Schlüsselwörter
Orthesen - Rheumatologie - Hilfsmittel - Schwanenhalsorthese
Key words
Splints - Orthoses - Swan-neck deformity
Einleitung
Orthesen gehören definitionsgemäß zu den Hilfsmitteln. Diese
sind als sachlich medizinische Leistungen und in §33 SGB V definiert.
Dieser Paragraph regelt auch den Anspruch der Patienten auf Versorgung mit Seh- und
Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen oder
anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der
Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die
Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen
Lebens anzusehen oder nach §34 SGB V ausgeschlossen sind. Der
GKV-Spitzenverband erstellt gemäß §139 SGB V ein
systematisch strukturiertes Hilfsmittelverzeichnis, in dem von der Leistungspflicht
der gesetzlichen Krankenversicherung umfasste Hilfsmittel gelistet werden. Dieses
ist aufgeteilt in Produktgruppe, Anwendungsort, Untergruppe, Anwendungsart,
Einzelprodukt mit dem Resultat einer 10-stelligen Hilfsmittelpositionsnummer. Bei
Produkten mit einer solchen Nummer läuft die Kostenerstattung, neben der
10% Kostenübernahme des Patienten sowie Rezeptgebühr,
über die Krankenkassen. Fehlt diese Nummer, so ist in jedem Fall vorab eine
Genehmigung der Kassen einzuholen bzw. zu erfragen. Dieser Antrag wird jedoch
aufgrund des Patientenrechtegesetzes meist schnell (innerhalb von 3 Wochen)
entschieden werden, da sonst die Kasse aufgrund der Genehmigungsfiktion automatisch
dem Antrag zustimmt. Es ist den Krankenkassen somit ein Anliegen, solche
Anträge schnell zu erledigen. Dies geschieht natürlich auch im Sinne
der Patienten, die nicht bei einer akuten Indikation monatelang auf ihre Orthese
warten können.
Wichtig zu wissen ist, dass Bandagen und Orthesen nicht in derselben Produktgruppe
im
Hilfsmittelverzeichnis zu finden sind (Bandagen=Produktgruppe 02,
Orthesen=Produktgruppe 23), denn es gibt einen entscheidenden Unterschied
zwischen Orthesen Schienen, Bandage oder Tapes.
Orthesen oder Schienen dienen stets dazu die Bewegung in einem Gelenk zu
führen bis hin zur kompletten Ruhigstellung. So können
unphysiologische, translatorische Kräfte minimiert werden und in dessen
Folge die mechanischen Einwirkungen auf die Gelenkknorpel reduziert werden. Eine
weitere Möglichkeit ist es das Ausmaß der Bewegung mittels Orthesen
zu begrenzen und sukzessive zu erweitern oder Kräfte die bei bestimmten
Bewegungen auf ein bestimmtes Gelenk einwirken, durch gezielte Ruhigstellung des
betroffenen Gelenks auf andere Gelenkpartner umzulenken (z. B. die
Immobilisation des Daumensattelgelenks durch einen Orthesenring bei Rhiz-Arthrose).
Orthesen sind daher eher komplex gestaltet und werden immer aus festeren Materialien
gefertigt. Sie werden oft individuell angepasst. Bandagen hingegen sind flexibler
mit dem Ziel die Gelenke leicht zu stabilisieren. Sie bestehen aus elastischen
Stoffen ohne starre Führungsschienen. Bandagen können nicht gezielt
nur einen Bewegungsfreiheitsgrad zu lassen. Sie stützen insgesamt und
können dadurch ein stabileres Gefühl im Alltag geben und auch
vermitteln.
Verschrieben werden können Bandagen und Orthesen über ein
Hilfsmittelrezept (Muster 16 mit angekreuzter 7). Dabei ist eine genaue Beschreibung
mit idealerweise passender Hilfsmittelnummer sinnvoll. Ebenso Diagnose und Datum
(§7 Hilfsmittelrichtlinie). Pro Rezept darf immer nur eine Versorgung
rezeptiert werden (wobei 2x bei beidseitigem Befall erfahrungsgemäß
auch auf einem Rezept möglich ist).
Die Evidenz von Orthesengebrauch bei rheumatoider Arthritis ist heterogen.
