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DOI: 10.1055/a-1656-9987
Die Melorheostose – eine Differenzialdiagnose maligner Knochentumoren im jungen Erwachsenenalter
Melorheostosis – a benign entity mimicking malignant bone tumor in young adultsEinleitung
Die Melorheostose (MRH, Syn.: Kerzenwachskrankheit) ist eine sporadische kongenitale Erkrankung aus der Gruppe der sklerosierenden Knochendysplasien, die zu fokal überschüssigen Knochenformationen führt. Die geschätzte Prävalenz liegt bei 0,9 pro 1 000 000 Personen (Wynne-Davies and Gormley, 1985), Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. Eine Assoziation mit weiteren sklerosierenden Knochendysplasien (z. B. Osteopoikilose) und dem Buschke-Ollendorff-Syndrom wurde beschrieben, die genaue Pathogenese ist jedoch ungeklärt. Obgleich es sich um eine benigne Erkrankung handelt, können ein extensives und gelenksüberschreitendes Wachstum sowie die Infiltration umliegender Muskeln und Sehnen zu massiven Einschränkungen der Patienten führen. Typische Symptome umfassen Schmerzen, Knochendeformierung und Bewegungseinschränkung, Muskelschwäche und -atrophien sowie Taubheitsgefühle (Judkiewicz et al. 2001; Smith et al. 2017). Veränderungen des darüber liegenden Bindegewebes und der Haut, wie beispielsweise Hyperpigmentierung, subkutane Fibrose und vaskuläre Malformationen, sind häufig.
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Die Erkrankung verläuft langsam-progressiv.
Die Diagnosestellung erfolgt radiologisch. Klassische Befunde sind multiple peri- und endosteale Hyperostosen mit segmentalem und unilateralem (monomelischem) Verteilungsmuster (Smith et al. 2017). Prädilektionsstelle sind die Diaphysen der Röhrenknochen, die untere Extremität ist am häufigsten betroffen. Es werden 4 morphologische Subtypen unterschieden (klassische Kerzenwachsform, Osteopathia-striata-ähnliche, Myositis-ossificans-ähnliche, Osteom-ähnliche Form) (Freyschmidt 2001).
Fallbeschreibung
Eine zuvor gesunde 39-jährige Patientin stellte sich in der orthopädischen Ambulanz unserer Klinik aufgrund belastungsabhängiger Schmerzen und einer Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk vor. Anamnestisch lag kein Trauma vor. Klinisch fiel eine tastbare, druckdolente Verhärtung im Bereich der rechten Fossa poplitea auf.
Im konventionellen Röntgen des rechten Knies ([Abb. 1]) zeigte sich eine wolkenartig kalzifizierte bzw. ossifizierte Expansion in den distalen dorsalen Oberschenkelweichteilen mit kurzstreckigem Kontakt zum distalen Femur.
Konkordant hierzu zeigte die native Computertomografie (CT) ([Abb. 2a]) eine solide, maximal 7,2 cm große, juxtakortikale Expansion mit irregulärer Mineralisierung und solider Periostreaktion des distalen Femurs. In der weiterführenden Magnetresonanztomografie (MRT) ([Abb. 2b–d]) fand sich ein moderates Enhancement im nichtmineralisierten Läsionsanteil. Eine endosteale Verdickung sowie ein minimales Knochenmarködem des Femurs lagen vor, jedoch keine Kontrastmittelaufnahme im Sinne einer Knochenmarkinfiltration.
Nebenbefundlich fielen in der 3-phasigen MBq-99m-Tc-DPD-PET-CT 2 intraossäre Läsionen mit gesteigertem Tracer-Uptake der Fibuladiaphyse und des Calcaneus auf. Die Läsionen konnten mittels MRT und CT verifiziert werden ([Abb. 3]). Als begleitende Weichgewebsveränderungen zeigten sich auf den rechten Unterschenkel beschränkte, subkutane venöse Malformationen.
Initial lenkten Lokalisation und Morphologie der femoralen Expansion den Verdacht auf ein parosteales Osteosarkom. Differenzialdiagnostisch wurden ein kalzifiziertes Hämatom und eine Myositis-ossificans-like MRH diskutiert. Im interdisziplinären Konsens erfolgte die endgültige Diagnosesicherung mittels Inzisionsbiopsie. Histologisch ergab sich Weichgewebe und verbreitertes Kortikalis-artiges Knochengewebe, vereinbar mit einer MRH.
