Arthritis und Rheuma 2022; 42(01): 6-7
DOI: 10.1055/a-1672-1104
Editorial

arthritis + rheuma

Zeitschrift für Orthopädie und Rheumatologie
Anja Strangfeld
,
Jutta Bauhammer
 

Liebe Leser*innen der ersten Ausgabe der arthritis + rheuma im Jahr 2022,

dieses Heft befasst sich mit Themen, welche in der Behandlung von älteren und hochbetagten Patienten von Bedeutung sind. Die zunehmende Zahl an älteren Menschen ist ein wichtiger Faktor im demografischen Wandel. Die Daten des statistischen Bundesamtes (2022) zeigen für Deutschland einen deutlichen Anstieg der über 65-jährigen Menschen von 12 Millionen im Jahr 1991 auf 18,3 Millionen im Jahr 2020. Sie stellen damit ein Fünftel der Bevölkerung. Eine verhältnismäßig stark wachsende Gruppe älterer Menschen sind dabei die Hochbetagten, d. h. diejenigen ab einem Alter von 85 Jahren. Ihre Zahl betrug 2020 insgesamt 2,5 Millionen. Aus dieser positiven Entwicklung erwachsen neue Herausforderungen für die Gesellschaft und speziell das Gesundheitssystem.


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Priv.-Doz. Dr. Anja Strangfeld
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Dr. Jutta Bauhammer

Die Lebenserwartung ist jedoch nicht nur für die allgemeine Bevölkerung gestiegen, sondern auch für chronisch kranke Menschen. So profitieren Patient*innen mit chronischen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen sehr von früheren und effektiveren Behandlungsstrategien und der Vielzahl therapeutischer Möglichkeiten. Diese Erfolge sind in den Langzeitkohorten deutlich sichtbar, z. B. daran, dass sich die Lebenserwartung von Patient*innen mit rheumatoider Arthritis heutzutage kaum mehr von der der Normalbevölkerung unterscheidet. Dies führt andererseits aber auch dazu, dass das Durchschnittsalter der in der Rheumatologie versorgten Patient*innen stetig steigt und auch viele Hochbetagte mit einer rheumatischen Erkrankung behandelt werden müssen.

Leider trifft die mancherorts postulierte Aussage „70 ist das neue 50“ nur sehr selten zu. Bei einem doch beträchtlichen Anteil der Patient*innen sind relevante Komorbiditäten in der Therapiesteuerung zu beachten. Wie die von Frau Dr. med. Albrecht et al. in diesem Heft vorgestellten Daten der Kerndokumentation belegen, ist besonders ab einem Alter von 70 Jahren ein sprunghafter Anstieg begleitender Erkrankungen zu sehen. Darüber hinaus wird deutlich, dass der Anteil älterer Patient*innen in der rheumatologischen Versorgung beträchtlich ist. Im Vergleich zu jüngeren Patient*innen erhalten ältere jedoch deutlich seltener Biologika, aber häufiger eine anhaltende Steroidtherapie und NSAR trotz deren Risiko für unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen. Nach heutigem Kenntnisstand und gemessen an den Empfehlungen der Fachgesellschaften ist die medikamentöse Versorgung mit DMARDs bei älteren Patient*innen mit rheumatoider Arthritis unzureichend.

Diese Situation ist fatal, besteht doch gerade bei älteren Menschen die dringende Notwendigkeit, die Funktionsfähigkeit zu erhalten, um die Selbstständigkeit im Alltag zu gewährleisten. Denn ein beträchtlicher Anteil älterer Menschen lebt allein: Im Jahr 2017 waren 45 % der Frauen über 65 Jahre allein im Haushalt und 73 % der hochbetagten Frauen ab 85 Jahren. Bei Männern war der Anteil Alleinlebender mit 20 bzw. 33 % zwar deutlich geringer. Für beide Geschlechter jedoch gilt, dass diese Eigenständigkeit nur mit einem ausreichenden Grad an physischer Funktionskapazität zu gewährleisten ist.