Einflüsse auf Schmerz, Greifkraft, Funktionsfähigkeit und
Lebensqualität werden beschrieben, können jedoch nicht
endgültig bewiesen werden [1]. Daher wird
empfohlen individuell mit dem Patienten über Orthesen zu sprechen und einen
probatorischen Therapie-Ansatz zu wählen.
Dies entspricht ohnehin dem empfohlenen Ansatz gemäß der
International classification of functioning, disability and health (ICF), bei der
stets von der Funktionsfähigkeit des Patienten auszugehen ist [2]. Darauf aufbauen werden Defizite festgestellt
und individuelle Ziele definiert, die es ermöglichen die
höchstmögliche Partizipation am täglichen Leben zu
erreichen. Dies wird dann mit der klinischen Situation in Einklang gebracht und es
wird zu eruieren versucht, ob eine Stabilisierung oder Immobilisierung einzelner
Gelenke oder Bewegungsachsen mögliche Schmerzauslöser reduzieren
oder gar ausschalten könnten und Funktionsfähigkeiten steigern
könnten. Eine gute orthetische Versorgung wird durch ein
interdisziplinäres Team sichergestellt, das aus rehabilitativen und
chirurgischen Ärzten, Ergo- und Physiotherapeuten sowie
Orthopädietechnikern besteht und miteinander synergistisch agiert [3].
Orthesen und Bandagen der oberen Extremität
Orthesen und Bandagen der oberen Extremität
Aufgrund der zahlreichen Indikationen und diversen Multimorbiditäten kann
sich nur auf die häufigsten Gelenkaffektionen konzentriert werden. Diese
sind glenohumeral, radiocarpal, metacarpal und interphalangeal für die obere
Extremität.
Finger – und Handorthesen
Die Kenntnis über verschiedene Fingerorthesen stellt eine hilfreiche
Erweiterung im Praxisalltag dar. Wie bereits erwähnt, sollten nicht jede
Deformität oder Arthralgie in eine Orthese gepackt werden. Dennoch ist
es sinnvoll über diese Möglichkeiten Bescheid zu wissen um sie
bei Bedarf gezielt und in Rücksprache mit dem Patienten zur Verbesserung
der Partizipation am täglichen Leben und zur Reduzierung der Schmerzen
einsetzen zu können.
Fingerorthesen sind für viele Deformitäten des PIP- und
DIP-Gelenks erhältlich. Dies reicht von standardisierten Plastikringen
bis zu maßgefertigten Sonderanfertigungen aus Metall. Es sind einige
Orthopädietechnik-Unternehmen darauf spezialisiert und fertigen diese
nach ärztlicher Verordnung und Patientenwunsch an. Dies ist jedoch meist
als Selbstzahlerleistung zu tragen. Als Indikationen für diese Orthesen
zählen Schwanenhalsdeformitäten, Knopflochdeformitäten,
Mallet-Finger, IP-Deviationen, schnellende Finger und schmerzhaften Arthritiden
am Daumensattelgelenk sowie an den MCP-Gelenken. Eine Schwanenhalsorthese ([Abb. 1]) kann beispielweise die
Überstreckung im PIP-Gelenk und die Flexion im DIP Gelenk reduzieren,
sofern in der klinischen Untersuchung passiv eine Beweglichkeit in eine
physiologische Haltung möglich ist [4].Dadurch wird das Ballen einer Faust oder ein Zangengriff wieder besser
möglich und erleichtert das Greifen von Gegenständen im Alltag.
Zwei häufig verwendete Schwanenhalsorthesen wären der sog.
Murphy-Ring oder die Oval-8-Orthese ([Abb.
1]). Diese sind auch angepasst für Knopflochdeformitäten
oder auch zur Immobilisierung bei akutem Schub möglich. Zur
temporären Immobilisierung bei starken Schmerzen in jeglichem
Freiheitsgrad eignen sich besonders die Stack-Schienen ([Abb. 2]).
Abb. 1 Tragweise eines Oval-8 Ring bei
Schwanenhalsdeformität.
Abb. 2 Stack-Schiene zur temprären Immobilisierung.
Etwas eingreifender und umfassender sind Handorthesen, die gesamte
Deviationsneigungen der MCP-Gelenke auffangen und stabilisieren sollen. Dies
dient besonders auch der Erleichterung des Alltags. Die inflammatorische
Destruktion führt häufig zu einer Ulnarduktion, also dem
Verschieben des proximalen Carpus nach ulnar mit gegensätzlicher
Translation des distalen Carpus sowie der Metacarpalia nach radial [4]. Dadurch kann es kompensatorisch zur
Ulnardeviation der Finger kommen, die so stark sein kann, dass es zu massiven
Defiziten der Funktionsfähigkeit der Hand im Alltag kommt. Hier
können maßangefertigte Ulnardeviations-Orthesen hilfreich sein
([Abb. 3]).
