physiopraxis 2022; 20(01): 14-18
DOI: 10.1055/a-1660-0144
Wissenschaft

Internationale Studienergebnisse

 

Femoroacetabuläres Impingement – OP erzielt bessere Ergebnisse

Ein femoroacetabuläres Impingement (FAI) beschreibt eine abnormale morphologische Veränderung am Hüftgelenk, die durch Bewegung zu Schmerzen führen kann [1], [2]. Die Prävalenz für ein FAI ist auch in asymptomatischen Populationen, vor allem bei Athlet*innen, sehr hoch [3]. Das Ziel dieser Arbeit war es die operative mit der konservativen Behandlung zu vergleichen.

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Transversaler und sagittaler Öffnungswinkel der Pfanneneingangsebene beim Erwachsenen. Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von K. Wesker und M. Voll. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018

Für ihr systematisches Review durchsuchten Forschende drei Datenbanken nach randomisierten kontrollierten Studien (RCT) mit einem Follow-up von mindestens 6 Monaten, die einen operativen Eingriff mit einer konservativen Physiotherapieform vergleichen.

Sie inkludierten drei RCTs mit 650 Teilnehmenden und hoher methodischer Qualität. Der gemittelte Follow-up-Zeitraum betrug 11,5 Monate. Die operativen Gruppen zeigen eine signifikante Verbesserung, und zwei der drei Studien weisen diese nach acht und zwölf Monaten auf. Eine Studie berichtet bei 53 % der Teilnehmenden in der operativen Gruppe über klinisch relevante Unterschiede. Dies zeigt sich bei nur 32 % in der konservativen Gruppe.

Kommentiert von Physio Meets Science

Fazit für die Praxis

Aufgrund der geringen Studien- und Stichprobengröße sind die Ergebnisse dieser Arbeit nur vorsichtig zu betrachten. Zudem waren die Operationstechniken sehr unterschiedlich, und die konservativen Therapien hatten nur sehr wenige Einheiten (8–12 Therapieeinheiten in sechs Monaten) mit unterschiedlichen Therapieansätzen (etwa Stretching, was keine überzeugenden Ergebnisse liefert [4]).

PMS

Arthroscopy 2020; 36: 263–273

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Begriffe der Forschungsmethodik

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Verletzungen bei Läufer*innen – Individuelle Trainingssteuerung statt pauschalen Regeln

Laufen ist eine beliebte Sportart, um fit zu bleiben oder Kalorien zu verbrennen, und wird auch als Wettkampfsport geschätzt. Die Jahresinzidenz für Verletzungen, die mit dem Laufen assoziiert sind, liegt bei 85 % [5], [6], [7]. Aus biomechanischer Sicht könnten Verletzungen mit der Gelenkbelastung zusammenhängen. Diese Übersichtsarbeit befasst sich mit der Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen Trainingsparametern oder der Änderung dieser und dem Auftreten von Verletzungen gibt.

Forschende durchsuchten dazu bis Juli 2020 vier Datenbanken nach Arbeiten, die sowohl strukturierte als auch unstrukturierte Laufeinheiten einschlossen. Sie orientierten sich dabei an der Cochrane Leitlinie für Reviews. Sie suchten nach prospektiven oder randomisierten, kontrollierten Studien, die sie mit QualSyst auf ihre methodische Qualität hin bewerteten.

Die Forschenden schlossen 36 Studien mit insgesamt 23 047 Läufer*innen und hoher gemittelter methodischer Qualität ein. Es traten 6043 Verletzungen auf, wobei sich der höchste Anteil davon bei kompetitiven Sportler*innen (62,6 %) fand. Am häufigsten war mit 25,8 % das Knie verletzt und danach das Sprunggelenk (24,4 %). Insgesamt ergaben sich keine schlüssigen Zusammenhänge zwischen einem der Trainingsparameter oder der Änderung davon und einer Verletzung.

Kommentiert von Physio Meets Science

Fazit für die Praxis

Die Studien waren in Bezug auf die Stichprobe und die Definition einer Verletzung sehr heterogen. Als Ergebnis dieser Untersuchung kann man dennoch festhalten, dass pauschale Regeln zur Progression der Laufstrecke wie die 10 %-Regel [8] nicht sehr sinnvoll scheinen, da zu viele individuelle Einflussfaktoren eine Rolle spielen. Therapierende sollten die individuelle Trainingshistorie oder Unterschiede als Basis der Trainingssteuerung heranziehen. Darüber hinaus sollten sie an weitere Einflussfaktoren wie zu wenig Schlaf etc. denken.

