Ein Schwerpunkt dieses regelmäßigen AGENS-Supplements soll auf der
Darlegung methodischer Aspekte der Sekundärdatenanalyse liegen. Damit
dient dieses neue Forum der Hilfestellung und Fortbildung für die zunehmende
Zahl jüngerer Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Bedeutungszuwachs der
Versorgungsforschung dieses methodische Feld in den vergangenen Jahren für
sich entdeckt haben. Außerdem stellt sich die Sekundärdatenanalyse
als ein noch vergleichsweise junges Anwendungsgebiet mit hoher methodischer Dynamik
dar. Gleichwohl sollen Ergebnisse hochwertiger Studien nicht zu kurz kommen,
weil zu spezifischen wissenschaftlichen Fragestellungen stets anwendungs-, diagnose-
oder leistungsbezogene Adaptationen gefunden werden müssen, in denen sich
die geeigneten Methoden anschaulich widerspiegeln. Aus Ergebnisdarstellungen und
daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen wiederum ergeben sich Motivationen
für die Anwendung der Sekundärdatenanalyse, auch im
Brückenschlag von Versorgungsforschung zu klinischer Forschung und den
klinischen Fachdisziplinen sowie in der konkreten Kooperation zwischen Wissenschaft
und Dateneignern. Das Supplement schließlich ist offen für
Beiträge zu datenschutzrechtlichen Aspekten der Sekundärdatenanalyse
und solchen mit Darlegungen forschungsorganisatorischer Herausforderungen und deren
Lösungen.
Für die Zukunft sind pro Jahr jeweils ein themenoffenes Heft und ein
Supplement mit einem Schwerpunktthema geplant, für das Jahresende 2021
befinden sich Manuskripte zu Projekten des Innovationsfonds des Gemeinsamen
Bundesausschusses in Vorbereitung. Gerne nehmen wir Ihre Anregungen für
Themenschwerpunkte der nächsten Jahre entgegen. Um dieses Angebot
schrittweise zu verbessern, sind wir ebenfalls an Kritik und
Verbesserungsvorschlägen zu seinem Format und seinen Inhalten interessiert.
Zögern Sie daher nicht, diese direkt an die Sprecher der AGENS zu
richten.
Das neue Angebot an Autor:innen und Leser:innen wird nur dann von anhaltendem Erfolg
gekrönt sein, wenn die wissenschaftliche Gemeinschaft der
Sekundärdatenforscher:innen es aktiv annimmt.
Wir möchten Sie daher ermuntern, Ihre Beiträge zu diesem
Forschungsbereich in „Das Gesundheitswesen“ einzureichen. Bei der
Nutzung des gewohnten Scholar-Autor:innenportals können Sie auf die
Platzierung im AGENS-Supplement hinweisen; die eingereichten Beiträge
durchlaufen dann unter Koordination der AGENS-Ko-Schriftleitung das bekannte
substantielle Reviewverfahren. Damit ist die gewohnt hohe Qualität der
Beiträge gewährleistet, gleichzeitig ist ihre Sichtbarkeit in
Literaturdatenbanken garantiert, und der impact factor der GESU ist den
Veröffentlichungen sicher. Ein ganz herzlicher Dank sei an dieser Stelle der
Schriftleitung der GESU und Herrn Prof. Wildner bzw. Frau Sterlike sowie dem
Thieme-Verlag für dieses großzügige Angebot und die
Unterstützung bei der Umsetzung ausgesprochen.
Das vorliegende Supplement bietet einen Strauß von Beiträgen, die die
Vielfalt der Sekundärdatenquellen und der methodischen Herangehensweisen
zeigen. Dabei ist zu beachten, dass entsprechend der methodischen
Schwerpunktsetzung des Supplements die übliche Manuskriptstruktur
für Originalarbeiten, bestehend aus Einleitung – Methodik –
Ergebnisse – Diskussion, häufig eine Modifikation erfahren hat.
Einleitend unternehmen Gothe et al. eine grundsätzliche sprachliche
Reflexion zur terminologischen Einordnung und Definition des Begriffs
Sekundärdaten, der in der Vergangenheit vielfach Anlass gab, den Stellenwert
der Sekundärdatenanalyse zu verkennen. Pigeot et al. thematisieren
verschiedene typische Biasquellen und zeigen Strategien auf, diese zu vermeiden und
den durch ungemessenes Confounding entstehenden Bias abzuschätzen. Dazu
gehören Target Trials, marginale Strukturmodelle und instrumentelle
Variablen. Abschließend wird Record Linkage als Ansatz diskutiert, fehlende
Information in den Daten zu ergänzen. Epping et al. vergleichen
Herzinfarktprävalenzen in GKV-Abrechnungsdaten und Surveydaten des RKI, in
dem über die in beiden Datenquellen vorliegenden soziodemographischen
Informationen eine Parallelisierung der Datenkörper vorgenommen und damit
die Basis für einen validen Vergleich hergestellt wird. Schubert et
al. beschreiben den Prozess der Generierung von Qualitätsindikatoren
für die Langzeit-Evaluation des IV-Projekts „Gesundes
Kinzigtal“, deren grundsätzliche Abbildbarkeit mittels Routinedaten
in einem Innofondsprojekt überprüft wurde. Sawicki et al.
beschreiben die methodisch anspruchsvolle Evaluation komplexer Versorgungsformen und
zeigen am Beispiel generalisierter Schätzungsgleichungen, wie
Qualitätsunterschiede zwischen der Hausarztzentrierten Versorgung und der
Regelversorgung über die Zeit aufgedeckt werden können.
Goldhahn et al. beschreiben für Sekundärdaten des
Rettungsdienstes die patientenbezogene mittel- und langfristige Abbildung von
Outcomes mit einer Verknüpfung von GKV-Daten. Für den Fall, dass die
eindeutige Schlüsselvariable Krankenversichertennummer in den
Rettungsdienstdaten fehlt, wird ein belastbares Verfahren zum probabilistischen
Linkage vorgestellt. Meinert et al. stellen für kleinräumige
Versorgungsanalysen einen Ansatz vor, der Versicherten der GKV und Patient:innen der
Rettungsdienste einen Sozialstatus ihres Wohnortes zuweist. Damit lassen sich auch
auf Ebene des unmittelbaren Wohnumfelds bekannte Zusammenhänge der
Sozialepidemiologie reproduzieren. Nimptsch und Busse untersuchen
anhand von DRG-Daten die Validität von Zeitangaben in GKV-Abrechnungsdaten
am Beispiel von Linksherzkatheteruntersuchungen. Gelänge es, die Genauigkeit
dieser Angaben zu erhöhen, könnten Zeitangaben als
Prozessindikatoren für die Qualitätsbewertung der
stationären Versorgung genutzt werden. Hauswaldt et al. berichten
über methodische Vorgehensweisen und Ergebnisse aus einem Projekt, das
„Real World“-Daten aus der ambulanten Gesundheitsversorgung
alternativ zum Zugang über die GKV direkt aus Hausarztpraxen in eine
längsschnittliche Datenquelle mit repräsentativen,
de-identifizierten Patienten- und Versorgungsdaten überführt, um
diese der Versorgungsforschung bereitzustellen. Abgerundet wird das Heft von
redaktionellen Mitteilungen der AGENS zu deren neuen Kommunikationskanälen
und dem digitalen Methodenworkshop im März 2021 sowie ein mit zwei
befreundeten Arbeitsgruppen erstelltes Diskussionspapier zu einem
Forschungsdatenzentrum Gesundheit.
Viel Spaß beim Lesen wünschen Ihnen
Enno Swart & Holger Gothe & Peter Ihle