Abb. 3 Verschiedene Modelle individuell angepasster
Ulnardeviations-Handorthesen (a–c). Durch das
Freilassen der proximalen Interphalangealgelenke (PIP) sind
Pinzettengriff und das Halten eines Stiftes im Alltag wieder
möglich (b). Quelle A: Andrea Biswal, Tettnang, Quelle B
und C: Tondera Sanitätshaus GmbH, Gelsenkirchen.
Ist die Hauptproblematik eher in der Supinationsdeformität des
Handgelenks vorhanden mit klassischer prominenter Ulna und radiokarpaler
palmarer Subluxation, so kann versucht werden mit Lagerungsschienen eine
orthograde, gelenkschonendere Bewegungsachse in den Alltagsbewegungen zu
erzielen. Die Lagerungsschienen bestehen meist aus thermolabilem Kunststoff, der
individuell angepasst werden kann. Ein verbreiteter Ansatz ist es,
Nacht-Lagerungsschienen zu verordnen um die inflammatorische Aktivität
zu reduzieren. Die Evidenz ist hier unterschiedlich [5]
[6]. Ein RCT mit n=50
zeigte gute Effekte auf Schmerz, Greifkraft und Zufriedenheit [5]. Ein anderer multizentrischer RCT mit
n=120 verglich eine Gruppe mit Nachtlagerungsschiene und Ergotherapie
gegen eine Gruppe die nur Ergotherapie erhielt [6]. Dabei zeigten sich keine signifikanten Ergebnisse, die
für eine Nachtlagerungsschiene sprechen würden.
Auch das zirkuläre Stabilisieren des radiokarpalen Gelenks kann bei
manchen Patienten deutliche Schmerzentlastung und Gewinn der
Alltagsaktivität nach sich ziehen [7]., ebenso das longitudinale Stabilisieren tagsüber mit
klassischer Handorthese [8].
Teilweise ist es sinnvoll bei unvermeidbaren repetitiven Bewegungen durch
Stabilisierung inflammatorische Prozesse zu verlangsamen oder zu vermeiden.
Dies gilt generell für jedes Gelenk. Glenohumerale Affektionen bei
rheumatoider Arthritis sind mitunter häufiger als erwartet [9]. Hier spielen besonders die
Entzündungen der periartikulären Strukturen eine wichtige Rolle,
die teilweise auch Langzeitfolgen haben können. Besonders chronische
Synovialitiden können destruierende Effekte beschleunigen und sind
häufig vorhanden [10]. Deshalb
wäre es denkbar, dass bei Exazerbationen temporäre
Immobilisation des Schultergelenks während antiinflammatorischer
Therapie synergistische Effekte aufweisen könnte. Eine handfeste Evidenz
hierzu existiert nicht. Da jedoch die Ruhigstellung generell bei rheumatoiden
Arthritiden indiziert ist und bei chronischen Synovialitiden der Schulter wenig
Therapieoptionen bestehen, wäre es hier im Speziellen wichtig an die
temoräre Ruhigstellung zu denken, da dies oft nicht unmittelbar bei
Schulterschmerz als Therapieoption präsent ist.
Wissenswert: Handschienen über Heilmittelverordnung
Im Übrigen können Hand- und Fingerorthesen auch durch
dafür qualifizierte Ergotherapeut*innen angefertigt werden
und sind verordnungsfähig [11].
Nach §40, Abs. 2 der Heilmittelrichtlinie ist dies als
ergänzende Maßnahme bei einer Verordnung von sensorisch-
perzeptiver als auch motorisch-funktioneller Behandlung möglich. Die
Schienen haben dann keine Hilfsmittelnummer, da sie hier als
temporäres Heilmittel gelten. Man kann die Schiene als
ergänzendes Heilmittel (z. B. 1x Handgelenkslagerungsschiene
nach Maß) auf die Verordnung schreiben und diese Verordnung der
Schiene ist immer extrabudgetär. Dies sollte jedoch immer im
Austausch mit den jeweiligen Therapeut*innen besprochen werden.
