Schlüsselwörter
Übersetzung - Angst vor der Geburt (fear of childbirth) - W-DEQ - kulturelle Adaptation
- INfORM
Key words
Translation - fear of childbirth (FOC) - W-DEQ - cultural adaptation - INfORM
Einleitung
Schwangere Frauen mit Angst vor der Geburt (Tokophobie) sind in ihren beruflichen,
häuslichen und sozialen Aktivitäten oder Beziehungen beeinträchtigt [1]
[2]
[3]. Die Angst vor der Geburt ist oft gepaart mit bestehenden Angststörungen, kann sich
aber auch als Angst vor einer Schwangerschaft oder als Angst vor der bevorstehenden
Geburt etablieren. Bei Mehrgebärenden kann sich Angst vor der Geburt durch ein früheres
negatives Geburtserleben oder eine traumatisch empfundene Situation während einer
Geburt äußern [1]
[3]. In einem systematischen Review von Nilsson et al. [1] zu Tokophobie, dem 24 Studien aus europäischen Ländern, Kanada, Australien und den
USA zugrunde liegen, wird die Prävalenz mit 6,3 bis 14,8% angegeben. Bei Frauen mit
großer Angst vor der Geburt besteht ein erhöhtes Risiko einer Präeklampsie und intrauteriner
Wachstumsretardierung [4]. Die Anzahl von Arztbesuchen in der Schwangerschaft ist erhöht [4] und es werden vermehrt operative Entbindungen durchgeführt [4]
[5].
Schwangere Frauen wünschen sich eine kontinuierliche Betreuung und erwarten dabei
ein individuelles, ganzheitliches und respektvolles Vorgehen. Sie wünschen sich Informationen
proaktiv zu erhalten und sind dankbar, wenn sie an andere Professionen vermittelt
werden bei Problemen, die nicht im Kompetenzbereich der sie betreuenden geburtshilflichen
Fachpersonen liegen [6]. Es wird empfohlen, das Thema Angst vor der Geburt in der Schwangerenvorsorge routinemäßig
anzusprechen [7]. So kann eine schwangere Frau mit großer Angst vor der Geburt noch in der Schwangerschaft
von einer psycho- oder körpertherapeutischen Unterstützung [4]
[7] profitieren, präpartale Komplikationen einer Wachstumsretardierung könnten gemildert
werden [4]. Leider besteht nicht überall ein zeitlich schnell agierendes Netzwerk zwischen
Geburtshilfe und Psychotherapie, bei dem die schwangere Frau bei Bedarf schnell einen
Termin bekommen kann. Auch wird nicht jede Frau bereit sein, einen längeren Fragebogen
auszufüllen [7], eventuell auch nicht über eine Gesundheits-App.
Wijma – Delivery Expectancy/Experience Questionnaire (W-DEQ)
Als valides Assessment zur Selbsteinschätzung von Angst vor der Geburt gilt der „Delivery
Expectancy/Experience Questionnaire“ von Claas Wijma et al. (W-DEQ) [1], der von Wijma, Wijma und Zar 1998 in Schwedisch zur Bestimmung von „Fear of childbirth“
(FOC) konstruiert und validiert wurde [8]. Der W-DEQ ist inzwischen in mehrere Sprachen übersetzt und wird in einem systematischen
Review [1] als das Assessmentinstrument bezeichnet, das international zur individuellen Bestimmung
großer Angst vor der Geburt am häufigsten sowohl für eine therapeutische Intervention
als auch in der Forschung eingesetzt wird. Der W-DEQ hat je 33 Items in beiden Originalversionen
(A und B). Die Version A bezieht sich auf Gefühle und Erwartungen schwangerer Frauen
an die bevorstehende Geburt, die Version B auf Erfahrungen nach der Geburt [3]
[8]. Die zur Einschätzung formulierten Aussagen sind in beiden Versionen gleich, nur
die einleitenden Fragen unterscheiden sich im Tempus, d. h. sie sind für die Zukunft
(Version A) und für die Vergangenheit (Version B) formuliert.
Bei dem W-DEQ_A [8] wird das Konstrukt Angst bei schwangeren Frauen in Erwartung der Geburt erhoben.
