerhebung
Aus Datenschutzgründen erfolgte die Angehörigenbefragung vermittelt über die Einrichtungsleitungen.
Im Vorfeld waren alle 146 Altenpflegeeinrichtungen des DWiN im Dezember 2019 zur Teilnahme
an der Studie eingeladen worden. Nach 2 Wochen wurden die Einrichtungsleitungen nochmals
telefonisch angefragt. Anfang 2020 erklärten sich 25 (17 %) Einrichtungsleitungen
zur Mitwirkung bereit. Entsprechend der von ihnen angegebenen Anzahl im Jahr 2019
verstorbener Bewohner*innen wurden Anfang März 2020 die Befragungsunterlagen (motivierendes
Anschreiben, Projektinformation, Fragebogen, Freiumschlag) an die Einrichtungsleitungen
mit der Bitte versandt, diese per Post an die hinterbliebenen Angehörigen weiterzuleiten.
Statistische Analyse
Die Auswertung der Befragungsdaten erfolgte deskriptiv mittels uni- und bivariater
statistischer Verfahren. Für Zusammenhänge zwischen Variablen wurde für ordinale Daten
der Korrelationskoeffizient nach Spearman (rs) verwendet. Ausgewählte Strukturdaten der Einrichtungen wie Heimgröße und Versorgungsregion
wurden für Gruppenvergleiche hinzugezogen. Um Unterschiede in den Bewertungen zweier
Variablen zu analysieren, wird für ordinale Daten auf nicht-parametrische Testverfahren
(Wilcoxon-Rangsummentest für verbundene Stichproben) und für die Untersuchung von
Gruppenunterschieden nicht verbundener Stichproben auf den Mann-Whitney-U-Test zurückgegriffen
[20]. Die statistische Auswertung erfolgte mit dem Statistikprogramm SPSS Version 27.
Ergebnisse
Von den 25 Einrichtungen, die Anfang 2020 ihr Mitwirkungsinteresse bekundet hatten,
beteiligten sich angesichts der durch die Corona-Pandemie zunehmend schwierigen Bedingungen
in Einrichtungen der stationären Altenhilfe 18 Einrichtungen an der Befragung. Im
Jahr 2019 waren in diesen Einrichtungen 491 Bewohner*innen verstorben. Von ihnen hatten
452 (92 %) Bewohner*innen Angehörige, die den Einschlusskriterien entsprachen. Davon
erhielten wir insgesamt 149 (33 %) Fragebögen zurück.
Einrichtungscharakteristika
Im Mittel hatten die teilnehmenden 18 Einrichtungen 92 Pflegeplätze (Min-Max: 40
–160) und lagen zumeist in Klein- und Mittelstädten. Im Durchschnitt haben sie 69
Mitarbeiter*innen, davon haben im Median 7,5 (Min-Max: 0–63) Mitarbeiter*innen eine
Fortbildung Palliative Praxis (40 h) und 2,5 Mitarbeiter*innen (Min-Max: 0–6) eine
Palliativ Care Weiterbildung (160 h). 10 der 18 teilnehmenden Einrichtungen haben
das Fortbildungsangebot des DWiN genutzt. [
Tab. 1
] fasst die Einrichtungsmerkmale zusammen.
Tab. 1
Merkmale und Bewohnerstruktur der beteiligten Einrichtungen (n = 18).
Merkmal
|
Ausprägung
|
Standort
|
Landgemeinde (< 5000 Einwohner)
|
2 (11,1 %)
|
Kleinstadt (5000 bis < 20 000 Einwohner)
|
6 (33,3 %)
|
Mittelstadt (20 000 bis < 100 000 Einwohner)
|
7 (38,9 %)
|
Großstadt (≥ 100 000 Einwohner)
|
3 (16,7 %)
|
Einrichtungsgröße
|
kleine Einrichtung (< 50 Plätze)
|
1 (5,5 %)
|
mittelgroße Einrichtung (50 bis 100 Plätze)
|
12 (66,7 %)
|
große Einrichtung > 100 Plätze
|
5 (27,8 %)
|
durchschnittliche Anzahl der Plätze
|
92,2 (SD ± 28,1)
|
Bewohner*innen
|
insgesamt N = 1636
|
Geschlecht weiblich
|
1149 (75,9 %)
|
durchschnittliches Eintrittsalter in das Heim (in Jahren)
|
81,9 (SD ± 3,4)
|
Anzahl der im Jahr 2019 verstorbenen Bewohner*innen
|
491 (30,0 %)
|
Angebot zur gesundheitlichen Versorgungsplanung[*]
|
|
grundsätzlich
|
5 (27,8 %)
|
bei Bedarf
|
5 (27,8 %)
|
nie
|
7 (38,9 %)
|
weiß ich nicht
|
1 (5,9 %)
|
* nach § 132 g SGB V
Charakteristika der Angehörigen
Die befragten Angehörigen waren zu 60 % weiblich und im Durchschnitt 65 Jahre alt
(SD ± 10) (Bildungshintergrund: 37 % mittlere und 40 % Hochschulreife). Zum Zeitpunkt
des Todes ihrer Angehörigen waren 54 % der Befragten berufstätig, davon mit 55 % etwas
mehr als die Hälfte in Vollzeit. 38 % der Befragten gaben an, ihren verstorbenen Angehörigen
mehrmals wöchentlich und 42 % ein- oder mehrmals täglich in der Einrichtung besucht
zu haben.