PMS

J Athl Train 2021; doi:10.4085/1062-6050-0195.21


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Lauftraining – Der Knorpel toleriert es

Die WHO empfiehlt erwachsenen Menschen 150–300 Minuten aerobe Aktivität pro Woche [9]. Laufen gehen ist hierfür eine simple Möglichkeit. Da hohe Kräfte auf die Gelenke wirken [10], [11], stellten sich Wissenschaftler*innen die Frage, ob sich Knorpel in Knie, Hüfte oder Fuß durch einmaliges oder mehrfaches Laufen über mehrere Wochen verändert und ob es dadurch zu einer frühzeitigen Arthrose kommen kann.

Zur Beantwortung ihrer Forschungsfrage führten sie ein systematisches Review mit Metaanalyse durch, wofür sie in 6 Datenbanken nach Studien suchten. Die methodische Qualität der Studien bewerteten sie mit dem QualSyst-Tool. Bei den Studien handelte es sich um prospektive Untersuchungen, bei der Forschende mittels Magnetresonanztomografie sieben verschiedene Parameter, unter anderem die Knorpeldicke, erhoben hatten.

Die Wissenschaftler*innen inkludierten insgesamt 43 Studien. Hiervon wiesen 19 Studien eine hohe Studienqualität und 24 Studien eine mittlere Qualität auf. 10 Studien untersuchten die Unterschiede nach einem längeren Laufprogramm. Mit starker Evidenz zeigt sich, dass die Knorpeldicke im Knie nach einer Laufeinheit akut abnimmt. Das Gleiche zeigt sich für die T2-Relaxationszeit im Knie. Mit moderater Evidenz deuten die Ergebnisse darauf hin, dass weder neue Läsionen noch veränderte T2-Relaxationszeiten nach einem Monat durch einmaliges Laufen auftreten. Acht der inkludierten Studien zeigen mit moderater Evidenz, dass durch häufigeres Laufen keine neuen Knorpelläsionen im Knie entstehen. Es zeigt sich, dass normale, temporäre Veränderungen akut nach dem Laufen auftreten. Diese sind durch einen veränderten Flüssigkeitsgehalt zu erklären. Laufbelastungen scheinen daher gut toleriert zu werden.

Kommentiert von Physio Meets Science

Fazit für die Praxis

Die Untersuchungen waren sehr heterogen (Alter: 8–82 Jahre; Laufstrecken: 0,4–42 km). Dennoch kann man davon ausgehen, dass durch ein gezieltes Training eher positive Anpassungen im Knorpelgewebe entstehen und Therapierende das Laufen als sinnvolle Aktivität empfehlen können.

PMS

Sports Med 2021; doi:10.1007/s40279-021-01533-7


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Spannungskopfschmerz – Nichtpharmakologische Therapie als Chance nutzen

Spannungskopfschmerz gilt mit einer Prävalenz von 38 % weltweit als zweithäufigstes Gesundheitsproblem [12], [13]. Ziel dieses Reviews mit Metaanalyse war es daher, nicht-pharmakologische Interventionen auf ihre Wirksamkeit bei Spannungskopfschmerz zu überprüfen.

Forschende führten von Februar bis Juli 2020 eine systematische Literaturrecherche durch, bei der sie nach klinischen Leitlinien, systematischen Übersichtsarbeiten sowie randomisierten kontrollierten Studien (RCT) suchten. Die Teilnehmenden der eingeschlossenen Arbeiten sollten über 18 Jahre alt sein und die Diagnose Spannungskopfschmerz nach der International Classification of Headache Disorder (ICHD 2-3) [14], [15] haben. Als Interventionen schlossen die Forschenden Gelenkmobilisationstechniken, beaufsichtigte körperliche Aktivität, psychologische Behandlung, Akupunktur und Patientenaufklärung ein. Primäre Endpunkte sollten die Kopfschmerzfrequenz und Lebensqualität sein.