Nach einer einleitenden Frage zu Gedanken an die gesamte Geburt, wird der Prozess
der Geburt durch sechs Fragen repräsentiert, die als formative Indikatoren erwartete
Gefühle und Gedanken zur Wehenarbeit und zur Geburt des Kindes thematisieren. Eine
abschließende Frage zu Fantasien im letzten Monat der Schwangerschaft mit 2 Items
erfragt die erwarteten Gefühlen während der Geburt, während intensivster Wehen und
des Moments, in dem das Kind geboren wird ([Tab. 1]).
Tab. 1 Auszug aus dem W-DEQ_A [8].
Instruction:
This questionnaire is about feelings and thoughts women may have at the prospect
of labour and delivery. The answers to each question appear as a scale from 0 to 5. The outermost answers
(0 and 5 respectively) correspond to the opposite extremes of a certain feeling or
thought. […] Please answer how you imagine your labour and delivery will be - not the way you
hope it will be.
|
Questions:
|
1. How do you think your labour and delivery will turn out as a whole?
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Extremely fantastic
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0
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1
|
2
|
3
|
4
|
5
|
Not at all fantastic
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Extremely frightful
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0
|
1
|
2
|
3
|
4
|
5
|
Not at all frightful
|
2. How do you think you will feel in general during the labour and delivery?
|
3. How do you think you will feel during the labour and delivery?
|
4. What do you think will happen when labour is most intense?
|
5. How do you imagine it will feel the very moment you deliver the baby?
|
6. Have you, during the last month, had fantasies about the labour and delivery, for
example …
|
Es gibt positiv und negativ formulierte Aussagen, die durchgängig auf einer sechsstufigen
(Werte 0–5), endpunktbenannten Likert-Skala eingeschätzt werden. Die Auswertung der
gesamten Item-Skala erfolgt nach Umpolung der positiven Aussagen auf einem Summen-Kontinuum
von 0 bis max. 165 Punkten [3]. Unterschiedliche Cut-offs unterscheiden international moderate, schwere und extreme
Angst vor der Geburt. Von klinisch relevanter Angst vor der Geburt wird mehrheitlich
ab einer Summenscore von 85 Punkten gesprochen [1].
Übersetzung und kulturelle Äquivalenz
Das Ziel der Übersetzung eines Fragebogens ist, in einem sequentiellen Verfahren die
sprachliche und kulturelle Äquivalenz mit dem Ursprungs-Fragebogen beziehungsweise
seinem inhaltlichen Konstrukt sicher zu stellen [9]. Entsprechend aktueller Standards der World Health Organisation (WHO) [10], dem führenden kommerziellen Anbieter von Fragebögen zur Selbsteinschätzung unter
der Bezeichnung „Patient-Reported Outcomes Measurement Information Systems“ (PROMIS)
[11] und der International Society for Pharmacoeconomics and Outcomes Research (ISPOR)
[12], muss eine Übersetzung von mehreren Expert*innen mit unterschiedlichem beruflichen
Hintergrund und Expertise durchgeführt werden. Um die Vorgehensweise kontrolliert
durchzuführen, werden die einzelnen Schritte sorgfältig geplant und dokumentiert.
Bereits in den 1990ern wurden Übersetzungen von Assessments systematisiert und national
und international methodisch verfeinert. Daraus resultierten Bemühungen, Standards
für eine qualitative, wissenschaftliche Übersetzung und die Validierung des Prozesses
zu erstellen, anhand derer die Qualität der Übersetzung und der kulturellen Adaptation
eingeschätzt werden kann [13]
[14] ([Tab. 2]).
Tab. 2 Standards für eine qualitativ hochwertige, wissenschaftliche Übersetzung.
Institution
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AAOS1
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ISPOR2
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WHO3
|
PROMIS4
|
INfORM5
|
Jahr der Publikation
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2001
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2005
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2010
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2012
|
2013
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Einbezug der Entwickler des Ursprungsinstruments
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x
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x
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x
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Vorwärtsübersetzung: mind. 2 Personen, unabhängig voneinander, muttersprachlich in
der Zielsprache
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x
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x
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x
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x
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x
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Konsens der Versionen der Vorwärtsübersetzung
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x
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x
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x
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Rückübersetzung: 1–2 Personen, unabhängig voneinander, muttersprachlich in der Quellsprache,
kennen nicht das Ursprungsinstrument
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x
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x
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x
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x
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x
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Begutachtung der Rückübersetzung anhand des Ursprungsinstruments
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x
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x
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x
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wiederholte Übersetzungen bei Abweichungen
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x
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Abschluss des Übersetzungsprozesses
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x
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Expert*innengruppe: unterschiedlicher fachlicher Hintergrund, incl. aller/einiger
Übersetzer (und der Entwickler)
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x
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x
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x
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x
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Review der Äußerungen der Expert*innengruppe
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Lektorat
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x
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x
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Dokumentation des Übersetzungsprozesses
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x
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x
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x
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Qualitätskontrolle durch Externe
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x
|
x
|
1American Association of Orthopaedic Surgeons. 2International Society for Pharmacoeconomics and Outcomes Research. 3World Health Organisation. 4Patient-Reported Outcomes Measurement Information System. 5International Network for Orofacial Pain and Related Disorders Methodology.
