CC BY-NC-ND 4.0 · Rofo 2022; 194(04): 416-419
DOI: 10.1055/a-1656-9987
The Interesting Case

Die Melorheostose – eine Differenzialdiagnose maligner Knochentumoren im jungen Erwachsenenalter

Melorheostosis – a benign entity mimicking malignant bone tumor in young adults
Ann-Katrin Kaufmann-Bühler
Division of General Radiology, Medical University of Graz, Austria
,
Helmut Schöllnast
Division of General Radiology, Medical University of Graz, Austria
,
Division of General Radiology, Medical University of Graz, Austria
› Author Affiliations
 

Einleitung

Die Melorheostose (MRH, Syn.: Kerzenwachskrankheit) ist eine sporadische kongenitale Erkrankung aus der Gruppe der sklerosierenden Knochendysplasien, die zu fokal überschüssigen Knochenformationen führt. Die geschätzte Prävalenz liegt bei 0,9 pro 1 000 000 Personen (Wynne-Davies and Gormley, 1985), Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. Eine Assoziation mit weiteren sklerosierenden Knochendysplasien (z. B. Osteopoikilose) und dem Buschke-Ollendorff-Syndrom wurde beschrieben, die genaue Pathogenese ist jedoch ungeklärt. Obgleich es sich um eine benigne Erkrankung handelt, können ein extensives und gelenksüberschreitendes Wachstum sowie die Infiltration umliegender Muskeln und Sehnen zu massiven Einschränkungen der Patienten führen. Typische Symptome umfassen Schmerzen, Knochendeformierung und Bewegungseinschränkung, Muskelschwäche und -atrophien sowie Taubheitsgefühle (Judkiewicz et al. 2001; Smith et al. 2017). Veränderungen des darüber liegenden Bindegewebes und der Haut, wie beispielsweise Hyperpigmentierung, subkutane Fibrose und vaskuläre Malformationen, sind häufig.


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Die Erkrankung verläuft langsam-progressiv.

Die Diagnosestellung erfolgt radiologisch. Klassische Befunde sind multiple peri- und endosteale Hyperostosen mit segmentalem und unilateralem (monomelischem) Verteilungsmuster (Smith et al. 2017). Prädilektionsstelle sind die Diaphysen der Röhrenknochen, die untere Extremität ist am häufigsten betroffen. Es werden 4 morphologische Subtypen unterschieden (klassische Kerzenwachsform, Osteopathia-striata-ähnliche, Myositis-ossificans-ähnliche, Osteom-ähnliche Form) (Freyschmidt 2001).

Fallbeschreibung

Eine zuvor gesunde 39-jährige Patientin stellte sich in der orthopädischen Ambulanz unserer Klinik aufgrund belastungsabhängiger Schmerzen und einer Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk vor. Anamnestisch lag kein Trauma vor. Klinisch fiel eine tastbare, druckdolente Verhärtung im Bereich der rechten Fossa poplitea auf.

Im konventionellen Röntgen des rechten Knies ([Abb. 1]) zeigte sich eine wolkenartig kalzifizierte bzw. ossifizierte Expansion in den distalen dorsalen Oberschenkelweichteilen mit kurzstreckigem Kontakt zum distalen Femur.

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Abb. 1 Konventionelle Röntgenaufnahme des rechten Knies einer 39-jährigen Patientin mit Myositis-ossificans-ähnlicher Melorheostose. Laterale a und a. p. b Projektion zeigen eine wolkenartig kalzifizierte Expansion (Pfeile) in dorsalen Oberschenkelweichteilen mit Kontakt zum distalen Femur.

Konkordant hierzu zeigte die native Computertomografie (CT) ([Abb. 2a]) eine solide, maximal 7,2 cm große, juxtakortikale Expansion mit irregulärer Mineralisierung und solider Periostreaktion des distalen Femurs. In der weiterführenden Magnetresonanztomografie (MRT) ([Abb. 2b–d]) fand sich ein moderates Enhancement im nichtmineralisierten Läsionsanteil. Eine endosteale Verdickung sowie ein minimales Knochenmarködem des Femurs lagen vor, jedoch keine Kontrastmittelaufnahme im Sinne einer Knochenmarkinfiltration.