Insgesamt konnten sie für ihre Auswahlkriterien 13 RCTs einschließen. Eine Akupunktur zeigte positive Auswirkungen auf die Kopfschmerzfrequenz und die Lebensqualität. Auch für die beaufsichtigte körperliche Aktivität konnten die Forschenden einen kleinen positiven Effekt auf beide Endpunkte feststellen. Die Anwendung von manuellen Gelenkmobilisationstechniken zeigte einen großen positiven Effekt auf die Häufigkeit von Kopfschmerzen sowie einen kleinen Effekt auf die Verbesserung der Lebensqualität. Psychologische Behandlungen hatten einen positiven Effekt bezogen auf die Reduktion von Stresssymptomen. Für die Interventionsform Patientenaufklärung konnten die Forschenden keine RCTs identifizieren. Es wurden in keiner Untersuchung schwerwiegende unerwünschte Ereignisse gemeldet. Die Sicherheit der Evidenz war jedoch bei allen Untersuchungen niedrig bis sehr niedrig.

Kommentiert von Physio Meets Science

Fazit für die Praxis

Basierend auf dem identifizierten Nutzen und den individuellen Präferenzen können nicht-pharmakologische Behandlungsansätze für Spannungskopfschmerz in Frage kommen. Es zeigen sich einige positive Effekte im Hinblick auf Häufigkeit, Lebensqualität, Schmerzintensität und Stresssymptome. Die kleine Studienanzahl sowie die geringe Qualität der Evidenz lassen jedoch keine konkreten Schlussfolgerungen zu.

PMS

J Headache Pain 2021; 22: 96


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Handarthrose – Krafttraining erhöht Zufriedenheit

Personen mit Handarthrose leiden oft unter Schmerzen, Steifigkeit, verminderter Griffkraft und einer verminderten Arbeitsfähigkeit [16]–[18]. Als wirksame Behandlungsstrategien bei Arthrose gelten unter anderem Selbstmanagement, Aufklärung sowie Krafttraining. Dennoch ist der Einsatz des Krafttrainings kein Standard in Rehabilitationsprogrammen. Das Ziel dieser randomisierten kontrollierten Studie war es, die Auswirkungen eines progressiven Widerstandtrainings auf Schmerzen, Funktion und Griff- sowie Kneifkraft zu untersuchen.

Die Forschenden teilten sechzig Handarthrosepatient*innen nach dem Zufallsprinzip der Trainingsgruppe (n = 30) oder der Kontrollgruppe (n = 30) zu. Die Kontrollgruppe erhielt eine einmalige Schulungssitzung, während die Trainingsgruppe zusätzlich ein progressives Widerstandskraftprogramm für die Handmuskulatur zweimal wöchentlich für je 35 Minuten über eine Dauer von 12 Wochen durchführte. Der primäre Endpunkt war die Schmerzintensität. Die sekundären Endpunkte waren unter anderen der AUSCAN-Hand-Osteoarthritis-Index sowie die Cochin Hand Functional Scale für Funktion, Griff- und Kneifkraft.

Das Durchschnittsalter der Teilnehmenden betrug 68,9 (8,8) bzw. 64,7 (8,9) Jahre für die Kontroll- bzw. Trainingsgruppe. Zwischen den Gruppen wurden keine signifikanten Unterschiede für Schmerzen nach 12 Wochen beobachtet (mittlerer Unterschied zwischen den Gruppen: −1,30 (−0,02 bis 2,62) für die dominante Hand und −1,33 (0,01–2,65) für die nicht dominante Hand, p = 0,085 bzw. 0,295). Bezüglich der Zufriedenheit mit der Behandlung konnten die Forschenden in der Trainingsgruppe jedoch bessere Werte beobachten (AUSCAN-Index-Gesamtscore (p = 0,005), Schmerz (p = 0,006), Funktion (p = 0,047) und Cochin-Skala (p = 0,042)).

Kommentiert von Physio Meets Science

Fazit für die Praxis

Progressives Widerstandstraining konnte bei Patient*innen mit Handarthrose keine Verbesserung hinsichtlich der Schmerzen erzielen. Allerdings wurde in der Trainingsgruppe eine Verbesserung der sekundären Endpunkte, wie Funktion und Zufriedenheit mit der Behandlung beobachtet. Zukünftig gilt es weitere Untersuchungen im Hinblick auf Krafttraining in der Therapie bei Handarthose durchzuführen.