Hier gibt es noch die Möglichkeit der dynamischen individuellen
Schienenfertigung mit Seilzügen um gewisse Bewegungen zu erlauben
(z. B. auch nach postoperativen Zuständen).
Orthesen der unteren Extremität
Orthesen der unteren Extremität
Auch wenn prinzipiell jedes Gelenk stabilisiert und/oder immobilisiert werden
kann, fokussiert sich der therapeutische Bereich bei der unteren Extremität
vor allem auf Orthesen für das Kniegelenk sowie Einlagenversorgung und
Schuhzurichtungen. Letzteres ist besonders von Interesse. Einen Befall der
Füße kann bei circa 85–95% der Patienten mit RA
gezeigt werden [12].
Knieorthesen
Bei Gonarthrosen findet sich eine Expertenübereinstimmung, dass Orthesen
hier zur Aktivitätssteigerung und damit
Lebensqualitätsverbesserung sinnvoll sein können [13].
Bzgl. spezifischer rheumatischen Gelenkaffektionen stehen keine eindeutigen
leitlinienbezogenen Aussagen zur Verfügung. Es ist aber davon
auszugehen, dass ähnliche Effekte bzgl. Schmerzreduktion,
Funktionsfähigkeit und Schmerzreduktion erzielt werden können
wie bei den Studien mit Gonarthrose-Patienten.
Ebenso ist es möglich, dass bei schweren Entzündungen
temporär mittels Hülsenorthesen mit lateral befindlichen
Aluschienen zu immobilisieren. Hartrahmenorthesen mit eingebautem Gelenk
für Flexion und Extension können mediolaterale
Stabilität bieten, bergen aber auch die Gefahr zu verrutschen und
eventuell unphysiologische Hebelkräfte auf das Kniegelenk zu erzeugen,
wie beispielsweise eine ventrale Translation der Tibia gegenüber dem
Femur mit Belastung des vorderen Kreuzbandes [12].
Schuhzurichtung und Schuheinlagen
Fußdeformitäten stellen eine häufige Komplikation einer
RA dar, die mit besonders umfassenden Lebensqualitätseinbußen
einhergeht [14]. Maßgefertigte Schuhe
und/oder Einlagen können Schmerzen reduzieren und die
Partizipation erhöhen [1]
[15]. Besonders Patienten mit Metatarsalgien
sind mit Umverteilungs-Einlagen gut zu helfen [16]
[17].
Maßgefertigte Schuhe sind zudem ideal um auch das USG und OSG zu
stabilisieren. Die typische Rückfußdeformität mit
zunehmender medialer Abkippung des Talus und der drohenden Synovialitis kann mit
maßgefertigen Schuhe bzw. Korrektureinlagen vorgebeugt werden oder
zumindest eine weitere Deformität verlangsamt werden. Allerdings spielt
das individuelle Gewicht der Schuhe eine entscheidende Rolle, weshalb viele
Patienten sich gegen eine solche Versorgung entscheiden.
Erfahrungsgemäß verstärken die schweren Schuhe die
Schmerzen besonders in der Schwungphase und hemmen das Gangbild, weshalb sie oft
abgelehnt werden.
Die Einlagenversorgung folgt der Funktionsverbesserung. Je nach Situation muss
zwischen unterstützenden bis hin zu stützenden oder rein
bettenden Einlagen entschieden werden. Häufig sind zu hohe retrokapitale
Pelotten trotz der zunehmenden Plattfußsituation nicht indiziert, da die
dünne Haut und das degenerierte subkutane Fettgewebe der
Fußsohle die Druckerhöhung an der Pelotte nicht toleriert [12].
Zusammenfassung
Orthesen, Bandagen und Einlagen sind wichtige Werkzeuge in der konservativen
Versorgung rheumatischer Erkrankungen der Halte-und Bewegungsorgane. Sie sollten
immer dem Erhalt oder der Verbesserung der Funktionsfähigkeit im Alltag
dienen und die Indikation zu einer dauerhaften Nutzung sollte in
regelmäßigen Abständen immer wieder reevaluiert werden.
Besonders Finger,- Hand- und Fußorthesen können häufig
deutliche Erleichterungen mit sich bringen und steigern somit die
Lebensqualität. Eine Indikation sollte idealerweise im Team
interdisziplinär getroffen werden.