Charakteristika der Verstorbenen
Bei der überwiegenden Anzahl der Verstorbenen handelte es sich um (Schwieger-)Eltern
der Befragten (73 %) im hohen Lebensalter (Altersdurchschnitt 88 Jahre), darunter
mehrheitlich Frauen (75 %). Nach Angaben der Angehörigen hatten die Verstorbenen im
Mittel zwei Erkrankungen (SD ± 1,3) (vgl. [
Tab. 2
]).
Tab. 2
Heimaufenthalt, Krankheitslast und Versorgung der 2019 verstorbenen Bewohner*innen
aus Sicht der befragten Angehörigen (n = 149).
Merkmal
|
verstorbene Bewohner*innen
|
Dauer des Heimaufenthalts
|
< 1 Monat
|
9 (6,0 %)
|
1 bis 6 Monate
|
24 (16,1 %)
|
> 6 Monate bis 1 Jahr
|
8 (5,4 %)
|
> 1 Jahr
|
89 (59,7 %)
|
keine Angabe
|
19 (12,8 %)
|
häufigste (Haupt-)Diagnosen (Mehrfachnennungen)
|
demenzielle Erkrankung
|
79 (53,0 %)
|
koronare Herzerkrankung
|
42 (28,2 %)
|
Schlaganfall
|
37 (24,8 %)
|
Tumorerkrankung
|
24 (16,1 %)
|
Multimorbidität: ≥ 3 chronische Erkrankungen
|
39 (26,2 %)
|
Pflegegrad
|
Pflegegrad 1
|
1 (0,7 %)
|
Pflegegrad 2
|
10 (6,7 %)
|
Pflegegrad 3
|
32 (21,5 %)
|
Pflegegrad 4
|
39 (26,2 %)
|
Pflegegrad 5
|
61 (40,9 %)
|
keine Angabe
|
6 (4 %)
|
SAPV[*] (letztes Lebensjahr)
|
27 (18,1 %)
|
Durchschnittliche Dauer der SAPV[*] (in Wochen)
|
10,4 (SD ± 15,3)
|
keine Angabe
|
14 (9,4 %)
|
Begleitung durch Hospizverein (letztes Lebensjahr)
|
19 (12,8 %)
|
durchschnittliche Dauer hospizlicher Begleitung (in Wochen)
|
10,6 (SD ± 10,0)
|
keine Angabe
|
10 (6,7 %)
|
Sterbeort
|
im Heim verstorben
|
128 (85,9 %)
|
im Krankenhaus verstorben
|
20 (13,4 %)
|
keine Angabe
|
1 (0,7 %)
|
* SAPV: spezialisierte ambulante palliative Versorgung
Qualität der Versorgung am Lebensende
96 % der Befragten gaben mit überwiegender oder voller Zustimmung an, dass ihre Angehörigen
„in Ruhe und Würde“ verstorben sind. Die überwiegende Anzahl der Angehörigen ist mit
der pflegerischen (88 %) und der hausärztlichen (62 %) Versorgung am Lebensende in
Altenpflegeeinrichtungen zufrieden, wobei sich die Verteilung der generellen Zufriedenheit
der pflegerischen und hausärztlichen Versorgung signifikant voneinander unterscheidet
(p < 0,000 [n = 139]) (s. [
Abb. 1
]). Beide Globalitems korrelieren signifikant mit den jeweiligen Einzelitems zur pflegerischen
(rs: 0,537** bis 0,677**) bzw. hausärztlichen Versorgung (rs: 0,417** bis 0,649**). Deutlich wird, dass die von hausärztlicher Seite erhaltene
„emotionale Unterstützung“, die bedarfsweise „Erreichbarkeit“ und „Zeit“ für die Bewohner*innen
seltener positiv eingestuft wurden (vgl. [
Abb. 2
]). Die Zusammenarbeit der professionellen Akteur*innen untereinander wurde von einem
Großteil der Angehörigen (84,6 %) gut bewertet.