PMS

Clinical Rehabilitation 2021; 35: 1757–1767


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Schlafhygiene …

… spielt eine wichtige Rolle bei der Erholung nach dem Training und wirkt sich auf Verletzungen und sportliche Leistung aus. Zu diesem Ergbnis kamen Forschende in ihrer Querschnittstudie. Sie untersuchten die Schlafqualität und Schlafhygiene bei Profisportler*innen und einer altersgleichen Kohorte. 184 professionelle Rugby-, Netzball- und Fußballsportler*innen und 101 Patient*innen eines sportmedizinischen Zentrums nahmen an einer Online-Umfrage teil. Die Ergebnisse des Fragebogens zeigen, dass Profisportler*innen über eine schlechtere Schlafqualität und Schlafhygiene im Vergleich zu einer altersgleichen Kohorte sowie über Einschlafschwierigkeiten nach dem Wettkampf berichten. Dies ist wahrscheinlich auf den Stress des Wettkampfs, auf das Training und Reisen zurückzuführen.

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Clin J Sport Med 2021; 31: 488–493

Physio Meets Science (PMS) ist eine Gruppe wissenschaftlich begeisterter Therapeut*innen, die sich als Vernetzungspunkt der evidenzbasierten Physio- und Trainingstherapie im deutschsprachigen Raum versteht. Sie wollen eine Brücke von der Wissenschaft in den therapeutischen Praxisalltag bauen. Aktuelle Veröffentlichungen fassen sie übersichtlich und verständlich zusammen und arbeiten sie für die klinische Praxis auf. Mehr über das Team und ihre Arbeit:
www.physiomeetsscience.com

Zusammen mit Kolleg*innen von der DIGOTOR GbR setzen sie sich im PMR-NET www.pmr-net.de für Schulungen in den neuen Medien mit Schwerpunkt Onlineschulungen ein.

Thieme Website

Aktuelle Studienergebnisse

Auf unserer Thieme Website für Physiotherapeut*innen finden Sie Kurzzusammenfassungen aktueller Studienergebnisse – jeden Monat upgedatet! Einfach reinklicken unter www.thieme.de/physiotherapie > „Studienergebnisse“.


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Fatigue …

… können Menschen mit Multipler Sklerose mit Bewegung beeinflussen. Eine Metaanalyse kam zu dem Schluss, dass sich für ein kombiniertes Übungs- und Krafttraining die höchsten Effekte gegenüber der Kontrollgruppe ergaben.

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Arch Phys Med Rehabil 2021; 21: 01417–01419


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Chronische Schmerzen und Suizidalität – Nicht zögern, Gespräch suchen

Die Lebenszeitprävalenz für Suizidgedanken und für Suizidversuche wird bei Menschen mit chronischen Schmerzen auf 23 % bzw. 15 % geschätzt. Die Inzidenzrate von Selbstmordversuchen ist fast viermal so hoch im Vergleich zu Menschen ohne chronische Schmerzen. Obwohl es eine hohe Komorbidität zwischen chronischen Schmerzen und psychischen Problemen sowie Suizidalität gibt, waren die zugrunde liegenden Zusammenhänge bislang weitestgehend unerforscht. In einem Review untersuchten belgische und englische Wissenschaftler*innen 69 neuere Studien auf Faktoren, die in der Literatur sowohl über chronische Schmerzen als auch über Suizid Beachtung fanden.

Die Ergebnisse des Reviews zeigen, dass Menschen mit chronischen Schmerzen und Menschen mit Suizidgedanken oder -verhalten Schwierigkeiten mit Aspekten des positiven Zukunftsdenkens haben. Psychologische Flexibilität ist ein Schutzmechanismus sowohl für Suizidgedanken als auch für Schmerzen. Obwohl es demnach viele gemeinsame Faktoren gibt, mangelt es an Überschneidungen zwischen den Forschungsbereichen des chronischen Schmerzes und der Suizidforschung.