Erstmals 2001 beschreibt eine kanadische Gruppe um Dorcas Beaton für die American
Association of Orthopaedic Surgeons (AAOS) den Prozess kultureller Adaptation [15], der in den folgenden Jahren weiter entwickelt wird. Dabei geht es nach der Übersetzung
eines Textes zusätzlich um semantische und idiomatische Äquivalenz, aber auch Anpassung
des Textes an Erfahrungswissen und Konnotationen in der Zielgruppe. Als weiteres Qualitätskriterium
wird eine Begutachtung des Prozesses durch Externe beschrieben [11]. 2013 scheint der Prozess der Standardentwicklung abschließend beschrieben zu sein.
Das International Network for Orofacial Pain and Related Disorders Methodology (INfORM)
nimmt in seiner „Leitlinie zur Etablierung der kulturellen Gleichwertigkeit von Instrumenten“
[9] alle bisherigen Qualitätsmerkmale auf. So gehört zur „Vorbereitung“ der Kontakt
zu den Autor*innen der Fragebögen, die Zusammenstellung des Übersetzungsteams und
die Erstellung von Dokumentationsvorlagen. Der konsentierten Vorwärtsübersetzung durch
mindestens 2 Personen folgt die Rückwärtsübersetzung in die Quellsprache. Ein Abgleich
der Rückübersetzung mit dem Quelltext und gegebenenfalls weitere Übersetzungsschleifen
werden anschließend so lange wiederholt, bis der Begutachtungsprozess abgeschlossen
werden kann. Dabei wird durch eine Expert*innengruppe die Hinlänglichkeit der Übersetzung
und die Äquivalenz des Textes anhand definierter Kriterien bewertet und der Fragebogen
in der Zielsprache gegebenenfalls erneut verändert. Eine Qualitätskontrolle der Dokumentation
des Übersetzungsprozesses durch Externe ist vorgesehen.
Bis dato gibt es keinen W-DEQ-Fragebogen, der entsprechend dieser Richtlinie qualitätsgesichert
in die deutsche Sprache übersetzt wurde.
Ziel und Forschungsfrage
Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, den Übersetzungsprozess des W-DEQ_A anhand der
Richtlinie von Ohrbach et al. (INfORM) nachvollziehbar zur Klärung der folgenden Forschungsfrage
zu beschreiben: „Führen Übersetzung und kulturelle Adaptation des englischsprachigen
Fragebogens W-DEQ_A zum Thema „Angst vor der Geburt“ zu einer sprachlich validen und
kulturell äquivalenten deutschsprachigen Fassung?“
Methodik
Um den Fragebogen in die deutsche Sprache zu übertragen und zu validieren, erbat die
Erstautorin von Claas Wijma eine autorisierte englische Version des W-DEQ_A. Die Übersetzung
des W-DEQ wurde entsprechend der von Ohrbach et al. [9] im Auftrag von INfORM erstellten Richtlinie durchgeführt. Nach Planung der Prozesse
und des Dokumentationsverfahrens wurden die teilnehmenden Personen für die entsprechenden
Aufgaben ausgewählt: a) Für die sprachliche Übersetzung des Fragebogens zunächst ins
Deutsche (Vorwärtsübersetzung) und dann in die englische Sprache (Rückwärtsübersetzung)
wurden jeweils 2 Personen ausgewählt, die sich längere Zeit in deutsch- und englischsprachigen
Ländern aufgehalten hatten und den Fragebogen in ihre jeweilige Muttersprache übersetzten.