Abb. 1 Zufriedenheit der Angehörigen verstorbener Bewohner*innen (n = 149) mit pflegerischer
und hausärztlicher Versorgung.
Abb. 2 Zustimmunga zu Aussagen der hausärztlichen und pflegerischen Versorgung von Angehörigen verstorbener
Bewohner*innen (n = 149). a) Wertebereich: 1 = „trifft nicht zu“ bis 5 = „trifft voll und ganz zu“, in der Abbildung
sind die Antwortkategorien „trifft voll“ und „meist zu“ sowie „trifft wenig“ und „nicht
zu“ zusammengefasst.
Schmerz- und Symptommanagement
Die Mehrheit der Angehörigen gab an, dass Schmerzen und andere körperliche Symptome
wie Übelkeit oder Luftnot ausreichend erkannt und gelindert sowie psychosoziale Probleme
von Pflegenden (72 %, Median 5 „voll“) und Hausärzt*innen (56 %, Median 4 „meist“)
ausreichend beachtet wurden (vgl. [
Abb. 2
]), unabhängig davon, ob SAPV in die Betreuung einbezogen war.
Es zeigt sich jeweils ein leichter bis mittlerer signifikanter Zusammenhang der Einschätzung,
ob die Bewohner*innen „in Ruhe und Würde verstorben“ sind mit der Bewertung des Schmerz-
und Symptommanagements (rs = 0,293** bis 0,474** [n = 90–126]) sowie mit der generellen Zufriedenheit mit der
hausärztlichen Versorgung (rs = 0,224** [n = 132]).
Begleitung durch SAPV- und Hospizdienste
Vor ihrem Tod wurden 18 % der verstorbenen Bewohner*innen zusätzlich durch SAPV-Teams
betreut. In der Gruppe onkologisch erkrankter Bewohner*innen liegt der Anteil derer,
die SAPV erhielten, bei 50 % im Vergleich zum Anteil nicht onkologisch Erkrankter
mit 12 % (p < 0,001). Jede/r achte Bewohner*in wurde nach Angaben der Angehörigen
von ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen eines Hospizdienstes am Lebensende begleitet
(vgl. [
Tab. 2
]), unabhängig von ihren Diagnosen oder der Besuchsfrequenz der Angehörigen.
Achtung der Autonomie der Bewohner*innen am Lebensende
Über die Hälfte der Befragten (54 %) stimmte der Aussage voll oder meist zu, dass
die verstorbenen Angehörigen hilfreiche Gespräche zur vorausschauenden bzw. gesundheitlichen
Versorgungsplanung erhalten haben. Dabei zeigte sich ein mittlerer statistischer Zusammenhang
bei der Bewertung, ob Bewohner*innen hilfreiche Gespräche zur gesundheitlichen Versorgungsplanung
erhalten haben und der generellen Zufriedenheit mit der Pflege (rs = 0,424**). Weitere statistische Gruppenunterschiede (z. B. Diagnosegruppen, Bildung,
Aufenthaltsdauer etc.) zeigten sich nicht.
Drei Viertel der Befragten (76 %) gaben an, dass ihre verstorbenen Angehörigen Wünsche
und Vorstellungen über die Versorgung am Lebensende geäußert hatten. Dabei hatten
71 % eine Patientenverfügung hinterlegt. Ein Großteil der Angehörigen (81 %) bekundete,
dass diesen Wünschen am Lebensende auch entsprochen wurde, 11 % konnten dies nicht
einschätzen und 7 % gaben an, dass den Wünschen und Vorstellungen der Bewohner*innen
am Lebensende nicht entsprochen werden konnte (1 % keine Angaben). In der Pflegeeinrichtung
sind 86 % der Bewohner*innen verstorben und 13 % im Krankenhaus (vgl. [
Tab. 2
]).