Auf Wunsch der Patientin wurde eine chirurgische Exzision der femoralen Läsion vorgenommen. Bei klinischer Symptomfreiheit ergab das 4 Monate später angefertigte Kontrollröntgen keinen Anhalt für ein Lokalrezidiv.
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Diskussion
Die klassische Kerzenwachsform der MRH macht etwa ein Fünftel der Fälle aus und zeigt sich im Röntgenbild durch kortikale Verdickungen entlang der Längsachse des Knochens, welche an fließendes Kerzenwachs erinnern (Freyschmidt, 2001).
Charakteristikum der Myositis-like MRH sind kalzifizierte und nichtkalzifizierte, teils palpable Expansionen mit infiltrativem Wachstum (Freyschmidt 2001; Judkiewicz et al. 2001). Diese finden sich gehäuft im periartikulären Weichgewebe, wobei ein Knochenkontakt typischerweise nachweisbar ist.
Das parosteale Osteosarkom und die Myositis ossificans zählen zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen der Myositis-ossificans-ähnlichen MRH. Eine präzise radiologische Unterscheidung ist essenziell, kann jedoch aufgrund der Ähnlichkeit der konventionellen Bildbefunde herausfordernd sein. Die native dünnschichtige CT im Knochen- und Weichteilfenster sowie die MRT vor und nach intravenöser Kontrastmittelapplikation sind Modalität der Wahl zur Abklärung dieser Läsionen. Das klinische Bild und der zeitliche Verlauf bieten weitere diagnostische Informationen. Eine Zusammenfassung der radiologischen und klinischen Charakteristiken der wichtigsten Differenzialdiagnosen mit fehlender Verbindung zur Kompakta ist in [Tab. 1] ersichtlich.
Der entscheidende diagnostische Stellenwert der CT liegt in der gegebenen Beurteilbarkeit von Tumormatrix (inklusive derer Mineralisierung), Kompakta, Periostreaktion und Markraum. Mittels MRT lassen sich umliegende Weichgewebsstrukturen wie neurovaskuläre Bündel, Sehnen, Muskeln und Markraum im Hinblick auf etwaige Infiltrationen beurteilen.
Während die Hauptdifferenzialdiagnosen ein zonales (Myositis) und revers-zonales (Osteosarkom) Kalzifizierungsmuster aufweisen, finden sich bei der Myositis-like MRH heterogene und irreguläre Mineralisierungen. Die Manifestierung der MRH ist in der Regel polyostotisch, mit mehreren betroffenen Knochen derselben Extremität und nur geringer Größenzunahme im Verlauf. Mehrspeicherungen in Skelettszintigrafie und PET/CT wurden mehrfach beschrieben und sind in erster Linie auf die Läsionsaktivität zurückzuführen (Vyskocil et al. 2015; Jha et al. 2019).
Die Therapie der MRH ist symptomatisch und stark individuell. Gängige Optionen sind die Analgesie, Physiotherapie und seltener die chirurgische Resektion mit dem Ziel der Schmerzfreiheit und Wiederherstellung des vollen Bewegungsumfangs (Smith et al. 2017).
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Schlussfolgerung
Die Myositis-ossificans-ähnliche MRH ist eine seltene benigne Differenzialdiagnose kalzifizierter Weichgewebsexpansionen im jungen Erwachsenenalter. Anders als das parosteale Osteosarkom und die Myositis ossificans liegt die Erkrankung meist multifokal und in segmentaler Verteilung vor. Das Kalzifizierungsmuster der Läsionen ist ein hilfreiches Unterscheidungsmerkmal in der CT. Ein rascher Größenprogress ist untypisch für die MRH. Wir schlussfolgern, dass das klinische Bild, die Patientenhistorie und radiologische Befunde essenziell für die korrekte Diagnosestellung und die Vermeidung weiterer, teils invasiver Diagnostik sind.
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Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Korrespondenzadresse
Publication History
Article published online:
21 December 2021
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