Alle vier Übersetzerinnen kannten den Fragebogen zuvor nicht. Die Übersetzungen wurden
unabhängig durchgeführt und anschließend gemeinsam mit der Projektleitung mehrfach
besprochen und konsentiert. b) Für die Begutachtung und abschließende Bewertung wurde
eine Hebamme in Australien beauftragt, die ausschließlich Englisch spricht, zu diesem
Zeitpunkt in der Klinik tätig und mit Assessments vertraut war und sich mit dem Konstrukt
Angst befasst hatte. Sie übernahm die Begutachtung der Rückübersetzung in einem Vergleich
mit dem Original. Diese wurde wiederholt durchgeführt und war abgeschlossen, als die
sprachliche Übersetzung inhaltlich dem Original entsprach. c) An der Optimierung der
kulturellen Äquivalenz waren sieben Expert*innen beteiligt ([Tab. 3]): Von ihnen hatten vier Expert*innen professionell mit Sprache zu tun, fünf arbeiteten
beruflich im Bereich der Geburtshilfe, vier kannten das Konstrukt Angst und 2 hatten
Kenntnis zur Fragebogenkonstruktion. Zusätzlich wurde eine Mutter eines Kindes unter
drei Jahren einbezogen, um die Heterogenität auch durch die Expertise einer potentiellen
Nutzerin zu bereichern. In dieser Gruppe wurden die Übersetzerinnen der deutschsprachigen
Version nicht involviert.
Tab. 3 Zusammensetzung des Gremiums der 7 Expert*innen.
Sprachkompetenz (Selbsteinschätzung):
|
|
Unilingual
|
3
|
Bilingual
|
2
|
ohne Angabe
|
2
|
Professionelle Tätigkeit im Umgang mit Sprache
|
4
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Tätigkeit im Bereich der Geburtshilfe
|
5
|
Kenntnis des Konstrukts „Angst“ oder „Angst vor der Geburt“
|
4
|
Methodenkenntnis zur Fragebogenkonstruktion
|
2
|
Mutter eines Kindes unter 3 Jahren
|
1
|
Die Aufgabe der Expert*innen bestand darin, jeden Textteil und jedes Item des übersetzten
Fragebogens bezüglich konzeptioneller, semantischer und inhaltlicher Äquivalenz mit
dem Original zu bewerten und zu kommentieren. Für ein strukturiertes Vorgehen füllten
die Expert*innen ein Begutachtungsformular aus, in welchem sie die kulturelle Validität
jedes Items mit „nicht passend“ bis „sehr passend“ (4 Kategorien) und die Hinlänglichkeit
der Übersetzung mit „adäquat“, „fraglich“ oder „inadäquat“ bewerteten und beide Kriterien
miteinander kombinierten. Nur die nicht oder wenig passenden und fraglich beziehungsweise
inadäquat bewerteten Textteile wurden kommentiert oder mit einer Empfehlung zur Änderung
versehen.
Abschließend wurden die Bewertungen der Expert*innen statistisch durch den Content
Validity Index auf Itemebene (I-CVI) berechnet. Problematische Items mit einem I-CVI<0,78
[16]
[17] wurden wiederholt konsentiert. Die Inhaltsvalidität wurde durch den Mittelwert aller
I-CVI (Average Method) errechnet und durch den Content Validity Index auf Skalenebene
(S-CVI/Ave) ausgedrückt [16]
[18].
Ergebnisse
Die Ergebnisse zur Übersetzung und kulturellen Adaptation umfassen sowohl die sprachliche
Validität als auch die kulturelle Äquivalenz, die nachfolgend erläutert werden.
Sprachliche Validität
Bezogen auf die 33 Items des W-DEQ_A war die Rückübersetzung von 20 Items identisch
mit dem Original. Von den anderen 13 Items waren 10 Items in der Rückübersetzung dem
Original so ausreichend ähnlich, dass sie bei der Begutachtung des Übersetzungsprozesses
mit „good“ bewertet wurden. Lediglich drei Items und eine der einleitenden Fragen
wurden mit „fair“ oder „poor“ bewertet und mussten erneut übersetzt werden. Neben
einer doppelten Verneinung (Item 25) und einer unterschiedlichen Zeitangabe (Frage
VI) wurden 2 Übersetzungen inhaltlich bemängelt und kommentiert: „Poor: ‚deserted‘
means isolated or left alone not by choice, whereas ‚exhausted‘ means extremely tired“
(Item 7) und „Fair: ‚sad‘ is similar, but ‚desolate‘ is more than just sad, perhaps
empty“ (Item 11). Bei Item 7 wurde das Adjektivadverb „abgeschrieben“ in der deutschen
Version aufgrund der Bewertung beibehalten, aber in einer Korrekturschleife die Rückübersetzung
erneut vorgenommen und entsprach dann dem Original. Das Adjektivadverb im Item 11
wurde in der deutschen Version von „traurig“ in „trostlos“ geändert. Durch entsprechende
erneute Rückübersetzung, wurde die Übersetzung durch die Begutachterin schließlich
insgesamt als „excellent“, bewertet.