Begleitung und Unterstützung der Angehörigen
Drei Viertel der Befragten (75 %) empfand die Begleitung ihrer/ihres Angehörigen in
der letzten Lebensphase als ziemliche bis sehr starke persönliche Belastung. Mit einem
Median von 5 wurde die erhaltene Unterstützung und Begleitung in den Einrichtungen
nahezu durchweg positiv eingestuft (rechtzeitige Nachricht zum baldigen Ableben, respektvoller
Umgang, Zeit zur Verabschiedung, Gefühl des Aufgefangenseins vor und nach dem Ableben)
(vgl. [
Abb. 3
]). Der Aussage „Informationen zu Hilfsangeboten, wie z. B. Trauergruppen erhalten“
zu haben, stimmten nur wenige Befragte zu (Median: 2, „stimme wenig zu“), wobei 36 %
der Befragten keine Hilfsangebote wünschten (vgl. [
Abb. 3
]). Von den Übrigen erhielt mehr als die Hälfte (55 %) keine entsprechenden Angebote.
Abb. 3 Zustimmunga zu Aussagen der Betreuung der Angehörigen (N = 149). a) Wertebereich: 1 = „trifft nicht zu“ bis 5 = „trifft voll und ganz zu“, in der Abbildung
sind die Antwortkategorien „trifft voll“ und „meist zu“ sowie „trifft wenig“ und „nicht
zu“ zusammengefasst.
54 % der Befragten erhielten von Hausärzt*innen Informationen zu Erkrankungen, Erkrankungsverläufen
und Therapien ihrer/ihres Angehörigen. 5 % wünschten diesbezüglich von hausärztlicher
Seite keine näheren Informationen. Einige Angehörige wünschten ebenso keine seelisch-emotionale
Unterstützung von der Pflege (20 %) oder von Hausärzt*innen (32 %) (vgl. [
Abb. 3
]). Von denen, die sich seelisch-emotionale Unterstützung wünschten, erhielten 75 %
meist oder immer von Pflegemitarbeiter*innen und 31 % meist oder immer von Hausärzt*innen
seelisch-emotionale Unterstützung. Die Bewertung der pflegerischen und hausärztlichen
Begleitung der Angehörigen unterscheiden sich signifikant (zeitliche Ressourcen: p = 0,000
[n = 118]; seelisch-emotionale Unterstützung: p = 0,000 [n = 88]).
Diskussion
Die vorliegende Arbeit zeigt, wie hinterbliebene Angehörige verstorbener Bewohner*innen
in Altenpflegeeinrichtungen die Versorgung in der letzten Lebensphase erlebt haben.
Ein Kernergebnis ist, dass die Angehörigen die Versorgung am Lebensende insgesamt
positiv bewerten und ein würdevolles Sterben ermöglicht gesehen haben.
In den von uns untersuchten Einrichtungen der stationären Altenhilfe sind vergleichsweise
wenig (13 %) Heimbewohner*innen im Krankenhaus verstorben. Dies liegt unter dem Bundesdurchschnitt:
Hoffmann u. Allers [21] zeigten in ihrer Analyse der Routinedaten einer bundesweiten gesetzlichen Krankenkasse,
dass im Zeitraum von 2010–2014 30 % der Heimbewohner*innen im Krankenhaus verstarben.
Im internationalen Vergleich variiert das Versterben von Heimbewohner*innen zwischen
6–77 % mit einem Median von 23 %, wobei Deutschland mit 29–30 % darüber liegt [22]. Heimbewohner*innen sehen Altenpflegeeinrichtung mehrheitlich als das Umfeld an,
in dem sie auch versterben möchten [23], sodass die Ergebnisse zum Sterbeort der von uns Befragten positiv als Hinweis auf
die Beachtung des Bewohnerwillens interpretiert werden können. So scheint in den beteiligten
Einrichtungen ein zurückhaltender Umgang mit Krankenhauseinweisungen am Lebensende
gepflegt zu werden, was auf eine an diesem Punkt gelebte Hospizkultur hindeuten könnte.
Die Nutzung von SAPV in den beteiligten Altenpflegeeinrichtungen ist als recht hoch
einzuschätzen. Die Angaben zur SAPV durch die befragten Angehörigen entsprechen weitgehend
dem geschätzten Bedarf von ca. 20 % [4]. Nach den Ergebnissen des Faktenchecks Palliativversorgung erhielten 5 % aller Verstorbenen
in Niedersachsen im Zeitraum von 2010–2014 SAPV [24]. Aktuellere Vergleichsdaten von 2016/17 zeigten, dass 9 % aller verstorbenen AOK-Versicherten
in Niedersachsen SAPV im letzten Lebensjahr erhielten [25]. Wie in vorangegangenen Studien [24] deuten die Ergebnisse der Angehörigenbefragung darauf hin, dass vornehmlich Bewohner*innen
mit onkologischen Erkrankungen SAPV erhalten und der Zugang für Bewohner*innen mit
lebenslimitierenden nicht onkologischen Erkrankungen zur SAPV auch in Altenpflegeeinrichtungen
weiterhin erschwert sein könnte. Zu diesen Aspekten liegen keine heimbezogenen Vergleichsdaten
vor.