Um diese zu erhalten muss mit einer adäquaten medikamentösen Versorgung die inflammatorische Aktivität kontrolliert und somit die Progression der Erkrankung geringgehalten werden. Zusätzlich müssen immobilisierende Maßnahmen vermieden und körperliche Aktivität gefördert werden. Letzteres ist besonders beim älteren Patienten nicht ganz so einfach umzusetzen. Alterungsprozesse, die unter anderem auch das Sehen und die Gleichgewichtssysteme betreffen, führen zu einer erhöhten Sturzneigung. Eine medikamentöse Therapie mit Opioiden oder Benzodiazepinen erhöht diese darüber hinaus. Zusätzlich besteht bei Stürzen im Alter, durch strukturgeschwächte Knochen, auch eine höhere Gefahr für Frakturen. Welche spezifischen Probleme dann bei der operativen Versorgung der Frakturen des älteren Menschen bestehen und welche speziellen Therapiekonzepte erfolgversprechend sind, um die Immobilisierung möglichst gering zu halten, wird im Beitrag von Herrn Prof. Gaulke dargestellt. Da regelmäßige Bewegung und Mobilität geeignet sind, Unfällen vorzubeugen, geht er darüber hinaus auch darauf ein, wie das richtige Maß gefunden werden kann zwischen einerseits gelenkschonender Bewegung und andererseits der Vermeidung von Gangunsicherheiten.

Ein neben anderen geriatrischen Syndromen mit zunehmendem Alter auftretendes Phänomen ist der Verlust an Muskelmasse und Muskelkraft, der die Leistungsfähigkeit und Mobilität der Betroffenen zusätzlich einschränkt. Dr. med. Bühring et al. stellen dieses als Sarkopenie bezeichnete Syndrom vor. Gegenstand ihres ausführlichen Beitrags sind nicht nur Definition und epidemiologische Kennzahlen der Sarkopenie in der Normalbevölkerung und bei den großen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, sondern auch, wie diese mit einfachen Screeningmethoden diagnostiziert werden kann und welche Auswirkungen auf den Patientenalltag zu beobachten sind. Dass eine Sarkopenie im höheren Alter nicht zwangsläufig auftreten muss und welche Möglichkeiten der Primär- und Sekundärprävention bestehen wird ebenso dargestellt, wie verschiedene therapeutische Optionen.

Vor dem Hintergrund eingeschränkter Mobilität und Funktionsverlust, dem zunehmenden Mangel an Hausärzten, dem weiten Weg zu fachärztlicher Behandlung und der häufig zerstreut lebenden Familien bieten digitale Vernetzungslösungen neue Optionen in der Patientenversorgung. In zunehmendem Maße sind auch ältere Menschen online und für digitale Angebote wie Gesundheits- und Überwachungs-Apps, Videosprechstunden u. ä. erreichbar. Welche Vorteile diese bieten können und welche Hindernisse zeitgleich bestehen, sie gerade im Alter zu nutzen, stellen Herr Grahammer et al. dar. Sie diskutieren, was in der Konzeption der digitalen Angebote berücksichtigt werden sollte, damit auch ältere Patienten diese einsetzen können und wollen.

Mit zunehmendem Lebensalter und steigender Zahl an Komorbiditäten erhöht sich auch das Risiko für Infektionskomplikationen, die zu akuter Immobilität führen, meist einer stationären Therapie bedürfen und mit erheblicher Mortalität einhergehen. Ein sehr wichtiger Aspekt bei der Betreuung älterer und hochbetagter Patienten generell und in besonderem Maße unter einer immunmodulierenden oder immunsupprimierenden Therapie ist daher ein guter Infektionsschutz, allem voran die Primärprophylaxe durch Impfungen. Hierbei gilt es aber die Eigenschaften des alternden Immunsystems zu verstehen und zu beachten. Prof. Voll erläutert in seinem Beitrag, der aus organisatorischen Gründen leider erst in der nächsten Ausgabe erscheinen wird, die Veränderungen des Immunsystems im Alter und erklärt, welche Impfungen bei älteren Menschen besonders wichtig sind und welche Strategien verfolgt werden können, um trotz der abnehmenden Immunantwort dennoch eine gute Schutzwirkung zu erzielen; ein Thema, dessen Wichtigkeit sich gerade auch in der aktuellen Pandemie wiederfindet.

Mit diesen ausgewählten Themen möchten wir Ihr Interesse für verschiedene Aspekte in der Versorgung älterer und hochbetagter Menschen mit rheumatischen Erkrankungen wecken und hoffen, dass die Beiträge Ihr Wissen und Repertoire für den täglichen Behandlungsalltag vertiefen.

Wir wünschen Ihnen für dieses noch neue Jahr 2022 alles Gute,

Ihre

Anja Strangfeld, Berlin

Jutta Bauhammer, Baden-Baden


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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
25. Februar 2022

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