Kulturelle Äquivalenz
Für die Bestimmung der kulturellen Äquivalenz konnten die vollständigen Bewertungen
der sieben beteiligten Expert*innen ausgewertet werden. Der erklärende Text (Instruktion),
alle Fragen, die auf die Items ausgerichtet waren, und 26 Items konnten ohne weitere
Begutachtung beibehalten werden. Bei 3 Items (Item 7, 10 und 31) wurde der kritische
Wert des I-CVI von 0,78 unterschritten, bei 4 Items (Item 1, 8, 11 und 26) lag er
mit 0,79 knapp über dem kritischen Wert ([Abb. 1]).
Abb. 1 I-CVI zur Bestimmung der kulturellen Äquivalenz.
Diese drei nicht zufriedenstellenden Items und auch die 4 „kritischen“ Items wurden
unter Berücksichtigung der Kommentare und Empfehlungen der Expert*innen in kleinerer
Runde mit 3 der Expert*innen einem Review unterzogen. Bei Item 7 waren als Antwort
auf die zweite einleitende Frage (zu einem Gefühl während der Wehen und der Geburt)
in der Übersetzung die Ankerbegriffe mit „sehr/extrem abgeschrieben“ und „überhaupt
nicht abgeschrieben“ übersetzt worden. „Abgeschrieben“ wurde in den Kommentaren als
unverständlicher Begriff für das Konstrukt Angst und als unüblicher bzw. problematischer
Begriff im Zusammenhang mit einer Geburt gewertet. Als passenderer Begriff wurde „verlassen“
vorgeschlagen. Das Item 10 bot auf die gleiche einleitende Frage die Antwortskala
zwischen „sehr/extrem eigenständig“ und „überhaupt nicht eigenständig“. Als kulturelles
Äquivalent wurde eher die Formulierung der Ankerbegriffe mit dem Wort „unabhängig“
empfohlen. Und in Item 31 war die Übersetzung für das Gefühl der Gebärenden im Moment
der Geburt des Kindes mit „sehr/extrem gefährlich“ bis „überhaupt nicht gefährlich“
angegeben worden. Diesbezüglich wurde von den Expert*innen die kulturelle Validität
in Frage gestellt: als passender wurde „beängstigend“ vorgeschlagen.
Bei den vier „kritischen“ Items wurden die übersetzten Worte „fantastisch“ (Item 1),
„schwach“ (Item 8) und „trostlos“ (Item 11) als kulturell nicht passend bewertet und
durch die Worte „schön“ (Item 1), erschöpft (Item 8) und „entmutigt“ (Item 11) ersetzt.
Item 26 („ich werde es meinem Körper erlauben, die Kontrolle zu übernehmen“) wurde
unverändert beibehalten. Trotz der niedrigeren I-CVI-Werte bei den 7 Items erreichte
der Fragebogen durch die Berechnung der S-CVI/Ave mit 0,91 insgesamt eine „exzellente“
Inhaltsvalidität. Somit liegt mit dem W-DEQ_A, der den deutschen Titel „Gedanken und
Gefühle schwangerer Frauen im Hinblick auf die bevorstehende Geburt“ trägt, ein sprachlich
valides und kulturell äquivalentes Erhebungsinstrument in Deutsch vor.
Diskussion
WHO, ISPOR und PROMIS sind international agierende Institutionen, die sich für die
Verbesserung der staatlichen Gesundheitssysteme beziehungsweise für die Verbesserung
medizinischer Entscheidungen im klinischen Handeln in Gesundheitssystemen einsetzen.
PROMIS beschäftigt sich ausschließlich mit der Standardisierung von Erhebungsinstrumenten,
das heißt hauptsächlich mit der Messung von Patient Reported Outcomes von körperlicher,
psychischer und sozialer Gesundheit [19]. Die Übersetzungsrichtlinien von PROMIS [11] sind 2 beziehungsweise sieben Jahre nach denen von ISPOR [12] und der WHO [10] formuliert, allerdings nur als Unterpunkt einer Richtlinie, die sich vornehmlich
mit der Entwicklung von Instrumenten befasst.