13 % der Verstorbenen sind durch ehrenamtliche Hospizmitarbeiter*innen in den von
uns betrachteten Altenpflegeeinrichtungen begleitet worden. Da keine Vergleichszahlen
oder Bedarfsschätzungen zu ehrenamtlicher hospizlicher Begleitung in Einrichtungen
der stationären Altenhilfe vorliegen, können diese Zahlen nicht in einen bestehenden
Kontext eingeordnet werden. Unser Eindruck ist allerdings, dass mehr Heimbewohner*innen
von einer Begleitung durch Hospizdienste profitieren könnten. Allerdings wurden Angehörige
befragt, die regelmäßigen Kontakt zu Bewohner*innen pflegten, sodass nicht ausgeschlossen
werden kann, dass ehrenamtliche Besuchsdienste primär Bewohner*innen ohne bzw. mit
Angehörigen „auf Distanz“ angeboten werden. Hospizliche Begleitung dient indes auch
der Angehörigenunterstützung [26], die angesichts der von den befragten Angehörigen bekundeten hohen Belastung durch
die Begleitung der Bewohner*innen in der letzten Lebensphase beachtet werden sollte.
Angehörige verstorbener Bewohner*innen signalisierten eine relativ hohe Zufriedenheit
mit der pflegerischen und hausärztlichen Versorgung. Die bessere Bewertung der pflegerischen
gegenüber der hausärztlichen Versorgung in Altenpflegeeinrichtungen wurde bereits
in anderen Studien festgestellt [13]
[19]. Dass Hausärzt*innen in Altenpflegeeinrichtungen eher wenig Zeit haben und wenig
seelisch-emotionale Unterstützung anbieten, zeigte sich ebenso bei Weber et al. [27]. Dabei sollte beachtet werden, dass in Deutschland heimversorgende Hausärzt*innen
zu Visiten oder im Notfall in Altenpflegeeinrichtungen kommen. Die vergleichsweise
häufige Wahl der Antwortkategorie „kann ich nicht beurteilen“ bei Items zur Einschätzung der hausärztlichen Versorgung deutet darauf hin, dass
Angehörige wenig über Abläufe und/oder Entscheidungsprozesse der hausärztlichen Versorgung
für Bewohner*innen in Altenpflegeeinrichtungen am Lebensende informiert werden. Vorliegende
Befunde qualitativer Studien unterstreichen, dass Angehörige von Heimbewohner*innen
explizit in Therapieentscheidungen eingebunden oder zumindest hinreichend informiert
werden möchten [18], wie es der multiprofessionelle und familienorientierte Ansatz der Palliativversorgung
vorsieht [17]. Eine gute Zusammenarbeit der Altenpflegeeinrichtungen mit Hausärzt*innen ist unter
anderem für den Einbezug von SAPV und das Schmerz- und Symptommanagement relevant.
Verschiedene Ansätze und Modelle zur Verbesserung der hausärztlichen Versorgung in
Altenpflegeeinrichtungen bestehen seit Jahren und werden in Fachkreisen kritisch diskutiert
[28].
Ein wesentlicher Bereich von Hospizkultur in Altenpflegeeinrichtungen ist die Ermittlung
und Beachtung des Bewohnerwillens. So liegt nach Angaben der befragten Angehörigen
der Anteil an hinterlegten Patientenverfügungen von Bewohner*innen der beteiligten
Altenpflegeeinrichtungen höher als in der Gruppe der über 60-Jährigen (44 %) in der
letzten Bevölkerungsumfrage [29]. Andere Studien bei Heimbewohner*innen zeigen einen noch geringeren Anteil hinterlegter
Patientenverfügungen (12–33 %) [30]
[31]. Bereits 2014 stellen Padberg et al. [32] die Probleme von Notfallmediziner*innen dar, dass Patientenverfügungen schwer auslegbar
und für spezifische Situationen zu vage formuliert sind, um den mutmaßlichen Bewohnerwillen
klar bestimmen zu können. Statt eines hinterlegten Dokuments alleine rückt das Konzept
der gesundheitlichen Versorgungsplanung als kontinuierlicher Prozess der gemeinsamen
Entscheidungsfindung der Bewohner*innen, Angehörigen, betreuenden Pflegenden und behandelnden
Hausärzt*innen stärker in den Fokus [12]. Für entsprechende Gesprächsangebote lassen die Ergebnisse in dieser Befragung noch
Verbesserungspotenzial erkennen. Um dieses Konzept umfänglich in Altenpflegeeinrichtungen
zu etablieren, bedarf es hinreichender zeitlicher und personeller Ressourcen [12].