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Abb. 2 CT- und MRT-Untersuchung des rechten Knies einer 39-jährigen Patientin mit Myositis-ossificans-ähnlicher Melorheostose. CT des rechten Knies in sagittaler Schicht a zeigt eine irregulär und Osteoid-ähnlich kalzifizierte Expansion mit 7,2 cm maximalem Durchmesser in den dorsalen Oberschenkelweichteilen (Pfeil). Es besteht eine Nahebeziehung zur dorsalen Femurmetadiaphyse mit breiter Kortikalisreaktion, jedoch mit fehlender Verbindung zur Kompakta (Pfeilköpfe). Die sagittale native T1w b verdeutlicht die Heterogenität der Läsion mit kalzifizierten (Stern) und nichtkalzifizierten (Pfeil) Anteilen sowie die Nähe zum Caput laterale des M. gastrocnemius. In der koronalen nativen T1w c zeigt sich ein breitflächiger Kontakt zum M. biceps femoris und M. plantaris (Pfeile), teils mit unscharfer Begrenzung der Expansion. Kein direkter Kontakt zu A. poplitea (p) und zum Fibulaköpfchen (fh). Die axiale fettgesättigte T1w nach Kontrastmittelgabe d demonstriert eine heterogene Kontrastmittelaufnahme der Expansion (Pfeile) sowie deren Nahebeziehung zum M. biceps femoris (Stern) und lateralen Femurkondyl (fc).

Nebenbefundlich fielen in der 3-phasigen MBq-99m-Tc-DPD-PET-CT 2 intraossäre Läsionen mit gesteigertem Tracer-Uptake der Fibuladiaphyse und des Calcaneus auf. Die Läsionen konnten mittels MRT und CT verifiziert werden ([Abb. 3]). Als begleitende Weichgewebsveränderungen zeigten sich auf den rechten Unterschenkel beschränkte, subkutane venöse Malformationen.

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Abb. 3 Segmentale Verteilung weiterer Melorheostose-Manifestationen am rechten Unterschenkel. Axiale CT (a, c) und MRT (b, d) des rechten Unterschenkels. In der Fibuladiaphyse zeigte sich in CT a und MRT b in PD-Wichtung eine weitere Melorheostose-Läsion des Kerzenwachstyps. Eine dritte Läsion des Osteom-ähnlichen Typs (c, d) fand sich laterodorsal im Calcaneus (Pfeilspitzen). Beide Läsionen weisen eine end- und periosteale Komponente auf. Die axiale PD-Wichtung b verdeutlicht das Kortikalis-artige Signalverhalten der exzentrisch gelegenen Läsion im Fibulaschaft, mit end- und periostealer Ausdehnung (Pfeil). In der axialen fettgesättigten T1-Wichtung nach intravenöser Kontrastmittelapplikation kann ein schmales randständiges Enhancement abgegrenzt werden (Pfeil) d.

Initial lenkten Lokalisation und Morphologie der femoralen Expansion den Verdacht auf ein parosteales Osteosarkom. Differenzialdiagnostisch wurden ein kalzifiziertes Hämatom und eine Myositis-ossificans-like MRH diskutiert. Im interdisziplinären Konsens erfolgte die endgültige Diagnosesicherung mittels Inzisionsbiopsie. Histologisch ergab sich Weichgewebe und verbreitertes Kortikalis-artiges Knochengewebe, vereinbar mit einer MRH.

Auf Wunsch der Patientin wurde eine chirurgische Exzision der femoralen Läsion vorgenommen. Bei klinischer Symptomfreiheit ergab das 4 Monate später angefertigte Kontrollröntgen keinen Anhalt für ein Lokalrezidiv.


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Diskussion

Die klassische Kerzenwachsform der MRH macht etwa ein Fünftel der Fälle aus und zeigt sich im Röntgenbild durch kortikale Verdickungen entlang der Längsachse des Knochens, welche an fließendes Kerzenwachs erinnern (Freyschmidt, 2001).

Charakteristikum der Myositis-like MRH sind kalzifizierte und nichtkalzifizierte, teils palpable Expansionen mit infiltrativem Wachstum (Freyschmidt 2001; Judkiewicz et al. 2001). Diese finden sich gehäuft im periartikulären Weichgewebe, wobei ein Knochenkontakt typischerweise nachweisbar ist.