Die Anwendung der Übersetzungsverfahren ist nicht auf einzelne Fachbereiche, Instrumente
oder Textsorten begrenzt. Die Prädiktionsskala „Depression nach Schlaganfall“ (DePreS)
[20] wurde entsprechend der Richtlinie von ISPOR übersetzt, aber auch die Checkliste
zum „STAndards for Reporting of Diagnostic accuracy (STARD)-Statement“ [21].
Die Richtlinie von Ohrbach et al. (INfORM) [9] ist die jüngste, die die Vorzüge der früheren Versionen weiterführt. Zudem unterstützen
ihre Protokoll-Formulare, die als Vorlagen für das Übersetzungs- und Adaptationsverfahren
vorgehalten werden, ein strukturiertes Vorgehen in jeder Phase. Die Stärken des INfORM-Verfahrens
liegen in Qualitätskontrollen zum Abschluss jeder einzelnen Phase und in wiederholten
Korrekturschleifen durch unabhängige Expert*innen. Ein Nachteil ist gegebenenfalls
der höhere Aufwand, geeignete Personen zu finden, da jede teilnehmende Person bzw.
Expert*in bestimmte Kriterien erfüllen muss. Bei Projekten mit umfangreichen Übersetzungen
sollte sowohl eine Finanzierung des Personals für die organisatorischen Aufgaben und
Administration der Übersetzungs- und Adaptationsprozesse als auch Honorare für die
Begutachtungen durch die Expert*innen eingeplant werden. Weitere Beispiele, die anhand
der Richtlinie von Ohrbach et al. [9] übersetzt und adaptiert wurden, sind der Dental Aesthetics Questionnaire (PIDAQ)
in Schwedisch [22] und die Oral Behaviours Checklist in Portugiesisch [23].
Der Einbezug der Aussagen der Expert*innen wurde durch die Berechnung von CVI und
S-CVI/Ave objektiviert. Da der CVI-Wert für jedes Item berechnet werden konnte, konnte
jeder Textteil im W-DEQ_A, der adaptiert werden musste, bezüglich seiner Validität
eingeschätzt werden. Diese beiden Berechnungen sind bei ausreichender Anzahl von Expert*innen
einer Kappa-Statistik zur Bestimmung der Inter-rater-Reliabilität nicht unterlegen
[16]. Da Polit et al. [16] für eine ausgezeichnete Inhaltsvalidität einen Item-CVI≥0,78 und einen S-CVI/Ave
von≥0,9 empfehlen, kann die Inhaltsvalidität der Übersetzung des W-DEQ_A aufgrund
des S-CVI/Ave-Werts von 0,91 als „exzellent“ betrachtet werden. Eine erneute Berechnung
der letztendlich geänderten Items in der kleinen Expert*innenrunde war nicht sinnvoll,
da bei einem Konsens die kulturelle Validität von allen mit der höchsten Kategorie
„sehr passend“ und die Hinlänglichkeit der Übersetzung mit „adäquat“ bewertet worden
wäre. Der I-CVI läge dann bei 1,0.
Das vorliegende Beispiel der Übersetzung des W-DEQ_A ins Deutsche anhand des INfORM-Verfahrens
zur sprachlichen und kulturellen Adaptation eines Assessmentinstruments demonstriert
deutlich, dass eine sprachlich exakte Übersetzung von Items nicht ausreicht, um einen
inhaltlich validen Fragebogen in einer anderen Sprache zu konzipieren. Schon Beaton
[15] hat 2001 in seinen Richtlinien zur Übersetzung von Fragebögen zur Selbsteinschätzung
auf die Notwendigkeit einer kulturellen Adaptation der Items hingewiesen. Diese ist
nicht nur notwendig, wenn der Fragebogen in einem anderen Land [15] verwendet werden soll, sondern auch, wenn eine Minderheit im eigenen Land, die zwar
die gleiche Sprache spricht, aber in einem anderen kulturellen Kontext lebt, den Fragebogen
ausfüllen soll. Dies könnte bedeuten, dass die Anwendung eines Fragebogens bei Minderheiten
kritisch hinterfragt und die kulturelle Äquivalenz überprüft werden müssen.