Die Begleitung der Angehörigen vor, während und nach dem Versterben der Bewohner*innen
wurde von den befragten Hinterbliebenen meist sehr positiv wahrgenommen. Sie wurden
frühzeitig informiert, um sich verabschieden zu können, was für ein rechtzeitiges
Erkennen der Sterbephase spricht. Zudem fühlten sich die Angehörigen taktvoll behandelt
und aufgefangen. Dass zum einen auch die Angehörigen meist umfassend betreut wurden
und auf psychische und spirituelle Aspekte des Abschiednehmens eingegangen wurde,
deutet auf eine angemessene Begleitung der Angehörigen als zentralen Aspekt einer
gelebten Hospizkultur in den von uns untersuchten Einrichtungen hin. Bei der Begleitung
der Angehörigen fiel das Item zu Informationsangeboten zur Trauerverarbeitung aus
der allgemein guten Bewertung heraus. Der relativ hohe Anteil der Antwortkategorie
„nicht gewünscht“ gegenüber einem gleichzeitig hohen Anteil derer, die solche Angebote
nicht erhalten haben, lässt vermuten, dass es für Mitarbeiter*innen der Altenpflegeeinrichtungen
eine große Herausforderung darstellt, sensibel einzuschätzen, ob Informationsangebote
benötigt werden. Dabei wünschen Angehörige von Pflegeheimbewohner*innen eine gute
Kommunikation und Informationen sowohl zum Sterbeprozess als auch zur Trauerverarbeitung
[18].
Limitationen
Die Ergebnisse basieren auf einer quantitativen Befragung von Angehörigen von in 18
Altenpflegeeinrichtungen des DWiN verstorbenen Bewohner*innen. Unseres Wissens liegen
keine neueren quantitativen Studien zur Hospizkultur in Altenpflegeeinrichtungen in
Deutschland aus Sicht von Angehörigen vor. Eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf
Einrichtungen anderer Träger und auch des Trägerverbands ist aufgrund der geringen
Rücklaufquote fraglich. So ist von positiven Selbstselektionseffekten sowohl auf Angehörigen-
als auch auf Einrichtungsebene auszugehen. Hinzu kommen mögliche erinnerungsbedingte
Verzerrungen bei der Einschätzung der Versorgung nach 3–15 Monaten.
Schlussfolgerungen
Insgesamt wurde die Versorgung von Bewohner*innen in Altenpflegeeinrichtungen am Lebensende
relativ positiv bewertet. In den an der Studie beteiligten Altenpflegeeinrichtungen
scheinen zentrale Aspekte von Hospizkultur von Mitarbeiter*innen umgesetzt zu werden,
um ein würdevolles Sterben zu ermöglichen. Die vorliegenden Ergebnisse lassen gleichwohl
auch in diesen Einrichtungen Verbesserungspotenziale erkennen. So könnten mehr Informationen
zum Thema Sterben und Trauer sowie zur gesundheitlichen Versorgungsplanung für Bewohner*innen
und Angehörige angeboten werden. In einem ganzheitlichen Verständnis von Hospizkultur
als interdisziplinäre Versorgung von Menschen am Lebensende wäre eine stärkere Einbeziehung
von Hospizdiensten und Hausärzt*innen in Einrichtungen wünschenswert. Den Möglichkeiten
zur Präsenz der Hausärzt*innen in Altenpflegeeinrichtungen sind enge Grenzen gesetzt,
allerdings könnte eine verstärkte Einbindung von Versorgungsassistent*innen (medizinische
Fachangestellte der heimversorgenden Praxen) einerseits die Hausärzt*innen entlasten
und andererseits weitere wertvolle Unterstützung für die Heimbewohner*innen und ihre
Angehörigen bedeuten. Wissenschaftliche Untersuchungen wie die ergänzende Analyse
klinischer Routinedaten der Pflegedokumentation und der Perspektive von Mitarbeiter*innen
der beteiligten Altenpflegeeinrichtungen können weitere wertvolle Anhaltspunkte liefern;
sie sind Gegenstand des laufenden Forschungsvorhabens.