Das parosteale Osteosarkom und die Myositis ossificans zählen zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen der Myositis-ossificans-ähnlichen MRH. Eine präzise radiologische Unterscheidung ist essenziell, kann jedoch aufgrund der Ähnlichkeit der konventionellen Bildbefunde herausfordernd sein. Die native dünnschichtige CT im Knochen- und Weichteilfenster sowie die MRT vor und nach intravenöser Kontrastmittelapplikation sind Modalität der Wahl zur Abklärung dieser Läsionen. Das klinische Bild und der zeitliche Verlauf bieten weitere diagnostische Informationen. Eine Zusammenfassung der radiologischen und klinischen Charakteristiken der wichtigsten Differenzialdiagnosen mit fehlender Verbindung zur Kompakta ist in [Tab. 1] ersichtlich.

Tab. 1

Klinische und radiologische Charakteristiken der Myositis-ossificans-like Melorheostose und ihrer wichtigsten Differenzialdiagnosen.

Myositis ossificans

parosteales Osteosarkom

Myositis-ossificans-like Melorheostose

Entität

benigne fibroossäre Läsion, Pseudotumor

Low-grade-Knochensarkom

sklerosierende Knochendysplasie

Manifestationsalter

2.–3. Dekade

3. Dekade

2.–3. Dekade

Inzidenz

< 1/1 000 000 Personen,

m > f

4 % aller Osteosarkome,

f > m

0,9 / 1000 000 Personen,

m = f

Therapie

  • symptomorientiert

  • weite Exzision (> 1 cm chirurgische Ränder)

  • neoadjuvante Chemotherapie in ausgewählten Fällen

  • symptomorientiert

Prognose

keine Einschränkung der Lebenserwartung

5-Jahres-Überleben 86–91 %

keine Einschränkung der Lebenserwartung

Diagnostik

Röntgen, native CT, MRT

Histopathologie

Röntgen, native CT, MRT

Krankheitsverlauf

  • initial rasches Wachstum

  • selbstlimitierend

  • oft spontane Rückbildung

  • langsames Wachstum (Jahre)

  • High-grade-Transformation (16–43 %)

  • sehr langsames Wachstum

Lokalisation

  • Skelettmuskulatur (Vastus-Gruppe)

  • untere > obere Extremität

  • Metaphyse von Röhrenknochen (posteriorer Aspekt des distalen Femur ~70 %)

  • periosteal

  • untere > obere Extremität

  • peripheres Skelett

  • juxtakortikal, periartikulär

  • untere > obere Extremität

Verteilungsmuster

solitär

solitär (Metastasen sind selten)

multipel, segmentale Verteilung

Mineralisation

  • graduell

  • zonal (peripher > zentral)

  • reifer, lamellärer Knochen

  • irregulär

  • revers-zonal (zentral > peripher)

  • reifer, trabekulärer Knochen

  • irregulär

  • Osteoid-ähnlicher, dichter Knochen

Periostreaktion

keine („string sign“)

  • kortikale Verdickung oder Erosion

  • minimale Periostreaktion

  • „Cleavage plane“ (65 %)

  • variabel

Markrauminfiltration

keine

ja (22–58 %)

keine

Kontrastmittelaufnahme

kräftig, zentral betont

heterogen, Weichgewebskomponenten

heterogen, Weichgewebskomponenten

Der entscheidende diagnostische Stellenwert der CT liegt in der gegebenen Beurteilbarkeit von Tumormatrix (inklusive derer Mineralisierung), Kompakta, Periostreaktion und Markraum. Mittels MRT lassen sich umliegende Weichgewebsstrukturen wie neurovaskuläre Bündel, Sehnen, Muskeln und Markraum im Hinblick auf etwaige Infiltrationen beurteilen.

Während die Hauptdifferenzialdiagnosen ein zonales (Myositis) und revers-zonales (Osteosarkom) Kalzifizierungsmuster aufweisen, finden sich bei der Myositis-like MRH heterogene und irreguläre Mineralisierungen. Die Manifestierung der MRH ist in der Regel polyostotisch, mit mehreren betroffenen Knochen derselben Extremität und nur geringer Größenzunahme im Verlauf. Mehrspeicherungen in Skelettszintigrafie und PET/CT wurden mehrfach beschrieben und sind in erster Linie auf die Läsionsaktivität zurückzuführen (Vyskocil et al. 2015; Jha et al. 2019).