Durch den unverzichtbaren Prozess der kulturellen Adaptation, das heißt, dem willentlichen
Abweichen von dem Wortlaut, der aus einer qualitativ hochwertigen Übersetzung resultierte,
wird eine kulturelle Äquivalenz des neu übersetzten Fragebogens im Hinblick auf den
ursprünglichen Text und die neue Zielgruppe erreicht. Zabal und Behr [24], S.33] weisen zudem darauf hin, dass gleiche kognitive Denkprozesse beim Ausfüllen
des Fragebogens in Gang gesetzt werden müssen, damit die Vergleichbarkeit der Ergebnisse
gewahrt wird. Das heißt auch, dass eine Übersetzerin einerseits nicht willkürlich
bestimmte Begriffe einsetzen kann und sie andererseits auch nicht an der wortwörtlichen
Übersetzung der Items festhalten darf. Um solche subjektiven Entscheidungen zu vermeiden,
wird ein heterogenes Gremium von Expert*innen zur Begutachtung der Übersetzung in
das INfORM-Verfahren einbezogen. So war in der Übersetzung des W-DEQ_A z. B. das Wort
„fantastisch“ zwar korrekt übersetzt, im Begutachtungsprozess durch die Expert*innen
wurde der Begriff in der angewendeten Sprache bezüglich des Kontexts der Geburt (kulturell)
aber als nicht passend bzw. unüblich oder übertrieben gewertet.
Entsprechend der Richtlinie von INfORM wurde der Fragebogen W-DEQ_A hochwertig übersetzt
und durch Adaptation sprachlich und kulturell an die deutschsprachige Bevölkerung
in Deutschland angepasst. Darüber hinaus wurde selbst die übersetzte Instruktion zum
Ausfüllen der Antwortskalen qualitativ begutachtet und entspricht inhaltlich dem ursprünglichen
Fragebogen. Dabei wurden sowohl die Anzahl der Fragen mit den dazugehörigen Items
als auch das Scoring wie im Original beibehalten. Diese Übereinstimmung mit dem Original
ist ein wichtiges Qualitätskriterium für Fragebögen in internationaler Forschung.
Damit erfüllt die deutschsprachige Version auch die Kriterien der Internationalen
Testkommission [25]
[26] für vergleichende Studien.
Der W-DEQ_A kann als Instrument zur Selbsteinschätzung großer Angst vor der Geburt
im klinischen Alltag oder in der Forschung genutzt werden. In der klinischen Anwendung
sagt ein einfaches Scoring aus, ob eine schwangere Frau Angst vor der Geburt hat und
wie stark deren Ausprägung ist. Der allgemein gebräuchliche Cut-off-Wert von 85 Punkten
unterscheidet eine physiologische Angst, auf die in ärztlichen oder Hebammen-Praxen
eingegangen werden kann und sollte, von großer Angst vor der Geburt, bei denen Frauen
eine psycho- oder körpertherapeutische Unterstützung benötigen und davon profitieren
können. Weitere Forschung muss den Cut-off-Wert für die deutsche Version zunächst
bestimmen, damit langfristig eine Routine zur Diagnosestellung und (Weiter-)Behandlung
erstellt werden kann. Eine verlässliche Erhebung von großer Angst und darauf zugeschnittene
Unterstützungsmaßnahmen für die schwangeren Frauen könnten letztlich das Risiko für
eine Präeklampsie, intrauterine Wachstumsretardierung und einen elektiven Kaiserschnitt
verringern. In Form einer digitalen Gesundheits-App könnte der Fragebogen durch Frauenärzt*innen
oder Hebammen verschrieben, kostenlos bereitgestellt und von der schwangeren Frau
zu Hause ausgefüllt werden. Das digital berechnete Ergebnis kann dann einfach in die
elektronische Gesundheitsakte der Frau übernommen werden, ohne dass zusätzliche Zeit
in der Vorsorgeuntersuchung für die Erhebung eingeplant werden müsste.
Aufgrund seiner sprachlichen Validität und kulturellen Äquivalenz eignet sich der
W-DEQ_A auch für internationale Erhebungen und ländervergleichende Forschung. Forschungsarbeiten
könnten verlässlich untersuchen, ob die Prävalenz großer Angst vor der Geburt in Deutschland
höher ist im Vergleich mit anderen Ländern. Auch für wissenschaftliche Fragestellungen,
die mit einer Interventions- und Kontrollgruppe beantwortet werden sollen, könnte
dieser Fragebogen sprachlich valide und kulturell äquivalente Erhebungen liefern.