Die Autor*innen schlussfolgern, dass Kliniker *innen zwar nicht davon ausgehen sollten, dass eine Person mit chronischen Schmerzen automatisch ein erhöhtes Suizidrisiko hat, aber auch nicht vermeiden sollten, das Thema Suizidalität anzusprechen. Jemanden nach Suizid oder suizidalem Verhalten zu fragen, ist für diese Person kein Auslöser dafür, sich das Leben zu nehmen. Schlimmstenfalls zeigt die medizinische Fachkraft, dass sie sich genug Sorgen macht, um zu fragen, und bestenfalls eröffnet ein Gespräch die Möglichkeit, suizidale Gedankengänge zu unterbrechen. Angehörige von Gesundheitsberufen, die in spezialisierten Schmerzeinrichtungen arbeiten, sollten in Suizidprävention geschult werden. Es gilt auf Patient*innen zu achten, die das Gefühl haben, anderen zur Last zu fallen, von anderen isoliert zu sein, oder die sich nicht in der Lage fühlen, wertvolle Ziele oder Aktivitäten zu verfolgen. Zudem sollten Schmerz- und Suizidforschung besser ineinandergreifen.


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Kommentiert von Physiotherapeutin Katrin Veit und Rechtsanwalt Thomas Schlegel:

Fazit für die Praxis

Die meisten Suizide geschehen nicht ohne Vorzeichen, jedoch sind diese selten klar und präzise [19], [20]. Deshalb ist es wichtig, dass Therapierende und andere Angehörige von Gesundheitsberufen, die in Kontakt mit chronischen Schmerzpatient*innen sind, besonders für dieses Thema sensibilisiert sind. Die Entwicklung einer suizidalen Handlung verläuft nach Pöldinger in drei Stadien: Erwägungs-, Ambivalenz- und Entschlussstadium [20]–[22]. Im ersten Stadium hat die Person bereits Suizidgedanken, zieht sich sozial zurück und gibt versteckte Hinweise und Appelle. In Stadium zwei ist die Distanzierung zu Suizidgedanken nicht mehr vorhanden, die Person kündigt den Suizidversuch an bzw. sucht nach Hilfe. Das letzte Stadium ist die Suizidvorbereitung. Die Person wirkt entlastet bzw. resigniert, es gibt nur noch indirekte Warnhinweise und eine trügerische Ruhe. Ein Gespräch über Suizidgedanken in einem persönlichem Rahmen kann eine vorbeugende Maßnahme sein und die Motivation dafür, Hilfe aufzusuchen. Wichtig ist, dass wir Warnsignale wahrnehmen bzw. ernst nehmen, Unterstützung (auf-)zeigen, konkret nach suizidalen Gedanken fragen und die betroffene Person direkt zu lokalen Hilfsstellen weitervermitteln und an die Psychiatrie oder Psychotherapie oder an die Ambulanz der psychiatrischen Klinik überweisen. Nur in besonderen Fällen ist das Einschalten eines Notarztes oder der Polizei auch rechtlich erlaubt – nämlich dann, wenn unübersehbare Anzeichen für einen bevorstehenden Suizidversuch bestehen und diese Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Andernfalls bleibt es bei der Überweisung und der dringenden Empfehlung, sich an weiterführende Angebote zu wenden und dort Unterstützung zu suchen – aber auf der Basis der eigenen Entscheidung.

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Lancet Psychiatry 2020; 7: 282–290


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Suizidprävention

WHO-Leitfaden

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählen Suizide mit über 700 000 Toten pro Jahr weiterhin zu den häufigsten Todesursachen weltweit. In ihrem Leitfaden zur Suizidprävention „LIVE LIFE“ fordert die WHO dazu auf, Maßnahmen durch umfassende nationale Suizidpräventionsstrategien zu ergreifen [23], wie zum Beispiel:

  • Zugang zu Mitteln erschweren, die bei einem Suizid genutzt werden könnten (Schusswaffen, giftige Chemikalien …)

  • mit den Medien in Hinblick auf eine verantwortungsvolle Berichterstattung über Selbstmord zusammenzuarbeiten

  • sozioemotionale Lebenskompetenzen von Heranwachsenden zu fördern

  • Personen, die suizidale Verhaltensweisen zeigen, frühzeitig zu identifizieren und zu betreuen


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Publication History

Article published online:
05 January 2022

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Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Transversaler und sagittaler Öffnungswinkel der Pfanneneingangsebene beim Erwachsenen. Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von K. Wesker und M. Voll. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018