Die Therapie der MRH ist symptomatisch und stark individuell. Gängige Optionen sind die Analgesie, Physiotherapie und seltener die chirurgische Resektion mit dem Ziel der Schmerzfreiheit und Wiederherstellung des vollen Bewegungsumfangs (Smith et al. 2017).


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Schlussfolgerung

Die Myositis-ossificans-ähnliche MRH ist eine seltene benigne Differenzialdiagnose kalzifizierter Weichgewebsexpansionen im jungen Erwachsenenalter. Anders als das parosteale Osteosarkom und die Myositis ossificans liegt die Erkrankung meist multifokal und in segmentaler Verteilung vor. Das Kalzifizierungsmuster der Läsionen ist ein hilfreiches Unterscheidungsmerkmal in der CT. Ein rascher Größenprogress ist untypisch für die MRH. Wir schlussfolgern, dass das klinische Bild, die Patientenhistorie und radiologische Befunde essenziell für die korrekte Diagnosestellung und die Vermeidung weiterer, teils invasiver Diagnostik sind.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. Ann-Katrin Kaufmann-Bühler
Division of General Radiology, Medical University of Graz
Auenbruggerplatz 9
8036 Graz
Austria   
Phone: +43/3 16/38 51 25 77   

Publication History

Article published online:
21 December 2021

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Abb. 1 Konventionelle Röntgenaufnahme des rechten Knies einer 39-jährigen Patientin mit Myositis-ossificans-ähnlicher Melorheostose. Laterale a und a. p. b Projektion zeigen eine wolkenartig kalzifizierte Expansion (Pfeile) in dorsalen Oberschenkelweichteilen mit Kontakt zum distalen Femur.
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Abb. 2 CT- und MRT-Untersuchung des rechten Knies einer 39-jährigen Patientin mit Myositis-ossificans-ähnlicher Melorheostose. CT des rechten Knies in sagittaler Schicht a zeigt eine irregulär und Osteoid-ähnlich kalzifizierte Expansion mit 7,2 cm maximalem Durchmesser in den dorsalen Oberschenkelweichteilen (Pfeil). Es besteht eine Nahebeziehung zur dorsalen Femurmetadiaphyse mit breiter Kortikalisreaktion, jedoch mit fehlender Verbindung zur Kompakta (Pfeilköpfe). Die sagittale native T1w b verdeutlicht die Heterogenität der Läsion mit kalzifizierten (Stern) und nichtkalzifizierten (Pfeil) Anteilen sowie die Nähe zum Caput laterale des M. gastrocnemius. In der koronalen nativen T1w c zeigt sich ein breitflächiger Kontakt zum M. biceps femoris und M. plantaris (Pfeile), teils mit unscharfer Begrenzung der Expansion. Kein direkter Kontakt zu A. poplitea (p) und zum Fibulaköpfchen (fh). Die axiale fettgesättigte T1w nach Kontrastmittelgabe d demonstriert eine heterogene Kontrastmittelaufnahme der Expansion (Pfeile) sowie deren Nahebeziehung zum M. biceps femoris (Stern) und lateralen Femurkondyl (fc).
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Abb. 3 Segmentale Verteilung weiterer Melorheostose-Manifestationen am rechten Unterschenkel. Axiale CT (a, c) und MRT (b, d) des rechten Unterschenkels. In der Fibuladiaphyse zeigte sich in CT a und MRT b in PD-Wichtung eine weitere Melorheostose-Läsion des Kerzenwachstyps. Eine dritte Läsion des Osteom-ähnlichen Typs (c, d) fand sich laterodorsal im Calcaneus (Pfeilspitzen). Beide Läsionen weisen eine end- und periosteale Komponente auf. Die axiale PD-Wichtung b verdeutlicht das Kortikalis-artige Signalverhalten der exzentrisch gelegenen Läsion im Fibulaschaft, mit end- und periostealer Ausdehnung (Pfeil). In der axialen fettgesättigten T1-Wichtung nach intravenöser Kontrastmittelapplikation kann ein schmales randständiges Enhancement abgegrenzt werden (Pfeil) d.